- Ius de non appellando
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Vor allem aufgrund der Rezeption des römischen Rechts wurde im mittelalterlichen Römisch-deutschen Reich das Rechtsinstitut der Appellation gebräuchlich. Das heißt, wenn eine Prozesspartei in erster Instanz vor einem Gericht unterlag, konnte sie an ein höheres Gericht "appellieren" und eine dortige Prüfung des vorinstanzlichen Urteils erreichen (im heutigen Sprachgebrauch heißt dies: "Berufung einlegen"). Der Römisch-deutsche Kaiser bzw. der Deutsche König war im Mittelalter der oberste Gerichtsherr, von dem alle Gerichtsbarkeit ausging. An ihn konnte in letzter Instanz appelliert werden.
Der Kaiser / König konnte aber auch entsagen, letzte gerichtliche Instanz zu sein. Dies tat er nicht durch allgemeinen Ausspruch, sondern er verlieh ganz bestimmten, ausgesuchten Fürsten, Grafen oder Reichsstädten das Privilegium de non appellando (auch "Appellationsprivileg"). Dieses Privileg verlieh das Ius de non appellando. Das heißt, die privilegierten Fürsten, Grafen oder Reichsstädte hatten dann das Recht, ihren Untertanen zu untersagen, an den Kaiser / König letztinstanzlich zu appellieren. In diesem Fall waren dann die Obergerichte der Fürsten, Grafen oder Reichsstädte die letzte Gerichtsinstanz. Aufgrund dessen war auch eine wichtige Voraussetzung für die Erlangung eines Privilegium de non appellando, dass der Privilegierte in seinem Territorium einen gerichtlichen Instanzenzug eingerichtet hatte.
Es gab verschiedene Arten von Privilegia de non appellando. Die wichtigste Unterscheidung war die zwischen einem Privilegium limitatum und illimitatum. Ein Privilegium illimitatum gab das Recht, jegliche Appellation von Untertanen aus einer bestimmten Landesherrschaft an den Kaiser / König zu untersagen. Ein Privilegium limitatum hingegen gab lediglich das Recht, Appellationen von Untertanen unter bestimmten Voraussetzungen zu untersagen. So konnten beispielsweise in einem Privilegium limitatum zusätzliche Förmlichkeiten vorgesehen werden (z.B. konnte Untertanen abverlangt werden, vor Einlegung einer Appellation bestimmte Eide zu schwören). Auch konnte die Appellation nur bei bestimmten Streitgegenständen untersagt werden oder die Appellation wurde untersagt, wenn der Rechtsstreit nicht um einen gewissen Geldwert ("Appellationssumme") ging. Es gab also einigen Gestaltungsspielraum für den Inhalt eines solchen Privilegium limitatum.
Je weitgehender ein Privilegium de non appellando Appellationen von Untertanen aus den landesherrlichen Territorien untersagte, desto besser konnte ein Landesherr seine eigene Gerichtsbarkeit ausbauen und seine eigene Herrschaft in seinem Territorium festigen - zulasten der Gerichtshoheit des Kaisers. Oft wurde auch noch ein Privilegium de non evocando verliehen. In der Frühen Neuzeit wurden von den Deutschen Kaisern sehr viele und zunehmend weitreichendere Privilegia de non appellando an die Reichsstände verliehen. Damit beförderten die Kaiser auf der einen Seite landesherrliche Macht und Partikularismus, auf der anderen Seite banden die Kaiser mit der Privilegienverleihung die jeweiligen Reichsstände an das Reich. Denn in der Regel musste ein Privilegium de non appellando von jedem Kaiser, der den Thron bestieg, neu bestätigt werden. Dazu wurden Treueeide von Seiten der Reichsstände gegenüber dem Kaiser nötig. Auch ließ sich der Kaiser die Privilegienvergabe von den Reichsständen gut bezahlen. Er schaffte sich auf diese Weise nicht unbedeutende Einnahmen.
