Kurt Lüscher

Kurt Lüscher

Kurt Lüscher (* 1935 in Luzern) ist emeritierter Ordinarius für Soziologie an der Universität Konstanz und lebt in Bern. Lüscher ist durch seine Arbeiten zur Soziologie der Familie und der Familienpolitik, des Kindes, der Generationenbeziehungen und durch eine Theorie der Ambivalenz hervorgetreten.

Inhaltsverzeichnis

Werk und Wirkung

Wissenschaftlicher Werdegang

Kurt Lüscher studierte an den Universitäten Basel und Bern, wurde dort bei Richard F. Behrendt 1964 zum Dr. rer. pol. promoviert und bildete sich anschliessend an der Columbia University (New York) und der Cornell University (Ithaca NY) weiter. 1967 habilitierte sich Lüscher für Soziologie an der Universität Bern, wo er ein Extraordinariat übernahm. 1969/70 war er Visiting Associate Professor an der University of North Carolina at Chapel Hill. Von 1971 bis 2000 hatte er einen Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Konstanz inne. Seit seiner Emeritierung erfüllt er Lehraufträge an der Universität Bern, betätigt sich in der Erwachsenenbildung sowie in der Politikberatung und führt seine Arbeiten im Bereich der Generationenanalyse und der Kultur- und Wissenssoziologie weiter.

In der Lehr- und Forschungstätigkeit rückte nach der Bildungs- und Mediensoziologie und neben der allgemeinen Soziologie zusehends die Soziologie der Familie und der Generationen in den Vordergrund. 1989 wurde Kurt Lüscher mit der Leitung eines vom Land Baden-Württemberg eingerichteten Forschungsschwerpunktes „Gesellschaft und Familie“ betraut, dessen wichtigste Arbeitsthemen die Prozesse der Familiengründung und der Sozialisation, die Gestaltung der Generationenbeziehungen, Analysen der Familienrhetorik, der Familienpolitik, der Kinderpolitik sowie des Verhältnisses zwischen Familie und Recht waren. Dem wissenschaftlichen Beirat des Forschungsschwerpunkts gehörten an: Ludwig Liegle (Tübingen) als Vorsitzender, Urie Bronfenbrenner (Ithaca), Wolfgang Glatzer (Frankfurt am Main), Charlotte Höhn (Wiesbaden), Franz-Xaver Kaufmann (Bielefeld), Lothar Krappmann (Berlin), Reinhart Lempp (Tübingen), Ilona Ostner (Göttingen) und Ingo Richter (Berlin).[1] Zu den Wissenschaftlern, die im Laufe ihrer Ausbildung eng mit Lüscher zusammengearbeitet und publiziert haben, gehören Heribert Engstler, Peter Gross, Hans Hoch, Martin Kohli, Andreas Lange, Wolfgang Lauterbach, Frank Lettke und Franz Schultheis.

Lüscher ist u. a. Mitglied des wissenschaftlichen Beirates beim deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), des Netzwerkes Generationenbeziehungen der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) und des „Interdisziplinären Arbeitskreises Ambivalenz“.

Wissenschaftlicher Ansatz

Die ersten Arbeiten von Kurt Lüscher betrafen Themen der Bildungssoziologie und der beruflichen Sozialisation. Dann wandte er sich weiteren Fragestellungen im Bereich der Sozialisationsforschung zu. Dabei galt das wissenschaftliche Bemühen von Kurt Lüscher zunächst der Vertiefung und Weiterführung der von Urie Bronfenbrenner vorgeschlagenen „Ökologie der menschlichen Entwicklung“ im Felde der Soziologie unter Würdigung historischer, wissenssoziologischer und sozialpolitischer Aspekte sowie des interkulturellen Vergleichs. Beachtenswert sind hierbei Forschungen über die Lebenslage junger Familien, die alltäglichen Erziehungsvorstellungen der Eltern sowie die Vorschläge für eine „Sozialpolitik für das Kind“. Parallel dazu beteiligte er sich an den Debatten über die Wirkungen des Fernsehens sowie die Chancen und Probleme dessen Privatisierung. 1973 war er als sozialwissenschaftlicher Gutachter für das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im so genannten „Lebach-Fall“ tätig. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Recht wurde seither immer wieder aktiviert, so mit Referaten im Rahmen des Deutschen Juristentags (1982, 2002).

Seit den 1990er Jahren ist die Analyse der Generationenbeziehungen in Familie und Gesellschaft sowie die Begründung einer „Generationenpolitik“ ins Zentrum der theoretischen und empirischen Arbeiten Lüschers gerückt, eingeschlossen die Beschäftigung mit den so genannten „Generationendialogen“.

