- Der Lindenbaum
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Am Brunnen vor dem Tore ist der erste Vers eines deutschen Liedes, das sowohl in Form eines Kunstlieds als auch in Form eines Volkslieds bekannt geworden ist. Der Titel lautet Der Lindenbaum. Meist wird jedoch heute, wenn man von dem Lied spricht, der Vers des Anfangs als Titel benutzt. Der Text stammt von Wilhelm Müller, die Vertonung als Kunstlied von Franz Schubert, und die bekannteste als Volkslied intendierte und weithin rezipierte Bearbeitung der Schubertschen Vertonung von Friedrich Silcher.
Inhaltsverzeichnis
Müllers Gedicht
Wilhelm Müller veröffentlichte das Gedicht zuerst als Der Lindenbaum in Urania – Taschenbuch auf das Jahr 1823, einem der beliebten Taschenbücher des frühen 19. Jahrhunderts, die auf mehreren hundert Seiten Gedichte, Erzählungen und Berichte enthielten. Das Werk bildete dort das fünfte Gedicht eines Zyklus, überschrieben Wanderlieder von Wilhelm Müller. Die Winterreise. In 12 Liedern. Unverändert erschien der Text in einer auf 24 Gedichte erweiterten Fassung der Winterreise im zweiten Bändchen der Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten (1824).
Text
Am Brunnen vor dem Tore,
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
so manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh!
Die kalten Winde bliesen
Mir grad in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
entfernt von jenem Ort,
Und immer hör ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort.Metrisches und Formales
Das Gedicht folgt ohne Abweichungen einem festen, zu Müllers Zeit bereits wohlbekannten formalen Muster: vierzeilige Strophen, die im Wechsel zweisilbig und einsilbig ausklingen (Alternanz); in jeder Strophe reimen sich die Schlusssilben des zweiten und vierten Verses. Ein durchgängiges auftaktiges Metrum ist dem Text unterlegt: Jamben mit jeweils drei Hebungen.
Diese strenge und streng durchgehaltene Form wird häufig als Volksliedstrophe bezeichnet, obwohl etwa die Volkslieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ meist durchaus andere Muster bevorzugen. Sie war aber bei den Romantikern als liedhafte, sangbare, Schlichtheit suggerierende Gedichtform sehr beliebt und bereits etabliert. Ein Beispiel ist das zehn Jahre ältere Gedicht Eichendorffs „Das zerbrochene Ringlein“, an dessen Beginn „In einem kühlen Grunde/Da geht ein Mühlenrad“ der Lindenbaum anklingt.
Fast alle Gedichte der Winterreise sind in ähnlicher Form metrisch und formal gebunden. Der „ruhige Fluss der Verse“, der dadurch entsteht, wird von den düsteren Themen und Stimmungen der Winterreise kaum berührt, wie Rolf Vollmann feststellt. Dieser Kontrast hat starke Wirkungen, Vollmann spricht gar von „Entsetzen“.[1] Ähnlich argumentiert Erika von Borries: Der Kontrast zwischen ruhigem Gang der Sprache und der beunruhigenden Aussage verleihe dem Gedichtzyklus einen „schaurigen und befremdlichen“ Ausdruck.[2]
Kontext: Die Winterreise
Der Lindenbaum ist eine Station in einer recht locker gefügten Handlung. Noch vor deren Beginn liegt eine gescheiterte Liebesbeziehung des Protagonisten, eines jungen Manns, der das Lyrische Ich des Texts [3] verkörpert. Das erste Lied des Zyklus, Gute Nacht, beschreibt die Ausgangssituation: Das "Ich" verlässt in einer Winternacht das Elternhaus der Geliebten und begibt sich auf eine einsame, ziellose Wanderung, deren Stationen die Gedichte des Zyklus wiedergeben. Zu diesen Stationen zählen vereiste Flüsse und verschneite Felsenhöhen, Dörfer und Friedhöfe – und eben auch der Lindenbaum.
Die Winterreise ist als „Monodrama“ beschrieben worden [4] oder auch als eine Folge von „Rollengedichten“,[5] freilich nur mit einer Rolle. Denn in allen Stationen spricht nur das "Lyrische Ich" mit sich selbst, aber auch mit der Natur oder seinem Herzen. Einige Motive wiederholen sich immer wieder: Liebe und Todessehnsucht, der Gegensatz der erstarrten Winterlandschaft und der fließenden Emotionen (vor allem in Gestalt der Tränen), Trotz und Resignation, vor allem aber das wie getriebene, zwanghafte Wandern.[6] [7]
Auffallend sind im gesamten Zyklus scharfe Wortgegensätze (heiße Tränen - Schnee, Erstarren - Schmelzen etc.), welche auch dem auf feine Nuancierungen verzichtenden Volkslied eigen sind. Dennoch sind Müllers Aussagen meist nicht so einfach gedacht, wie es volksliedhafter Ton und Bilder vorzugeben scheinen. Nach Erika von Borries gelingt es Müller, eingebettet in alte und naiv-vertraut wirkende Formen Erfahrungen der Moderne zu vermitteln.[8] Die Leitmotive des Lindenbaums, Traum und Ruhe, tauchen mehrmals im Zyklus mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen auf – und diese Mehrdeutigkeit steht nach von Borries für die dichterische Darstellung einer unverlässlich gewordenen Welt. [9]
Es ist verschiedentlich versucht worden, die Gedichte der Winterreise zu Gruppen zusammenzustellen. Norbert Michels etwa geht von Vierergruppen aus (hier: Der Lindenbaum, Wasserflut, Auf dem Flusse, und Rückblick), wobei das erste Gedicht einer Gruppe ihm zufolge immer eine Neuerung, psychische Grundlage bzw. neu aufkommende Hoffnung des Wanderers darstellt. [10]
Aufbau
Von der Zeitstruktur des Gedichts her ergeben sich deutlich drei Teile: Die ersten beiden Strophen sind teilweise zeitlos, teilweise beziehen sie sich auf eine weiter zurückliegende Vergangenheit. Erst mit der dritten Strophe nimmt das Ich Bezug auf die Handlung der Winterreise; es beginnt zu erzählen, nämlich von einem erst vor kurzem vergangenen Ereignis: Es ist („heute“) an dem Lindenbaum vorbeigekommen. Die sechste Strophe enthält einen Rückblick des Ich, der in der erzählten Gegenwart steht („nun“).[11]
Das erste Verspaar bringt mit Brunnen, Tor und Lindenbaum klassische Bestandteile eines ‚lieblichen Orts‘ oder Locus amoenus. Ihm folgt eine Reihe durchaus konventioneller Bilder (süßer Traum, liebes Wort, Freud und Leid), die ans Klischee grenzen[12] und eine vergangene glückliche Zeit an diesem Ort evozieren. Es ist gerade dieser Teil des Liedes, der etwa in den Darstellungen auf Postkarten[13] so gern im Bild wiedergegeben wird. Im Verhältnis zu den anderen Naturbildern der Winterreise, die von Fels, Eis und Schnee bestimmt sind, wirkt das Ensemble Brunnen/Tor/Lindenbaum wie eine idyllische Insel.
