Gefühlte Temperatur

Gefühlte Temperatur

Unter der gefühlten Temperatur versteht man die wahrgenommene Umgebungstemperatur, die sich aufgrund verschiedener Faktoren von der gemessenen Lufttemperatur unterscheidet. Es handelt sich um ein bioklimatisches Maß für das thermische Wohlbefinden und umfasst das Spektrum vom Wärme- bzw. Hitzegefühl über Behaglichkeit bis zum Kältegefühl. Gefühlter Kälte kann bei Säugetieren und Vögeln mit gleich bleibenden Körpertemperaturen je nach Konditionierung ein Zittern folgen.

Quantitativ lässt sich die gefühlte Temperatur als jene Temperatur definieren, die in einer bestimmten Standardumgebung herrschen müsste, um ein identisches Temperaturempfinden zu verspüren. Windchill etwa, insbesondere bei Temperaturen deutlich unterhalb der Körpertemperatur, senkt die gefühlte Temperatur.

Untersuchungsergebnisse am Menschen fasst das Klima-Michel-Modell des Deutschen Wetterdienstes zusammen, für höhere Temperaturen der Hitzeindex der American Meteorological Society.

Inhaltsverzeichnis

Einflüsse auf den Wärmehaushalt des Menschen

Der Mensch gibt eine gewisse Wärmemenge pro Zeit an die Umgebung ab, bei Windstille rund 60 % über Wärmestrahlung sowie ungefähr 25 % über Verdunstung auf der Haut und über die Atmung. Die wesentlichsten Einflussfaktoren auf den Wärmehaushalt sind in diesem Fall der Temperaturunterschied zwischen Luft und Körperoberfläche, die Größe der Körperoberfläche selbst, deren thermische Eigenschaften und der Grad der Strahlungseinwirkung von außen.

Steht die Person im Wind, so wird ihr Körper proportional zur Windgeschwindigkeit stärker ausgekühlt bzw. aufgeheizt. Den Effekt der Windgeschwindigkeit wird über den Windchill beschrieben. Es handelt sich dabei um eine konvektive Wärmeübertragung. Die gefühlte Temperatur des Windchill unterscheidet sich von der gemessenen Temperatur.

Es spielen jedoch eine Vielzahl weiterer Faktoren eine Rolle. Messbar und damit auch vergleichsweise einfach berechenbar ist der Einfluss der Luftfeuchtigkeit. Der entsprechende Ausgleichswert wird als Humidex bezeichnet, der maßgebliche Einflusseffekt ist die Schwüle. Man kann dabei vereinfacht festhalten: wird dem Körper mehr Energie entzogen, als er produziert, so empfinden wir das als Kälte, herrschen hohe Temperaturen bei geringer Luftfeuchte wird dies als trockene Hitze wahrgenommen (insbesondere bei direkter Sonneneinstrahlung), ist seine Fähigkeit zur Thermoregulation durch eine hohe Luftfeuchtigkeit eingeschränkt, so empfindet man dies als Schwüle.

Weitere Einflussfaktoren sind der Aktivitätsgrad des Menschen, seine Körpergröße und sein Gewicht, die Bekleidung, die Sonneneinstrahlung (Grad der Beschattung, Sonnenstand) und verschiedene Hauteigenschaften (Hautfeuchtigkeit, isolierende Cremes, Bartwuchs, etc.). Diese Liste ist jedoch nicht vollständig und ließe sich zum Beispiel noch um Faktoren wie die Kleiderfarbe erweitern, da diese einen Einfluss auf die Absorptions- bzw. Reflexionseigenschaften der Kleidung hat. Generell sind alle Faktoren, die einen Einfluss auf die Thermoregulation des Körpers haben und/oder die thermischen Eigenschaften der Körperoberfläche sowie die Wärmeübertragung zwischen Organismus und Umgebung beeinflussen, auch von Bedeutung für die gefühlte Temperatur.