In der Generationentheorie hat er sich mit der These profiliert, dass Generationenbeziehungen sowohl Solidarität als auch Konflikt beinhalteten, somit die Erfahrung von und den Umgang mit Ambivalenzen erfordern könnten, was nicht nur belastend sei, sondern auch innovative Denk- und Verhaltensweisen anregen könne. Diese These ausweitend interessiert Lüscher, dass das Konzept der Ambivalenz auch in anderen Disziplinen und beruflichen Tätigkeitsfeldern wie z.B. der Psychologie, der Psychotherapie, der Politischen Wissenschaft, der Theologie und den Literaturwissenschaften genutzt und weiter entwickelt wird. Zuletzt hat er in diesem Zusammenhang die Idee des „homo ambivalens“ zur Diskussion gestellt. Damit ist gemeint, dass Menschen fähig sind, Ambivalenzen zu erfahren und zu gestalten, diese Fähigkeit zugleich kritisch zu bedenken vermögen und diese ihrerseits „ambivalent“ einschätzen können.

Insgesamt ist für die wissenschaftliche Orientierung Lüschers ein wissenssoziologisch fundierter Pragmatismus kennzeichnend. Dieser wird – unter Einbezug interdisziplinärer Orientierungen – theoretisch und empirisch auf die Analyse unterschiedlicher sozialer Beziehungen und Praxisfelder angewandt.

Quellen

  • Bernsdorf, Wilhelm/Knospe, Horst (Hgg., 1984), Internationales Soziologenlexikon, Stuttgart: Enke, S. 515.
  • Lange, Andreas/Lettke, Frank (2005): Würdigung. Soziologie im „discovery mode“. Kurt Lüscher zum 70. Geburtstag am 6. Juli 2005, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 57, H. 4, S. 771-772.
  • Lange, Andreas/Lettke, Frank (2007): Generationen und Familien, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Publikationen (Auswahl)

  • (Hg., 1979): Sozialpolitik für das Kind, Stuttgart: Klett-Cotta.
  • mit Franz Schultheis und Michael Wehrspaun (Hgg., 1988): Die „postmoderne“ Familie. Familiale Strategien und Familienpolitik in einer Übergangszeit, Konstanzer Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Bd. 3, Konstanz: Universitätsverlag.
  • mit Franz Schultheis (Hgg., 1993): Generationenbeziehungen in „postmodernen“ Gesellschaften, Konstanz: Universitätsverlag.
  • mit Phyllis Moen und Glen H. Elder jr. (Hgg., 1995): Examining Lives in Context. Perspectives on the Ecology of Human Development. Washington: APA.
  • mit Andreas Lange (1998): Kinder und ihre Medienökologie, München: KoPäd.
  • mit Felix Thürlemann (Hgg., 1999): Die Kunst am Bau der Universität Konstanz. Ein Bildführer, Konstanz: Universitätsverlag.
  • mit Ludwig Liegle (2003): Generationenbeziehungen in Familie und Gesellschaft, Konstanz: Universitätsverlag.
  • (2001): Soziologische Annäherungen an die Familie, Konstanzer Universitätsreden, Konstanz: Universitätsverlag.
  • mit Karl Pillemer (Hgg., 2004): Intergenerational Ambivalences. New Perspectives on Parent-Child Relations in Later Life, Amsterdam u. a.: Elsevier.
  • mit Walter Dietrich und Christoph Müller (2009): Ambivalenzen erkennen, aushalten und gestalten. Eine neue interdisziplinäre Perspektive für theologisches und kirchliches Arbeiten, Zürich: Theologischer Verlag Zürich (TVZ).
  • (2010): "Homo ambivalens": Herausforderung für Psychotherapie und Gesellschaft, in: Psychotherapeut, Jg. 54, H. 2, S. 1- 10.
  • (2010): Ambivalenz der Generationen. Generationendialoge als Chance der Persönlichkeitsentfaltung, in: Erwachsenenbildung, Jg. 56, H. 1, S. 9-13.
  • (2010): Generationenpotentiale – eine konzeptuelle Annäherung, in: Ette, Andreas/Ruckdeschel, Kerstin/Unger, Rainer (Hgg.): Bedingungen und Potentiale intergenerationaler Beziehungen, Würzburg: Ergon Verlag.
  • (2010): Generationenpolitik – eine Perspektive, in: Lüscher, Kurt/Zürcher, Markus (Hgg.): Auf dem Weg zu einer Generationenpolitik, Bern: Schweiz. Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.
  • mit Éric D. Widmer (2011): Les relations intergénérationelles au prisme de l'ambivalence et des configurations familiales, in: Recherches familiales 8/2011, S. 49-60.
  • (2011): Ambivalence: A “Sensitizing Construct” for the Study and Practice of Intergenerational Relationships, in: Journal of Intergenerational Relationships 9, S. 191–206.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ab 2000 führte Frank Lettke (gestorben 2007) den Forschungsschwerpunkt "Gesellschaft und Familie" weiter.

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