Gesetz zur Trennung von Religion und Staat

Gesetz zur Trennung von Religion und Staat
Erste Seite des Gesetzblatts von 1905.
Unruhen 1904 vor Notre Dame.

Das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat (Französisch Loi relatif à la séparation des églises et de l'état) führte im Jahr 1905 den Laizismus in Frankreich ein.

Inhaltsverzeichnis

Politisch-gesellschaftlicher Hintergrund

Nach der Gründung der Dritten Französischen Republik nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 war es wiederholt zu innenpolitischen Spannungen gekommen, weil es mächtige konservativ-restaurative Kräfte in der französischen Gesellschaft gab, die der republikanisch-demokratischen Staats- und Gesellschaftsform grundsätzlich skeptisch gegenüber standen. Diese Kräfte erstrebten einen konservativ-autoritären Umbau des Staates, bis hin zur Wiedereinführung der Monarchie. Besonderen Rückhalt hatten diese Kräfte in Militärkreisen, im Adel, bei radikalisierten Kleinbürgern und Teilen der katholischen Kirche. Die politisch extremste Richtung vertrat die Action française, die monarchistisch, antidemokratisch und antiparlamentarisch, nationalistisch, militant katholisch, deutschfeindlich und antisemitisch orientiert war.

Ein Ausdruck des Kampfes zwischen den konservativ-antiparlamentarischen Kräften und den Anhängern der parlamentarisch-demokratischen Republik war die Dreyfus-Affäre, die 1894-1905 das Land erschütterte. Die Affäre endete schließlich mit der vollständigen Rehabilitierung des zu Unrecht verurteilten Hauptmann Dreyfus und damit mit einem Sieg der republikanischen Seite.

1902 hatte im Gefolge dieser Affäre die politische Linke die Parlamentswahlen gewonnen. Von den Radikaldemokraten wurde insbesondere die katholische Kirche als Feind der Republik angesehen. Die bürgerlichen Liberalen kritisierten insbesondere die antimodernistische Haltung der katholischen Kirche. Außerdem bestand in Frankreich eine lange Tradition des Antiklerikalismus, der schon auf die Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution zurückging. Die neue Regierung fasste den Entschluss, endgültig den Einfluss der Kirchen auf die Gesellschaft und insbesondere das Erziehungswesen zu beschränken. Die führenden Personen bei diesen Bestrebungen waren Aristide Briand, Émile Combes, Jean Jaurès, Georges Clemenceau und Francis de Pressens. Insbesondere Ministerpräsident Combes, ein ehemaliger Priesterseminarist, der von 1902-1905 amtierte, zeigte sich als vehementer Antiklerikaler. In einer Reihe von Gesetzen wurde das Verhältnis von Kirche und französischem Staat neu geregelt:

  • im Juli 1902: Schließung aller nicht staatlich genehmigten, etwa 3000 kirchlichen Schulen, was zu heftigen öffentlichen Protesten führte, 74 Bischöfe unterzeichneten eine "protestation", daraufhin
  • Einstellung der Besoldung von Bischöfen durch die Regierung.
  • März 1903: Auflösung aller männlichen Ordensgemeinschaften
  • Juli 1903: Auflösung aller weiblichen Ordensgemeinschaften
  • 7. Juli 1904: Verbot der Neugründung von Ordensgemeinschaften

Am 9. Dezember 1905 wurde schließlich das sog. „Loi Combes“ verabschiedet. Dieses Gesetz zur Trennung von Religion und Staat etablierte in Frankreich das heute noch geltende Prinzip des Laizismus, d. h. der vollständigen Trennung von Religion und Staat. Das Gesetz galt zwar vor allem der Katholischen Kirche, doch wurden aus Gründen der Neutralität in diese Regelung die anderen Konfessionen einbezogen.

Die Gesetze wurden von Pius X. in der Enzyklika Vehementer nos verdammt und verschlechterten für viele Jahre das Verhältnis der französischen Republik zur katholischen Kirche. Zum Teil konnten die Gesetze nur gegen den erheblichen Widerstand kirchentreuer Bevölkerungsteile durchgesetzt werden. Am 28. Juli 1904 kam es ganz zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Vatikan.

Es gibt seither keine staatliche Finanzierung der Kirche oder anderer Religionsgemeinschaften (alle sakralen Gebäude, insbes. die Kirchen, gehören dem Staat und werden von ihm unterhalten), und es gibt keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Schon 1904 hatte ein neues Vereinsgesetz bestimmt, dass auch Ordensgemeinschaften die mit strengen Auflagen verbundene Anerkennung als Verein beantragen mussten. 1905 wurden etwa 2500 kirchlich geführte Schulen geschlossen. Ordensmitglieder durften nicht mehr als Lehrer arbeiten, Kruzifixe und religiöse Symbole wurden aus öffentlichen Gebäuden wie Schulen oder Gerichten entfernt. Mit dem Gesetz von 1905 kündigte die französische Regierung auch das Konkordat, das 1801 Napoleon mit dem Vatikan geschlossen hatte. Ausgeschlossen vom generellen Verbot der staatlichen Förderung von Religion ist die Anstaltsseelsorge («aumôneries»), wobei auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit hingewiesen wird (Art. 1 Abs. 2 des Trennungsgesetzes von 1905). Dazu gehört auch die Militärseelsorge, die zunächst auf katholische, protestantische und jüdische Militärgeistliche beschränkt war. 2005 wurde sie durch eine islamische Militärseelsorge ergänzt.[1]

Vor dem Hintergrund des Laizismus im staatlichen Schulwesen ist z. B. auch der Streit über das Tragen von Kopftüchern an französischen Schulen zu sehen, der 2005 zu der Bestimmung führte, dass Schüler im Unterricht keine religiös geprägte Kleidung oder deutliche religiöse Symbole tragen dürfen.

Einzelnachweise

  1. Zur Anstalts- und Militärseelsorge: Christian Walter: Religionsverfassungsrecht. Türbingen 2006, S. 324 f.

Weblinks

  • Text des Gesetzes vom 9. Dezember 1905 bei Wikisource (französisch)
  • Über das Gesetz von 1905 im Virtuellen Museum des französischen Protestantismus

Siehe auch

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