Nierenkrebs

Nierenkrebs
Resektionsbefund eines bösartigen Nierentumors

Nierenkrebs (bösartiger Nierentumor) ist relativ selten (1 bis 2 % aller bösartigen Tumoren). Am häufigsten ist das Nierenzellkarzinom (Synonyme: Hypernephrom, Grawitz-Tumor), welches von der proximalen Tubuluszellen (Epithelzellen) ausgeht. Es betrifft etwa neun von 100.000 Einwohnern, wobei Männer dreimal häufiger erkranken als Frauen. Überwiegend tritt das Nierenzellkarzinom im fünften und sechsten Lebensjahrzehnt auf.

Risikofaktoren sind hohes Alter, Rauchen, chronische Niereninsuffizienz, langjährige Analgetikatherapie, Cadmium- und Bleibelastung und angeborene Nierenerkrankungen (tuberöse Sklerose, Morbus Hippel-Lindau).

Inhaltsverzeichnis

Klassifikation

Klassifikation nach ICD-10
C64 Bösartige Neubildung der Niere, ausgenommen Nierenbecken
C65 Bösartige Neubildung des Nierenbeckens
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Unter Nierenkrebs im engeren Sinne versteht man bösartige Erkrankungen, die dem Funktionsgewebe der Niere (Nierenparenchym) entspringen. Prinzipiell kann an allen Abschnitten eines Nephrons eine maligne Entartung entstehen.

Diese Arten von Nierentumoren werden auch als Nierenzellkarzinome (NCC) bezeichnet. Es wird nach dem Ausgangsgewebe, den zytogenetischen Befunden und dem histologischen Bild unterschieden. Am häufigsten findet sich das konventionelle Nierenzellkarzinom, das oft auch als klarzelliges bezeichnet wird. Weiterhin finden sich das chromophile (papilläre), das chromophobe und am seltensten das Ductus-Bellini-Karzinom (Sammelrohrkarzinom). Letzteres zeichnet sich durch besondere Aggressivität aus. Auch das Wachstumsmuster dieser Tumoren wird erwähnt. Tumorzytogenetisch werden chromosomale Aberrationen (Chromosomenabweichungen) beschrieben. Die Zellen des konventionellen Nierenzellkarzinom zeigen beispielsweise früh im Entstehungsprozess einen Fragmentverlust am Chromosom 3.

Klassifikation der epithelialen Neoplasien in der Niere

Karzinomtyp

Wachstumsmuster

Ursprung

Zytogenetik

Klarzellkarzinom

azinös, sarkomatoid

proximaler Tubulus

3p-

chromophiles Karzinom
-basophiler Typ
-eosinophiler Typ

papillär, sarkomatoid

proximaler Tubulus

+7, +17, -Y

chromophobes Karzinom

solid, tubulär, sarkomatoid

Sammeltubulus (kortikal)

Hypodiploidie

onkozytäres Karzinom

Tumornester

Sammeltubulus (kortikal)

-

Ductus-Bellini-Karzinom

papillär, sarkomatoid

Sammeltubulus (medullär)

-

Im weiteren Sinne versteht man unter Nierenkrebs auch bösartige Erkrankungen, die zwar in der Niere entstehen, nicht jedoch dem Funktionsgewebe der Niere entspringen. Hervorzuheben ist das Nierenbeckenkarzinom (Urothelkarzinom des Nierenbeckens). Dies ist ein Tumor, der dem Übergangsgewebe (Urothel) in den angrenzenden Harnwegen entspringt. Von besonderer Wichtigkeit ist auch das Nephroblastom (Wilms-Tumor). Das ist ein embryonaler Mischtumor, welcher in der Pädiatrie eine bedeutende Rolle spielt. Weitere maligne Prozesse in der Niere können durch Metastasen (Lungenkrebs, Brustkrebs, malignes Melanom) und vereinzelt durch Sarkome verursacht sein.