Mit der dritten Strophe wechselt nicht nur die zeitliche Einordnung, sondern auch die Stimmung abrupt. Die statische Idylle wird durch die rastlose, erzwungene Bewegung des lyrischen Ich kontrastiert, die am Lindenbaum vorbeiführt. Obwohl ohnehin „tiefe Nacht“ herrscht, verweigert der Wanderer den Blickkontakt: „Er will oder kann nicht hingucken.[14] Doch die Magnetwirkung, die dem Lindenbaum bereits oben zugesprochen wurde („es zog ... zu ihm mich immer fort“), verwirklicht sich über einen anderen Sinn, das Gehör: Das Rauschen der blattlosen Zweige, das der Wanderer als Lockruf und Versprechen hört. Cornelia Wittkop weist auf die dunklen u-Vokale hin, die dieses Versprechen auf Erlösung vom Weiterwandern prägen (zu, Ruh) – und auf die hellen a- und i-Vokale, die die folgende Strophe deutlich davon absetzen (kalten, grad, Angesicht, Winde, bliesen).[15] Diese fünfte Strophe läuft erstmals auf eine bewusste Handlung des lyrischen Ich zu: Es widersteht dem Lockruf des Baumes; dieser Entschluss erhält einen eigenen Vers, den vierten Vers dieser Strophe, während sonst die Sinneinheiten regelmäßig zwei Verszeilen umfassen. Das Ich entscheidet sich für das schutzlose Weiterwandern (ohne Hut) und präsentiert der Kälte und Wucht des Windes sein Gesicht.
Den Übergang zur sechsten Strophe zeichnet erneut ein abrupter Stimmungswechsel aus. Nun kommt die Erzählsituation ins Bild: das sich erinnernde und erzählende Ich, „manche Stunde“ entfernt von den Ereignissen der letzten drei Strophen. Die letzte Strophe greift erneut das Moment der Zeitlosigkeit („immer“) auf, das die ersten beiden Strophen prägte, und ebenso die Anrede der Lindenbaum-Zweige aus Strophe 4, die nun jedoch im Irrealis steht („fändest“). Sie kann als eine Art bleibendes Resümee aus der Distanz betrachtet werden („jenem Ort ... dort“).
Der Lindenbaum
Zu Müllers Zeiten war die Linde bereits ein etabliertes Motiv in der deutschen Literatur als Baum der Liebe, des Tanzes und des Festes, aber auch des Gerichts (Gerichtslinde). Sie galt zugleich, zusammen mit der Eiche, als Baum der Deutschen und speziell der deutschen Romantik. Das gesamte Ensemble der ersten zwei Verse von Müllers Gedicht tritt in den Jahren um 1800 immer wieder als Ort des Idylls auf: etwa in Goethes Hermann und Dorothea, wo sich die Liebenden „vor dem Dorfe“ treffen, „von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet“; oder in den Leiden des jungen Werthers, wo „gleich vor dem Orte ein Brunnen“ ist, als Ort des geselligen Lebens und des Phantasierens vom Paradies, und gleich nebenan ein Wirtshaus unter zwei Linden.[16] Die ersten zwei Gedichtstrophen erscheinen im Lindenbaum wie ein Bild im Rahmen – ein zeitloses, wohlbekanntes Tableau der Idylle.
Diese „Brunnenlinde“ verspricht dem Wanderer in der Folge die Erlösung von seiner Wanderschaft, die Ruhe.[17] Im Kontext der düsteren Thematik der Winterreise mit ihren zahlreichen Todessymbolen gewinnt diese Ruhe die Konnotation der ewigen Ruhe, der Verlockung zum Ende der Lebenswanderung durch Suizid. Diese naheliegende Interpretation ist in der Rezeption des Werkes vielfach wirkmächtig geworden. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Zauberberg von Thomas Mann. Dort beantwortet der Erzähler die Frage, was die Welt sei, die hinter dem Lied vom Lindenbaum stehe:
- Es war der Tod. ... Und dennoch stand hinter diesem holden Produkte der Tod. ... Es mochte seinem eigenen ursprünglichen Wesen nach nicht Sympathie mit dem Tode, sondern etwas sehr Volkstümlich-Lebensvolles sein, aber die geistige Sympathie damit war Sympathie mit dem Tode, – lautere Frömmigkeit, das Sinnige selbst an ihrem Anfang, das sollte auch nicht aufs leiseste bestritten werden; aber in ihrer Folge lagen Ergebnisse der Finsternis.[18]
Der Held des Zauberberg, Hans Castorp, und dessen Schicksal verliert sich schließlich in den Schlachten des Ersten Weltkriegs, auf den Lippen genau diejenige Passage des Liedes, in der die Linde zum erstenmal ihre Lockung ausspricht: „als rauschten sie dir zu“. Auch die wissenschaftliche Rezeption hat diesen Zusammenhang des Lindensymbols in Müllers Gedicht zum Tod immer wieder betont.[19]
Das lyrische Ich verspürt die Magnetwirkung der Todessehnsucht, sie bleibt ihm bis in die letzte Strophe erhalten; doch es widersteht ihr. Es „wendet sich nicht“ und bleibt bei seiner getriebenen Wanderschaft, in der Region von Schnee, Eis und kalten Winden. Heinrich Heine hat genau diese Figur, die Abwendung vom romantischen Sehnsuchtsbild der Linde und die Zuwendung zum zeitgenössischen Winter, in freilich deutlich ironischer Rede später noch einmal formuliert:
Mondscheintrunkne Lindenblüten,
Sie ergießen ihre Düfte
Und von Nachtigallenliedern
Sind erfüllet Laub und Lüfte.
