Induktionsproblem

Induktionsproblem

Das Induktionsproblem, auch: Humesches Problem oder Hume-Problem, ist ein Grundproblem der Erkenntnistheorie. Es bezieht sich auf die Frage, ob und wann ein Schluss durch Induktion von Einzelfällen auf ein allgemeingültiges Gesetz zulässig ist. Es wurde erstmals um 1740 von David Hume angesprochen.

Obwohl das Induktionsproblem im Empirismus formuliert wurde, ist es ein Problem aller Philosophien oder Wissenschaften, die Induktionsschlüsse als Beweisverfahren zulassen. Es ist eine moderne Variante des Nominalismus, die den vernünftigen Ordnungen des Rationalismus, aber auch den auf Messungen beruhenden Verallgemeinerungen der Naturwissenschaften, eine beobachterunabhängige Realität abspricht.

Inhaltsverzeichnis

Humes Standpunkt

Das Induktionsproblem entwickelt Hume in seinem Erstlingswerk A Treatise of Human Nature (I,3,6) und in dessen Überarbeitung An Enquiry Concerning Human Understanding.

Hume stieß auf dieses Problem erstmals bei seiner Behandlung der Kausalität: Wenn ausgehend von beobachteten Ursache-Folge-Beziehungen konstante Ursache-Wirkungs-Verhältnisse angenommen und diese Annahmen als Wissen bezeichnet werden, so beruht dies nach seiner Auffassung auf 'principles' der menschlichen Natur, denen unser Denken folgt, und nicht auf einem Sachverhalt in der Welt. – Modern gesagt: musterbildende Hirnaktivitäten[1] und kognitive Verzerrungen sind die Basis für unser Urteil, keine von uns unabhängigen Tatsachen. Wir halten Ereignisse automatisch für Ursachen und Wirkungen, weil wir sie wiederholt aufeinander folgen sehen und glauben, dies sei auch in Zukunft so zu erwarten.

„Es ist aber unmöglich, daß irgendeine Erfahrung die Ähnlichkeit der Vergangenheit mit der Zukunft erweisen könnte. Mag der Gang der Dinge bislang auch noch so regelmäßig gewesen sein, so kann das allein nicht beweisen, dass es auch in Zukunft so bleiben werde.“

Ein Vorgang folge zwar dem anderen; sie seien jedoch nur verbunden (conjoined) doch nicht verknüpft (connected). Die naturnotwendige Annahme, dass ein bestimmtes Ereignis ein ganz bestimmtes folgendes Ereignis bewirke, ist also nach Hume eine Aussage über Zusammenhänge, die lediglich den 'principles' der menschlichen Natur entsprechen.

Menschliche Erkenntnis wird entweder intuitv gewonnen (dass ein Junggeselle unverheiratet ist, folgt aus dem Wortgebrauch), oder deduktiv (durch Schlussfolgerungen, z. B.: Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich) oder empirisch (durch Wahrnehmung von Wiederholungen, z. B. dass die Sonne jeden Morgen aufgeht).

Die Induktion wird als eine prinzipielle Begründungsmethode aufgefasst, die in ihrer Begründungsleistung allgemeine Gültigkeit beansprucht. Notwendige Voraussetzung für diese Methode ist die Annahme, dass sich etwas in der Zukunft so verhalten wird wie in der Vergangenheit. Damit das Induktionsprinzip zurecht allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann, muss es unmöglich sein, dass diese Voraussetzung nicht zutrifft (Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch). Die gegenteilige Annahme dieser Voraussetzung, dass die Zukunft der Vergangenheit nicht gleich sei, birgt jedoch keinen Widerspruch in sich. Sie trifft also ebenfalls zu und ist durchaus vorstellbar. Wenn aber beide Annahmen gleichermaßen möglich sind, kann die Voraussetzung, Ereignisse seien voraussehbar, unmöglich notwendig oder allgemein sein. Deshalb ist der Anspruch der Induktionsmethode auf eine allgemeingültige Begründungsleistung notwendig falsch.

Die Erkenntnisart des „moral reasoning“ bezieht sich auf Tatsachen und Erfahrung. Jede Erkenntnis dieser Art beruht auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Doch die Verbindung von Ursache und Wirkung setzt voraus, dass dies auch in Zukunft gelten wird. Was bewiesen werden soll, wird vorausgesetzt, wodurch diese Erkenntnisart ausscheidet.

Somit hat Hume gezeigt, dass es in seinem Modell menschlicher Erkenntnis keine Schlussregel gibt, die die Induktion rechtfertigt. Der Mensch komme nicht aus logischen Denkoperationen sondern aus Gewohnheit dazu, aus den bisherigen Erfahrungen auf die Zukunft zu schließen.

