Irreversible Vorgänge

Irreversible Vorgänge
Darstellung eines irreversiblen Prozesses: Wilhelm Busch machte durch Einfügung eines Zwischenschrittes die Unmöglichkeit einer Umkehrung der Zerstörung besonders deutlich: Eine zufällige Strukturbildung (auch noch mit extrem niedriger Auftrittswahrscheinlichkeit) bringt noch einmal die Umrisse von Max und Moritz hervor. Die Struktur ist aber schon recht weit vom Originalzustand entfernt. Zum Schluss finden selbst die grobkörnigen Reinkarnationen der frechen Brüder unwiederbringlich ihr Ende in der Ente.

Irreversibilität (lat. Irreversum) bedeutet Nichtumkehrbarkeit bzw. Unumkehrbarkeit. Das Wort wird in verschiedenen Fachsprachen verwendet und ist das Gegenteil des Begriffes Reversibilität.

Inhaltsverzeichnis

In der Physik

Ein physikalischer Prozess ist irreversibel, wenn er nicht umkehrbar ist. Als Beispiel diene ein Glas, welches von einem Tisch auf den Boden fällt und zerspringt. Nach Rudolf Clausius ist dieser Prozess irreversibel, da er nicht spontan in umgekehrter Richtung ablaufen kann. In der Tat ist noch nie beobachtet worden, wie die Splitter eines Glases sich spontan wieder zusammensetzten und das neu entstandene Glas auf einen Tisch sprang.

Diese Definition ist jedoch noch unvollständig, was zuerst Max Planck erkannte. Um den Planck’schen Irreversibilitätsbegriff zu illustrieren, stellen wir uns vor, dass das zersprungene Glas eingeschmolzen wird, ein neues Glas entsteht, welches dann auf den Tisch gestellt wird. Nun ist offensichtlich der Ausgangszustand (Glas auf dem Tisch) wiederhergestellt worden, nur auf eine andere Art und Weise. Während des Schmelzens und Formen des Glases haben jedoch zusätzliche irreversible Prozesse stattgefunden; der Versuch, einen irreversiblen Prozess rückgängig zu machen, hat also seinerseits eine tiefe Spur der Irreversibilität in der Umgebung zurückgelassen.

Eine gute Definition der Irreversibilität ist also die folgende: Es gibt keine Möglichkeit, einen irreversiblen Prozess auf irgendeine Art und Weise rückgängig zu machen, und gleichzeitig alle dafür benutzten Hilfsmittel (falls es solche Hilfsmittel gibt) wieder in ihren Ausgangszustand zurückzuversetzen.

Diese Planck’sche Formulierung der Irreversibilität ist wesentlich stärker als die von Clausius, da alle Freiheiten und jedes Mittel bei der Umkehrung eines Prozesse eingesetzt werden dürfen. Wenn man davon ausgeht, dass es bestimmte irreversible Prozesse in der Natur auf jeden Fall gibt, wie die Umwandlung von mechanischer Arbeit in Wärme (z. B. durch Reibung), ist es möglich zu zeigen, dass thermodynamische Zustände eine natürliche Ordnung in Bezug auf ihre zeitliche (irreversible) Abfolge besitzen. Diese Ordnung kann für Gleichgewichtszustände durch ein Maß, die thermodynamische Entropie, ausgedrückt werden.

Ausgehend vom Irreversibilitätsbegriff können die Gesetze der Thermodynamik abgeleitet werden – die Thermodynamik wird zu einer Theorie der Irreversibilität. Diesen Zugang bezeichnet man als axiomatische Thermodynamik. Max Planck und Max Born förderten die Weiterentwicklung dieses Ansatzes durch Constantin Carathéodory. Ebenfalls auf diesem Gebiet arbeiten R. Giles und Peter T. Landsberg.

Bemerkenswert ist, dass der Entropiebegriff der axiomatischen Thermodynamik weder eine statistische Interpretation noch die Argumentation mit Hilfe reversibler Kreisprozesse (siehe Carnot-Prozess) benötigt. Auch in neuerer Zeit werden immer wieder Arbeiten publiziert, die diese Interpretation der Entropie vertiefen. Hinsichtlich der Ursachen der Irreversibilität thermodynamischer Makrozustände muss jedoch auf die ihnen zugrunde liegenden Mikrozustände zurückgegriffen werden, deren Auswirkungen im Makrobereich nur mit Hilfe der Statistik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung beschreibbar sind[1].

In der Entwicklung

Weitgehend irreversibel sind Anlagen, Vorgänge der somatischen Konstitution, der Sinnestüchtigkeit, des Temperaments und der Reifungsprozesse. Sie sind Teile der inneren Bedingungen der Entwicklung eines Menschen. Die Entwicklung eines Lebewesens strebt unter normalen Voraussetzungen vorwärts. Sie ist durch Hemmungen störbar, kann aber nicht im rückläufigen Sinne erfolgen. Das gilt auch unter anderem für den menschlichen Lebenslauf.