...
Ach, ich will es dir, Geliebte,
Gern bekennen, ach, ich möchte,
Daß ein kalter Nordwind plötzlich
Weißes Schneegestöber brächte;
Und daß wir, mit Pelz bedecket
Und im buntgeschmückten Schlitten,
Schellenklingelnd, peitschenknallend,
Über Fluß und Fluren glitten.[20]Schuberts Lied
Schuberts Liedkunst wurde ebenso durch die schwäbisch-süddeutsche Schule und die Berliner Musikschule, sowie durch gewisse Vorbilder wie z.B. Beethoven (Adelaide, An die ferne Geliebte) oder auch Haydns Englische Kanzonetten und Mozarts Lied vom Veilchen beeinflusst. Trotzdem war seine Emanzipation des Begleitinstrumentes - mit eigenen Motiven, Begleitformen und übergreifenden Bezügen - im Lied damals eine vollkommene Neuheit. [21]
Der Lindenbaum, als Lied für hohe Männerstimme mit Klavierbegleitung vertont, bildet die Nr. 5 des Liederzyklus Winterreise von Franz Schubert (Deutsch-Verzeichnis Nr. 911-5).
Zum ersten Mal wurde das Lied im Freundeskreis von Schubert aufgeführt. Joseph von Spaun hat berichtet, dass eines Tages Schubert zu ihm kam und zu ihm sagte: „Komme heute zu Schober, ich werde euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vorsingen.“
Mit dem hier erwähnten Zyklus ist nur die erste Abteilung der Winterreise gemeint, die Schubert Anfang 1827 komponierte und schon im Februar 1827 vor seinen Freunden aufführte.
Position im Gesamtzyklus
Schubert vertonte Anfang 1827 die ersten 12 Lieder Müllers, und erst nachdem er im Herbst auf den erweiterten Zyklus Müllers aus 24 Liedern stieß, die restlichen 12. Müller hängte die zweiten 12 Lieder aber nicht einfach an die ersten an, sondern schob sie in diese ein. Schubert dagegen behielt die ursprüngliche Abfolge der ersten zwölf Lieder Müllers - ob aus Gründen des Entsehungsprozesses oder wegen eigener musikalisch-textlicher Intentionen - bei. [22] [23] Durch diese Änderung der Stellung des Lindenbaums im Zyklus ergab sich eine Bedeutungsverschiebung. Während der Lindenbaum in Müllers 1824 erschienener Gesamtversion vom primär noch positiv hoffenden Die Post gefolgt wird, folgt bei Schubert der eher fragend-resignierende Titel Wasserflut. [24] Auch über die Motive welche Müller zu dieser Positionsveränderung bewogen haben mögen, gibt es nur Vermutungen.
Silchers Satz
Für den Erfolg des Liedes war jedoch vor allem eine Bearbeitung durch Friedrich Silcher verantwortlich. Auf der Basis von Schuberts Vertonung der ersten Strophe setzte er Am Brunnen vor dem Tore 1846 für vier Männerstimmen a cappella aus. Vor allem diese Fassung ist es, die das Lied zum „Volkslied“ gemacht hat und für seine enorme Bekanntheit verantwortlich ist, da sie vielfach in Schul- und Chorliederbüchern gedruckt wurde. Arnold Feil kommentiert die gängigen Hörerfahrungen mit dem Lindenbaum
- „Wir hören Schuberts Melodie kaum als ‚Weise‘ des Textes, die im Grunde keiner Harmonie oder Begleitung bedarf, wir hören sie vielmehr als Oberstimme eines vierstimmigen Männerchorsatzes, der uns als Ganzes Volkslied zu sein scheint.“[25]
Silchers Bearbeitung findet sich zuerst in Heft VIII seiner Volkslieder, gesammelt und für vier Männerstimmen gesetzt, seinem Hauptwerk, das in zwölf Heften über den Zeitraum von 1826 bis 1860 verteilt erschienen ist. Wie alle Silcherschen Volksliedsätze steht es nunmehr als Einzelwerk da, der Kontext der Winterreise fehlt also; auch der Titel Der Lindenbaum erscheint nicht mehr.
Dass Silcher sich seiner Vereinfachungen im Sinne der volksmusikalischen Verwendung bewusst war, legt folgendes Zitat von ihm nahe: "Nach Franz Schubert zu einer Volksmelodie umgearbeitet von F.S." [26]
Musikalischer Vergleich
Primär musikalisch orientierte Analysen konzentieren sich meist auf folgende Fragen:
- Wie haben Schubert und Silcher den textlichen Vorwurf Müllers mittels musikalischer Techniken dargestellt/umgesetzt, eventuell weitergeführt, vertieft, verflacht, oder erweitert.
- In welchen Merkmalen unterscheiden bzw. widersprechen sich die Versionen von Schubert und Silcher in Intention und Aussage.
Vergleich der Versionen von Silcher und Schubert
Die Versionen von Schubert und Silcher weisen etliche Unterschiede in formaler, melodischer, harmonischer und rhythmischer Hinsicht auf. Auch die Form der Begleitung ist (allerdings auch der notwendigen unterschiedlichen Instrumentation für Klavier und Gesang im Gegensatz zu einem Chor geschuldet) anders. Dies alles bewirkt eine gänzlich andere und teilweise diametral entgegengesetzte musikalische Ausdeutung der identischen Textvorlage.