Mit der Verleihung eines solchen Privilegs hatte der Landesherr zunächst nur ein subjektiv wirkendes Recht erworben. Dieses musste er noch zur allgemeinen Anwendung bringen - und zwar wie folgt:Der Landesherr erließ innerhalb seines Territoriums ein Gesetz, das Appellationen an den Kaiser und seine Höchstgerichte verbot. Die territorialen Gerichte achteten dann auf die Einhaltung dieses Gesetzes. Denn prinzipiell musste man damals eine Appellation gegen ein Urteil bei dem Gericht einlegen, das das angegriffene Urteil erlassen hatte (iudex a quo). Dieses Gericht musste dann die Appellation an das höhere Gericht (iudex ad quem) zulassen. Bestand ein landesherrliches Gesetz, das auf Grundlage eines Privilegium de non appellando die Appellation an den Kaiser verbot, dann ließen die landesherrlichen Gerichte die Appellation an den Kaiser auch nicht zu.
Wenn ein Untertan unter Umgehung des iudex a quo eine Appellation direkt beim Kaiser oder seinen Höchstgerichten einlegte, konnte sich sein Prozessgegner auf das Privilegium de non appellando des Landesherren berufen. Auch war es möglich, dass der Landesherr selbst in seinem eigenen Interesse vor dem kaiserlichen Gericht vortragen ließ, er habe ein Appellationsprivileg. Die Geltung dieses Privilegs wurde dann durch Vorlage des Originals oder einer beglaubigten Abschrift bewiesen. Gelang der Beweis, dann nahmen der Kaiser und seine Höchstgerichte den Appellationsprozess nicht zur Entscheidung an. Viele Landesherren hinterlegten bei den kaiserlichen Höchstgerichten ihre Appellationsprivilegien in förmlicher Weise (Insinuation). Dadurch wurde ihnen in zukünftigen Prozessen die Beweisführung erleichtert.
In zeitlicher Hinsicht war im Mittelalter die Goldene Bulle ein wichtiger Markstein. Sie hatte schon im 14. Jahrhundert allen Kurfürsten das Privilegium de non appellando illimitatum zugestanden. In späterer Zeit, vor allem in der Frühen Neuzeit nach Schaffung einer ständigen kaiserlichen Rechtsprechung durch das Reichskammergericht und den Reichshofrat, erwirkten immer mehr Reichsstände die Appellationsprivilegien - zumeist erst begrenzte Appellationsprivilegien, die im Verlauf der Zeit immer weiter ausgebaut und zum Teil auch zu unbegrenzten Appellationsprivilegien wurden. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts hatten sich fast alle größeren Reichsstände Privilegia illimitata gesichert. Sie entzogen ihre Territorien damit weitgehend der kaiserlichen Jurisdiktion.Literatur
- Ulrich Eisenhardt: Die Rechtswirkungen der in der Goldenen Bulle genannten privilegia de non evocando et appellando, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 86 (1969), S. 75-96.
- Ulrich: Eisenhardt: Die kaiserlichen Privilegia de non appellando, Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 7, Köln/ Wien 1980. - Nach einer gelungenen, umfangreicheren Einleitung werden von Eisenhardt alle Privilegia de non appellando aufgelistet, die es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gegeben hat. Wichtige Appellationsprivilegien werden sogar im genauen Wortlaut wiedergegeben.
- Jürgen Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 4, Köln/Wien 1976. - Zeigt die politische Dimension von Appellationsprivilegien.
- Bettina Dick: Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555, Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10, Köln/ Wien 1981, S. 69. - Zum Prozessrecht am Reichskammergericht.
- Dölemeyer, Barbara/ Mohnhaupt, Heinz (Hg.): Das Privileg im europäischen Vergleich, Frankfurt 1999.
- Heinz Mohnhaupt: Untersuchungen zum Verhältnis Privileg und Kodifikation im 18. und 19. Jahrhundert, in Ius commune 5 (1975), S. 71 ff. online (pdf, 7 MB)
- A. Amend, A. Baumann, S. Wendehorst, S. Wunderlich (Hg.): Gerichtslandschaft Altes Reich. Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung, Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 52, Köln/ Weimar/ Wien 2007 - Beiträge zum bayerischen Privilegium de non appellando, S. 46 f., konkretes Beispiel zur Diskussion um seine Reichweite am Reichskammergericht S. 93, 101, 103, 105 f.
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