- Höhere Töchter
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Als höhere Töchter bezeichnete man im 19. Jahrhundert junge Mädchen und Frauen aus großbürgerlichen Kreisen und aus dem weitgehend „verbürgerlichten“ Adel. Im Unterschied zu den Töchtern niederer sozialer Schichten (wie etwa dem kleinbürgerlichen bis bürgerlichen Handwerker- und Kaufmannsmilieu oder der bäuerlichen Landbevölkerung) waren „höhere Töchter“ von jeglicher Erwerbstätigkeit (wie z. B. der Mitarbeit im Familienbetrieb oder einer Dienstbotentätigkeit) freigestellt. Ihre einzige Lebensaufgabe bestand darin, eine gute Hausfrau, Gattin und Mutter zu werden. Entsprechend eindimensional gestalteten sich Erziehung und Schulbildung (s. Frauenbildung) der höheren Tochter.
Die Biographie einer höheren Tochter verlief stereotyp: Ungefähr mit dem Alter der Konfirmation fand die Schulzeit (auf einer Höheren Töchterschule oder einem Mädchenpensionat) ein Ende und die junge Frau wurde auf den Heiratsmarkt geschickt. Das bedeutete die beständige Teilnahme an diversen Kränzchen, Abendgesellschaften und Bällen, die den einzigen Zweck hatte, die Tochter unter die Haube zu bringen. Die angestrebte Heirat war zu dieser Zeit eine Mischung aus Liebes- und arrangierter Heirat. Man achtete zwar darauf, „eine gute Partie“ zu machen, also eine finanziell gewinnträchtige Eheschließung einzufädeln, legte aber auch Wert darauf, dass die Brautleute selbst eine solide Neigung für einander entwickelten (das freilich stets nur unter der Aufsicht der Erziehungspersonen).
Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte der Begriff „höhere Tochter“ oftmals eine abwertende Nebenbedeutung, die ihn auch als Schimpfwort brauchbar machte. Das entsprechende Klischee einer höheren Tochter, das sich als Witzfigur und Karikatur eignete (hierin ähnlich der „alten Jungfrau“ oder dem „ewigen Mädchen“), galt den als typisch geltenden Eigenschaften: Halbbildung, intellektuelle und praktische Unselbständigkeit, Furchtsamkeit, Frigidität und Kränklichkeit. Ein eindringliches Zeugnis vom Schicksal einer höheren Tochter in der gesellschaftlichen Umbruchszeit des Wilhelminismus, als die zeitgenössische Frauenbewegung bereits die ökonomische Selbständigkeit der Frau propagierte, gibt Gabriele Reuters Roman Aus guter Familie (1895).
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