Herauslösung aus dem Gesamtzyklus
Schon der alleinige Vorgang der Herauslösung eines Einzelliedes aus einem vom Komponisten für den Hörer vorgesehenen Gesamtzusammenhangs eines Zyklus bedingt fast immer einen Verlust bzw. eine Verschiebung der musikalischen Wahrnehmung und inhaltlichen Interpretation. Motivische Zusammenhänge und Anspielungen mit den vohergehenden und nachfolgenden Titeln gehen meist ebenso verloren wie die tonartlichen Bezüge. Clemens Kühn schreibt dazu:
- „In solchem Zyklus steht das einzelne Lied in einer bestimmten Umgebung, aus der es kaum ohne Verlust herausgelöst werden kann. […] Das die zweite und dritte Strophe einen anderen Ton anschlagen […] das nimmt die immer gleiche Melodie nicht wahr.“ [27].
So geht die tonartliche Einbettung des Lindenbaums in die Klammer von in Moll gehaltenen Stücken (das E-Dur des Lindenbaums im Rahmen von c-Moll in Erstarrung und e-Moll in Wasserflucht) in einer isolierten Darstellung des Liedes (wie in der Version von Silcher) verloren. [28] Auch sind motivische Vorausnahmen und Nachklänge des Lindenbaums, sowie typische rhythmische Figurationen des Titels im Kontext des Gesamtzyklus in einem isolierten Einzeltitel wie von Silcher nicht nachvollziehbar.
Eine elementare, wohl den Anforderungen an ein singbares Volkslied geschuldetete Kürzung, ist die Weglassung des kurzen dramatischen, musikalisch ganz anderes gearteten Mittelteils der Schubertversion (Takt 53 bis 65 - Die kalten Winde bliesen ...) bei Silcher.
Der musikalische Verlust übergreifender Bezüge durch eine motivische Herauslösung eines Einzeltitels wird speziell am Lindenbaum an folgendem Beispiel deutlich. Der Sekundschritt in der linken Hand von Erstarrung (Takt 1, 44, 65, 69, und 103) mit anschließendem aufwärts gerichtetem Terzsprung und abwärtslaufender Sekunde findet im Lindenbaum in der Oberstimme der Klavierbegleitung in Takt 1, 3, 25, 27, und dem Mittelteil (44, 47, 49, und 50) eine Entsprechung/Vorwegnahme. Ein in der chronologischen Abfolge der Lieder umgekehrtes Beispiel gibt der triolisch aufwärts gerichtete Dreiklang aus Takt 59 bis 66 des Lindenbaumes, der in Takt 1 und von Wasserflut als triolisch aufwärtsgerichteter Triolengang wieder aufgegriffen wird.
Melodische Unterschiede
Die Melodieführung von Schuberts und Silchers Versionen sind zu 90% identisch. Trotzdem sind die restlichen 10% an Abweichungen auch in Hinsicht auf die harmonisch und formalen Gesamtfolgen für das Gesamtverständnis der beiden Versionen entscheidend, und oft an zentralen harmonischen Eckpunkten verortet. Der erste Unterschied ist in Takt 11 (Schubert) festzustellen. Schubert und Silcher beginnen den Takt gleichermaßen mit einer punktierten Viertel und einer darauf folgenden Achtelnote. Während Schubert diese Tonfolge mit einer Vierteltriole abwärts in Sekunden (A- G# - F#) weiterführt, bringt die Silcherversion stattdessen ein punktiertes Viertel mit anschließendem Achtel im Terzschritt (B -G). Der abschließende Sekundschritt auf „Baum“ ist bei Schubert abwärts gewandt, bei Silcher dagegen aufwärtsgewandt. In Takt 15 folgt Silcher allerdings wieder dem triolischen Modell von Schubert.
Ein weiterer Unterschied ist in Takt 23 nach Schubert (... zu ihm mich immer ...) festzustellen. Schubert verwendet hier eine relativ schwierige rhythmische Abfolge von Viertel - Achtel - Achtel - Punktiertes Achtel -Sechzehntel. Silcher vereinfacht dies (wohl auch in Hinsicht auf die bessere Singbarkeit durch einen Laienchor) auf Viertel - Achtel - Achtel - und drei Triolen. Außerdem verändert Silcher den abwärts führenden Sekundschritt von Schubert auf „Mich - im“ (G# - A)) in eine aufwärts führende Terz (Ab - C), und wiederholt den Teil „zu ihm mich“.
Harmonische Unterschiede
Auch die harmonischen Unterschiede zwischen beiden Versionen sind rein statistisch gesehen relativ unbedeutend. Dennoch sind sie (vergleichbar sind sowieso nur die ersten beiden Strophen) an entscheidenden Wendepunkten der Gattung Liedform (Takt 4, 8, Vordersatz, Nachsatz, etc.) positioniert, und geben damit dem „musikalischen Meinen“ [29] einen oft anderen Verlauf.
Das beste Beispiel dafür ist das Ende des ersten Viertakters auf „-baum“ in Takt 12. Bei Schubert endet er auf der Tonika E-Dur, wechselt dann auf die Dominante H-Dur auf der dann auch der Auftakt der nächsten Zeile auf „ich“ beginnt, bevor die Melodie danach in beiden Versionen identisch weiterläuft. Silcher dagegen beendet auf „-baum“ in der Tonika (hier F-Dur), wechselt im Übergang zum zweiten Teil gar nicht, und beginnt den zweiten Teil im Auftakt genauso auf der Tonika.
