Hamitische Sprachen

Hamitische Sprachen

Der Begriff hamitische Sprachen wurde früher in der Sprachwissenschaft (Afrikanistik) für die nicht-semitischen Sprachen der früher hamito-semitisch genannten afroasiatischen Sprachfamilie verwendet sowie für einige weitere Sprachen von afrikanischen Völkern, die man als nicht vollständigschwarzafrikanischund somit zivilisatorisch höherstehend ansah. Der Begriff gilt heute als überholt und ideologisch belastet.

Die Bezeichnung von Sprach- und Volksfamilien mit Namen aus der biblischen Völkertafel war typisch für das von Hegemonievorstellungen beherrschte westliche Denken des 19. Jahrhunderts (vgl. auch Hamitentheorie, Japhetitentheorie, Semitentheorie). Die starke Verflechtung vonWissenschaftund Kolonialpolitik führte dazu, dass Wunsch und Wirklichkeit in der frühen Phase der Theoriebildung in der Afrikanistik nicht immer sorgfältig getrennt wurden.

Die einzelnen Zweige des HamitischenÄgyptisch, Berberisch, Tschadisch, Kuschitischgelten heute als selbständige Primärzweige des Afroasiatischen (dazu kommt noch das Omotische, welches früher alsWestkuschitischeingeordnet wurde).

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Frühe Definitionen

In Bezug auf Sprachen wurde der BegriffHamitischim Jahre 1850 zum ersten Mal vom württemberger Missionar Johann Ludwig Krapf (18101881) allgemein auf alle schwarzafrikanischen Sprachen (wohl unter Ausklammerung der Nama-Buschmann Sprachen) angewandt. Aber auch er unterschied bereits zwischen dennilo-hamitischenBantusprachen und dennigro-hamitischenSprachen Westafrikas. 1877 fügte F. Müller dennilo-hamitischen Sprachen“, die heute als Berbersprachen und kuschitischen Sprachen bezeichnete Idiome hinzu. Das Hausa und die damit verwandten heute als tschadisch bezeichneten Sprachen rechnete er noch nicht zu dennilo-hamitschen Sprachen“.

Hamitische Sprachen nach Lepsius und Meinhof

Den entscheidenden Schritt zum Konzept derhamitischen Sprachenvollzog der Berliner Ägyptologe Karl Richard Lepsius. Er beschränkte ihn 1880 auf diejenigen nichtsemitischen flektierenden Sprachen Afrikas, die ein Genus-System besitzen. Dieser Neudefinition gemäß rechnete er auch Hausa zu denhamitischen Sprachen“.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts postulierte der Hamburger Afrikanist Carl Meinhof, dass die Bantu-Völker und ihre Sprache eine Verschmelzung von hamitischen (Sprachen mit grammatischem Genus-System) undNegersprachen“ (Sprachen ohne Genus-System) seien. Die für die Bantu-Sprachen typischen zahlreichen Nominalklassen seien ein kognitiv überdifferenzierendes und deshalb primitives Verschmelzungsprodukt als Ergebnis dieser Entwicklung. Ebenso sei dieHottentotten-Sprache“ (gemeint ist Khoekhoegowab), die ebenso ein grammatisches Geschlecht kennt, eine Verschmelzung aus Hamiten- und den überwiegend genuslosenBuschmann-Sprachen“. Wo diese aus heutiger Sicht nicht mehr aufrechtzuerhaltende linguistische Behauptungen für die Einordnung von Sprachen nicht taugten, wurden ergänzend rassische Merkmale herangezogen. Die wegen des Genus-Systems als überlegen betrachteten hamitischen Sprachen entsprachender kulturtragenden Rolle der Hamitenim Gegensatz zu derprimitiven negroidenBevölkerung. Das führte zur falschen Einordnung des Fulfulde und des Maa als hamitische Sprachen, weil die Fulbe und die Massai als hellhäutigere bzw. größer gewachsene nicht-negroide Völker (sie wurden alshamitische Kontaktrassebezeichnet, welche sich zwischen der europiden und der negroidenGroßrassebildete) infolge ihrer angeblich höherwertigenRasseauch Sprachen sprechen mussten, die der angeblich höherwertigenhamitischen Sprachfamilieangehören. Das Konzept der hamitschen Sprachen nach Carl Meinhof führte z.B. zu der Einordnung von Maa, Fulfulde und Nama, die nach heutiger Meinung drei völlig verschiedenen Sprachfamilien angehören (nämlich Nilosaharanische Sprachen, Niger-Kongo-Sprachen bzw. Khoisan-Sprachen), in die Gruppe derhamitischen Sprachen“. Diese Theorien sind aus heutiger Sicht nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Westermann und Klingenheben

