- Genus
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Das Genus (Pl.: Genera; von lat. genus, „Art, Gattung, Geschlecht“, als grammatischer Terminus technicus nach agr. γένος, genos) oder grammatische Geschlecht ist ein in vielen Sprachen vorkommendes Klassifikationsmerkmal von Substantiven. Eine Sprache hat ein Genus-System genau dann, wenn es Kongruenzeffekte gibt, die sich auf verschiedene Klassen von Substantiven zurückführen lassen; es muss syntaktische Evidenz für diese Klassen (also außerhalb der Substantive selbst) geben.[1] Nach dieser Definition haben Sprachen wie Kiswahili ein Genus-System (wenigstens im Sinne von Nominalklassen). Neben vielen Sprachen ohne Genus (z. B. Englisch und Türkisch) unterscheidet man jedoch meist Sprachen mit zwei oder drei Genera:
- Maskulinum – Femininum (männlich – weiblich), z. B. Arabisch
- Utrum/Commune – Neutrum (Beides/Gemeinsames ‚belebt‘ – ‚unbelebt‘), z. B. Schwedisch
- Maskulinum – Femininum – Neutrum (männlich – weiblich – sächlich), z. B. Griechisch
Bei Personenbezeichnungen, aber auch bei Bezeichnungen für Tiere entspricht das benutzte Genus im Deutschen meist dem Sexus des betreffenden Menschen oder Tieres (zum Beispiel die Frau, der Mann; typische Ausnahme sind die Verkleinerungsformen (Diminutiva), welche immer sächlich sind: das Mädchen). Ist das biologische Geschlecht unbekannt oder nicht wichtig oder soll über eine gemischtgeschlechtliche Gruppe gesprochen werden, so besteht im Deutschen die Möglichkeit, Oberbegriffe in der Form eines generischen Maskulinums (der Mensch, der Hund), eines generischen Femininums (die Katze) oder generischen Neutrums (das Opfer, das Pferd) zu benutzen. Als Personenbezeichnungen existieren nur wenige generische Feminina (die Person, die Geisel, die Waise). Die Asymmetrie der Geschlechter im Bereich von Personenbezeichnungen wird in der feministischen Linguistik stark kritisiert, weil Männer bevorzugt und Frauen unsichtbar gemacht würden.[2][3]
Die meisten Substantive des Deutschen lassen keinen verallgemeinerbaren Zusammenhang zwischen der Bedeutung (Semantik) des Wortes und seinem Genus erkennen. Abgeleitete Substantive (wie etwa dt. Schön-heit) stellen möglicherweise eine Ausnahme dar. Für Substantive solcher Art wird ein Zusammenhang der Kategorie Genus mit der Kategorie Numerus vermutet. Diese Vermutung fußt auf der Beobachtung des Sprachwissenschaftlers Joseph H. Greenberg, derzufolge die Kategorie Genus nur in Sprachen mit der Kategorie Numerus existiert. Die Umkehrung gilt nicht: Sprachen mit Numerus müssen kein Genus besitzen (vgl. etwa das Englische). Das Genus femininum des Deutschen wäre demnach eine Kategorie für Kollektivpluralität (wie etwa dt. Burschen-schaft), wie bereits Ende des 19. Jahrhunderts für die indogermanischen Sprachen von dem deutschen Sprachwissenschaftler Karl Brugmann angenommen.
Inhaltsverzeichnis
Genuskongruenz
Sprachwissenschaftlich ist das Genus eine morphologische Kategorie der Substantive. Bei Sprachen, die den Zusammenhang von Wörtern dadurch anzeigen, dass diese Wörter formal in Übereinstimmung gebracht werden (Kongruenz), müssen Wörter, die sich auf das Substantiv beziehen, so flektiert werden, dass sie zum Genus des Substantivs passen (Genuskongruenz). In einigen Sprachen sind auch Verben vom Genus abhängig, zum Beispiel im Russischen und Arabischen.
Beispiel
Die italienische Sprache und die deutsche Sprache zeigen Genuskongruenz, aber in unterschiedlichem Ausmaß:
- «Questa è una faccenda seria.» – „Das ist eine ernsthafte Angelegenheit.“
- «Questo è un problema serio.» – „Das ist ein ernsthaftes Problem.“
Im Italienischen kongruieren Demonstrativpronomen (questa/questo), Artikel (una/un) und Attribut (seria/serio) mit dem Substantiv (faccenda ist weiblich, problema männlich), im Deutschen hingegen nur Artikel und Attribut.