Indem Silcher die harmonischen Gesetze der Schlussklauseln von Vorder- und Nachsatz und den klassischen Kanon gehorchend befolgt, stellt er einen Gegensatz zu Schuberts hier eher unkonventioneller Form dar, welche nach Peter Rummenmöller einen vielfältigeren „Ausdruck von Ruhe, Spannungslosigkeit, Willenslosigkeit, und Vertzauberung“ verwirklicht. [30]
Die harmonischen Vereinfachungen von Silcher sind an vielen Stellen zu beobachten. So wechselt in Takt 17 auf einem konstanten Melodieton bei Schubert wenigstens die Begleitung harmonisch, während Silcher die Harmonien einfach beibehält. [31]
Formale und rhythmische Unterschiede
Der entscheidende Unterschied ist, dass Silchers Version alle Strophen musikalisch immer mit den gleichen - an die Instrumentierung von Schuberts erster Strophe angelehnten Satz - musikalischen Mitteln verwirklicht.
Schubert dagegen gestaltet die verschiedenen Strophen in fast allen Aspekten (rhythmisch, harmonisch, instrumentationstechnisch, dynamisch) unterschiedlich. Schuberts Version entspricht somit dem Typus des variierten Strophenliedes, während Silchers Fassung ein einfaches Strophenlied darstellt. [32] [33]
Außerdem fehlen bei Silcher die in schnellen Sechzehnteltriolen gehaltenen Vor- (Takt 1 bis 8 nach Schubert ab Takt 1), Zwischenspiele (z.B. Takt 25 bis 28) und das Nachspiel (die letzten sechs Takte Schuberts).
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist der Einschub bei Schubert (Takt 45 bis 58) mit seiner textlich und musikalisch ganz anders gelagerten Aussage „die kalten Winde bließen mir gerad ins Angesicht …“ Dieser Teil hat eigentlich – rein melodisch – wenig mit dem eigentlichen Lied zu tun. Er ist musikalisch eigentlich nur als Fortsetzung der Sechsehnteltriolenbeegung in der Einleitung und im ersten Zwischenspiel (Takt 25 bis 28) deutbar. Zu beobachten ist aber, dass er von Schubert vor der Zweiten Strophe mit der Begleitung in triolischen Figuren vorweggenommen wurde, und auch danach wieder aufgegriffen wird.
Erste Strophe:
Die erste Strophe ist von der Begleitung her bei Schubert und Silcher überwiegend ähnlich gehalten. Bei beiden beschränkt sich die Begleitung primär auf die rhythmisch parallele - den instrumentalen Anforderungen angepasste - Begleitung in meist blockmäßigen Dreiklängen (oder in seltenen Fällen Septakkorden).
Dennoch existieren im Detail Unterschiede. Ob diese eher durch die unterschiedlichen instrumentalen Anforderungen (z.b. durch die größere Beweglichkeit eines Klaviers im Gegensatz zum einem von Silcher wohl konzipierten Laienchor) oder durch andere Intentionen Silchers bedingt sind, ist schwer zu entscheiden.
Während schon im zweiten Takt [34] auf den drei Achteln von „nen – vor – dem“ bei Schubert der aufsteigenden Bass Tonika, Terz, und Dominante bringt, repetiert der Bass bei Silcher drei mal den Tonikagrundton F. Schubert verwendet in Takt 3 in der Begleitung mit Halber und Viertel längere Notenwerte als in der Melodie, und stellt damit auch einen eventuell vorbereitenden Gegensatz zu den darauf folgenden Achteln der Begleitung in Takt 4 dar. Bei Silcher sind Alt, Tenor, und Bass hier mit dem Sopran ryhtymisch exakt verkoppelt. Während sich die Silcherversion in Takt 5 auf einer halben und einer nachfolgenden Viertelpause – auch „harmonisch unflexibel ausruht“, bringt Schubert hier ein in Terzen geführten Einschub des Klaviers. In Takt 10 ist das bisherige Vorgehen - Schuberts Version wird von Silcher rhythmisch und instrumentationstechnisch simplifiziert - zumindest aus rhythmischer Sicht umgedreht. Während Schuberts Begleitung hier rhythmisch mit der Melodie vollkommen d´accord geht, bringt Silcher in den tiefen Stimmen (Tenor und Bass) die kompliziertere - und für eine Chor nicht leichte - Version aus punktierter Achtel, Sechzehntel, punktierter Viertel, und Achtel gegenüber punktierter Viertel und drei Achtelb in Sopran und Alt. Allerdings muss Schuberts rhythmisch einfachere Version in Takt 10 auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, dass Schubert auf Takt 10 einen harmonischen Wechsel vollzieht, während Silcher im selben Takt die Harmonie beibehält.
Zweite Strophe:
In dieser sind die Unterschiede zwischen den beiden Versionen auch ohne große Analysen hörbar. Schubert bringt primär Triolen und Silcher wiederholt Strophe eins.
Schubert hält hier die Begleitung relativ abwechslungsreich. Rein triolische Begleitung wechselt mehrmals mit Triolen und Achteln, Triolen sowie Achteln und Vierteln, oder Triolen und punktierten Achteln und Sechzehnteln. Permanent vorhanden ist aber immer die Triole.
Ein entscheidender Unterschied ist natürlich, dass der erste Teil der zweiten Strophe (Takt 28 bis 36) in e-Moll anstatt wie die erste in E-Dur gehalten ist. Erst danach erfolgt in Takt 27 die Rückung in das gewohnte E-Dur. Die Gegenwart wird hier in Moll dargestellt und die Vergangenheit in Dur. Sogar das Versprechen der „Ruhe durch den Baum“ (was auch als Suizidaufforderung deutbar ist) ist in Dur formuliert.
Als eine Möglichkeit außermusikalischer Interpretation schreibt Clemens Kühn, dass die Triolen hier im Gegensatz zur ersten Strophe als „stabiler Existenz“ dem „bewegten Symbol des Wanderns“ gegenüber ständen, und die tonale Stabilität der Strophen mit jeder Strophe geringer werde. [35]
Zwischenspiel:
Das schubertsche Zwischenspiel ist weniger gesanglich als eher dramatisch-rezitativ gehalten. Obwohl gewisse intervallische Remineszenzen an die Ursprungsmelodie durchaus erhalten bleiben, ist die Gesangsmelodie oft auf deklamamtorische Tonrepetitionen und unsangliche Sprünge wie auf den Oktavsprung auf dem Wort „Kopfe“ reduziert. [36] Die hektische, ausschließlich auf die Triolenbewegung des Anfangs- und Mittelspiels, sowie die von Schubert in tiefe Bassregionen verlegte, auf C (unter später sogar H) repetititive linke Hand, verstärkt diesen Eindruck zusätzlich.
