Rezeption des römischen Rechts

Rezeption des römischen Rechts

Mit der Rezeption des römischen Rechts ist der Vorgang gemeint, der schließlich zur Anerkennung des Corpus Iuris Civilis als im Heiligen Römischen Reich geltenden Reichsrecht geführt hat.

Die Rezeption minderte den bestehenden Charakter des Rechts als bloßes Instrument der Interessendurchsetzung, indem sie logische und nachvollziehbare juristische Formen schuf und so das Recht befähigte, als fachjuristischer Konfliktlösungsmechanismus zu wirken.

Obgleich dem römischen Recht stets nur subsidiäre Bedeutung zukam („Landesrecht bricht Reichsrecht“), war sein auf seiner unangreifbaren Autorität beruhendes faktisches Übergewicht so groß, dass es in der frühen Neuzeit das partikuläre deutsche Recht in der Rechtspraxis sehr weitgehend und in der Rechtstheorie fast vollständig verdrängen konnte. Dennoch umfasst der Prozess der Rezeption mehrere Jahrhunderte.

Als wichtigstes gemeinrechtlich-nationales Rechtssystem entwickelte sich das Ius Romano-Germanicum, das Römisch-Deutsche Recht.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Die historische Situation des Rechts vor Beginn der Rezeption war geprägt von Partikularismus als Folge des Untergangs Westroms im Jahre 476 (siehe auch Spätantike). Dieser hatte das in der Zeit des Niedergangs bereits vulgarisierte römische Recht im italienischen Kernbereich außer Geltung gesetzt. Während der Übergangsphase von der Spätantike zum Frühmittelalter (5. bis. 8. Jahrhundert) entstanden Germanische Stammesrechte, in denen mit wechselndem Gewicht germanische, römische und christliche Rechtsvorstellungen verschmolzen. Die folgenden, von einem weitgehenden Verfall der Schriftkultur gekennzeichneten Jahrhunderte ließen die Kenntnis um die originalen antiken Rechtsquellen im Westen weitgehend verschwinden. Dieser Zeitraum wird deshalb bisweilen als „dunkle Jahrhunderte“ bezeichnet.

Theoretische Rezeption

Im 12. Jahrhundert herrschte eine allgemeine wissenschaftliche Aufbruchsstimmung, die eine Wiederbefassung mit klassischen Quellen begünstigte. Die Entdeckung eines Textes der beinahe in Vergessenheit geratenen Digesten (Littera Florentina) um 1070 gab den Anstoß zu einer Rechtswissenschaft, die sich wieder mit dem römischen Recht beschäftigte, die nachfolgenden frühmittelalterlichen Rechtsaufzeichnungen als leges barbarorum („Barbarengesetze“) abtat und einen theoretischen Umschwung im Recht leistete. Insbesondere der Bologneser Rechtsunterricht auf Grundlage der antiken Quellen, den wahrscheinlich Irnerius einführte, muss in diesem Zusammenhang Erwähnung finden, kann er doch als Geburtsstunde fachjuristischer Ausbildung im Mittelalter gelten.

Die Pandekten erreichten große Bedeutung in der sich erneuernden Rechtswissenschaft. Sie wurden als ratio scripta, also geschriebene Vernunft, angesehen, und nahmen einen Status ein, der dem der Bibel in der Theologie gleichkam. Dieses lässt sich leichthin mit der damaligen Vorstellung von der Herkunft des Rechts erklären. Anders als heute, war das Recht keineswegs eine Materie, deren Schaffung Sterblichen oblag. Recht wurde gemeinhin als „gottgegeben“ betrachtet (Naturrecht). Die Aufgabe bestand also nicht darin, Menschenrecht zu schaffen, sondern das göttliche Recht zu erkennen und zu weisen. Sich hierbei auf tradierte Quellen berufen zu können, hieß in etwa, dass man das „Althergebrachte“ zur Argumentation zuzog - das Recht also, das schon von den Vorfahren erkannt und gewiesen worden war. Das brachte den Pandekten den Status der ratio scripta ein. Juristische Prüfungen bestanden dementsprechend in der Exegese von Texten des römischen Rechts.

Im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts breitete sich die römische Rechtswissenschaft in ganz Ober-und Unteritalien und bis nach Südfrankreich aus. Nach scholastischer Sitte fand die Bearbeitung der Rechtstexte durch kommentierende Randbemerkungen (Glossen) statt. Man spricht daher auch von der Glossatorenzeit. End- und Höhepunkt dieser Bearbeitung war die Glossierung des Accursius, die eine eigene Rechtsverbindlichkeit erhält.