Kants Standpunkt

Immanuel Kant schrieb Hume das Verdienst zu, ihn mit seinen skeptischen Argumenten aus dem dogmatischen Schlummer geweckt zu haben. Das erkenntnistheoretische Hauptwerk Kants, die Kritik der reinen Vernunft behandelt die Frage, wie man trotz der von Hume aufgeworfenen Probleme zu sicherem Wissen gelangen kann. Dass solches Wissen möglich und in einigen Wissenschaften – etwa der Physik oder der Mathematik – tatsächlich vorhanden ist, stand für Kant außer Frage (vgl. Immanuel Kant: AA III, 36–39[2]). Kants Ansatz versucht dies durch eine Theorie zu erklären, die Elemente der widerstreitenden erkenntnistheoretischen Richtungen seiner Zeit vereinigt – nämlich des Rationalismus in der Tradition von Leibniz und Christian Wolff und des Empirismus in der von John Locke und Isaac Newton.

Kant unterscheidet einerseits zwischen analytischen und synthetischen Urteilen und andererseits zwischen Urteilen a priori und Urteilen a posteriori. Analytische Urteile sind sogenannte „Erläuterungsurteile“. So wird in Kants Beispiel „Alle Körper sind ausgedehnt“ nur etwas über Körper ausgesagt, was im mathematischen Begriff Körper schon enthalten ist. Mit analytischen Urteilen ist damit für Kant kein Erkenntnisgewinn verbunden. Synthetische Urteile dagegen sind „Erweiterungsurteile“, sie verknüpfen mit dem Begriff etwas, was nicht schon zuvor in ihm enthalten war, so etwa in „Alle Körper sind schwer“ - sie stellen damit, falls wahr, einen Zugewinn an Erkenntnis dar. Urteile a priori gelten unabhängig von aller Erfahrung; Urteilen, Gültigkeit aus der Erfahrung stammt, sind a posteriori. Man weiß, dass der Junggeselle unverheiratet ist, auch wenn man noch nie einen gesehen hat, aber das Wissen, wonach Wasser trinkbar ist, bedarf der Empirie, (Vgl. Immanuel Kant: AA III, 30[3]).[4], da Trinkbarkeit eine Relation zwischen biologischen Organismen und Flüssigkeiten ist, die nur festgestellt werden kann, wenn man sowohl Flüssigkeit und Organismus betrachtet.

Aus den zwei Unterscheidungen ergeben sich vier mögliche Kombinationen:

  1. analytische Urteile a priori, etwa Alle Körper sind ausgedehnt,
  2. analytische Urteile a posteriori, entfallen, weil analytische Urteile vor Erfahrung gelten (obwohl sie aus Anlass einer Erfahrung entdeckt werden können),
  3. synthetische Urteile a posteriori, etwa Wasser ist trinkbar,
  4. synthetische Urteile a priori, deren Möglichkeit fraglich ist.

Die Frage, ob und wie erfahrungsunabhängig gültige Erweiterungsurteile möglich sind, ist die Aufgabenstellung von Kants 1781 erschienenem Werk Kritik der reinen Vernunft.

Kant bejaht die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. Sie sind deshalb möglich, weil unsere Erfahrung nur in bestimmten Anschauungsformen (Raum und Zeit) und unter Kategorien (insgesamt 12, darunter auch Kausalität) stattfindet. Diese Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung haften dann allem an, was überhaupt erfahren werden kann: Nicht die Gegenstände bestimmen die Erkenntnis, sondern die Erkenntnis bestimmt die Gegenstände. Daher sind für den Bereich möglicher Erfahrung erfahrungsunabhängige Erweiterungsurteile möglich, deren Gültigkeit nicht auf Induktion sondern auf diskursiver Erkenntnis a priori beruht, so z.B. in einer Naturphilosophie, wie er sie in seinem Werk Metaphysische Anfangsgründen der Naturwissenschaft beschreibt

In der empirischen Physik sind allgemeine Gesetze damit aber auch als vernunftmäßig gebildete Hypothesen möglich, die experimentell überprüft werden können. Die Bildung der allgemeinen Aussagen beruht dabei nicht auf psychologischer Assoziation, sondern auf einer vernunftmäßigen Spekulation, die mithilfe der Einbilungskraft in vorhersagen für die Erfahrung operationalisiert werden kann. Nach Ansicht Kants ist dieses Verfahren seit Galileo Galilei in der Physik in Gebrauch, die so erst zur Wissenschaft wurde (Vgl. Immanuel Kant: AA III, 15–16[5])

Poppers Standpunkt

Der Wissenschaftsphilosoph Karl Raimund Popper (1902-1994) schließt sich Humes Ergebnis in verschiedenen Schriften (u. a. Logik der Forschung, Objektive Erkenntnis) an: Es gibt keine gültige Induktion, die zwingend von speziellen Beobachtungssätzen der Art „Dieser Schwan ist weiß“ zu der allgemeinen Aussage „Alle Schwäne sind weiß“ übergehen kann.