Dritte Strophe
In der dritten Strophe kombiniert Schubert Elemente der vorhergegehenden Strophen. Er bleibt im Dur der ersten Strophe und vermeidet das moll der zweiten Strophe. Gleichzeitig behält er aber die abwechslungsreiche meist triolische Begleitung von Strophe zwei bei. Aber auch das eher an beide Strophen angelehnte Erklingen bedingt kein musikalisch gleiches Erscheinen. So meint Clemens Kühn:
- "Wenn danach die Anfangsmelodie wiederkehrt ("Nun bin ich manche Stunde"), ist das ein "anderes" Singen., wie auch der Klavierpart der die Triolen in sich aufnimmt, nicht derselbe bleibt. Was anfangs, ferngerückt aber schon durch die Erinnerung, wie real und lebendig besungenen wurde, enthüllt sich endgültig als zerbrechlich und scheinhaft ("du fändest Ruhe dort !")
Generell ist es (auch bei Schumann; Brahms, oder Grieg) keine Seltenheit, dass Lieder mit jeder Strophe entsprechend dem oder der musikalischen Intention musikalisch anders variiert werden. [37]
Daraus resultiernde Kritik an Silcher
Silcher Vertonung wird häufig als eine „Eindimensionalisierung/Niverlierung“ [38] der vielschichtigeren Textdeutung von Schuberts Version gewertet bzw. abgelehnt.
Frieder Reininghaus konstatiert, die Version von Silcher mache aus dem Schubert-Lied, obwohl es „um Leben und Tod“ gehe, eine „spießbürgerliche und reaktionäre Sonntagsnachmittagsidylle in der Kleinstadt“. Die „Doppelbödigkeit und Ironie“ von Müller und Schubert gehe dabei vollkommen verloren. [39]
Elmar Bozetti kritisiert, dass die Utopie des Lindenbaumes, welche durch die variierte Form bei Schubert erkennbar sei, durch die unvariierte und vereinfachte Form bei Silcher zur „biedermeierlichen Scheinwirklichkeit ohne Realitätsbezug“ werde. [40]
Clemens Kühn vertitt die Meinung, dass die Silcherversion das „Anschlagen eines anderen Tons in der zweiten und dritten Strophe“ bei Schubert durch die „immer gleiche Melodie“ nicht wahrnehme. Durch das „Harmlos-Schöne geglättete“ verliere das Lied in Silchers Version „jene Tiefe die es im Original besitzt“. [41]
Dagegen hob Joseph Müller-Blattau anerkennend hervor, dass Silcher aus den drei variierten Strophen Schuberts die Urmelodie (nach Heinrich Schenker) aus Schuberts Variationen herrausdestiliert habe.
Wirkungsgeschichte
Schuberts Lied und Zyklus hat aber auch spätere klassische Komponisten inspiriert. So sind Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen sowohl von der textlichen Intention als auch in kompositorischen Details deutlich von der Winterreise bzw. Dem Lindenbaum (viertes Lied bei Mahler: "Auf der Straße stand ein Lindenbaum, da hab ich zum ersten Mal im Schlaf geruht ...") beeinflusst. [42] Auch von Anton von Webern liegt eine Instrumentation der Winterreise vor.
In vielen Bearbeitungen ist Der Lindenbaum zu einem beliebten Bestandteil des Repertoires der Gesangsvereine geworden. Dabei ist die ambivalente Haltung des Liedes oft einer verharmlosenden Romantisierung gewichen. Im 1916 uraufgeführten Singspiel Das Dreimäderlhaus lässt Schubert, um seiner angebeteten Hannerl eine Liebeserkärung zu machen, Franz von Schober das Lied vom Lindenbaum vortragen. [43]
Eine leitmotivische Rolle spielt Der Lindenbaum im Roman Der Zauberberg von Thomas Mann. Im Kapitel Fülle des Wohllauts hört sich Hans Castorp das Lied hingebungsvoll auf einer Grammofon-Platte an. Im Schlusskapitel Der Donnerschlag zieht er mit dem Lied auf den Lippen in den Krieg; der Lindenbaum wird zum Symbol seiner sieben sorglosen Jahre im Sanatorium Berghof. Verdeckt zitiert wird das Lied auch in Manns Doktor Faustus.
Am Brunnen vor dem Tore ist auch der Titel eines 1952 von Kurt Ulrich produzierten Heimatfilms mit Sonja Ziemann und Heli Finkenzeller, wo ein Gasthaus seinen Namen dem Liedtitel entlehnt.
Neben Komponisten setzen sich im 20. Jahrhundert auch Literaten, Dramaturgen und bildende Künstlter mit der Winterreise auseinander. Modernere kompositorische Auseinandersetzungen stammen von Hans Zender (Tenor und kleines Orchester) , Reiner Bredemeyer, Friedhelm Döhl (Streichquintett), und Reinhard Febel. Hans Zender bezeichnete dabei seine Interpretation von 1993 ausdrücklich als "Eine komponierte Komposition". Er versuche hier in seinen eigenen Worten die "durch die Rezeptionsgechichte, Hörgewohnheiten, und Aufführungspraxis verdeckten Intentionenen Schuberts in eine gesteigert expressive musikalische Sprache der Gegenwart zu übersetzen". Döhl kombiniert allerdings den Text von Müller mit Texten von Georg Trakl und eigenen sozialistischen Überzeugungen [44]
Bearbeitungen und Einspielungen
Es existieren viele mehr oder minder bekannte Bearbeitungen des Liedes für diverse Instrumentalkombinationen.
Von Franz Liszt stammt eine Fassung für Klavier zu zwei Händen, [45] welche viel zur Popularisierung des Liedes und des Gesamtzyklus beigetragen haben. [46] Im von Gustav Lazarus herausgegebenen Schubert-Liszt-Album ist die virtuose Liszt-Transkription in erleichterter Bearbeitung im technischen Anspruch vereinfacht.
