Gaon von Wilna

Gaon von Wilna
Der Gaon von Wilna

Elijah Ben Salomon Salman, der Gaon von Wilna, (* 23. April 1720 in Selez bei Hrodna, Polen-Litauen, heute Weißrussland; † 9. Oktober 1797 in Vilnius, Polen-Litauen) war Rabbiner und Gelehrter.

Als begabter Sohn einer angesehenen Rabbinerfamilie genoss Elijah Salman ab frühester Jugend eine umfassende Ausbildung. Nach einem halbjährigen Studium des Talmud in Kėdainiai widmete er sich in Vilnius im Selbststudium der Kabbala und zahlreichen naturwissenschaftlichen Fragestellungen. Nach fünfjähriger Wanderschaft durch Polen und Deutschland kehrte er 1745 nach Vilnius zurück, das damals ein bedeutendes Zentrum jüdischer Theologie war. Durch sein umfassendes Wissen erwarb er sich bald einen guten Ruf unter den Rabbinern, und wurde zunächst mehr mit seinem asketisch-heiligmäßen Wandel als mit seinen Veröffentlichungen bekannt, die sich mit einem breiten Spektrum gesellschaftlicher und religiöser Fragen beschäftigten. Man verlieh ihm den Titel Gaon, der „Weise“. Seine Kommentare zu Tora und Talmud sind heute Standardwerke jüdischer Gelehrsamkeit.

Der Gaon von Wilna

Bis etwa 1760 studierte und arbeitete er sehr zurückgezogen. Er war bekannt für seine Bescheidenheit und Großzügigkeit. Ab 1760 begann er, Schüler in privaten Versammlungen zu unterrichten. Der bekannteste Botschafter seiner Lehre wurde Rabbi Chaim von Woloschin, der nach dem Tod des Gaon die bekannte Jeschiwa von Woloschin gründete.

Ein Gedenkstein auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs (1487-1950) im Ortsteil Šnipiškes , auf dem laut Inschrift Gaon von Wilna und Ger Tzedek begraben liegen

Der Gaon war ein vehementer Verfechter der orthodoxen Lehre, die der wortgetreuen, rationalen Auslegung der Tora und der Gesetze der Halacha Vorrang gab. Die neu entstandene Lehre des Chassidismus, der darüber hinaus das Gefühl und die Mystik auf dem Weg zur Erkenntnis bemühte, lehnte er scharf ab (Misnagdim). Er hielt sie für eine libertinistische, pantheistische und dem Tora-Lernen feindliche Strömung und ließ 1772 und 1782 sogar den Bann über die Chassidim aussprechen, dem sich sämtliche litauischen Gemeinden anschlossen. Versuche von Rabbi Schneor Salman von Ljadi, ihn für eine Diskussionen über die Legitimität der chassidischen Bewegung zu treffen, wies er ab. Darüber hinaus bezeichnete er von chassidischen Rabbinern geschächtetes Fleisch als unkoscher, verbot Ehen zwischen chassidischen Juden und Mitgliedern seiner eigenen Gemeinde und ließ 1794 das Buch Zawaat Ribasch („Testament des Rabbi Israel Baal Schem Tow“, des Begründers des Chassidismus) in Vilnius öffentlich verbrennen. Nach seinem Tod 1797 kam es in Vilnius zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der beiden Richtungen, die in der Einrichtung eigener Gemeinden der Chassidim resultierten.

Der Gaon sah die Naturwissenschaften als unabdingbar für das Verständnis der Tora an. Jegliche Änderung der Halacha, wie sie die Haskala anstrebte, wies er zurück. An der Tora und ihrem Wortlaut dürfe nicht gerüttelt werden.

Unklar bleibt, was ihn bewog, seine Auswanderung nach Osmanisch-Palästina 1783 nach wenigen Monaten abzubrechen und wieder nach Vilnius zurückzukehren.

Seine erste Frau, Tochter eines Kaufmanns, die er im Alter von 18 Jahren heiratete, zog 8 gemeinsame Kinder groß. Die Söhne wurden wiederum Rabbiner, und die Töchter heirateten Rabbiner. Erwachsene Enkel des Gaon von Wilna sind namentlich 43 bekannt, Urenkel (geboren um 1800) 143. Diese Generation wurde Teil des jüdischen Bevölkerungsaufschwungs, in dem sich die Zahl der Nachkommen pro Generation vervielfachte. So zählte die 7. Nachkommengeneration des Gaon, geboren um 1900, bereits rund 13000 Personen[1].

In der Nachfolge des Wilnaer Gaon gab es einen Aufschwung des traditionellen rabbinischen Schulwesens in Polen-Litauen und es entstanden Zentren des Talmudstudiums, die großen Jeschiwot wie die von Woloschin, die zu einer Bastion gegen die einsetzende Haskala und Assimilation wurden.

In der Krypta des Gaon von Wilna stecken Gläubige heutzutage einen Zettel mit Bitten an Gott.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Freedman, Chaim: Eliyahu's Branches: The Descendants of the Vilna Gaon (Of Blessed and Saintly Memory) and His Family. Teaneck, NJ: Avotaynu 1997, S. 8

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