Hiat

Hiat

Der Hiat oder Hiatus (lat.: Vokalzusammenstoß) bezeichnet in der Linguistik den Fall, dass in zwei aufeinanderfolgenden Silben der letzte Laut der ersten Silbe und der erste Laut der zweiten ein Vokal oder Diphthong sind. Solche Vokalfolgen sind in manchen Sprachen unerwünscht und werden deshalb durch Einschieben von Konsonanten oder Lautgruppen verhindert. Man spricht in diesen Fällen von Hiatvermeidung.

Inhaltsverzeichnis

Hiatvermeidung im Deutschen

Mit diesem Prinzip lassen sich etwa im Deutschen Fälle wie -n- in "amerika-n-isch", "-es-" in "chin-es-isch", "-les-" in "kongo-les-isch", "-t-" in "Tokio-t-er" etc. erklären, wobei die Einschübe als sogenannte Hiat-Tilger[1] beziehungsweise Hiattrenner[2] dienen. Es gibt aber auch Gegenbeispiele wie z.B. "ghana-isch".

Hiatvermeidung ist in Dialekten des Oberdeutschen häufig. So wird etwa schweizerdeutsch in der Satzfolge ich + singe + und + tanze das Wort singe zu singen, also ich singe-n-und tanze. Ein prominentes Beispiel mit einer absichtlichen Häufung von Hiattrennern ist der schweizerdeutsche Satz: Stell de Hafe-n-afe-n-ufe-n-Ofe-n-ufe. ('Stell den Hafen bereits auf den Ofen hinauf.')

Hiattilger können auch rein graphematisch sein, so in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schweizer Kanzleisprache etwa ein fry-g-er mann (zum Adjektiv fry 'frei'), gesprochen aber nie anders als ein frîer mann.

Hiatvermeidung im Lateinischen

Auch im Lateinischen spielt das Prinzip der Hiatvermeidung eine besondere Rolle. Im Lateinischen wird der Binnenhiat, also das Zusammentreffen zweier Vokale im Wortinnern, teilweise durch Kontraktion behoben. So wird aus cŏ-ăgō > cōgō. Auch der schwache Hauchlaut des Lateinischen kann der Kontraktion unterliegen, etwa bei nĭhĭl > nīl. Häufiger als die Kontraktion war im Lateinischen jedoch die Synizese, also die sprachliche „Verbindung“ oder „Verschleifung“ zweier Vokale, die keinen Reflex in der Schreibung hat. So ist deindĕ (aus dē-īndĕ) zweisilbig, ĕōdĕm kann zwei- oder dreisilbig sein. Besonders die lateinische Metrik profitiert von dieser Ambivalenz. Gerade in der Dichtung macht sich auch eine Vermeidung des Hiats am Wortende bzw. Wortanfang bemerkbar. Es gibt drei Möglichkeiten zur Hiatvermeidung am Wortende: Der auslautende Vokal kann durch Synaloiphe mit dem anlautenden Vokal „verschmolzen“, also wie ein Diphthong gelesen werden bzw. durch Elision unterdrückt, also ausgelassen werden. Teilweise greift diese Regel auch am Versende, wenn die nächste Zeile mit einem vokalisch anlautenden Wort beginnt. Die dritte Möglichkeit besteht nur bei den Formen es und est der Kopula esse: Hier fällt das anlautende e der Formen weg. Dieses Phänomen mit Namen Aphärese lässt sich durch die teilweise überlieferte grafische Fixierung von Formen wie fatendumst (aus fatendum est) belegen.

Nur unter wenigen Umständen unterbleibt die Hiatvermeidung im Lateinischen: Am Versende oder vor einer Zäsur, einem Sinneinschnitt im Vers. Außerdem werden die Interjektionen ā und ō nicht elidiert. Das griechische Phänomen der Hiatkürzung, bei der der auslautende Vokal des vorangehenden Wortes nicht ausgestoßen oder verschmolzen, sondern gekürzt wird, wurde in der Kaiserzeit gelegentlich adaptiert.

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. Stichwort: „Hiat(us)“.
  2. Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin/ New York 2002, S. XXXIX. ISBN 3-11-017472-3.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Hiat – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary Wiktionary: Hiatus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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