Karolingische Minuskel

Karolingische Minuskel
Textbeispiel karolingische Minuskel

Als karolingische oder karlingische Minuskel (Carolina) wird eine Schriftart bezeichnet, die am Ende des 8. Jahrhunderts im Umfeld Karls des Großen entwickelt wurde, um im gesamten Frankenreich über eine einheitliche Buch- und Verwaltungsschrift zu verfügen. Die karolingische Minuskel zeichnet sich durch Klarheit und Einfachheit des Schriftbildes aus. Aus ihr entwickelten sich über die gotische Minuskel die Kleinbuchstaben der deutschen Schriften und über die humanistische Minuskel die heutigen Kleinbuchstaben der lateinischen Schrift.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Verbreitung

Auszug aus der Grandval-Bibel in karolingischen Minuskeln

Als karolingische Minuskel bezeichnet man die Stilisierung alltäglichen Schreibens, die im Umfeld Karls des Großen, insbesondere im Kloster von Corbie, dann auch im Kloster Saint-Martin de Tours unter dem Abt Alkuin von York entstanden ist. Sie ersetzt die bis dahin gebräuchliche lateinische Schrift in Großbuchstaben (Majuskel) und die Unziale, eine Schriftart, die durch Abrundung der Buchstaben der römischen Capitalis und der Quadrata entstanden war. Beide waren für die sich immer mehr durchsetzende deutsche Sprache ungeeignet. Unter anderem bereiten die im Lateinischen oft gebräuchlichen Abkürzungen im Deutschen Probleme. Die Gebrauchs- und die Buchschrift folgen fortan einem einheitlichen Muster: Die Minuskelschrift verfügt über Ober- und Unterlängen, die Wörter sind klar voneinander abgesetzt, Zeilenanfänge können mit Schmuck- oder Großbuchstaben hervorgehoben werden, der Fein-Fett-Kontrast der Striche ermöglicht gute Lesbarkeit.

Durch die unter der Herrschaft Karls des Großen eingeleitete Neubelebung des antiken Schul- und Bildungswesens wurde eine Rückbesinnung auf das buchstabierende Schreiben stark gefördert. Die karolingischen Minuskeln breiteten sich ab dem 9. Jahrhundert von den Schreibzentren des Karolingerreiches (u. a. Tours, Reims und Aachen) sehr schnell aus. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts entwickelte sich in Belgien und Nordfrankreich aus der karolingischen Minuskel die frühgotische Minuskel als neuer Schrifttyp, der sich rasch in ganz Europa verbreitete und die karolingische Minuskel verdrängte. Später entwickelten sich aus den karolingischen Minuskeln die gotische Minuskel und die humanistische Minuskel. Die Beschäftigung mit den Autoren der Antike führte erst die italienischen Humanisten wieder auf die frühmittelalterlichen, meist karolingischen Handschriften zurück, die oft die ältesten erreichbaren Überlieferungszeugen dieser Texte waren. Die Imitation dieser als Schrift der „Alten“ (miss-)verstandenen karolingischen Minuskel wurde auch für den Buchdruck verwendet (Antiqua) und blieb bis heute in Gebrauch. Die karolingische Minuskel bildet demnach die Grundlage für unsere heutigen Kleinbuchstaben sowohl der Schreib- als auch der Druckschrift.

In karolingischen Handschriften wird eine Schrifthierarchie verwendet, mit der einleitende Seiten gestaltet wurden. Neben einer Initiale stehen an der Spitze der Hierarchie und damit am Anfang der Seite die Capitalis, bei weiterem Abstufungsbedarf dann Unzialschriften und schließlich noch Halbunzialen, bevor der „Normal“-Text in Minuskel folgt. Viele unaufwendige Handschriften gehen allerdings über eine zweistufige Hierarchie (Capitalis und Minuskel) nicht hinaus.

Formentwicklung

Seit Mitte des 8. Jahrhunderts bildeten sich in den stark mit Ligaturen durchsetzten Halbkursiven wieder verstärkt die einzelnen Buchstaben aus, die frühkarolingische Minuskel ist erstmals um 780 in Corbie nachzuweisen. In der ersten Phase enthielt die karolingische Minuskel gleichwohl noch zahlreiche Ligaturen und extreme regionale Ausformungen. In einer um 820 einsetzenden zweiten Phase wurde die Schriftgestaltung einheitlicher, die Buchstaben wurden schlanker und fast immer rechtsgeneigt geschrieben. Im späten 9. Jahrhundert ist zunehmend eine Erstarrung der Formen zu erkennen, oft auch bereits mit An- und Abstrichen, die Zahl der verwendeten Ligaturen nimmt wieder zu. Im 11. Jahrhundert bildete sich in Süddeutschland der nach seiner Form für das „o“ benannte schrägovale Stil heraus, der für etwa 200 Jahre vorherrschend blieb.

Schriftbeispiel

Handschrift aus dem Besitz König Ludwigs des Deutschen, vor/um 830

Kalligraphische karolingische Minuskel (links), Capitalis als Auszeichnungsschrift für die Widmungsadresse (rechts), ungelenke deutsche karolingische Minuskel als Nachtrag des späteren 9. Jhs. am unteren Rand (Muspilli).

Siehe auch

Literatur

  • W. Wattenbach: Das Schriftwesen im Mittelalter. Hirzel, Leipzig 1871.
  • Bernhard Bischoff: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters Berlin (= Grundlagen der Germanistik 24). Schmidt, Berlin 1979, ISBN 3-503-01282-6.
  • Anne Schmidt: Schriftreform – Die karolingische Minuskel. In: Christoph Stiegemann, Matthias Wemhoff (Hrsg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III in Paderborn. Beitrags-Band. von Zabern, Mainz 1999, ISBN 3-8053-2590-8, S. 681–691.

Weblinks


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