- Lager Reiherhorst
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Das Konzentrationslager Wöbbelin war ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Es befand sich zwischen Wöbbelin und Ludwigslust und existierte nur 10 Wochen – vom 12. Februar 1945 bis zum 2. Mai 1945.
Inhaltsverzeichnis
Aufbau und Betrieb
Die Errichtung eines neuen Außenlagers in der Gegend von Ludwigslust wurde durch die Kommandantur des Konzentrationslagers Neuengamme Ende 1944 / Anfang 1945 beschlossen und geplant. Das neue Konzentrationslager befand sich ca. 30 km südlich von Schwerin und wenige Kilometer nördlich von Ludwigslust. Nur etwa 500 Meter vom Standort des späteren KZ Wöbbelin entfernt befand sich bereits seit dem Spätsommer 1944 ein kleines Konzentrationslager, welches aus Holzbaracken bestand und gelegentlich auch als Lager Reiherhorst bezeichnet wurde.
Am 15. Februar 1945 wurde ein erster Transport von 700 Häftlingen aus Neuengamme im Lager Reiherhorst untergebracht. Diese Gefangenen wurden vorwiegend zur Fertigstellung des größeren Hauptlagers eingesetzt, das ursprünglich für britische und amerikanische Kriegsgefangene geplant war. Der Rohbau der Baracken in Wöbbelin erfolgte sehr schnell. Die Häftlinge zogen noch vor Abschluss der Arbeiten Anfang April 1945 in das neue Lager um. Wie viele Bauten das KZ Wöbbelin umfasste, ist nicht mehr sicher festzustellen, Historiker gehen von etwa fünf Unterkunftsbaracken sowie einem Küchen- und einem Sanitärtrakt aus.
Nachdem das Konzentrationslager somit in Betrieb war, diente es als Auffanglager für die so genannten „Evakuierungstransporte“, zutreffender Todesmärsche, also für Häftlinge, die aus bereits "geräumten" Konzentrationslagern von der SS deportiert worden waren. Hauptsächlich betraf dies Gefangene aus anderen Außenlagern von Neuengamme. Aber auch aus entfernteren Lagern wie dem Konzentrationslager Auschwitz wurden Transporte (über Zwischenstationen) ins KZ Wöbbelin geschickt.
Mit der geänderten Funktionszuweisung ab April 1945 wurden auch die Arbeitseinsätze gestoppt. Der weitere Aufbau des Lagers wurde eingestellt, das einzige organisiert arbeitende Kommando war ab dieser Zeit ein Leichenkommando, welches sich um die Beseitigung der Toten kümmern musste.
Deportation und Befreiung
Aufgrund des Vormarsches der alliierten Armeen musste auch das KZ Wöbbelin bald wieder aufgegeben werden. Planungen zur Evakuierung wurden bereits Ende April 1945 getroffen. Am 1. Mai 1945 wurden die transportfähigen Häftlinge in einen Güterzug verladen, der aus ungeklärten Gründen aber nie abfuhr. Die Forschung vermutet, dass dieser Umstand lebensrettend war, da davon ausgegangen wird, dass der Zug – wie alle anderen Transporte aus Neuengamme – nach Lübeck hätte fahren sollen. Dort wäre der Großteil der Häftlinge vermutlich dem Luftangriff auf die Transportschiffe in der Lübecker Bucht (siehe Cap Arcona) zum Opfer gefallen.
Während die zur Deportation bestimmten Häftlinge in den Zug verladen wurden, durchsuchte die SS-Wachtruppe das Lager und erschoss all jene, die sich zu verstecken suchten, wobei die Kranken und nicht transportfähigen, die ohnehin zurückgelassen werden sollten, verschont blieben.
Nach 24 Stunden in den vollgestopften Waggons wurden die Häftlinge aus dem Güterzug am 2. Mai wieder zurück ins Lager getrieben. Dort wurde eine Marschkolonne zusammengestellt, die in Richtung Schwerin aufbrach. Die SS-Wachen gaben die Kolonne jedoch auf, als sie ihre chancenlose Unterlegenheit gegen die näher kommenden Amerikaner einsahen. Im Lager selbst wurden etwa 3500 Menschen zurückgelassen – größtenteils die so genannten „Muselmänner“. Auch die verbliebenen SS-Männer im Lager setzten sich aus Angst vor den Amerikanern ab. Sie statteten vorher noch einige Kapos mit Gewehren aus, um die Häftlinge in Schach zu halten. Am Mittag des 2. Mai 1945 wurde das KZ Wöbbelin schließlich von Soldaten der 82. US-Luftlandedivision der United States Army befreit.
Schockiert von den vorgefundenen Zuständen, ordnete der Divisionskommandant Gavin an, dass Zivilisten der umliegenden Orte die Massengräber im Umkreis des Lagers zu öffnen und die Leichen der Häftlinge in Einzelgräbern zu bestatten hätten.
Dieses erfolgte dann auf Friedhöfen in Schwerin (am Platz der Opfer des Faschismus), Hagenow, Wöbbelin und Ludwigslust. In Ludwigslust wurden die Gräber für 200 Opfer direkt in der zentral gelegenen Achse Schloss – Stadtkirche angelegt. Aus jedem Haushalt der Stadt musste mindestens eine Person an der Beerdigung teilnehmen.
