Familienformen

Familienformen

Zur Beschreibung der Familie benötigt die Familiensoziologie eine Reihe von Begriffen. Generell ist seit der Antike in Europa eine Entwicklung von der Groß- zur Kleinfamilie festzustellen. In der Soziologie ist das Gegenstück zur Großfamilie nicht die Kleinfamilie, sondern dieKernfamilie“ (siehe unten). Sie ist als Gattenfamilie, die aus Eltern (Vater, Mutter) und Kindern besteht (und in der soziologischen Diskussion kaum eine Rolle spielt), die Basis aller Familienformen.

Dabei besteht das Problem, dass gleiche Begriffe zu ganz unterschiedlichen Epochen ganz Unterschiedliches umfassten; so ist dieKernfamilie“ (als Gattenfamilie mit Kindern) im Feudalismus zwar in der Form mit jener in der Moderne gleich, im Machtgefüge und im sozialen Ansehen bestehen jedoch gravierende Unterschiede.

Inhaltsverzeichnis

Antike Familie

Familie bedeutet in der Antike eine umfassende Lebens- und Rechtsform zum Teil auch mehrerer Generationenzum Beispiel Väter und Söhnemit unter Umständen sehr vielen Sklaven in einemHaus“. Basis derAntiken Familieist die Rechtsform, die später alsHausbezeichnet wird, in der der Hausvater (Pater familias) nach außen rechtlicher Vertreter und Schutzherr der Familie ist, nach innen als Patriarch Inhaber aller Machtbefugnis (bis hin zum Töten von Sklaven und vielem mehr).

Große Haushaltsfamilie

Im Mittelalter entspricht dem dieGroße Haushaltsfamilie“, in der mehrere Generationen, zum Teil auch parallele Ehen (zum Beispiel von Brüdern) und gegebenenfalls Verwandte zusammen mit dem Gesinde eine Lebens- und Wirtschaftsform bilden. In der historischen Entwicklung ist dieGroße Haushaltsfamilieeher in Nordeuropa zu finden.

Anwesen

Als eine besondere Form ist das (bäuerliche) „Anwesenbestimmter Regionen mit großbäuerlicher Landwirtschaft (zum Beispiel Nordwestdeutschlands) zu nennen, in dem auf einem (Bauern-) Hof einerseits eineKernfamilieplus Gesinde/Verwandte alsErweiterter Haushaltden Haupthaushalt des Hausvaters stellt (siehe unten), andererseits aber weitere Haushalte einbezogen sein können, nämlich die von Insten und Altenteilern. Beide können wiederumErweiterte Haushaltesein. Während Inste zumeist Arbeitskräfte auf dem Hof waren, sind Altenteiler die früheren Hofhalter, üblicherweise Eltern, Großeltern eines Gatten des Haupthaushalts, seltener auch nicht mit jenen verwandt. Sie hatten zumindest Anteil an den Produkten des Hofes.

Haus / Ganzes Haus / Erweiterter Haushalt

DasHausim Mittelalter – später alsGanzes HausoderErweiterter Haushaltbenannt – basiert auf der oben genannten Rechtsform desHauses“ (Hausvater als rechtliche Vertretung und Schutzherr…) und wird in Abgrenzung zu den oben genannten Formen als aus nur einerKernfamilieplus Gesinde bestehend definiert.

DasGanze Hausbezeichnete den Haushalt als Rechts-, Sozial- und Wirtschaftseinheit. Der Soziologe Trutz von Trotha schreibt: Im so genannten ‚Ganzen Hausder vor- und frühneuzeitlichen Welt standen Haus, Hof, die Abfolge der Generationen, die Dauerhaftigkeit des väterlichen Namens, die Sicherung des Lebensunterhalts und der Schutz der Familie und manches Verwandten im Mittelpunkt des Lebens der Familie.[1] Mit der Entwicklung der bürgerlichen und nachbürgerlichen Familie habe sich dies geändert. DasGanze Hauswird jedoch im 19./20. Jahrhundert beispielsweise durch Otto Brunner zum ideologisch eingefärbten Begriff, der eine idealisierte Harmonie von Herr und Gesinde unter der Führung des Hausvaters betont.

Präziser ist es, vomErweiterten Haushalt“ (in der Rechtsform desHauses“) auszugehen, um methodisch eindeutig auf nur eineKernfamilieplus Gesinde und gegebenenfalls Verwandte zu verweisen. DerErweiterte Haushaltist eher Bestandteil der Familienformen Westeuropas.