Die Neugründung von Universitäten unterstützte die Ausbreitung des Rechtsunterrichts, so auch im Reich: Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386).

Praktische Rezeption

Die im römischen Recht gebildeten Juristen fanden in erster Linie in den Verwaltungen Verwendung, da die eigentliche Rechtsprechung weiterhin in den Händen von Laienrichtern lag. Die verschiedenen Regionalrechte blieben weiterhin als Statutalrechte verbindlich, während das römische Recht nachrangig dazutrat („Landesrecht bricht Reichsrecht“).

In der Rechtswirklichkeit kam es zu einer „osmotischen“ Durchdringung des Alltagsrechts durch römische Rechtsbegriffe (wie etwa die Bona fides), die in den Sprachgebrauch der Fachjuristen Eingang fanden.

Wichtig für das Fortschreiten der praktischen Rezeption war ferner die Popularisierung des rezipierten Rechts durch leicht verständliche, deutschsprachige Rechtsbücher römisch-rechtlichen Inhalts, so namentlich und zuerst den Klagspiegel des Conrad Heyden (um 1436), sowie im 16. Jahrhundert u.a. Ulrich Tenglers Laienspiegel und Justin Goblers Rechtenspiegel. Derartige Schriften förderten das Eindringen des römischen Rechts auch in die unteren Ebenen der Rechtspraxis, die zu dieser Zeit noch weitgehend von Nichtjuristen geprägt waren. Mittelbare Folge war eine verstärkte Verrechtlichung des Alltagslebens.

Ähnliche Vorgänge der praktischen Rezeption fanden in weiten Teilen Kontinentaleuropas statt. Nur England beschritt einen Sonderweg: da hier bereits eine formalisierte Juristenausbildung institutionalisiert war, die aber an den Universitäten vorbeiging, erreichte das akademische Recht die Praxis nicht.

Für die Rezeption haben natürlich auch politische Faktoren eine Rolle gespielt. Da gab es die besonders in der Stauferzeit starke Bestrebung, ein einigendes „Kaiserrecht“ einzuführen, wofür das römische Recht als geeignet angesehen wurde.

Zur Festigung des Reiches wurde ab 1495 das Reichskammergericht (RKG) eingesetzt. Das Reichskammergericht beschäftigte auch ausgebildete Juristen und rekurrierte hauptsächlich auf das „reichsgemeine Recht“, also das Ius Civile. In so genannten „Untertanenprozessen“, aber besonders durch seine Apellationsmacht (vgl. Ius de non appellando) konnte das Gericht seine Rechtsprechung und damit römisches Recht auf die Einzelstaaten (Stände) wirken lassen. Die Spruchpraxis des Reichskammergerichts in Bauernprozessen wurde in einer umfangreichen Bauernrechtsliteratur verfügbar gemacht. Insgesamt kann das Reichskammergericht als bedeutendste Instanz der praktischen Rezeption des römischen Rechts auf Reichsebene gesehen werden. Eine zweite Wirkung des RKG beschleunigte die Rezeption ebenfalls. Um als Landesherr das privilegium de non appellando vom Kaiser verliehen zu bekommen, also das Recht, seine Rechtsstreitigkeiten vom Reichskammergericht fernzuhalten, mussten akademisch gebildete Juristen als oberste Richter eingesetzt werden, die hauptsächlich römisches Recht studiert hatten. So fand das gemeine Recht auch auf Landesebene zu größerer Macht, da es zur Schließung partikularrechtlicher Lücken und Auslegungsfragen stets herangezogen wurde.

Ihren Höhepunkt in Wissenschaft und Praxis fand die Rezeption im Alten Reich im usus modernus pandectarum.

Auf der Ebene der Einzelstaaten fand das römische Recht Verwendung im Rahmen der Neukodifizierung der alten Partikularrechte. Im Ergebnis wurde es mit den gewachsenen lokalen Rechtsformen verschmolzen, so in den Stadtrechten der Hanse, aber auch in den Landrechten der Territorialstaaten (sog. Stadt- und Landrechtsreformationen). Aus der Romanisierung entstanden so Mischrechte.

Historisches Nachspiel

Die letzten Auswirkungen der Rezeption äußerten sich in Deutschland in jener Entwicklung, die letztendlich zur Kodifikation des BGB führten, nämlich die im 19. Jahrhundert auf Anregung Friedrich Carl von Savignys stattfindende historische Erneuerung, die eine Neubefassung mit den römischen Rechtsquellen forderte, auf deren Grundlage ein allgemeines deutsches bürgerliches Recht entstehen sollte (Pandektenwissenschaft).

Siehe auch


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