Diedrich Westermann, der in seinen früheren Arbeiten noch die Protosprache der von seinem Lehrer C. Meinhof gestützten Sudansprachen herausarbeiten wollte,[1] war schon in den 1920er Jahren von der Verwandtschaft der Westsudanischen Sprachen mit den Bantu-Sprachen überzeugt.[2] Nach den Forschungen Westermanns ist der Gegensatz der Hamitischen Sprachen und der Bantu-Sprachen einerseits und der von Meinhof als Sudansprachen bezeichneten genuslosenNegersprachenanderseits nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die westlichen Sudansprachen werden deshalb seit Joseph Greenberg mit den Bantu-Sprachen zu den Niger-Kongo-Sprachen zusammengefasst.

Die sprachwissenschaftliche Hamitentheorie wurde auch durch die Arbeiten August Klingenhebens in den 1930er Jahren zu Fall gebracht.[3] Klingenheben erforschte das Fulfulde, welches von Meinhof in Ermangelung linguistischer Einordnungmethoden wegenrassenmorphologischerEigenschaften der Fulbe den hamitischen Sprachen zugeschlagen wurde. Durch seine umfassende Beschreibung des Lautbestandes und des komplizierten Systems der Präfix- und Suffixklassen löste er das Fulfulde aus der Familie der hamitischen Sprachen und ordnete es in die Gruppe der westatlantischen Sprachen ein. Dadurch brachte Klingenheben die Vorstellung von der hamitischen Rasse, soweit sie sich auf sprachliche Überlegungen gründete, zu Fall.

Quellen

  1. Westermann, Diedrich Hermann (1911) Die Sudansprachen: eine sprachvergleichende Studie
  2. Diedrich Hermann Westermann, Hermann Baumann: Die westlichen Sudansprachen und ihre Beziehungen zu Bantu; 1927
  3. August Klingenheben: Die Sprache der Ful; Hamburg: J. J. Augustin, 1963

Literatur

  • Jungraithmayr, Herrmann/Möhlig Wilhelm J.G. (Hrsg.): Lexikon der Afrikanistik. Afrikanische Sprachen und ihre Erforschung, Berlin, 1983. ISBN 3-496-00146-1
  • Köhler, Oswin: Geschichte und Probleme der Gliederung der Sprachen Afrikas, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, in: Baumann, H. (Hrsg.), Die Völker Afrikas und ihre traditionellen Kulturen, Teil I, Allgemeiner Teil und südliches Afrika, Wiesbaden, 1975, S.276ff.
  • Krapf, Johann Ludwig: Outline of the Elements of the Kisuaheli Language, with Special Reference to the Kinika Dialect, Tübingen, 1850 (Nachdruck Leipzig, 1970)
  • Krapf, Johann Ludwig: Vocabulary of Six East African Languages, Tübingen 1850 (Repr. Farnborough, 1967)
  • Lepsius, Richard: Nubische Grammatik. Mit einer Einleitung über die Völker und Sprachen Afrika's, Berlin, 1880
  • Meinhof, Carl: Die Sprache der Hamiten, Hamburg, 1912.

Siehe auch


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