Hafenstraße

Hafenstraße
Hafenstraße, April 1989
Vom Hafen aus, 2008
Lage der Hafenstraße
Hafenstraße, April 2008
Ehemaliger Treffpunkt der Hafenstraßenbewohner an der „Hafentreppe“
Beginn der Demonstration am 20. Dezember 1986

Die Hafenstraße ist ein Begriff für die als besetzte Häuser der St.Pauli-Hafenstraße und Bernhard-Nocht-Straße bekannten Häuser in St. Pauli, Hamburg, Deutschland. Obwohl die Hafenstraße meist als Hausbesetzung wahrgenommen wurde, bestanden die meiste Zeit verschiedene Miet- oder Pachtverträge zwischen den Bewohnern und verschiedenen Gesellschaften im Besitz der Stadt Hamburg. Im Jahr 1995 wurden die Häuser an eine Genossenschaft verkauft und danach saniert. Seit Beginn der Hausbesetzungen, vor allem in der Zeit zwischen 1984 und 1990, ist die Geschichte der Hafenstraße verbunden mit den Bedürfnissen von Menschen und den daraus resultierenden zwischenmenschlichen Konflikten und Konflikten mit staatlichen Organisationen.

Die Hafenstraße wurde sowohl zum Symbol des „Widerstandes gegen den Staat“ als auch für einen „rechtsfreien Raum“ in dem Linksradikale Zuflucht fanden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die betroffenen Häuser im Eigentum der SAGA, einer Wohnungsgesellschaft der Stadt Hamburg, standen teilweise leer, teilweise waren noch Wohnungen vermietet. Ein Teil der Häuser sollte aufgrund eines Baugutachtens, welches die Unbewohnbarkeit der Gebäude feststellte, abgerissen werden, um die Grundstücke einer profitableren Verwendung zuzuführen. Dieses Vorhaben, sowie das Bedürfnis nach billigem Wohnraum, führte schließlich 1981 zu einer zunächst unbemerkten, „schleichenden“ Besetzung der Häuser durch Gegner einer solchen Praxis.

Im Frühjahr 1982 bemerkt die SAGA die teilweise erfolgte Besetzung, es kommt zu den ersten Auseinandersetzungen, als die SAGA das Erdgeschoss eines der Häuser zumauern lässt und Bewohner im Gegenzug den Eingang der SAGA-Verwaltung in Altona zumauern. Die Bewohner fordern Verhandlungen um einen Nutzungsvertrag, es kommt zu einer Vereinbarung über eine Winterfestmachung und zur Reparatur der Elektrik in den Häusern.

1983 werden die Gelder bewilligt, es kommt zu den ersten Ausschreitungen und einer Durchsuchung einiger Häuser mit Festnahmen. Die Stadt Hamburg schreibt einen Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des Hafenrandes aus, und im Senat werden Forderungen nach „eindeutigen Rechtsverhältnissen“ laut. Die Bewohner fordern einen Generalnutzungsvertrag für alle Häuser sowie die vor und zwischen den Häusern liegenden Freiflächen. Unter steigendem Räumungsdruck werden im November auf drei Jahre befristete Mietverträge abgeschlossen. Die Bewohner beginnen mit Instandsetzungsarbeiten an den Häusern, um gegen die im Baugutachten festgestellte „Unbewohnbarkeit“ vorzugehen.

Im darauf folgenden Jahr 1983 entsteht ein Wandbild, das für viele Jahre zum Symbol der Hafenstraße werden soll. Das Hamburger Abendblatt beschreibt es als ein „buntes Bild voll Horror“. Beim Ausheben einer Grube für einen Gartenteich werden in Folge eines Polizeieinsatzes mehrere Personen vorläufig festgenommen. Die Zahlung bewilligter Instandsetzungsgelder wird eingestellt. Das Ergebnis des Architektenwettbewerbs wird vorgestellt, vorgesehen ist der Abriss einiger der Häuser und eine gewerbliche Großbebauung. Einige Bewohner verweigern dem Bauprüfer und Mitarbeitern der SAGA im Rahmen einer Mängelüberprüfung den Zugang zu ihren Wohnungen. Zwischen Weihnachten und Silvester finden die ersten sogenannten „Silvestertage“ statt, eine Mischung aus politischen Treffen und Veranstaltungen, abends Konzerte. In der Silvesternacht gibt es eine Demonstration zur Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis mit der Forderung nach „Zusammenlegung aller politischer Gefangenen in große Gruppen“.

