Karzinogenese

Karzinogenese

Die Karzinogenese (Tumorentwicklung) ist der äußerst komplexe (und zum Teil noch unverstandene) Prozess der Krebsentstehung. Teil dieses Prozesses ist die Mutation von normalen Zellen eines Organs in maligne Tumorzellen, des Weiteren sind bei der Krebsentstehung in der Regel abnormale Angiogenese, in vielen Fällen Dysregulation von endokrinen Funktionen und andere Prozesse beteiligt.

Inhaltsverzeichnis

Stufen der Karzinogenese

Früher ging man von einem Dreistufenmodell (Initiation, Promotion und Progression) der Karzinogenese aus.[1] Heute ist man sich inzwischen einig, dass die Tumorentwicklung noch komplexer ist und man geht von einem Mehrstufenmodell aus, welches noch unverstanden ist.[2] Das Dreistufenmodell hat sich dennoch etabliert.

Das hypothetische Dreistufenmodell der Karzinogenese

Das Dreistufenmodell ist in drei Abschnitten der Krebsentwicklung unterteilt: Die Initiation, die Promotion und die Progression.[3] [4] [5] [6]

Initiation

Die Initiation stellt den ersten Schritt der Karzinogenese dar, bei dem eine Zelle eine von einem Karzinogen ausgelöste Mutation erfährt. Falls diese Mutation nicht per DNA-Reparatur beseitigt wird oder die Zelle nicht durch die Apoptose (Zelltod) ausgeschaltet wird, dann persistiert die Mutation und ist irreversibel. Wichtig dabei ist, dass die Mutation in einem Gen vorliegen muss, welches für die Kontrolle des Zellzyklus und der Zellteilung zuständig ist, wie beispielsweise Tumorsuppressorgene (Gene, welche die Zellteilung und den Zellzyklus kontrollieren, indem sie unkontrolliertes Wachstum hemmen). Karzinogene oder genotoxische Stoffe, die eine Initiation bewirken, weisen keinen Schwellenwert auf unterhalb derer keine Gefahr für eine Mutation besteht, sodass auch kleinste Mengen eines Karzinogens eine Genveränderung bewirken können.

Promotion

Die Promotion stellt den nächsten Schritt der Krebsentwicklung dar. In diesem Abschnitt findet ein Wachstumsstimulus der initiierten Zelle statt, das heißt, dass die Zelle, welche eine Mutation erfahren hat, durch einen Wachstumsreiz vermehrt wird. Dieser Wachstumsreiz kann von den sog. nicht genotoxischen Karzinogenen (die z. B. eine Entzündung oder einen Reiz fördern, aber nicht gezielt eine Mutation im Genom auslösen) oder durch andere Einwirkungen stammen wie z. B. Hormone, die den Wachstumsstimulus durch sogenannte Wachstumsfaktoren fördern (durch diese Art von Wachstumsreiz wächst das Mammakarzinom. Das Hormon Östrogen sendet Wachstumssignale, sodass die Tumorzelle zur Teilung/Proliferation angeregt wird). Wenn eine Entzündung (die als Promotion in der Krebsentwicklung agiert) stattfindet, dann werden sogenannte Wundheilungshormone zur Wundheilung durch Zellproliferation freigesetzt, die sich an die Oberflächenrezeptoren koppeln und damit einen Wachstumsreiz auf die Zelle ausüben. Dies ist der Fall bei Morbus Crohn, der zum Dünndarmkarzinom führen kann, oder Mastopathie, die Mammakarzinome hervorrufen kann, denn durch diese Entzündungen werden Zellen zur Teilung angeregt. Die initiierte Zelle gibt durch die Zellproliferation ihren DNA-Schaden an die Tochterzelle weiter. Die sich proliferierende Zelle weist eine instabile DNA auf, wodurch das Risiko für weitere Mutationen in Tumorsupressorgenen steigt. Durch den stetigen Wachstumsreiz und die Zellproliferation entsteht ein präneoplastischer (prä=vor, neoplasie=Krebs) Fokus, eine gutartige Tumormasse, welcher eine Krebsvorstufe darstellt. Nun ist ein benigner (gutartiger) Tumor entstanden, der begrenzt wächst und noch nicht metastasiert. Bei jeder Zellproliferation steigt das Risiko für neue Mutationen, sodass ein benigner Tumor maligne (bösartig) werden kann. Die Promotion ist in den frühen Phasen reversibel und man könnte einen Schwellenwert festlegen, unterhalb dessen kein Wachstumsstimulus auf die initiierte Zelle ausgeübt wird. Ohne Promotion kann kein Krebs entstehen, da sich die initiierten Zellen nicht vermehren können. Dies könnte auch erklären, warum das Risiko eines Karzinoms nach Ende der Exposition zu Karzinogenen in manchen Fällen sinkt (z. B. bei Zigarettenrauchern): Durch Aufgabe des Zigarettenrauchens wird keine Promotion auf die möglicherweise initiierten Zellen ausgeübt, sodass keine weiteren Mutationen mehr „gesammelt“ werden und es zu einer Regression der bereits bestehenden präneoplastischen Foci kommen kann.

