Judenräte

Judenräte

Ein Judenrat war eine von den Nationalsozialisten angeordnete Körperschaft der Juden in von Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten Osteuropas, Frankreichs, Belgiens und den Niederlanden. Struktur und Aufgaben der Judenräte waren verschieden, je nachdem ob sie für ein einzelnes Ghetto, ein Lager, eine Region oder ein besetztes Land eingesetzt wurden. Sie reichten von Ausführung antijüdischer Maßnahmen über eine eng begrenzte Selbstverwaltung bis zu einer gewissen Interessenvertretung gegenüber den Besatzern.

Inhaltsverzeichnis

Polen

Die ersten Judenräte entstanden auf Befehl von Reinhard Heydrich seit dem 21. September 1939 kurz nach dem Polenfeldzug. Sie sollten die antijüdischen Maßnahmen der Besatzer im westlichen und mittleren Teil des Landes durchsetzen und hatten keine eigenen Machtbefugnisse. Sie sollten sich möglichst aus Rabbinern und anderen einflussreichen Mitgliedern bestehender jüdischer Gemeinden zusammensetzen, damit diese ihre Anweisungen unter deutscher Kontrolle befolgen würden. Zugleich sollte diese Einbindung die Glaubwürdigkeit der bisherigen Führungspersonen gegenüber ihren Mitjuden untergraben.

Weitere Judenräte in Ostpolen zu bilden befahl Hans Frank, Chef des neugebildeten „Generalgouvernements“, am 18. November 1939. Diese sollten für Orte mit bis zu 10.000 jüdischen Einwohnern aus 12, für größere Anteile aus 24 Personen bestehen. Sie sollten bis zum Jahresende von ihren Gemeinden gewählt werden und dann unter sich einen ersten und zweiten Vorsitzenden wählen. Das Ergebnis musste dem jeweiligen deutschen Stadt- oder Kreishauptmann vorgelegt und von diesem anerkannt werden: Ihre Wahl war also nur formal demokratisch, faktisch diktierten die Besatzer die Zusammensetzung der Räte. Sie mischten sich aber nur begrenzt in die Kandidatenwahl ein. Von ihnen benannte Personen weigerten sich öfter, in den Rat einzutreten, um sich nicht von den Besatzern missbrauchen zu lassen. In der Regel wurden die traditionellen Sprecher der jüdischen Gemeinden gewählt und ernannt, so dass die Kontinuität der Führung von beiden Seiten aus gesichert wurde.

Aufgaben

Die Nationalsozialisten strebten danach, die Judengemeinden Osteuropas auszuhungern und ihre Widerstandskräfte und -möglichkeiten systematisch zu schwächen. Die ersten Judenräte mussten für sie vor allem die jüdische Bevölkerung ihres Ortes zählen, Wohnungen räumen lassen und ihnen übergeben, Zwangsarbeiter zur Verfügung stellen, Wertsachen konfiszieren, Tribute sammeln und auszahlen.

Durch diese Maßnahmen der Besatzer, die zudem alle staatlichen Dienstleistungen strichen und verhinderten, entstanden enorme Versorgungsprobleme in den jüdischen Gemeinden. Daher nahmen die Judenräte auch am Aufbau eigener Ersatzinstitutionen teil. Sie versuchten, die Lebensmittelverteilung zu organisieren, Krankenstationen, Altenheime, Waisenhäuser und Schulen aufzubauen. Zugleich versuchten sie mit den ihnen verbliebenen Möglichkeiten, den Zwangsmaßnahmen entgegenzuwirken und Zeit zu gewinnen. Dazu verzögerten sie die Umsetzung der Befehle und bemühten sich, diese abzuschwächen, indem sie Rivalitäten verschiedener Besatzungsstellen auszunutzen versuchten. Sie stellten ihre Arbeitskräfte als möglichst unentbehrlich für die Deutschen dar, um ihre Versorgungslage zu verbessern und die Deutschen zur Rücknahme einiger Kollektivstrafen zu bewegen.

Dies gelang jedoch nur sehr begrenzt; auch führte die allgemeine aufgezwungene Notlage vielfach zu persönlichen Vorteilsnahmen, Günstlingswirtschaft und Protektionismus der relativ Begüterten. Dies führte in den jüdischen Gemeinden zu heftiger Kritik und teilweise Ablehnung der Judenräte.

Ghetto-Situation

Der Judenrat war verantwortlich für die lokale Verwaltung der Ghettos und stand zwischen der nationalsozialistischen Besatzungsmacht und der einfachen Bevölkerung der Ghettos. Ihm unterstand eine jüdische Ordnungspolizei. Im allgemeinen setzten sich die Judenräte aus den jeweiligen Eliten der jüdischen Gemeinschaft zusammen. Sie wurden gezwungen, Juden als Sklavenarbeiter an die Deutschen zu liefern und diesen bei der Deportation von Juden in die Konzentrationslager zu helfen. Diejenigen, die sich weigerten, den Befehlen Folge zu leisten, wurden selbst erschossen oder in Konzentrationslager deportiert und sofort durch andere Mitgefangene ersetzt.

Siehe auch

Literatur

  • Isaiah Trunk: Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, Stein & Day, 1977, ISBN 081282170X
  • V. Wahlen: Select Bibliography on Judenraete under Nazi Rule, in: Yad Vashem Studies 10/1974, S. 277-294
  • Aharon Weiss: Jewish Leadersdhip in Occupied Poland. Postures and Attitudes, in: Yad Vashem Studies 12/1977, S. 335-365
  • Marian Fuks: Das Problem der Judenräte und Adam Czerniaks Anständigkeit. In: St. Jersch-Wenzel: Deutsche - Polen - Juden, Colloquium, Berlin 1987, ISBN 3767806940, S. 229-239
  • Dan Diner: Jenseits des Vorstellbaren - Der „Judenrat“ als Situation. In: Hanno Loewy, Gerhard Schoenberner: „Unser einziger Weg ist Arbeit.“ Das Ghetto in Lodz 1940-1944. Wien 1990, ISBN 3854091699
  • Dan Diner: Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten, Beck 2003, ISBN 3406505600
  • Doron Rabinovici: Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat. Jüdischer Verlag bei Suhrkamp, 2000, ISBN 3-633-54162-4

Weblinks


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