Weitere Chorversionen stammen von Conradin Kreutzer, Ludwig Erk, Peter Hammersteen, [47], und Josef Böck. Daneben existieren auch dreistimmige Chorversionen (z.B. von Stinia Zijderlaan) für zwei Sopranstimmen und einen Alt. [48]
Der Lindenbaum in der schubertschen Fassung wurde von fast allen namhaften Sängern des 20. Jahrhunderts in allen Stimmlagen vom Sopran bis zum Bass aufgenommen und aufgeführt. Einige wenige Namen sind Hans Hotter, Lotte Lehmann, Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Prey, Theo Adam, Peter Schreier, Ernst Haefliger, Olaf Bär, Brigitte Fassbaender, René Kollo, und Thomas Hampson. Als Begleiter fungierten oft weltbekannte Pianisten wie Gerald Moore, Jörg Demus, Sviatoslav Richter, Murray Perahia, Daniel Barenboim, Wolfgang Sawallisch, Wolfgang Sawallisch, oder András Schiff.
Daneben existieren unzählige Einspielungen mit anderer instrumentaler Besetzung. Die Singstimme wird dabei von Cello, Posaune, Violine, Klarinette, Fagott, [49] oder Viola gespielt, und von Streichorchestern, Klaviertrio (Emmy Bettendorf), [50] Gitarre, oder anderen Instrumentalkombinationen begleitet.
Vermarktung und Popkultur
Relativ freie Uminstrumentierungen im popklassischen Bereich wie z.B. von Helmut Lotti oder Nana Mouskouri mit "fettem Streichersatz" oder das Klavier "versträrkenden Streichern" sind keine Seltenheit.
Was die schubertsche Ursprungsversion und auch Silcher heutzutage manchmal musikalisch über sich "ergehen lassen müssen", lässt exemplarisch folgendes Zitat aus der Werberbroschüre eines Blasorchesters erahnen.
- "Zu einem ganz besonderen Klangerlebnis wurde auch Schuberts ,,Lindenbaum", den die Musiker in ganz neue Gewänder kleideten. Ob in James Lasts typischen ,,Happy-Sound", im Tuba-lastigen Egerländer-Stil oder in der humorvollen Fassung von Spike Jones mit Pfiffen, Fanfare und Knalleffekt – beim ,,Lindenbaum" stellten die Musiker ihre brillante Technik unter Beweis." [51]
Das nordhessische Städtchen Bad Sooden-Allendorf wirbt für sich damit, dass Wilhelm Müller das Gedicht am dortigen Zimmersbrunnen vor dem Allendorfer Steintor geschrieben habe, wo eine alte Linde stand. Dort ist auch eine Tafel mit dem Liedtext angebracht. Freilich deutet nichts darauf hin, dass Müller jemals in Allendorf gewesen ist. Die Gaststätte Höldrichsmühle in Hinterbrühl bei Wien wiederum reklamiert für sich, Entstehungsort von Schuberts Komposition zu sein. Dafür gibt es jedoch ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte.
In einer Episode der Simpsons (Code 7G03, Szene 03) rappt Bart Simpson dieses Lied – mit stark verändertem Text, aber deutlich zu erkennen.
Referenzen
- ↑ Rolf Vollmann: Wilhelm Müller und die Romantik. In: Arnold Feil: Franz Schubert. Die schöne Müllerin. Winterreise. Stuttgart, Reclam, 1975, S. 173-184; hier: S. 183.
- ↑ Erika von Borries: Wilhelm Müller - Der Dichter der Winterreise - Eine Biographie, C.H. Beck, 2007, S. 165.
- ↑ [1]
- ↑ Beispielsweise von Bernd Leistner im Vorwort der Werkausgabe von Wilhelm Müller, online hier verfügbar: [2].
- ↑ Vollmann, S. 182.
- ↑ Vgl. dazu: Wittkop 1994 und Hufschmidt 1992.
- ↑ MGG - Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Band 12, Hrsg.: Friedrich Blume, dtv (Bärenreiter), 1989, Seite 161
- ↑ Erika von Borries: Wilhelm Müller - Der Dichter der Winterreise - Eine Biographie, C.H. Beck, 2007, S. 159
- ↑ Erika von Borries: Wilhelm Müller - Der Dichter der Winterreise - Eine Biographie, C.H. Beck, 2007, S. 165 und 169.
- ↑ Norbert Michels: Wilhelm Müller - Eine Lebensreise - Zum 200. Geburtstag des Dichters, Boehlau, 1994, S. 101.
- ↑ Diesen Zugang über die Zeitstruktur wählen Hufschmidt, S. 96f., und Wittkop, S. 113ff.
- ↑ Vgl. Hufschmidt, S. 96.
- ↑ Vgl. die Beispiele unter dem Weblink auf das „Goethezeitportal“.
- ↑ Hufschmidt, S. 96.
- ↑ Wittkop, S. 78.
- ↑ Vgl. Hentschel 2005, S. 363ff.
- ↑ Vgl. Brinkmann 2004, S. 27.
- ↑ Thomas Mann. Der Zauberberg. Gesammelte Werke in Einzelbänden, Frankfurt 1981, Band 6, S. 916f.
- ↑ Vgl. zum Beispiel Brinkmann 2004, passim; Wittkop 1994, S. 113ff.; Hufschmidt 1992.
- ↑ Heinrich Heine: Neue Gedichte. Neuer Frühling, Nr. 31. 1844.
- ↑ Hans Schnorr: Geschichte der Musik, Bertertlsmann Verlag, Gütersloh, 1954, Seite 334
- ↑ Walther Dürr: Schuberts Winterreise - Zur Entsehungs- und Veröffentlichungsgeschichte - Beobachtungen am Manuskript; in Hans Joachim Kreutzer, Sabine Doering, Waltraud Maierhofer, Peter Joachim Riedle: Resonanzen, Königshausen & Neumann, 2000, Seite 302 und 303
- ↑ Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen - Ein musikalischer Werkführer, C.H. Beck, 2003, Seite 69 und 70
- ↑ Thrasybulos Georgos Georgiades: Schubert- Musik und Lyrik, Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, Seite 358
- ↑ Feil 1975, S. 112.
