- Ghasele
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Das Ghasel oder die Ghasele (auch Gasel; von arab. ghasala/غزل = (Garn) spinnen; flirten, umwerben) ist eine Liedform, die im 8. Jahrhundert im südasiatischen Raum zwischen Indien und Persien entstanden ist. Seit dem 19. Jahrhundert wird es auch als Reimschema in der deutschsprachigen Lyrik verwendet.
Ein Ghasel besteht aus einer Folge von zweizeiligen Strophen, deren zweiter Vers immer den in der ersten Strophe angewandten Reim hat („wiederkehrender“ oder „rührender“ Reim):
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- Reimschema: a a - b a - c a - d a - e a - f a
In der ursprünglichen Form des Ghasel trägt jedes dieser Verspaare eine eigene Bezeichnung und hat eine spezielle, streng festgelegte Funktion.
Inhaltsverzeichnis
Herkunft
Der Begriff lässt sich bis in die klassische arabische Lyrik zurück verfolgen. Im Arabischen bezeichnet 'ghazal' wie auch 'tagazzul' das erotische Sprechen in der Lyrik, die Ansprache des Dichters an die abwesende Geliebte. Als terminus technicus wurde 'ghazal' erst in der persischen Lyrik gebraucht; dort bezeichnet er seit etwa dem 13. Jahrhundert eine Gedichtform mit Paarreim der ersten beiden Halbverse und durchgehendem Reim aller ganzen Verse, so wie dies dann ins Deutsche übernommen wurde. Aus dem Persischen wurde die Gedichtform in den folgenden Jahrhunderten ins Türkische (Osmanisch, Tschaghataiisch), ins Kurdische, Paschtu, Urdu zahlreiche andere indische und sonstige Sprachen übernommen.
Unter dem prägenden Einfluss der großen persischen Ghaselendichter Rumi, Saadi und Hafis entwickelte sich die Poetik des Ghasels zu einem strengen und hochkomplexen System von Form- und Sinnbeziehungen. Der ursprünglich erotische Gehalt der Lyrik wurde von dichtenden Mystikern und mystischen Dichtern mit religiösen Inhalten amalgamiert, so dass sich bald nicht mehr klar unterscheiden ließ, was weltliche Erotik und was mystische Gottesliebe zum Ausdruck bringen sollte. Vom 16. Jahrhundert an wurde die Ghaselendichtung im sogenannten indischen Stil zu einem derart komplexen und selbstreflexiven System, dass sie für Ungeübte kaum mehr verständlich war. Hervorragende Vertreter dieses Stils sind Sâ'eb (persisch), Nâ'ilî-i qadîm (Osmanisch) und Ghalib (Urdu).
Südasien ( Afghanistan, Pakistan, Indien)
In Afghanistan, Pakistan und auf dem indischen Subkontinent ist das Ghasel heute eine Gedichtform des Qawwali, einer Musikform, die sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt. Als solche ist sie nicht nur über die Form, sondern auch über den Inhalt definiert. Der Inhalt wurde oft improvisiert; Themen waren ursprünglich die Gottes- und die Nächstenliebe.
Mit zunehmender Säkularisierung und auch Kommerzialisierung dieser Liedform setzte sich die romantische Liebe zu einer Frau als einziges Thema des Ghasel durch.
Siehe auch Qassida.
Deutscher Sprachraum
In der deutschsprachigen Literatur trat das Ghasel zunächst in Übersetzungen persischer Lyrik auf. Auch Goethe versuchte sich während seiner Arbeit am West-Östlichen Divan daran, fand jedoch keinen Gefallen an der starren Form.
Im 19. Jahrhundert waren Ghaselen als Probe dichterischer Kunstfertigkeit (Virtuosität) recht beliebt, etwa bei August von Platen, Theodor Storm, Detlev von Liliencron. Sie übernahmen jedoch nur die Form, nicht die inhaltliche Tradition; Platen etwa benutzte es für lyrische Stimmungsbilder. Denkbar ist auch, dass es wegen seiner „fremden“, exotischen Herkunft eingesetzt wurde (siehe Exotismus).
Der Dichter, Übersetzer und Orientalist Friedrich Rückert benutzte das Ghasel zunächst in seinen freien Übertragungen „arabischer“ Dichtkunst. Als eigenständige Form findet es sich in seinen Kindertodtenliedern. In einem Ghasel reflektiert Rückert über diese Form:
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- Das Ghasel
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- Es wandte meine Kunst sich zum Ghasele,
- Damit sie allen Formen sich vermähle.
- Ergötzlich ist solch bunte Reimerei,
- Ob auch des Lebens markiger Kern ihr fehle;
- Die Wandrung selbst bereichert schon den Geist,
- Ob er auch nirgends plündre oder stehle.
- Hier lernt, wie tönender Musik zulieb
- Die Sprache sich in mancher Krümmung quäle
- Und, von des Gleichklangs strenger Schrift beherrscht,
- Seltsame Bilder halb gezwungen wähle.
- Des Künstlers Kunst und Fassung leihet oft
- Den Wert dem minder kostbaren Juwele.
- Euch fleh ich an, o Richter, richtet mild,
- Weil ich ja selbst die Schwächen nicht verhehle,
- Und unter dieses bunten Turbans Schmuck
- Verkennet nicht die echte Christenseele.
