Angiogenese

Angiogenese

Als Angiogenese (griechisch ἄγγος [ˈaŋ ɔs] „Gefäß“ und γένεσις [ˈgɛnezɪs] „Entstehung“) bezeichnet man das Wachstum von kleinen Blutgefäßen (Kapillaren), überwiegend durch Sprossung aus einem vorgebildeten Kapillarsystem. Hiervon zu unterscheiden ist die Neubildung von Blutgefäßen aus den sogenannten Endothelialen Vorläuferzellen, welche als Vaskulogenese bezeichnet wird.

Man unterscheidet heute im Wesentlichen drei Formen der Neubildung von Blutgefäßen:

  • Vaskulogenese: Die Neubildung von Gefäßstrukturen durch zirkulierende Stammzellen (Angioblasten), die sich zu de-novo Endothelzellen ausbilden. Diese Form der Angiogenese spielt insbesondere bei der Entwicklung des Gefäßsystems während der Embryonalzeit eine Rolle.
  • Angiogenese: Ausbildung von neuen Gefäßstrukturen, die eine Endothelzell-Auskleidung sowie auch glatte Muskelzellen und Perizyten aufweisen. Die Angiogenese spielt im adulten Leben eine wichtige Rolle etwa als Reparatur-Prozess bei der Wundheilung.
  • Arteriogenese: Ausbildung von kleineren Arteriolen und Arterien, die sämtliche drei Wandschichten (Endothel, Tunica media, Tunica adventitia) besitzen.

Zunehmend setzt sich heute der Begriff Angiogenese als Überbegriff für alle Formen der Gefäßneubildung durch, da eine Abgrenzung der drei genannten Formen teilweise schwierig ist und das zugrunde liegende Prinzip einheitlich ist.

Es handelt sich um einen komplexen Prozess, bei dem die zur Bildung der Gefäßwände notwendigen Endothelzellen, Perizyten und glatten Muskelzellen durch verschiedene angiogenetische Wachstumsfaktoren, etwa Fibroblast Growth Factor (FGF) und Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) aktiviert werden. Hierbei wird das die Kapillare umgebende Bindegewebe lysiert (verdaut), und es erfolgt eine Wanderung (Zellmigration) kleiner Zellausläufer in das Gewebe. Neue Kapillaren entstehen durch Proliferation (Vermehrung) und Migration (Wanderung) von vorbestehenden Endothelzellen. Die spätere Umwandlung der Kapillaren in Arteriolen und Arterien und Venolen und Venen stellt den Abschluss des durch Wachstumsfaktoren getriggerten Prozesses der Angiogenese dar und wird durch die Aktivierung bestimmter Gene festgelegt. Während Mitglieder der Notch-Familie für die Arteriogenese zuständig sind, wird die Bildung der Venen durch den Transkriptionsfaktor COUP-TFII gesteuert. Die abschließende Wandausbildung wird in beiden Fällen durch FGF und Platelet Derived Growth Factor (PDGF) und Angiopoietin-1 reguliert.

Inhaltsverzeichnis

Therapeutische Angiogenese

FGF-1 induzierte Angiogenese im humanen Myokard: Links, angiographischer Nachweis von neu gebildeten Gefäßen (blushing) im Bereich der Vorderwand des linken Ventrikels. Rechts, Grauwert-Analyse mit Nachweis eines etwa dreifachen Anstiegs der Gefäßdichte im Myokard im Vergleich zur Kontrolle.
Stress-SPECT-Untersuchung des menschlichen Herzens nach intramyokardialer FGF-1 Applikation: Normalisierung der Durchblutung der Herzvorderwand (3 Monate nach Behandlung). SPECT: single photon emission computed tomography.
FGF-1 induzierte Angiogenese im humanen Myokard: Nachweis der Durchblutungsverbesserung nach FGF-1 Injektion in das Myokard mittels Stress-SPECT Untersuchung. SPECT: single photon emission computed tomography.

Die Angiogenese ist von erheblicher biologischer und medizinischer Bedeutung. Man unterscheidet in der modernen Medizin zwei Formen der therapeutischen Anwendung des Prinzips Angiogenese:

