Gedichtzyklus

Gedichtzyklus

Ein Gedichtzyklus ist eine mehrere Gedichte zu einer übergeordneten Einheit zusammenfassende literarische Großform, die von einem gesteigerten künstlerischen Bau- und Formwillen zeugt. Das einzelne Gedicht erhält, über seine Eigenständigkeit hinaus, im Kontext des Zyklus' betrachtet eine neue Funktion und unter Umständen eine neue Bedeutung bzw. zusätzliche Deutungsaspekte.

Ein Ideal der zyklischen Bauweise kann es sein, alle Gedichte des Zyklus um eine in jedem Teil des Ganzen präsente, aber ungenannte oder nur aus dem Ganzen bestimmbare Mitte kreisen zu lassen, so dass sich die Gedichte, analog zu einer musikalischen Kompositionsform, als Variationen auf ein Thema darstellen. Eine zyklische Konzeption kann sich auf das lyrische Gesamtwerk eines Dichters ausdehnen, so z. B. bei Oskar Loerke: die als Zyklus konzipierten Gedichtbände bilden selbst wiederum einen einzigen großen Zyklus. Innerhalb eines Gedichtbandes, der als Zyklus konzipiert ist, gibt es oft wiederum kleinere Unterzyklen, z. B. in der Form einzelner „Bücher“ oder „Teile“ - so besteht z. B. Stefan Georges Der Siebente Ring aus sieben als Zyklen angelegten Büchern.

In einem weiteren Sinne des Begriffs wird auch ein mehrteiliges Gedicht – etwa mehrere nummerierte Gedichte unter einem gemeinsamen Titel – als Gedichtzyklus bezeichnet, so z. B. von Rainer Maria Rilke Gedichte wie Die Insel (3-teilig) oder Die Parke (7-teilig).

Für die moderne Lyrik gewann der Gedichtzyklus Les Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen) von Charles Baudelaire eine herausragende Bedeutung als Besinnung auf einen neuen Gestaltungswillen. Baudelaire legte, besonders in der ersten Auflage, einen großen Wert auf eine innere, auch zahlenmäßige, Architektonik seines Gedichtbands. Damit waren Prinzipien des Barocks und auch der mittelalterlichen Dichtung erneut zu einer Geltung gebracht und mit spezifisch modernen Inhalten verbunden.

Gedichtzyklen (Auswahl)

Gegenwartslyrik

Literatur

  • Wolfgang Braungart: Zur Poetik literarischer Zyklen. Mit Anmerkungen zur Lyrik Georg Trakls. In Károly Csúri (Hg.): Zyklische Kompositionsformen in Georg Trakls Dichtung. Szegeder Symposion. Tübingen 1996, S. 1–27.
  • Rolf Fieguth, Alessandro Martini (Hrsg.): Die Architektur der Wolken: Zyklisierung in der europäischen Lyrik des 19. Jahrhunderts. Bern 2005.
  • Cordula Gerhard: Das Erbe der ‚Großen Form‘. Untersuchungen zur Zyklus-Bildung in der expressionistischen Lyrik. Frankfurt a.M. u.a. 1986 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 910).
  • Ingo Müller: „Eins in Allem und Alles in Einem“: Zur Ästhetik von Gedicht- und Liederzyklus im Lichte romantischer Universalpoesie. In Günter Schnitzler, Achim Aurnhammer (Hrsg.): Wort und Ton. Freiburg i. Br. 2011, S. 243–274 (Rombach Wissenschaften: Reihe Litterae. Bd. 173).
  • Joachim Müller: Das zyklische Prinzip in der Lyrik. In: Germanisch-romanische Monatsschrift. 20 (1932), H. 1/2, S. 1–20.
  • Helen Meredith Mustard: The Lyric Cycle in German Literature. New York 1946.
  • Claus-Michael Ort: Zyklische Dichtung. In Paul Merker, Wolfgang Stammler (Begr.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, hg. v. Klaus Kanzog u. Achim Masser. Berlin/New York 1984, S. 1105–1120.

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