Im Januar 1985 werden zur Unterstützung des Hungerstreiks von RAF-Gefangenen brennende Barrikaden auf der Hafenrandstraße errichtet. Verschiedene Vertreter des Bezirksamtes Hamburg Mitte, der Innen- und der Baubehörde beginnen an einem Plan zur Räumung der Häuser zu arbeiten. Im März wird die Begehung der Häuser unter Polizeischutz erzwungen, es werden ein Baugerüst beschlagnahmt und eine Wohnung geräumt. Bausenator Eugen Wagner bekommt ein „Kriegsbeil“ in seine Bürotür geschlagen. Die Lage spitzt sich zu, die HEW kappen mehrere Stromanschlüsse wegen nicht bezahlter Rechnungen, die Polizei macht Durchsuchungen wegen angeblicher Teilnahme von Personen an kriminellen Handlungen. Die Bewohner arbeiten weiter an einer Instandsetzung der Häuser.

Im Herbst befassen sich mehrere Medien mit dem Verdacht, verschiedene Personen aus dem Umfeld der Rote Armee Fraktion wohnten in der Hafenstraße. Der Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Christian Lochte, gibt der Zeitung die tageszeitung ein ausführliches Interview, worauf Autonome die Hamburger Redaktionsräume verwüsten. Kurz darauf soll wieder eine Begehung der Häuser stattfinden. Durch Aktendiebstahl aus der Innenbehörde wird belegt und öffentlich gemacht, dass während der Begehung ein Vorwand für eine Eskalation geschaffen werden soll, in deren Verlauf die Häuser geräumt werden sollen. Die Aktion findet wegen der Bekanntmachung dieser Fakten, aber auch wegen der großen Zahl gewaltbereiter Unterstützer vor den Häusern, nicht statt.

Im Jahre 1986 wird weiter versucht, der drohenden Räumung und dem Abriss entgegenzuwirken, es werden die Dächer von drei Häusern von den Bewohnern neu gedeckt und die Bewohner beschließen, sich Diskussionen mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu öffnen. Die Rechtsstreitigkeiten um gekürzte oder nicht gezahlte Mieten nehmen ihren Lauf. Ein weiteres Haus wird besetzt und bald darauf wieder geräumt. In einem Großeinsatz der Polizei werden mehrere Wohnungen durchsucht und geräumt, dabei werden das Mobiliar aus den Fenstern geworfen, nicht geräumte Wohnungen verwüstet und sanitäre Anlagen zerstört. Teilweise werden Lebensmittel und Betten mit Reizgas besprüht. Es kommt zu einer Demonstration an der 2000 Menschen teilnehmen, sowie zu verschiedenen, teils militanten Aktionen im Stadtgebiet Hamburgs sowie in verschiedenen Städten Europas. Großeinsätze der Polizei finden nun fast regelmäßig statt, die darauf folgenden Demonstrationen werden von der Polizei in einem mehrreihigen Spalier begleitet und zeitweilig eingeschlossen. Am 20. Dezember findet eine Demonstration mit 12.000 Menschen von der Hamburger Innenstadt zur Hafenstraße statt. Auf dieser Demonstration kommt es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. 100 Polizeibeamte werden verletzt.

Im Frühjahr 1987 kommt es zu mehreren koordinierten, teils militanten Aktionen an verschiedenen Orten in Hamburg mit dem Ziel, die ständigen Polizeieinsätze zu beenden, was auch gelingt. Danach kommt es im Sommer zu einer offiziellen Wiederbesetzung der geräumten Wohnungen. Die Befestigung der Häuser gegen die anstehende Räumung sowie eine breite Öffentlichkeitsarbeit für eine vertragliche Lösung bestimmen den Alltag in den Häusern. Während einer Demonstration zur Unterstützung der Besetzung geht der Piratensender „Radio Hafenstraße“ auf Sendung, der Sender sendet Informationen und Musik fast ununterbrochen bis November.

Als im November 1987 die laufenden Verhandlungen um einen neuen Vertrag zwischen Bewohnern und dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg beiderseitig als gescheitert angesehen werden, errichten die Bewohner und ihre Unterstützer Barrikaden um die Häuser, um eine drohende Räumung zu verhindern. Bürgerkriegsähnliche Verhältnisse im Falle einer Räumung drohen. Ein Kompromiss wird schließlich erreicht: Ein neuer Vertrag wird unterzeichnet, die Barrikaden werden abgebaut und es kommt zu einer friedlichen Lösung.