  • Anti-angiogenetische Therapie
  • Pro-angiogenetische Therapie

Solide Tumoren sind abhängig von einem mitwachsenden Kapillarnetz (Tumor-induzierte Angiogenese oder Angioneogenese), das den Tumor mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Für das Wachstum eines soliden Tumors über ein Volumen von 1 bis 2 mm³ hinaus, ist die Neubildung von Blutgefäßen notwendig. Ohne die Fähigkeit neue Blutgefäße für die Versorgung ausbilden zu können, bleiben die nicht-angiogenen Neoplasien auf eine symptomlose und klinisch nicht relevante Größe beschränkt.[1] Wird die Angiogenese unterdrückt, wird der Zustand der Tumor Dormancy erreicht. Entsprechend versuchen anti-angiogenetische Therapieansätze (Antiangiogenese), die Gefäßversorgung und damit die Durchblutung eines Tumors zu reduzieren/zu blockieren. Die erste Anti-Tumortherapie mit einem VEGF-neutralisierenden monoklonalen Antikörper (Bevacizumab – rhuMAb-VEGF) wurde im Jahr 2004 von der FDA bei metastasiertem Darmkrebs[2] zugelassen. Mittlerweile wird der Wirkstoff Bevacizumab auch in der Therapie von Brustkrebs[3], Lungenkrebs[4] und Nierenkrebs[5] eingesetzt. Die Anwendung des Prinzips der Anti-Angiogenese zur Behandlung maligner Tumoren geht wesentlich auf die Forschungsarbeiten von Judah Folkman zurück, der sich seit den 1970er Jahren intensiv mit Angiogenese und Anti-Angiogenese beschäftigt hatte.[6][7][8]

Die Erforschung pro-angiogenetischer Therapieformen begann Ende der 1990er Jahre, als erstmalig angiogenetische Wachstumsfaktoren zur Behandlung der Arteriosklerose (insbesondere der Koronaren Herzkrankheit (KHK) und der peripheren Verschlusskrankheit (PAVK) eingesetzt wurden[9]. Die weltweit erste klinische Studie zur Behandlung von KHK-Patienten wurde 1998 in Deutschland durchgeführt und verwendete den potenten angiogenetischen Wachstumsfaktor FGF-1[10][11][12][13]. Bis heute (2007) wurde FGF-1 in vier abgeschlossenen klinischen Studien untersucht - zur Behandlung der KHK und von chronischen Wundheilungsstörungen; weitere Studien - auch zur Behandlung der PAVK - sind im Gang[14].

Hinsichtlich der Methodik der pro-angiogenetischen Therapieformen können heute drei Formen unterschieden werden:

  • Protein-Therapie
  • Gen-Therapie
  • Zell-Therapie.

Die Protein-Therapie setzt Wachstumsfaktoren mit angiogenetischer Potenz ein, allen voran Fibroblast Growth Factor-1 (FGF-1)[15][16][17] und Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF); mit diesen Wachstumsfaktoren liegen die größten klinischen Erfahrungen vor. Aber auch die Wachstumsfaktoren Interleukin-8 (IL-8), Epidermal Growth Factor (EGF), platelet-derived endothelial cell growth factor (PD-ECFG) und Platelet Derived Growth Factor (PDGF) und Transforming growth factor (TGF) besitzen eine gewisse angiogenetische Potenz. Die bisherigen Erfahrungen in klinischen Studien insbesondere mit FGF-1 sind vielversprechend: so konnten sowohl neue Gefäße im humanen Myokard, als auch eine myokardiale Durchblutungsverbesserung (einhergehend mit einer Belastungssteigerung der Patienten) nachgewiesen werden.[18][19][20]

In gentherapeutischen Studien wird das einen angiogenetischen Wachstumsfaktor codierende Gen appliziert – sei es als so genannte naked DNA (Plasmid DNA) oder als Adenovirus vermittelter Gentransfer. Vielfache noch ungelöste Probleme belasten die Gentherapie, insbesondere das Problem einer ineffizienten gene-transfection, unerwünschter Immunreaktionen, sowie einer potentiellen Toxizität der als carrier verwendeten Viren.

Die auf dem Transfer von verschiedenen Zelltypen basierende Zell-Therapie befindet sich noch in einem Anfangsstadium der Forschung; es liegen nur Studien mit kleinen Patientenzahlen und mit unterschiedlichen, teilweise sich widersprechenden Ergebnissen vor. Insbesondere die Art und die Zahl (Dosis) der verwendeten Zellen ist ausgesprochen unterschiedlich: so fanden verschiedene Formen der adulten Stammzellen (etwa endotheliale Progenitor Zellen (EPCs), hämatopoietische Stammzellen (HPSCs), mesenchymale Stammzellen (MSCs)) Eingang in erste klinische Pilot-Studien.