Symptome

Klarzelliges Nierenkarzinom, sogenanntes Hypernephrom

Die klassische Trias Blut im Harn (Hämaturie), Flankenschmerzen und tastbarer Tumor in der Flanke findet man nur noch selten. Wenn der Tumor in die linke Nierenvene einbricht, kann sich beim Mann eine symptomatische Varikozele im linken Hoden bilden (1 % der Fälle). Weiterhin treten selten paraneoplastische Syndrome auf (durch die Tumorzellen gebildete Hormone, etwa Renin, Erythropoetin, Parathormon oder ACTH). Wie bei den meisten Tumorerkrankungen können Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Fieber und Gewichtsverlust auftreten. 70 % der Nierentumoren werden zufällig im Rahmen von bildgebenden Untersuchungen (Sonographie, Computertomographie usw.) gefunden. Dies hat in den letzten zwei Jahrzehnten auch zu einem sogenannten „stage shift“ geführt: Es werden immer häufiger kleine nicht symptomatische Tumoren in den Nieren gefunden, die sich somit auch besser behandeln lassen.

Diagnose

Bei der klinischen Untersuchung fallen nur große, fortgeschrittene Tumoren im Bauch auf. Die Laboruntersuchung kann eine durch den Blutverlust über den Urin hervorgerufene Anämie zeigen. Die Sonographie ist der erste Schritt zur genaueren Beurteilung der Niere. Mit ihrer Hilfe können auch Punktionen verdächtiger Raumforderungen in der Niere vorgenommen werden, die dann vom Pathologen histologisch beurteilt werden. Eine i.v.-Urographie ist eine Röntgenaufnahme mit nierengängigem Kontrastmittel, die Aufschlüsse über einen behinderten Harnabfluss geben kann und die Funktion der gesunden Niere beurteilen lässt. Um die Ausbreitung des Tumors (Staging) und damit die Operabilität zu bestimmen, wird eine Computertomographie des Bauches durchgeführt. Mit Röntgenaufnahmen der Brust (Thorax) und ggf. einer Skelettszintigraphie und einer Gehirn-MRT (Kernspin) lassen sich mögliche Fernmetastasen nachweisen. Erwähnenswert ist, dass sich röntgenografisch Metastasen ab 1 cm Durchmesser erfassen lassen, was der Computertomographie eindeutig den Vorzug gibt.

TNM-Klassifikation 2010
T1 Tumor begrenzt auf die Niere und ≤ 7 cm
T1a Tumor 4 cm oder weniger in größter Ausdehnung
T1b Tumor mehr als 4 cm, aber nicht mehr als 7 cm in größter Ausdehnung
T2a Tumor begrenzt auf die Niere und 7-10 cm
T2b Tumor begrenzt auf die Niere aber >10 cm
T3 Tumor infiltriert das umliegende Gewebe nicht über die Gerota-Faszie
T3a Tumor infiltriert die Nebenniere oder das perirenales Gewebe
T3b Tumor infiltriert die Nierenvene oder die Vena cava inferior bis unterhalb des Zwerchfells
T3c Tumor infiltriert die Vena cava inferior oberhalb des Zwerchfells
T4 Tumor infiltriert über die Gerota-Faszie hinaus
N0 keine Lymphknotenmetastasen
N1 Metastasen in einem Lymphknoten (< 2 cm)
N2 Metastasen in mehr als einem Lymphknoten (> 2 cm bis 5 cm)
N3 Metastasen in mehr als einem Lymphknoten (> 5 cm)
M0 keine Fernmetastasen
M1 Fernmetastasen

Therapie

Die Therapie der Wahl bei Vorliegen eines nicht metastasierten Nierenzellkarzinoms ist die chirurgische Entfernung des Tumors, wobei neuere Studien gezeigt haben, dass die onkologischen Langzeitergebnisse bei nierenerhaltender Entfernung des Nierentumors (wenn operativ möglich und sinnvoll) genauso gut sind wie die radikale Entfernung der Niere.[1]