Progression

Da die Zellen des präneoplastischen Focus weitere Mutationen in Tumorsupressorgenen durch karzinogene Einwirkung erfahren haben und zahlreiche Tumorsupressorgene in Onkogene umgewandelt worden sind, findet nun die eigentliche maligne Transformation statt. Die Zelle ist nun potentiell bösartig und teilt sich stetig ohne Unterbrechung und ist immortal, also „unsterblich“. Nach zahlreichen Zellteilungen wird eine Tumormasse aufgebaut und die Zellen entdifferenzieren sich zunehmend, gleichen also nicht mehr den anderen Zellen im Zellverband bzw. weisen andere Merkmale auf. Die Tumorzellen verdrängen gesundes Gewebe. Aus noch unbekannten Gründen bekommen die Tumorzellen die Fähigkeit zu metastasieren, also Tochtergeschwülste in anderen Körperregionen zu bilden. Man vermutet jedoch, dass auch hierfür weitere Mutationen benötigt werden. In der Progression, dem letzten Stadium der Tumorgenese, entfalten die Tumorzellen ihr gefährliches Potential durch die Metastasierung. Sie kann bei einigen Krebsarten, wenige Monaten nach einer Krebsdiagnose zum Tod des betroffenen Patienten führen.

Dies ist eine kurze Zusammenfassung der Krebsentwicklung im Dreistufenmodell. Es muss aber klar sein, dass dies nur ein Modell ist und nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen muss. Die Karzinogenese ist ein hochkomplexes Geschehen und ist noch sehr unverstanden.

Die Krebsentwicklung geschieht nicht von heute auf morgen, sondern vollzieht sich langsam und über Jahre und Jahrzehnte. Diese Dauer bezeichnet man als Latenzzeit und sie kann sich auf bis zu 20–40 Jahre bemessen. Warum eine so lange Entwicklungsdauer benötigt wird, ist unbekannt, aber möglicherweise spielen endogene Faktoren wie individuell verschiedene Reparaturkapazität oder Metabolisierungskapazität eine große Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass man einige unabhängige Mutationen benötigt, um eine normale Zelle voll entarten zu lassen. [3] [6] [7]

Kleiner geschichtlicher Überblick

Schon im 18. Jahrhundert hat man vermutet, dass chemische Stoffe Krebs verursachen. Diese Beobachtung stammt von dem Engländer Pervical Pott, welcher eine Zunahme des Skrotumkarzinoms (bösartiger Tumor des Hodensackes) bei Schornsteinfeger, die mit Teer in Kontakt geraten sind, bemerkte.[8] Im 20. Jahrhundert hat man erstmals versucht Karzinome mittels Bepinselung von Teer auf die Haut im Tiermodell entstehen zu lassen, was jedoch nicht gelungen ist, da die Einwirkzeit zu kurz war. Erst als man über längere Zeit und wiederholt die Haut mit Teer bepinseln ließ, konnte man erfolgreich Hautkarzinome induzieren.[9] Auf diesem Grundstein entstand die molekulare moderne Krebsforschung.

Abschließende Beurteilung

Nach langer Suche auf eine Antwort auf die Frage wie Krebs entsteht, hat man, basierend auf Tierversuchen, das Dreistufenmodell der Karzinogenese entwickelt, welches auf den ersten Blick recht überzeugend erscheint. Bei diesem Modell gibt es zahlreiche Lücken:

  • Das hypothetische Dreistufenmodell beschreibt lediglich nur die Tumorentwicklung, nicht aber die Ursache.
  • Es ist auch zu erwähnen, dass Tierversuche nicht auf Menschen zu übertragen sind und die Tumorentwicklung bei Tiermodellen nicht unbedingt der bei Menschen gleichzusetzen ist.
  • Das Dreistufenmodell basiert auf der Hautkarzinogenese. Es ist nicht sicher ob die Tumorentwicklung in anderen Organen, wie beispielsweise der Lunge oder dem Pankreas, gleich abläuft.
  • Es bestehen Unterschiede in der Wirkungsweise von Karzinogenen. Asbest wirkt zum Beispiel auf eine andere Weise als Teer. Die Karzinogenese kann dadurch ganz anders verlaufen. Während für Teer – beispielsweise durch Tabakrauch – in der Regel eine langjährige Exposition erforderlich ist um Bronchialkarzinome auszulösen, ist bei Asbest eine Exposition von wenigen Monaten ausreichend, um nach einer Dauer von 20–40 Jahren Pleuramesotheliome (Rippenfellkrebs) auszulösen.[8]

Siehe auch

Quellen

  1. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Gesamtfakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Vorgelegt von Diplom-Chemiker Christian Christoph Theophil Wörth aus Frankfurt/Main
  2. Hanahan, D. and Weinberg, R. A.: The hallmarks of cancer. In: Cell. 100, Nr. 1, 2000, S. 57-70. PMID 10647931.
  3. a b ETHZ: Umweltchemie II Vorlesungsmanuskript: Genotoxizität, Karzinogenese Dozent: Prof. Dr. Felix R. Althaus, Universität Zürich
  4. Chemische Karzinogenese, Vorlesung Universität Bonn
  5. Biomedizin II: Chemische Carcinogenese und ihre Mechanismen, Sascha Beneke, Molekulare Toxikologie
  6. a b Toxikologie von Arbeitsstoffen, Hermann B. IfADo, Dortmund
  7. Lehrbuch der Toxikologie: M. Marquardt u. S. Schäfer (1994)
  8. a b P. Pott: Chirurgical Observations relative to the cancer of scrotum. In: L. Hawes, W. Clark und R. Collins (Editors), London (1775)
  9. K. Yamagiva und K. Ischikawa: Experimental study of the pathogenesis of carcinoma. In: J Cancer Res 3, 1918, S. 1–21.
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