Man sieht, dass Rückert das Ghasel zwar als manieriert empfindet („bunte Reimerei“), dass Form für ihn aber doch Aufwertung inhaltlicher Schwächen bedeutet kann, indem es „Wert dem minder kostbaren Juwele“ verleiht. Das Gedicht reflektiert aber auch darüber, welche Funktion und welche Folgen die Übernahme einer Gedichtform aus einer „fremden“ Kultur haben kann. Deutlich ist Rückert sich bewusst, dass er Aneignung fremder Formen betreibt, dass er als „Plünderer“ des Orients missverstanden werden könnte; seine Intention ist nur, „den Geist zu bereichern“ und zu lernen. Doch in diesem Gedicht steckt auch ein wenig Angst davor, sich dem Fremden zu sehr auszuliefern, selbst ein Teil davon zu werden; deshalb muss es den Leser in den letzten Versen rückversichern, dass unter dem „bunten Turban“ durchaus noch eine „echte Christenseele“ steckt.
In diesem Zusammenhang lässt sich auch der Streit von Heinrich Heine und Karl Leberecht Immermann mit August von Platen verstehen. Immermann verfasste einige Xenien, die Heine dem zweiten Teil seiner Reisebilder (Die Nordsee, 1826) anfügte. Von manchen distanzierte er sich durch eine Kennzeichnung, nicht jedoch von der folgenden:
Der offenkundige Vorwurf, Platen stehle aus fremden Gärten und produziere dann auch noch schlechte Dichtung, eröffnete den Dichterstreit.
Fin de siècle
Gerade weil es im Deutschen sehr manieriert wirkt, entdeckten es auch manche Dichter des literarischen Fin de siècle für sich, etwa Hugo von Hofmannsthal. Als besonders strenge Form genügte das Ghasel der Forderung der l'art pour l'art, dass die Poesie eine eigene Welt mit eigenen inneren Gesetzen bilden müsse.
Beispiel:
In der ärmsten kleinen Geige liegt die Harmonie des Alls verborgen, a Liegt ekstatisch tiefstes Stöhnen, Jauchzen süßen Schalls verborgen; a In dem Stein am Wege liegt der Funke, der die Welt entzündet, b Liegt die Wucht des fürchterlichen, blitzesgleichen Pralls verborgen. a In dem Wort, dem abgegriffnen, liegt was mancher sinnend suchet: c Eine Wahrheit, mit der Klarheit leuchtenden Kristalls verborgen ... a Lockt die Töne, sticht die Wahrheit, werft den Stein mit Riesenkräften! d Unsern Blicken ist Vollkommnes seit dem Tag des Sündenfalls verborgen. a (Hugo von Hofmannsthal, 1891) Hofmannsthal nutzte hier die Form des Ghasel, um immer wieder zu einem bestimmten „Mittelpunkt“ zurückzukehren und damit ein Element des Gedichts besonders zu betonen (hier „verborgen“). So kann die kreisende Bewegung des Reimes einen beschwörenden Tonfall erzeugen.
Musik
Rückerts Kindertodtenlieder wurden von Gustav Mahler (und anderen) vertont. Musikalische Ghaselen komponierten Franz Schubert, Felix Draeseke und Arnold Schönberg (Op. 6 Nr. 5).
Literatur
Quellen
- August von Platen: Ghaselen. Erlangen: Heyder 1821
- August von Platen: Neue Ghaselen. Erlangen: Heyder 1836
- Johann Traugott Löschke: Geistlicher Divan: 142 Ghaselen zum Preise des Herrn. München 1847
- Max Bruns: Garten der Ghaselen. Minden: Bruns (1925)
- Dschelaleddin Rumi: Das Meer des Herzens geht in tausend Wogen. Ghaselen. Übertragen von Friedrich Rückert. Frankfurt: Dagyeli 1988. ISBN 3-935597-06-1
- Hafis: Dreiundsechzig Ghaselen des Hafis. Übertragen von Friedrich Rückert; eingel. v. J. C. Bürgel, hrsg. v. W. Fischer. Wiesbaden: Harrassowitz 1988. ISBN 3-447-02809-2
- Hafis: Die Ghaselen des Hafiz. Übersetzt u. eingel. v. Joachim Wohlleben. Würzburg: Königshausen und Neumann 2004. ISBN 3-8260-2688-8
Sekundärliteratur
- Noe, Klaus Peter: Das Ghasel im deutschen Klavierlied. Magisterarbeit, Würzburg 1982
- Schimmel, Annemarie: Das Ghasel - Kammermusik orientalischer Poesie, in: Lieber Freund und Kupferstecher 4 (1988), S. 7 - 11
- Ünlü, Hülya: Das Ghasel des islamischen Orients in der deutschen Dichtung. New York: Lang 1991. ISBN 0-8204-1478-6
- Radjaie, Ali: Das profan-mystische Ghasel des Hafis in Rückerts Übersetzungen und in Goethes 'Divan'. Würzburg: Ergon 2000. ISBN 3-932004-82-5
- Kemp, Friedhelm: Das Ghasel: August von Platen und Friedrich Rückert, in: Das europäische Sonett, 2 (2002), S. 134 - 149
Weblinks
- Nikolaus Lenau: Ghasel als Online-Text im Projekt Gutenberg-DE
- Immermanns Xenien in Heines Reisebildern bei Projekt Gutenberg-DE
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