Bei größeren Tumoren (Stadium T2 bis T4) wird die ganze Niere mit Nebenniere, Harnleiter und dem sie umgebenden Fettgewebe und Kapsel chirurgisch entfernt. In die Nierenvene und Vena cava inferior gewachsene Tumorzapfen müssen mitreseziert werden, ggf. mit Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine bei Vorwachsen bis in den rechten Herzvorhof. Auch andere Standards sind durch neueste Erkenntnisse in Diskussion: Einzug der laparoskopischen radikalen Nephrektomie und nierenerhaltenden Teilresektion; ist die Nebennierenentfernung immer notwendig?; nierenerhaltende Chirurgie auch bei zwei gesunden Nieren, minimal-invasive Therapiealternativen (RITA, HIFU usw.). Im Fall des Nierenzell-Karzinoms haben in den vergangenen Jahren in den entsprechenden wissenschaftlichen Studien alle Ansätze einer adjuvanten Therapie enttäuscht. Weder die Therapie mit Interferonen noch die mit Interleukin-2 ergaben in den an Nierenkrebspatienten durchgeführten unterschiedlichsten Phase-III-Studien einen statistischen Vorteil gegenüber den Patienten der Kontrollgruppen, die nur mit einem Scheinmedikament (Placebo) behandelt wurden. Zudem litten viele Patienten im Rahmen dieser Studien unter so starken Nebenwirkungen – wie beispielsweise dem Vascular-Leak-Syndrom –, dass die Ärzte die Behandlung abbrechen mussten.

Eine im Herbst 2007 veröffentlichte Übersichtsarbeit[2] beschreibt die adjuvante Verabreichung eines autologen Tumorvakzins. Der aus den körpereigenen Tumorzellen des Patienten gewonnene Impfstoff hat in Phase-III-Studien die Zeitspanne des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens der Nierenkrebspatienten statistisch eindeutig verbessert. Die innovative Therapiemethode wurde bereits im Jahr 2004 in der Fachzeitschrift The Lancet [3] als Erfolg versprechend vorgestellt.

In der Behandlung des metastasierenden Nierenzellkarzinoms hat seit der ASCO-Konferenz 2007 ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Sechs Substanzen sind inzwischen zur Therapie zugelassen: Sunitinib, Pazopanib, Sorafenib, Temsirolimus, Bevacizumab und Everolimus. Sie wirken antiangiogenetisch, das heißt, sie verhindern durch Störung der Signalübertragung der Wachstumsfaktoren das Wachstum der Gefäße, die den Tumor versorgen.[4]

Weitere Substanzen aus der Gruppe der Tyrosinkinaseinhibitoren sind zurzeit in der klinischen Prüfung (Cediranib).

Prognose

Die 5-Jahres-Überlebensrate des Nierenzellkarzinoms beträgt insgesamt etwa 50 %.

Stadienabhängig:

  • lokal begrenzt (T1-T2, N0, M0): 70-80 %
  • lokal fortgeschritten (T3, N0-N2, M0): 20-60 %
  • Fernmetastasen (alle T, alle N, M1): <10 %

Einzelnachweise

  1. Becker, Frank et al.: Wichtige Aspekte der organerhaltenden Nierentumorchirurgie: Indikationsstellungen, neuer Standard und onkologische Ergebnisse. In: Dtsch Arztebl Int. Nr. 106(8), 2009, S. 117-122 (Artikel). PDF
  2. Doehn C, Merseburger AS, Jocham D und Kuczyk MA: Gibt es eine Indikation zur neoadjuvanten oder adjuvanten Systemtherapie beim Nierenzellkarzinom? Der Urologe. Volume 46, Number 10 / Oktober 2007 doi:10.1007/s00120-007-1540-1
  3. D. Jocham u. a.: Adjuvant autologous renal tumour cell vaccine and risk of tumour progression in patients with renal-cell carcinoma after radical nephrectomy: phase III, randomised controlled trial. In: The Lancet, 363/2004, S. 594–9. PMID 14987883
  4. P. Ivanyi u. a.: Neue Therapien beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom. In: Dtsch Arztebl. Nr. 105(13), 2008, S. 232-237 (Artikel).

Weblinks

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