Beziehung zu Nominalklassen
Das Genus-System, das vor allem in den indogermanischen und semitischen Sprachen sowie in einigen afrikanischen Sprachen vorkommt, wird von manchen Wissenschaftlern als eine spezielle Ausprägung eines Nominalklassen-Systems angesehen, wie es sich in anderen Ausprägungen auch noch in vielen anderen Sprachgruppen findet. Zum Beispiel findet man bei den Bantusprachen bis zu zehn solcher Klassen. Viele andere Sprachen, z. B. die Turksprachen, kommen jedoch ohne Nominalklassen aus. Das Vorhandensein von grammatischem Geschlecht in einer Sprache wurde in der Zeit des Kolonialismus ideologisch als Merkmal für kulturelle Überlegenheit angesehen (Hamitentheorie).
Beziehung zu Flexionsklassen
Flexionsklassen unterscheiden sich vom Genus in ihrer Eigenschaft zur Kongruenz. Während sich Flexionsklassen ausschließlich an ihrem Träger bemerkbar machen, kann das Genus an verschiedene Konstituenten innerhalb einer Phrase vererbt werden.
Im Deutschen, beispielsweise, gibt es drei Genera: Femininum, Maskulinum und Neutrum. Diese werden nicht nur am Nomen in Form spezieller Kasus- und Numerusmarker gekennzeichnet, sondern auch in der Flexion vorangestellter Artikel, Adjektive und Adverbien:
- guter Mann
- gute Frau
- der Mann
- die Frau.
Flexionsklassen dagegen werden nur am Nomen selbst in Form von speziellen Kasus- und Numerusendungen gekennzeichnet, welche aber nicht an vorangestellte Artikel, Adjektive oder Adverbien vererbt werden. Beispielsweise gehören Planet und Mann im Deutschen zur Klasse der maskulinen Nomen, aber zu unterschiedlichen Flexionsklassen, was sich zum Beispiel an unterschiedlichen Dativendungen an ihnen bemerkbar macht. Während der Dativ von Planet durch die Endung -en gekennzeichnet wird, unterscheidet sich die Dativform von Mann heute meist nicht mehr von seiner Nominativform, bzw. der Dativ wird veraltet durch die Endung -e gekennzeichnet. Die flektierten Formen vorangestellter Konstituenten der Nominalphrase bleiben jedoch von der Flexionsklasse der Kopfnomen unberührt und richten sich nur nach den Genera, die in beiden Fällen gleich, nämlich maskulin sind:
- dem guten Mann-ø/-e
- dem guten Planeten.
Genera in Sprachen
Keine Genera
Ungefähr die Hälfte aller Sprachen kennt kein Genus..[4]
Beispiele für indoeuropäische Sprachen ohne Genus sind:
- Afrikaans
- Armenisch
- Bengali
- Persisch inkl. Dari, Tadschikisch
- Englisch (das Personalpronomen der 3. Person Sg. – he, she, it – richtet sich nach dem Sexus; der Gebrauch von she für bestimmte Fahrzeuge, vor allem Schiffe, ist als Personifikation zu verstehen, Entsprechendes gilt für Bengali)
Nicht-indoeuropäische Sprachen ohne Genus sind zum Beispiel:
- Baskisch
- Türkisch, Kirgisisch, Tatarisch, und andere Turksprachen
- Georgisch
- Hawaiisch, Indonesisch und andere austronesische Sprachen
- Japanisch
- Estnisch, Finnisch, Ungarisch und andere finno-ugrische Sprachen
- Thai
- Mandarin (Hochchinesisch)
Auch die meisten Plansprachen haben keine Genus-Kategorie, wie z. B. Esperanto. Dieses unterscheidet wie das Englische das Pronomen nach dem Sexus (li, ŝi, ĝi), während das vom Esperanto abgeleitete Ido ein zusätzliches Pronomen (lu) hat, das für alle drei geschlechtsgebundenen Pronomina stehen kann.