- ↑ Wird noch geliefert
- ↑ Clemens Kühn: Formenlehre der Musik, dtv/Bärenreiter, 1987, 4. Auflage 1994, Seite 167
- ↑ Clemens Kühn: Formenlehre der Musik, dtv/Bärenreiter, 1987, 4. Auflage 1994, Seite 167
- ↑
- ↑ Peter Rummenmöller: Einführung in die Musiksoziologie, Noetzel, Florian; 1978, 4. Auflage 1998, Seite 239
- ↑ Da sieht man durch Betrachten und Vergleich beider Notentexte
- ↑ dtv-Atlas zur Musik, Band 2, dtv, München, 1985, Seite 464
- ↑ Ekkehard Kreft und Erhard Johannes Bücker: Lehrbuch der Musikwissenschaft, Schwann, 1984, Seite 346
- ↑ Anm.: Taktzahlen ohne Vorspiel: Taktzahl hier bezogen auf den ersten Takt des Textes. Also inklusive dem Auftakt von „Am“, ist hier mit „Brunnen vor dem“ Takt 2 gemeint.
- ↑ Clemens Kühn: Formenlehre der Musik, dtv/Bärenreiter, 1987, 4. Auflage 1994, Seite 166 ff.
- ↑ Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen, München 2003, Seite 56, 77 ff.
- ↑ Hans Zacharias: Bücher der Musik - Band 4, Seite 42
- ↑ Peter Rummenmöller: Einführung in die Musiksoziologie, Noetzel, Florian; 1978, 4. Auflage 1998, Seite 239
- ↑ Frieder Reininghaus: Schubert und das Wirtshaus - Musik unter Metternich, Oberbaum 1980, Seite 216 bis 218
- ↑ Elmar Bozetti: Am Brunnen vor ... - Die Befreiung eines Liedes aus dem Klische des Idylischen; in Zeitschrift für Musikpädagogik, Heft 18, 1982, Seite 36 ff.
- ↑ Clemens Kühn: Formenlehre der Musik, dtv/Bärenreiter, 1987, 4. Auflage 1994, Seite 167
- ↑ Peter Revers: Mahlers Lieder - Ein musikalischer Werkführer, C.H. Beck, 2000, Seite 60 ff.
- ↑ Sabine Giesbrecht-Schutte: "Klagen eines Troubadours" - Zur Popularisierung Schuberts im Dreimäderlhaus; In Martin Geck, Festschrift zum 65. Geburtstag, Hrsg.: Ares Rolf und Ulrich Tadday, Dortmund, 2001, Seite 109 ff.
- ↑ Rudolf Weber, Hans-Joachim Erwe, und Werner Keil: Hildesheimer Musikwissenschaftliche Arbeiten - Band 4- Beiträge zur Musikwissenschaft und Musikpädagogik, Olms, Seite 180 ff.
- ↑ Klavierwerke / Franz Liszt ; Band 9: Lieder-Bearbeitungen für Klavier zu zwei Händen, Leipzig: Edition Peters Nr. 3602a, n.d. Plate 9885
- ↑ MGG - Die Musik in Geschichte und Gegenwart, and 12, Hrsg.: Friedrich Blume, dtv (Bärenreiter), 1989, Seite 162
- ↑ [3]
- ↑ [4]
- ↑ [5]
- ↑ [6]
- ↑ [7]
Literatur
- Reinhold Brinkmann: Franz Schubert, Lindenbäume und deutsch-nationale Identität – Interpretation eines Liedes. Wiener Vorlesungen im Rathaus, Nr. 107. Wien:Picus-Verlag. ISBN 3-85452-507-9
- Gabriel Brugel: Kritische Mitteilungen zu Silcher's Volkliedern, zugleich ein Beitrag zur Volksliedforschung. In: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft, 15. Jahrg., H. 3. (Apr.-Jun., 1914), S. 439-457.
- Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen. München 2003, ISBN 3406448070
- Dietrich Fischer-Dieskau: Franz Schubert und seine Lieder. Frankfurt 1999, ISBN 3458342192
- Uwe Hentschel: Der Lindenbaum in der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Orbis Litterarum, Jg. 60 (2005), H. 5, S. 357-376.
- Wolfgang Hufschmidt: „Der Lindenbaum“ – oder: Wie verdrängt man eine böse Erinnerung. In: ders.: Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn? Zur Semantik der musikalischen Sprache in Schuberts „Winterreise“ und Eislers „Hollywood-Liederbuch“. Saarbrücken: Pfau Verlag, 1992, S. 96-102.
- Wilhelm Müller: Werke, Tagebücher, Briefe in 5 Bänden und einem Registerband. Hrsg. von Maria-Verena Leistner. Mit einer Einleitung von Bernd Leistner. Berlin, Verlag Mathias Gatza, 1994. ISBN 3928262211
- Christiane Wittkop: Polyphonie und Kohärenz. Wilhelm Müllers Gedichtzyklus „Die Winterreise“. Stuttgart, M und P Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1994. ISBN 3476450635
- Martin Zenck: Franz Schubert im 19. Jahrhundert. Zur Kritik eines beschädigten Bildes. In: Klaus Hinrich Stahmer (Hg.): Franz Schubert und Gustav Mahler in der Musik der Gegenwart. Mainz, Schott, 1997, S. 9-24.
Weblinks
- Der Lindenbaum (Schubert), Der Lindenbaum (Silcher): Freie Noten zum Herunterladen im International Music Score Library Project.
- Am Brunnen vor dem Tore in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Wilhelm Müllers Gedicht „Der Lindenbaum“ (Am Brunnen vor dem Tore) in Illustrationen auf Postkarten
- Essay von Robert Peters über Müllers Lindenbaum auf einer der Winterreise gewidemten Webseite
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