Im Jahr 1990 kommt es mit der Begründung, Personen aus dem Umfeld der Rote Armee Fraktion zu suchen, zu einer Durchsuchung aller Häuser durch Polizei und Bundesanwaltschaft.

Gegenseitige Provokationen von Bewohnern, Behörden und der Polizei führen bis heute, wenn auch seltener geworden, immer wieder zu Ausschreitungen und Polizeieinsätzen. Da die Verfolgung von Straftaten meist nur unter massivem Polizeieinsatz möglich war, wurde von Kritikern der Begriff des „rechtsfreien Raumes“ geprägt. In der Folge solcher Ereignisse wurden von Stadt, Behörden und Polizei Planspiele entworfen, um eine Räumung herbeizuführen. Das Interesse der Bewohner bestand darin, den Abriss der Häuser zu verhindern, billigen Wohnraum zu erhalten und in diesem ein selbstbestimmtes Leben ohne Entfremdung zu führen. Innerhalb des Konfliktes wurde immer wieder versucht, den Zusammenhang zu anderen sozialen Konflikten herzustellen, was sowohl die Stärke der Hafenstraße ausgemacht hat, als auch Grund für die staatliche Repression war.

Heute besteht die Hafenstraße aus 12 Häusern, die Eigentum einer Genossenschaft sind. Im Oktober 2007 ist ein Wohnungsneubau für ca. 40 Bewohner (Wohnprojekt planB) an der Bernhard-Nocht-Straße 26 dazugekommen (Planung und Bauleitung ARGE planerkollektiv / G.Trommer und H.Schubart). Entscheidungsgremium für alle Entscheidungen ist nach wie vor das Plenum, eine Versammlung aus Bewohnern, Anwohnern und (zur jeweiligen Sachlage) Betroffenen, entschieden wird nach dem Konsensprinzip.

Nah der Hafenstraße, am Pinnasberg, befindet sich das Park-Fiction-Projekt.

Filme

  • Terrible Houses in Danger, Winter 1984/85, ca. 45 min
  • Zwischen Dachziegel und Pflasterstein, 1985, ca. 45 min, Film über die Hausbesetzungen Hafenstraße, Chemnitzstraße, Jägerpassage und Pinnasberg
  • Die Augen schließen um besser zu sehen, 1986, ca. 20 min
  • Irgendwie, irgendwo, irgendwann, 1987/88, ca. 100 min, Wiederbesetzung und Barrikadentage
  • Polizeiüberfall auf die Hafenstraße, 1989, ca. 20 min, Räumung des großen Bauwagenplatzes
  • Selbst das kleinste Licht durchbricht die Dunkelheit, 1990, ca. 60 min, Film über die Durchsuchung der Häuser durch BKA und Bundesanwaltschaft und die darauf folgende Besetzung der Kantine des Stern (Bezug über: Medienpädagogik Zentrum Hamburg e. V., Susannenstraße 14 c,d, 20357 Hamburg)
  • Die Hafentreppe, Regie: Thomas Tode & Rasmus Gerlach. D 1991, 75 Min.

Ton

Literatur

  • Hermann, Michael u.a., Hafenstraße, 'Chronik und Analysen eines Konfliktes', Verlag am Galgenberg, ISBN 3-925387-34-X ,1987
  • Sigmund, Monika; Zu bunt..., Wandbilder in der Hafenstraße, ISBN 300000713X, 1996
  • Mallet, Carl H; Die Leute von der Hafenstraße, Über eine andere Art zu leben, ISBN 389401346X, 2000
  • Scheer; Hier spricht Radio Hafenstraße, Sendetexte eines freien Radios in Hamburg; Schriftenreihe Politische Untergrundsender, 5, ISBN 3860712055, 1987
  • Kurzwellen-Pressedienst; [Ed.], Radio Hafenstraße, Heiße Phase in Hamburg (November 1987), Radio von unten Tonstudio, ISBN 3860711296, 1987
  • Lehne, Werner; Der Konflikt um die Hafenstraße, Kriminalitätsdiskurse im Kontext symbolischer Politik, Hamburger Studien zur Kriminologie, 18, ISBN 3890858937, 1994

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Hafenstraße – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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