Die Wahrheit des Satzes „Alle Schwäne sind weiß“ kann nicht durch einzelne Beobachtungssätze des Typs „Dieser Schwan ist weiß“ bewiesen werden. Denn ein einziger beobachteter schwarzer Schwan reicht aus, um einen solchen Allsatz zu widerlegen. Es müsste also ausgeschlossen werden, dass es schwarze Schwäne überhaupt geben könnte. Zwischen Existenzsätzen („Es gibt einen weißen Schwan“), wie sie zur Beschreibung von Beobachtungen verwendet werden und den Allsätzen („Alle Schwäne sind weiß“), aus denen nach Popper wissenschaftliche Theorien bestehen, besteht hier eine Asymmetrie – Existenzsätze dagegen können als wahr erkannt werden, in dem man sie empirisch verifiziert. Für wissenschaftliche Theorien, die aus allgemeinen Aussagen bestehen, gilt das nicht: sie können nur falsifiziert werden.

Popper formuliert daher die Schritte der wissenschaftliche Methode so: Zunächst werden neue Hypothesen als Antworten auf Probleme aufgestellt. Dann wird versucht, diese durch Beobachtungen zu falsifizieren. Gelingt dies nicht, gibt es keine Garantie, dass es in der Zukunft nicht gelingen wird, aber die Theorie ist dadurch zumindest bereits falsifizierten Theorien überlegen.[6]

Neufassung und Lösungsvorschläge

Verallgemeinert wurde Humes Aussage durch den kritischen Rationalismus (Hans Albert), gemäß welchem Letztbegründungen wegen des Münchhausen-Trilemmas prinzipiell nicht möglich sind. Jeder Beweis beruht auf rational nicht begründbaren Vorannahmen.

Es gibt weitere Lösungsvorschläge zum Induktionsproblem:

  • Peter Frederick Strawson (*1919-2006) sagt, dass die Standards des induktiven Schließens selbst das sind, was mit "Rechtfertigung" gemeint ist.
  • Richard Braithwaite nimmt an (1953), dass sich die Verlässlichkeit bestimmter induktiver Schlüsse induktiv begründen lasse, indem man eine Schlussregel verwende, "deren Verlässlichkeit durch das Argument selbst erst belegt werden solle"[7], ohne dass dies ein zirkuläre Begründung sein soll.
  • Rafael Ferber sieht den außerlogischen "Rechtsgrund" für die Vernünftigkeit von Induktionsschlüssen in einer "hypothetischen Forderung der praktischen Vernunft": das Induktionsprinzip sei "eine natürliche und berechtigte Forderung der praktischen Vernunft". Ein Induktionsverbot "käme einer Aufforderung zum Selbstmord gleich."[8]

Verweise

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • David Hume: A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into Moral Subjects. (deutsch: Ein Traktat über die menschliche Natur, 1739-40)
  • David Hume: An Enquiry Concerning Human Understanding. (deutsch: Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes, 1748)
  • David Hume: An Enquiry concerning the Principles of Morals. (deutsch: Eine Untersuchung der Grundlagen der Moral). Hrsg. v. Karl Hepfer. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002. ISBN 978-3-525-30601-7.
  • Hans Michael Baumgartner: Kants „Kritik der reinen Vernunft“ Anleitung zur Lektüre. Verlag Karl Alber, 1996 ISBN 3-495-47638-5.
  • Alan Francis Chalmers: Wege der Wissenschaft. Springer, 2008 ISBN 978-3-540-49490-4.
  • Wolfgang Stegmüller: Das Problem der Induktion: Humes Herausforderung und moderne Antworten. Wiss. Buchges., Darmstadt 1996, ISBN 3-534-07011-9.
  • Jean George Pierre Nicod: The logical problem of induction. In Foundations of Geometry and Induction. Routledge & Kegan Paul, 1930
  • David Stove: Probability and Hume's Inductive Scepticism. Clarendon Press, Oxford 1973.
  • David Stove: The Rationality of Induction. Clarendon Press, Oxford 1986.
  • Torstens Wilholt: Induktion. In: Jordan/Nimtz (Hrsg.): Lexikon Philosophie. Hundert Grundbegriffe. Reclam, Stuttgart 2009, S. 139-141.

Nachweise

  1. Manfred Spitzer: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg 2009, u.a. S.59 - 78.
  2. Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA III, 36–39 / KrV B 14-19.
  3. Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA III, 30 / KrV A8/B6.
  4. Baumgartner, Hans Michael, Kants "Kritik der reinen Vernunft". Anleitung zur Lektüre, 30-34
  5. Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA III, 15–16 / KrVB xiii-xiv.
  6. Chalmers, Alan F., Wege der Wissenschaft , 50-62.
  7. Wilholt, Torsten: Induktion. In: Jordan/Nimtz (Hrsg.): Lexikon Philosophie. Hundert Grundbegriffe. Reclam, Stuttgart 2009, S. 139 /141).
  8. Ferber, Rafael: Philosophische Grundbegriffe. - 6. Auflage. - Beck: München 1999, S. 69, 73, 71.

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