Siehe auch: Ökonomik in Antike und Mittelalter

Subfamilie

Sinnvoll wäre es, einen neuen BegriffSubfamilieeinzuführen, der sich von derKernfamilienoch unterscheidet, die meist im Sinne der Moderne (Industrialisierung) definiert wird. Die soziologische Diskussion um die historische Familie leidet darunter, den Begriff derKernfamiliesowohl für die Moderne als auch für die Vormoderne (Aufklärung) und den Feudalismus zu verwenden. „Subfamiliensind jene Familien aus Gatten und Kindern (ohne Gesinde), die in Quellen zwar als eigenständige (zumeist Miet-) Haushalte erkennbar, zugleich aber demHaus“ (oderAnwesen“) untergeordnet sind. Das trifft eine große Zahl vormoderner Haushalte vor allem auf dem Land. Nicht dazu gehören früheBürgerliche Familienetwa des entstehenden Bildungsbürgertums. Schwierig wird die Abgrenzung bei solchen Haushalten der Unterschichten, die in Städten beispielsweise als Arbeitsleute manchmal sogar eigenen Hausbesitz aufweisen und zum Teil aus dem Handwerk abgestiegen sind. Im Bereich der Seefahrt und des Baugewerbes sind eigenständige Haushalte, auch die von Gesellen, schon früh anzutreffen.

Bürgerliche Familie

DieBürgerliche Familieentwickelt sich aus demHausder städtischen Kaufleute und des sich bildenden Bildungsbürgertums in der Vormoderne. Das häufig eingestellte Gesinde hat eine andere Stellung als noch bei Handwerkern oder gar Bauern (bei denen Gesinde oft aus der eigenen Schicht kam). Hier wird die Kernfamilie zum alleinigen Fokus des Hauses. Die Distanz zu den Dienstboten wird stilbildend.

Kernfamilie

Am Ende der Entwicklung steht in der Industrialisierung die Kernfamilie (2 Bedeutungsinhalte), die Funktion und Rechte desHausesübernimmt und in der zugleich beide Gatten als bürgerliche Individuen rechtsfähig werden (Aufhebung desHauses“; wenn auch noch lange einseitig zugunsten des Mannes). Sie entsteht sowohl aus derBürgerlichen Familiedes Bildungs- und Besitzbürgertums vornehmlich der Städte, aus dem Handwerk bei Ausgliederung der Werkstätten und Beschäftigten als auch aus der entstehenden Arbeiterschaft. Die Kernfamilie ist mit der traditionellen Familie vergleichbar.

Postmoderne Familie

AlsPostmoderne Familieentwickeln sich primär in Westeuropa Formen, die die Auflösung der Gattenfamilie tangieren. Der Begriff der Postmoderne ist dabei in die Familiensoziologie eingeführt, (unter anderem bei Lüscher; siehe unten) soll aber eher so etwas wieNachmoderne“, (Beck) also die Zeit nach der Hochphase der Industrialisierung, also etwa ab dem Zweiten Weltkrieg bedeuten (weniger den speziellen begriff Postmoderne in der Kunst). Wenn auch die Ehe der Ehegatten in der Kernfamilie zahlenmäßig weiter deutlich überwiegt, ist doch eine Reihe entsprechender Entwicklungen festzustellen. Sie reicht von Wohngemeinschaften und Lebensgemeinschaften über Einelternfamilien bis hin zur Verbindung zweier Eltern mit je eigenen Kindern zu einer Stieffamilie ohne rechtliche Bindung. Ein oft dafür verwendeter Ausdruck, die Patchworkfamilie, beleuchtet die Sicht der in so einem sukzessiven Verbund aufwachsenden Kindern. Unter Umständen hat so ein Kind sechs oder mehr Großelternpaare mit unterschiedlicher Intensität der emotionalen und instrumentellen Bindungen. Staatlicherseits wird die nicht-eheliche Verbindung formalisiert, sei es durch Anrechnung von Einkommen nicht-ehelicher Partner in der Armengesetzgebung (Deutschland: eheähnliche Lebensgemeinschaft, Bedarfsgemeinschaft), sei es durch Anerkennung der Verbindung homosexueller Paare (eingetragene Lebenspartnerschaft), oder – andererseits – durch gemeinsames Sorgerecht nicht-verheirateter Eltern bei gemeinsamen Kindern. Doch auch in modernen rechtsgültigen Ehen werden Lebensbeziehungen alltäglich, die solchen Entwicklungen entsprechen.

Siehe auch

Literatur

  • Andreas Gestrich, Jens-Uwe Krause, Michael Mitterauer: Geschichte der Familie. Stuttgart 2003.
  • Lars Hennings: Familien- und Gemeinschaftsformen am Übergang zur ModerneHaus, Dorf, Stadt und Sozialstruktur zum Ende des 18. Jahrhunderts am Beispiel Schleswig-Holsteins. Berlin 1995.
  • Peter Laslett: Verlorene Lebenswelten, Geschichte der vorindustriellen Gesellschaft. Frankfurt 1991.
  • Kurt Lüscher, Franz Schultheis, Michael Wehrspaun: DiepostmoderneFamiliefamiliale Strategien und Familienpolitik in einer Übergangszeit. Konstanz 1988.
  • Claudia Opitz: Neue Wege der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept desganzen Hauses“, Geschichte und Gesellschaft 1. 1994.
  • Heide Rosenbaum: Formen der Familie. Frankfurt 1981.
  • Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Darmstadt 1979.
  • Ingeborg Weber-Kellermann: Die deutsche Familie. Frankfurt 1974.

Einzelnachweise

  1. Trutz von Trotha: Eltern-Kind-Beziehung: Frankreich und Deutschland. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Januar 2008, abgerufen am 20. September 2008.

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