In der Medizin

In der Medizin werden nicht wieder heilbare Schäden durch Krankheit oder Verletzungen als irreversibel bezeichnet.

In der Landwirtschaft

In der Landwirtschaft werden nicht wieder heilbare Schäden am fruchtbarem Ackerboden sowie Krankheiten und Schädigungen an Nutzpflanzen und Nutztieren, die nicht mehr geheilt werden können und zum vorzeitigen Tode der Lebenwesen führen, als irreversibel bezeichnet.

In der Wirtschaft

Die Korrekturkräfte des Marktes und seine Möglichkeiten zur Selbstregulation durch die „unsichtbare Hand“ werden durch Irreversibilität[2] beschränkt. Werden in einem Markt als System von den Marktteilnehmern Prozesse als Marktversagen definiert, die im geschlossenen System irreversibel sind und wurden Arten solchen Marktversagens definiert, die uneingeschränkt korrigierbar sein müssen oder angesichts ihrer Unumkehrbarkeit zu vermeiden sind, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit, das geschlossene System für marktfremde Interventionen zu öffnen. Jedoch lassen sich in der Praxis auch im offenen System Schäden, die auch nach marktwirtschaftlicher Definition Schäden sind, nicht immer umkehren.

In der Chemie

In der Chemie bezeichnet man Reaktionen, die isoliert nicht umkehrbar sind, als irreversibel. Z.B. verbinden sich Kohlenstoff und Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid.

In der Justiz

Die Todesstrafe ist unumkehrbar. In vielen Ländern gilt, dass die Möglichkeit von Justizirrtümern ein wichtiger Grund für die Ablehnung der Todesstrafe sei. Die Wirkung von Zeitstrafen ist angesichts der Unumkehrbarkeit der Zeit ebenfalls irreversibel, aber es kann der Versuch unternommen werden, das im Fall eines Irrtums mit finanziellen Mitteln zu kompensieren. Eine perfekte Behebung eines durch Fehler verursachten Schadens ist auch hier nicht möglich.

In der Kryptologie

Einige kryptographische Verfahren zielen auf praktische Unumkehrbarkeit. Das ist eine Umkehrbarkeit, die mit praktischen Mitteln nicht erreichbar und darum höchst unwahrscheinlich ist. Beispiele sind asymmetrische Verschlüsselungsverfahren und Hash-Funktionen. Ein klassische Methode ist das Anagrammieren.



Quellen

  1. Arieh Ben-Naim: A Farewell To Entropy, 2008, ISBN 978-981-270-707-9
  2. Niklas Luhmann nimmt mit dem Begriff „zeitliche Asymmetrie“ Bezug zur Irreversibilität: „Die 'invisible hand' hatte, schon im 17. Jahrhundert, eine Fortschrittsgarantie symbolisiert. Nachdem sie zunehmend unter Arthrose zu leiden begann, übernahm das Desiderat des wirtschaftlichen Wachstums selbst diese Funktion. Man gab die Annahme einer Mengenkonstanz auf, um durch die Art der Allokation ein Mengenwachstum zu produzieren und zugleich diejenigen, die dabei zu kurz kommen, abfinden zu können. Den Politikern und der öffentlichen Meinung wird folglich suggeriert, Wirtschaftswachstum sei notwendig, sei eine Bedingung gesellschaftlicher Stabilität. - Das ist sicher eine sehr eindrucksvolle und nicht unrealistische Entparadoxierung des Systems, die mit zeitlicher Asymmetrie spekuliert. Dennoch könnte man sich, und sei es nur vorsorglich, um andere Möglichkeiten kümmern für den Fall, dass diese ausfällt wegen ihrer 'Externen Kosten' oder ihrer ökologischen Folgen.“ (Die Wirtschaft der Gesellschaft, 1988, Kapitel 3, IV.)

Literatur

  • Christian Bourion: Emotional Logic and Decision Making: The Interface Between Professional Upheaval and Personal Evolution, 2004, ISBN 978-1-4039-4508-2. Original: La logique emotionnelle, 2. Ausgabe 2001, ISBN 978-2-7472-0236-7; Der Autor stellt (auf S. 42) das Kapitel Les situations irréversibles (S. 257-300) als das wichtigste Kapitel seines Buches dar.
  • Richard Hule: Irreversibilität in der Ökonomie, 2000, ISBN 978-3-631-36788-9
  • Thomas A. Moore: Some Processes Are Irreversible: Statistical Physics („Unit T“ aus der Serie Six Ideas That Shaped Physics), 1999, ISBN 978-0-07-043056-3
  • Nicholas Georgescu-Roegen: The Entropy and the Economic Process, 1971/1999, ISBN 978-1-58348-600-9 (Unumkehrbarkeit in der Wirtschaft: S. 11, 196-200, 321, 338)

Weblinks


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