Unterscheidung Maskulinum – Femininum
Die meisten romanischen Sprachen:
- Italienisch (ausgenommen zentralitalienische Dialekte)
- Französisch
- Katalanisch
- Spanisch
- Portugiesisch
- Galizisch
Viele indoiranische Sprachen
Die noch lebenden baltischen Sprachen
Die keltischen Sprachen
Eine einzige slawische Sprache unter italienischem Einfluss
- Moliseslawisch oder Molisekroatisch
Andere Indo-europäische Sprachen:
- Albanisch (mit Resten des Neutrums)
Semitische Sprachen:
Unterscheidung Utrum – Neutrum
Die festlandskandinavischen Sprachen:
- Schwedisch (ausgenommen einzelne Dialekte)
- Dänisch
- Norwegisch (bokmål)
Außerdem:
- Westfriesisch (außer dem Dialekt von Schiermonnikoog)
Unterscheidung Maskulinum – Femininum – Neutrum
Von den germanischen Sprachen haben sechs die drei indoeuropäischen Genera bewahrt:
- Deutsch mit allen seinen Dialekten (das Personalpronomen der dritten Person richtet sich meist nach dem Genus. In der Umgangssprache wird allerdings oft auch der Sexus berücksichtigt. Genus: Das Mädchen lachte – es stand am Fenster. Sexus: Das Mädchen lachte – sie stand am Fenster.
- Niederländisch (in Resten, im Flämischen noch voll erhalten)
- Friesisch: Nordfriesisch und Saterländisch sowie der westfriesische Dialekt von Schiermonnikoog (in Föhring und Amring sind allerdings Femininum und Neutrum weitgehend verschmolzen.)
- der gotländische Dialekt des Schwedischen
- Bornholmisch (ostdänischer Dialekt)
- Norwegisch (nynorsk)
- Färöisch
- Isländisch
Von den romanischen Sprachen:
- Rumänisch (Das Neutrum ist im Singular mit dem Maskulinum zusammengefallen, im Plural mit dem Femininum. Solche Fälle gibt es vereinzelt auch im Italienischen.)
- Aromunisch
Die slawischen Sprachen mit Ausnahme des Moliseslawischen, darunter:
- Bosnisch
- Bulgarisch
- Kaschubisch
- Kroatisch
- Mazedonisch
- Polnisch
- Resianisch
- Russisch
- Serbisch
- Slowenisch
- Slowakisch
- Sorbisch
- Tschechisch
- Ukrainisch
- Weißrussisch
Andere indoeuropäische Sprachen wie:
- Griechisch (sowohl Alt- als auch Neugriechisch)
- Lateinisch
- Sanskrit und wenige neuindoarische Sprachen (Marathi, Gudscharati)
Nicht-indoeuropäische Sprachen wie:
- die Dravidischen Sprachen Südindiens, wie z.B. Tamil, Telugu, Kannada, Malayalam (das Genus entspricht hier meist dem natürlichen Geschlecht)
Ambigenera
In einigen Tochtersprachen des Lateinischen gibt es sogenannte ambigene Substantive, welche ein Überbleibsel der alten Klasse der Neutra fortsetzen. Diese Substantiven verhalten sich im Singular stets wie Maskulina, im Plural dagegen wie Feminina. Im Französischen und Italienischen handelt es sich hierbei nur um eine Handvoll Wörter, während dieses Schema im Rumänischen eine große Zahl von Substantiven erfasst hat (mehrere tausend); die Gruppe dieser Substantive wird im Rumänischen darum häufig als "Neutra" etikettiert, obwohl sie keine eigenen Formen aufweist, sondern sich lediglich numerusabhängig der jeweiligen Formen der anderen beiden Genera bedient.
Beispiele für Ambigenera:
- im Italienischen: il labbro (Sg.m.def) - le labbra (Pl.f.def) "die Lippe - die Lippen"
- im Französischen: l'amour (Sg.m.def) - les amours (Pl.f.def) "die Liebe - die Lieben"
- im Rumänischen: osul (Sg.m.def) - oasele (Pl.f.def) "der Knochen - die Knochen".
Ambigenera sind außerdem typisch für die albanische Sprache.
Siehe auch
Wiktionary: Genus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, ÜbersetzungenLiteratur
- Ursula Doleschal: Das generische Maskulinum im Deutschen. Ein historischer Spaziergang durch die deutsche Grammatikschreibung von der Renaissance bis zur Postmoderne. In: Linguistik online. 11, 2002. (online)
- Elisabeth Leiss: Genus und Sexus. Kritische Anmerkungen zur Sexualisierung von Grammatik. In: Linguistische Berichte. 152. 1994, S. 281–300.