Thermisches Empfinden

Die körpereigene Thermoregulation bestimmt maßgeblich das menschliche Wohlbefinden und kann Kälte nur in engen Grenzen ausgleichen (Putte am Potsdamer Stadtschloss)

Das Wohlbefinden eines Menschen wird vor allem durch die Aktivität der körpereigenen Thermoregulation bestimmt. Je mehr Wärme man produzieren muss, um nicht zu frieren, und je mehr man schwitzen muss, um nicht zu überhitzen, desto unwohler fühlen wir uns. Dabei ist die Thermoregulation eng mit dem Blutkreislauf verknüpft und jede Anpassung der Körpertemperatur beansprucht diesen, entweder in Form von Kältestress oder einer Wärmebelastung. Menschen mit Kreislaufproblemen sind daher besonders temperaturempfindlich.

Die Empfindung von Kälte und in gegensätzlichen Fall auch von Hitze ist zudem subjektiv. Für einen Bewohner der Tropen sind 10 °C recht kühl, während ein Inuit (kanadischer Eskimo) diese Temperatur als eher gemäßigt empfinden würde. Dies gilt jedoch auch für ein Individuum, und so wirkt sich auch der physiologische und sogar psychologische Zustand eines Menschen auf dessen Temperaturempfinden aus.

Nach der VDI-Richtlinie 3787 Blatt 2 wird einer gefühlten Temperatur wiederum eine physiologische Bewertung des Temperaturempfindens entgegen gestellt (siehe Tabelle unten). Man geht hierbei von der Aktivität eines schnelleren Gehens und einer an die jeweiligen Temperaturbedingungen gut angepassten Kleidung aus.

Gefühlte Temperatur und thermische Beanspruchung nach VDI 3787 Blatt 2
Gefühlte Temperatur
in Grad Celsius
Thermisches Empfinden Thermophysiologische Beanspruchung
unter −39 sehr kalt extremer Kältestress
−39 bis −26 kalt starker Kältestress
−26 bis −13 kühl mäßiger Kältestress
−13 bis 0 leicht kühl schwacher Kältestress
0 bis 20 behaglich Wohlbefinden möglich
20 bis 26 leicht warm schwache Wärmebelastung
26 bis 32 warm mäßige Wärmebelastung
32 bis 38 heiß starke Wärmebelastung
über 38 sehr heiß extreme Wärmebelastung
dient dem Zeilenumbruch, bitte nicht entfernen

Der Deutsche Wetterdienst nutzt für seine Berechnung der gefühlten Temperatur das Klima-Michel-Modell und geht dabei von einem Mann (dem Michel) mit einer Körpergröße von 1,75 m, einem Körpergewicht von 75 kg, einer Körperoberfläche von 1,9 m² und einem Alter von etwa 35 Jahren aus.

Kritik

Zahlreiche Probleme geben Anlass zur negativen Kritik an der Verwendung, Genauigkeit und damit letztendlich am Sinn der gefühlten Temperatur, vor allem im Rahmen von Wetterberichten gegenüber einer meist unkritischen Öffentlichkeit. Ohne eine Kenntnis der Berechnungsgrundlage, welche in der Regel nicht mit angegeben wird und selbst dann nur von wenigen Experten richtig eingeschätzt werden kann, ist die Aussagekraft eines spezifischen Wertes demnach eher gering.

Wesentlichster Kritikpunkt ist die schier endlose Zahl von Einflussfaktoren, welche zwar einzeln durchaus handhabbar sind und oft aufgrund ihres geringen Einflusses ignoriert werden können, die man jedoch im Gegenzug praktisch nur schwer erfassen und als Gesamtheit in einer Formel darstellen kann. Würde man an die Grenzen des Möglichen gehen wollen, so müsste für jeden Menschen in jeder Situation und unter Berücksichtigung aller nur erdenklichen Einflussfaktoren eine eigene Messreihe und damit Formel entwickelt werden. Eine derart aufwendig bestimmte gefühlte Temperatur wäre auch nur für eine einzelne Person und oft auch nur zu einem bestimmten Zeitpunkt gültig, was deren Verwendbarkeit und Nutzen ad absurdum führt. Selbst dann wäre es unter anderem aufgrund des Einflusses der menschlichen Psyche jedoch nicht möglich, verlässlich zu sein.

