Johannes Ghiselin

Johannes Ghiselin

Johannes Ghiselin alias Verbonnet (auch Verbonetto, Barboneto) (* um 1455 in der Picardie; † zwischen 1507 und 1511, wahrscheinlich in Flandern) war ein franko-flämischer Komponist und Sänger.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ghiselin wurde wahrscheinlich um 1455 in der Picardie geboren. Vielleicht spielt sein Zuname Verbonnet auf den bislang nicht identifizierten Geburtsort an.

Über seine Ausbildung und frühen Jahre ist nichts bekannt. Womöglich stand er in irgendeiner Beziehung zur burgundischen Hofkapelle. Darauf deutet das Chanson Je l’ay empris, das die Devise Karls des Kühnen († 1477) zitiert. Dieses Chanson hat Ghiselin in der Missa De les armes als Christe verwendet.

Dokumentarisch wird Ghiselin zum ersten Male in Ferrara fassbar. Hier diente er in der Hofkapelle des musikbegeisterten Herzogs Ercole I. d’Este († 1505). In einem am 10. Juli 1491 in Reggio verfassten Brief wandte Ghiselin, der sicherlich schon einige Jahre zur familia des Herzogs gehörte, sich an den Herzog mit der Bitte um ein Benefizium in Rubiera für seinen kleinen Sohn Hercules:

„[...] da ich, weil verheiratet, für [ein solch ein Benefizium] nicht berechtigt sein würde, ersuche ich Euer Exzellenz zu beruhen, mit diesem meinem kleinen Sohn Hercules zu versorgen, damit er dem Weg der Tugend dank Euer Hoheit folgen kann.“

Unbekannt ist, ob Ghiselin mit dieser Petition Erfolg gehabt hat. Im selben Jahr sandte Isabella d’Este ihn mit dem Auftrag nach Frankreich, dort zwei junge Sänger für die Hofkapelle zu gewinnen. Bald nach seiner Rückkehr verließ Ghiselin Ferrara.

Seit Oktober 1492 war Ghiselin Sänger in Florenz. Er sang am Baptisterium San Giovanni, an der Kathedrale und an Sta. Annunziata. Als die Kapelle im März 1493 aufgelöst wurde, verlor Ghiselin seine Stellung. Er wurde, da er Schulden an einen gewissen Bonaventura di Mostro aus Ferrara nicht zurückzahlen konnte, inhaftiert und erst dank Ercoles Einspruch im April 1493 auf freien Fuß gesetzt.

In der Folgezeit muss er Mitglied der französischen Hofkapelle geworden sein. Dafür spricht, dass Ghiselin ein 1493 anlässlich der erzwungenen Rückkehr der Margarethe von Österreich von Paris nach Brüssel entstandenes Gedicht von Octovien de Saint-Gelais vertont hat, weiterhin Crétins Deploration auf den Tod Johannes Ockeghems († 1497), in welcher Ghiselin in einer Reihe mit Alexander Agricola und Johannes Prioris, Komponisten der französischen Hofkapelle, genannt wird, und schließlich der erst kürzlich entdeckte Umstand, dass Ghiselin und Alexander Agricola, der nachweislich aus Frankreich anreiste, sich im Februar und März 1494 in Neapel gemeinsam am Hof Alfons II., der seit Anfang des Jahres regierte, aufgehalten haben.

In einem Brief vom 21. Juli 1501 nannte Ferraras Botschafter am französischen Hof, de Cavalieri, Ghiselin einen Sänger des französischen Königs. Gleichwohl unterhielt Ghiselin bis zum Tod Ercoles gute Beziehung nach Ferrara und wirkte als musikalischer Agent des Herzogs in Frankreich. Er übergab dem Ferraneser Botschafter 1501 z. B. verschiedene Kompositionen, darunter auch eine von Josquin Desprez, die vom Botschafter mit einem Brief vom 25. September 1501 nach Ferrara geschickt wurden. Als Josquin Desprez auf das Angebot des Herzogs einging, maestro di cappella der Hofkapelle in Ferrara zu werden, erhielt Ghiselin den Auftrag, Josquin Desprez von Frankreich nach Ferrara zu begleiten. Am 12. April 1503 berichtete Mantuas Botschafter am französischen Hof, dass Josquin und Ghiselin, aus Paris in einem prächtigen Wagen gekommen, Lyon erreicht und die Nacht in seinem Hause verbracht hätten. Aus neueren Dokumenten geht jedoch hervor, dass Ghiselin Josquin nicht bis nach Ferrara begleitet hat.