- Greville G. Corbett: Gender. Cambridge University Press, Cambridge, New York 1991, ISBN 0-521-32939-6.
- Corbett, Greville G. 2008. Number of Genders. In: Haspelmath, Martin & Dryer, Matthew S. & Gil, David & Comrie, Bernard (eds.) The World Atlas of Language Structures Online. Munich: Max Planck Digital Library, chapter 30.
- Joseph H. Greenberg (1963): Some universals of grammar with particular reference to the order of meaningful elements. In: Greenberg, Joseph (ed.): Universals of language. Cambridge (Mass.), London: MIT Press, 73–113.
- Karl Brugmann (1897): The nature and origin of the noun genders in the Indo-European languages. A lecture delivered on the occasion of the sesquicentennial celebration of Princeton University. New York: Charles Scribner’s Sons.
Einzelnachweise
- ↑ Corbett, Greville G., 2008. Number of Genders. In: Haspelmath, Martin & Dryer, Matthew S. & Gil, David & Comrie, Bernard (eds.) The World Atlas of Language Structures Online, Munich, Max Planck Digital Library, chapter 30.
- ↑ Gisela Schoenthal: Impulse der feministischen Linguistik für Sprachsystem und Sprachgebrauch, in Werner Besch, Anne Betten, Oskar Reichmann, Stefan Sonderegger (Hrsg.): Sprachgeschichte: Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, Walter de Gruyter, 2000, Seite 2064 f.
- ↑ Luise F. Pusch: Alle Menschen werden Schwestern: Feministische Sprachkritik. edition suhrkamp, 5. Auflage 1990, ISBN 3-518-11565-0
- ↑ Karte aus dem World Atlas of Language Structures Online zur Verteilung der Anzahl der Genera in den Sprachen der Welt (engl.)
Deklination der deutschen Sprache (deutsche Deklination)Kasus: Nominativ | Genitiv | Dativ | Akkusativ
Numerus: Singular | Plural | Singularetantum | Pluraletantum
Genus
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Genus — Ge nus (j[=e] n[u^]s), n.; pl. {Genera}. [L., birth, race, kind, sort; akin to Gr. ?. See {Gender}, and cf. {Benign}.] [1913 Webster] 1. (Logic) A class of objects divided into several subordinate species; a class more extensive than a species; a … The Collaborative International Dictionary of English
Genus — Sn Geschlecht, Art, Gattung per. Wortschatz fach. (17. Jh.) Entlehnung. Im Neuhochdeutschen entlehnt aus l. genus ( eris) Geschlecht, Art , einer Ableitung aus l. gignere hervorbringen . In der Bedeutung grammatisches Geschlecht Lehnbedeutung aus … Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache
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genus — (pl. genera), 1550s as a term of logic, kind or class of things (biological sense dates from c.1600), from L. genus (gen. generis) race, stock, kind; family, birth, descent, origin, cognate with Gk. genos race, kind, and gonos birth, offspring,… … Etymology dictionary
genus — (izg. gȅnus) m DEFINICIJA lingv. nadređeni pojam, v. nadređen ETIMOLOGIJA lat … Hrvatski jezični portal
genus — [jē′nəs] n. pl. genera [jen′ər ə] or genuses [L, birth, origin, race, species, kind < IE base * ĝen , to beget, produce > L gignere, to beget, gens, clan, Gr genos, race, gignesthai, to be born, Ger kind, child, OE (ge)cynd, KIND, cennan,… … English World dictionary
Genus — (лат.) род. Философский энциклопедический словарь. М.: Советская энциклопедия. Гл. редакция: Л. Ф. Ильичёв, П. Н. Федосеев, С. М. Ковалёв, В. Г. Панов. 1983 … Философская энциклопедия
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Genus — (lat.), 1) Geschlecht, Gattung; Art u. Weise; 2) (Grammat.), das theils durch die Bedeutung, theils durch die Endung bedingte Geschlecht ist dreifach: Masculinum, männliches, Femininum, weibliches, u. Neutrum. keines von beiden od. sächliches… … Pierer's Universal-Lexikon
Genus — (lat., Mehrzahl Genera), Geschlecht, in der Zoologie, Botanik und Mineralogie soviel wie Gattung (s.d.). – In der Grammatik ist das G. oder Geschlecht der Substantiva ein dreifaches: G. masculinum, männliches, G. femininum, weibliches, G. neutrum … Meyers Großes Konversations-Lexikon