Praxis ist es daher, lediglich stark vereinfachte Gleichungen mit wenigen, oder wie im Falle von Windchill und Humidex nur einem variablen Einflussfaktor zu berücksichtigen, sowie in der Folge verschiedene Standardgrößen für andere Faktoren mit einzubeziehen. Wie diese empirischen Formeln letztendlich gebildet werden, kann dabei kaum noch nachvollzogen werden. Eine Fehlerangabe erfolgt in der Regel nicht und ist auch kaum möglich. Lediglich die Angabe von Diskomfortwahrscheinlichkeiten wird praktiziert, in der Regel jedoch auf eine sehr schwammige Art und Weise. Die Allgemeingültigkeit der verwendeten Formel mit den ihn innewohnenden Voraussetzungen und Problemen sowie einer weitgehenden Ignorierung aller subjektiver Einflüsse ist daher auch umstritten und wird häufig zum Anlass genommen, den Verfechtern der gefühlten Temperatur Sensationsmeteorologie vorzuwerfen. Angesichts der Rolle vor allem des Windchill in manchen amerikanischen Wintersportgebieten kommt hierbei eine wirtschaftliche Brisanz hinzu.

Bei nahezu allen Maßen für ein subjektives Empfinden bestimmter Umwelteinflüsse wird jedoch auch fundamentale Kritik daran geübt, dass eine quantifizierende Beziehung zwischen diesen Einflüssen und dem daraus resultierenden Gefühl einem falschen wissenschaftlichen Grundverständnis entspricht, diese könne alles durch eine Formel beschreiben. Da die Wissenschaft sich jedoch ausschließlich mit reproduzierbaren Effekten beschäftigt und jede wissenschaftliche Theorie auch eines realen Erklärungswerts bedarf, würde dies auf Gefühle nicht zutreffen. Hiergegen kann man zwar einwenden, dass sich dieses Gefühl bis zu einem gewissen Grad nach wissenschaftlichen Standards auf ebenjene Umweltfaktoren sowie zahlreiche physiologische Faktoren zurückführen lässt, jedoch ist dies eben nicht annähernd vollständig möglich.

Es existieren zudem auch eine Vielzahl an bestimmte Gegebenheiten – insbesondere Klimate – angepasste Formeln und ein geringes Maß an Standardisierung derselben. Hinzu kommt, dass jeder Wert an Ort und Zeitpunkt der Messung gebunden ist und gerade die Windgeschwindigkeit hierbei zeitlich wie räumlich stark schwankt. Die Vergleichbarkeit der Werte ist dementsprechend gering und auch deren sorgfältige Berechnung, wenn überhaupt möglich, ist eher eine Seltenheit.

Auf der Gegenseite steht der unleugbare Effekt, auf dem der Humidex aufbaut. Wichtig ist daher auch die Frage, ob die Nutzung des Humidex das öffentliche Bewusstsein für diese Problematik geschärft haben und demnach schwere gesundheitliche und teils tödliche Schäden nach dessen Nutzung zurückgegangen sind. Gegen diese Annahme spricht, dass in der Öffentlichkeit kaum Kenntnisse dazu vorliegen, was die gefühlte Temperatur an sich aussagt. Zudem gibt es kaum wirksame Vorkehrungsmaßnahmen gegen Hitzewellen und eine einzelne Temperatur dürfte ebenfalls nicht dazu führen, dass seitens einer größeren Öffentlichkeit konkrete Maßnahmen eingeleitet bzw. unterlassen werden. Einzig wirksam sind diese Handlungsanweisungen als solche, damit jedoch abseits der Entscheidungsfindung bzw. Risikobewertung auch unabhängig von der gefühlten Temperatur.

Literatur

  • VDI, 1998: Methoden zur human-biometeorologischen Bewertung von Klima und Lufthygiene für die Stadt- und Regionalplanung. Teil I: Klima. VDI-Richtlinie 3787 Blatt 2.

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