1503 erschienen Messen Ghiselins in einem Druck Petruccis. Diese Ehre wurde Ghiselin als zweitem Komponisten nach Josquin Desprez zuteil.

Als Josquin Desprez im Frühjahr 1504 Ferrara verließ und Jacob Obrecht für den Posten des maesttro di cappella gewonnen werden konnte, war es, nach Briefen zu schließen, wahrscheinlich wieder Ghiselin, der Obrecht im Herbst 1504 auf seiner Reise aus dem Norden begleitete. Wie lange Ghiselin in Ferrara blieb, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich floh er vor der Pest in die Niederlande. Obrecht aber blieb in Ferrara und starb.

1507 ist Ghiselin als Sänger der Gilde Onze Lieve Vrouwe in Bergen op Zoom nachweisbar. Aus dem Dokument geht hervor, dass er sich mindestens ein Jahr dort aufgehalten hat. Da die Rechnungen der folgenden Jahre nicht erhalten sind und er 1511 nicht mehr in den Rechnungen erscheint, ist er vermutlich zwischen 1507 und 1511 gestorben.

Das Werk

Messen

  1. Missa La belle se siet;
  2. Missa De les armes;
  3. Missa N’arayge;
  4. Missa Gracieuse;
  5. Missa Je nay dueul;
  6. Missa Le renvoy (nur Tenor und Bass erhalten);
  7. Missa Ghy syt die wertste boven al;
  8. Missa Joye me fuyt (nur Sanctus und Agnus Dei erhalten).

Motetten

Chanson-Motetten

  1. Anima mea liquefacta est I, 3v;
  2. Favus distellans, 3v (ohne Text überliefert);
  3. Miserere, Domine /In patientia, 3v;
  4. O florens rosa, 3v.

Choralbearbeitungen

  1. Ad te suspiramus, 2v;
  2. Anima mea liquefacta est II, 4v;
  3. Maria virgo semper laetare, 4v;
  4. Salve Regina, 4v.

Tenor-Motetten

  1. Inviolata, integra et casta, 4v;
  2. Regina coeli laetare, 4v.

Freie Motetten

  1. Ave Domina, sancta Maria, 4v;
  2. O gloriosa Domina, 4v.

Weltliches

  1. A vous madame, 3v;
  2. Carmen in sol, 3v;
  3. De che te pasci amore, 3v;
  4. De tous biens playne, 3v;
  5. Dulces exuviae, Text: Vergil, Aeneis IV, 651-654 4v;
  6. Een frouwelic wesen, 3v;
  7. Fors seulement 3vv (2 Vertonungen);
  8. Ghy syt die wertste, 4v;
  9. Helas hic moet my liden, 3v;
  10. J’ayme bien mon amy, 3v;
  11. Je l’ay empris, 3v;
  12. Je loe amours, 3v;
  13. Je suis treffort, 3v;
  14. L’Alfonsina, 3v (Ferrara, vor 1491);
  15. Las me lares vous donc, 3v;
  16. La Spagna, 4v;
  17. Le cueur le syuit, 3vv (nach 1493, Text: Octovien de Saint-Gelais);
  18. Rendez le moy mon cueur, 3v;
  19. Si jay requis, 3v;
  20. Wet ghy wat mynder jonghen herten dert, 3v;
  21. Vostre a jamays, 3vv.

Literatur


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