Genetische Algebra

Genetische Algebra

Eine genetische Algebra hat die mathematische Struktur einer Algebra und kann zur mathematischen Modellierung von Vererbungen in der Genetik verwendet werden.

Inhaltsverzeichnis

Motivation

Einige Sachverhalte in der Genetik können mit bestimmten mathematischen Strukturen sogenannten Algebren beschrieben werden. Das folgende einfache Beispiel soll erläutern, warum diese Strukturen für die Modellierung von genetischen Sachverhalten geeignet erscheinen.

In einer (sehr einfachen) Population gebe es nur zwei verschiedene Gameten a1 und a2. a1 gekreuzt mit a1 soll wieder Gameten vom Typ a1 ergeben, das Analoge gelte für a2. Kreuzt man hingegen a1 mit a2, so sollen daraus je zur Hälfte Gameten vom Typ a1 und vom Typ a2 entstehen. Das kann man formal auch als 'Multiplikation' und 'Addition' ausdrücken, die Kreuzung von a1 mit a2 zum Beispiel durch

a_1 . a_2 = {1 \over 2}a_1 + {1 \over 2}a_2

Eine mathematische Struktur, in der man diese 'Multiplikation' und diese 'Addition' exakt definieren kann, ist die nicht-assoziative Algebra G = \{\alpha_1 a_1 + \alpha_2 a_2|\alpha_1, \alpha_2 \in \mathbb{R}\} mit

  • a1.a1 = a1
  • a2.a2 = a2
  • a_1 . a_2 = a_2 . a_1 = {1 \over 2}a_1 + {1 \over 2}a_2

die Gametische Algebra der einfachen Mendel'schen Vererbung genannt wird.

Diese Art der algebraischen Beschreibung ermöglicht eine einfachere Betrachtung verschiedener Fragen in der Genetik, wie z.B.:

  • Welche Population ergibt sich bei der wiederholten Kreuzung einer Population mit sich selbst?
  • Existieren Gleichgewichtszustände in einer Population, und wenn ja, welche ?

Im Zusammenhang mit der Genetik treten spezielle nicht-assoziative Algebren auf, wie Baric-Algebren, Algebren mit genetischer Realisation, Train-Algebren und genetische Algebren. Diese Algebren gehören nicht zu den bekannteren nicht-assoziativen Algebren der Lie- oder der Jordan-Algebren.

Definition

Eine kommutative, nicht-assoziative Algebra A über einem Körper K heißt genetische Algebra, wenn eine Basis u_1, u_2, \dots, u_n existiert, so dass die Multiplikationskonstanten γijk, definiert durch

u_i u_j=\sum_{k=1}^{n} \gamma_{ijk} u_k \qquad i,j=1, \ldots ,n,

folgende Eigenschaften haben:

a) γ111 = 1
b) γ1jk = 0 für k < j
c) γijk = 0 für i,j > 1 und k \le max\{i,j\}

Die Basis u_1, u_2, \dots, u_n wird kanonische Basis genannt.

Eigenschaften

Weitere Definitionen

In einer nichtassoziativen Algebra ist das Produkt von mehr als zwei Elementen der Algebra durch ihre Reihenfolge nicht eindeutig bestimmt. Die im folgenden definierten speziellen Produkte haben interessante genetische Interpretationen.

Sei A eine Algebra,  x \in A ,  n \in \mathbb{N}

xn heißt n-te Rechts-Hauptpotenz von x, wobei gilt:
x1 = x und  x^n = x^{n-1} \cdot x
Analog definiert man Links-Hauptpotenzen, im kommutativen Fall spricht man nur von Hauptpotenzen.
x[n] heißt n-te plenäre Potenz von x, wobei gilt:
x[1] = x und x^{[n]}=x^{[n-1]} \cdot x^{[n-1]}

Die genetische Interpretation der Hauptpotenzen ist dabei folgende: Kreuzt man eine Population, die durch  x \in A repräsentiert wird, mit sich selbst, so erhält man eine Population, die durch  x \cdot x = x^2 repräsentiert wird. Kreuzt man die so entstandene Population wiederum mit der ursprünglichen, so entsteht  x^2 \cdot x = x^3. Die Folge der Populationen, die durch Wiederholung dieses Vorganges entsteht, wird also durch die Folge der Hauptpotenzen von x repräsentiert.

Wenn man hingegen eine Population wiederholt mit sich selbst kreuzt, so kann die auf diese Art entstehende Folge von Populationen durch die zugehörige Folge von plenären Potenzen beschreiben.

Literatur

  • Harald Geppert und Siegfried Koller: Erbmathematik. Quelle und Meyer, Leipzig 1938
  • Otfried Mittmann: Erbbiologische Fragen in mathematischer Behandlung. De Gruyter, Berlin 1940
  • Erna Weber: Mathematische Grundlagen der Genetik. Gustav Fischer, Jena 1967
  • Rudolf Lidl und Günter Pilz: Angewandte abstrakte Algebra II. Bibliographisches Institut, Mannheim Wien Zürich 1982 ISBN 3-411-01621-3.
  • Angelika Wörz-Busekros: Algebras in Genetics. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 1980 ISBN 3-540-09978-6.
  • H. Gonshor: Contributions to genetic algebras. Proc. Edinb. Math. Soc. (2) , 17(1971), 289–298.

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