Quellen

  1. N. Almog: Molecular mechanisms underlying tumor dormancy. In: Cancer Lett 294, 2010, S. 139–146. PMID 20363069
  2. Hurwitz H u. a.: Bevacizumab plus Irinotecan, Fluorouracil and Leucovorin for Metastatic Colorectal Cancer. In: N Engl J Med 350, 2004, S. 2335–2342.
  3. Klencke BJ u. a.: J Clin Oncol 2008;26 suppl: abstr 1036: Poster presented at ASCO Annual Meeting 2008; IL Poster 1036
  4. Sandler A u. a.: Paclitaxel-carboplatin alone or with bevacizumab for non-small-cell lung cancer, 2006; N Engl J Med:255:2542-50
  5. Escudier B et al.: Bevacizumab plus interferon alfa2a for treatment of metastatic renal cell carcinoma: a randomized, double-blind phase III trial (AVOREN), 2007; Lancet:370:2103-11
  6. Folkman, J, Klagsbrun, M: Angiogenetic factors. In: Science 235: 442-447, 1987
  7. Folkman J.: Fighting cancer by attacking its blood supply. In: Sci Am 275:150 –154, 1996
  8. Benny O, Fainaru O, Adini A, Cassiola F, Bazinet L, Adini I, Pravda E, Nahmias Y, Koirala S, Corfas G, D'Amato RJ, Folkman J.: An orally delivered small-molecule formulation with antiangiogenic and anticancer activity. In: Nat Biotechnol 2008 Jul;26(7):799-807. Epub 2008 Jun 29. PMID 18587385
  9. Simons, M., Bonow, R.O., Chronos, N.A., Cohen, D.J., Giordano, F.J., Hammond, H.K., Laham, R.J., Li, W., Pike, M., Sellke, F.W., Stegmann, T.J., Udelson, J.E., Rosengart, T.K.: Clinical trials in coronary angiogenesis: issues, problems, consensus: an expert panel summary. In: Circulation. 2000; 102: E73-E86.
  10. Schumacher, B., Pecher, P., von Specht, B.U., Stegmann, T.J.: Induction of neoangiogenesis in ischemic myocardium by human growth factors. Circulation 97: 645-650, 1998.
  11. Folkman, J.: Angiogenic therapy of the heart. Circulation 97: 628-629, 1998.
  12. Stegmann, T.J.: A human growth factor in the induction of neoangiogenesis. Exp.Opin.Invest.Drugs 7: 2011-2015, 1998.
  13. Stegmann, T.J., Hoppert, T.: Combined local angiogenesis and surgical revascularization for coronary heart disease. Current Intervent. Cardiol. Reports 1: 172-178, 1999.
  14. Stegmann, T.J., Hoppert, T., Schneider, A., Popp, M., Strupp, G., Ibing, R.O., Hertel, A.: Therapeutic angiogenesis: intramyocardial growth factor delivery of FGF-1 as sole therapy in patients with chronic coronary artery disease. CVR. 2000; 1: 259-267.
  15. Ornitz, D.M., Itoh, N.: Fibroblast growth factors. Genome Biol 2: 1-12, 2001.
  16. Blaber, M., DiSalvo, J. Thomas, K.A.: X-ray crystal structure of human acidic fibroblast growth factor. Biochemistry 35: 2086-2094, 1996.
  17. Khurana, R., Simons, M.: Insights from angiogenesis trials using fibroblast growth factor for advanced arteriosclerotic disease. Trends Cardiovasc. Med. 13: 116-122, 2003.
  18. Stegmann TJ. New Vessels for the Heart. Angiogenesis as New Treatment for Coronary Heart Disease: The Story of its Discovery and Development. Henderson, Nevada: CardioVascular BioTherapeutics Inc., 2004.
  19. Wagoner, L.E, Snavely, D.D., Conway, G.A., Hauntz, E.A., Merrill, W.H.: Intramyocardial injection of fibroblast growth factor-1 for treatment of refractory angina pectoris: the initial US experience. Circulation; 110: 395, 2004.
  20. Wagoner, L.E., Merrill, W., Jacobs, J., Conway, G., Boehmer, J., Thomas, K., Stegmann, T.J.: Angiogenesis Protein Therapy With Human Fibroblast Growth Factor (FGF-1): Results Of A Phase I Open Label, Dose Escalation Study In Subjects With CAD Not Eligible For PCI Or CABG. Circulation 116: 443, 2007.

Weiterführende Literatur

  • Ran Kornowski, Stephen E. Epstein, Martin B. Leon (Hrsg.): Handbook of myocardial revascularization and angiogenesis. Martin Dunitz, London 2000, ISBN 1-85317-782-2.
  • Roger J. Laham, Donald S. Baim: Angiogenesis and direct myocardial revascularization. Humana Press, Totowa, NJ. 2005, ISBN 978-1-59259-934-9.
  • Mohan K. Raizada, Julian F. Paton, Sergej Kasparov, Michael J. Katovich (Hrsg.): Cardiovascular genomics. Humana Press, Totowa, N.J. 2005, ISBN 978-1-588-29400-5.
  • Gabor M. Rubanyi (Hrsg.): Angiogenesis in health and disease. Basic mechanisms and clinical applications. Dekker, New York 2000, ISBN 0-8247-8102-3.
  • Thomas J. Stegmann: New Vessels for the Heart. Angiogenesis as New Treatment for Coronary Heart Disease; The Story of its Discovery and Development. CardioVascular BioTherapeutics Inc., Henderson, Nevada 2004, ISBN 978-0-97655-830-9.

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