Häftlingsgesellschaft und Zustände
In der kurzen Zeit seines Bestehens war das KZ Wöbbelin Station für über 5000 Opfer des Hitler-Regimes. Die Häftlinge kamen aus 16 Nationen, über 1000 von ihnen überlebten die 10-wöchige Existenz von Wöbbelin nicht.
Verschiedene Häftlingsgruppen wurden durch farbige Stoffdreiecke gekennzeichnet, die sich die Gefangenen auf die linke Brustseite der Jacke und das rechte Hosenbein zu nähen hatten. So stand Rot für „Schutzhaftgefangene“, Grün für „Vorbeugehäftlinge“ und „Sicherungsverwahrte“, Braun anfangs für „Zigeuner“, Schwarz für so titulierte „Asoziale“ und später ebenfalls für die Sinti und Roma, Violett für Zeugen Jehovas und Rosa für Homosexuelle. Jüdische Häftlinge erhielten zudem einen gelben Winkel, der zusammen mit dem Dreieck der Häftlingskategorie den Davidstern ergab. Mit dieser Kennzeichnung sollte die rassistische und hierarchische Trennung zwischen den so genannten „Herrenmenschen“ und „Untermenschen“ zum Ausdruck gebracht werden. Durch Schmutz auf der Kleidung waren die Kennzeichnungen aber nach kurzer Zeit kaum noch zu erkennen.
Nachdem Wöbbelin ab April 1945 als Auffanglager diente, stellte die SS praktisch jedwede Versorgung des Lagers ein. Wöbbelin wurde damit zu einem Sterbelager; die SS tötete (primär) nicht direkt durch Gewalt, sondern überließ die Gefangenen dem Tod durch Hunger, Krankheit und Entkräftung, ein Vorgehen, das Wolfgang Sofsky in Die Ordnung des Terrors als „indirekte Massenvernichtung“ bezeichnete.
Die Verpflegung bestand aus einer Tagesration von einem Kilogramm Brot für zehn Gefangene und einem halben Liter Suppe, wobei diese aus dem Wasser der einzigen Pumpe im Lager hergestellt wurde. Dieses Wasser stammte aus einem Brunnen, der in Verbindung zu einem Massengrab in der Nähe stand. Die Überlebenden berichteten später, dass das Wasser ungenießbar war und diejenigen, die es tranken, krank wurden. Aufgrund des Hungers kam es in Wöbbelin sogar zu Kannibalismus-Fällen. Die Verzweiflung war so groß, dass selbst die umstandslose Erschießung derjenigen, die sich von den Toten ernährten, nicht ausreichend abschreckend wirkte.
Da die Unterkunftsbaracken nicht über das Rohbau-Stadium hinausgekommen waren, mussten die Häftlinge auf dem Ziegelboden schlafen, es gab weder Betten noch Öfen. Die als Sanitärtrakt vorgesehene Baracke diente als Lager für die Leichen und auch die Revierbaracke diente nur dem Namen nach zur Krankenversorgung.
Noch nach der Befreiung des Lagers starben mehr als 200 Menschen an den direkten Folgen der im Lager erlittenen Misshandlungen. General James M. Gavin, Kommandeur der 82. Luftlandedivision schrieb: „Wir konnten das Wöbbeliner Konzentrationslager riechen, bevor wir es sehen konnten.“ (zit. nach Baganz).
Wachtruppe
Die Wachtruppe für das KZ Wöbbelin wurde durch die SS gestellt, als Außenlager von Neuengamme unterstand es dem vom SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) dirigierten KZ-System. Bereits der deutschen Justiz war es Ende der 1970er Jahre nicht gelungen, die Angehörigen der Kommandantur des KZ Wöbbelin umfassend zu ermitteln. Die Forschung geht davon aus, dass der Aufbau der Kommandantur nach dem typischen Dachauer Muster genauso wie das gesamte Lager in den Anfängen stecken blieb. Sicher ist jedoch, dass sich sowohl der Kommandanturstab als auch die Wachmannschaft zu wesentlichen Teilen aus der Wachtruppe des bereits aufgelösten KZ Stutthof formierte. Ergänzt wurde dieser Personalkern durch SS-Männer aus anderen aufgelösten Lagern und durch Teile der Begleitmannschaften der ankommenden Transporte. Lagerkommandant war der vormalige Kommandant von Stutthof, Obersturmbannführer Paul Werner Hoppe. Adjutant war Hauptsturmführer Theodor Traugott Meyer, der Hoppe bereits in Stutthof als Adjutant gedient hatte. Obersturmführer von Bonin war der Verwaltungsführer, auch er hatte diese Funktion bereits in Stutthof innegehabt.
Aufarbeitung und Gedenken
Die juristische Aufarbeitung des KZ Wöbbelin begann erst 1967 auf Betreiben eines Niederländers, dessen Vater in Wöbbelin umgekommen war. Bis 1975 ermittelte die bundesdeutsche Justiz, das Verfahren musste aber 1976 ergebnislos eingestellt werden. Da das Lager auf dem Gebiet der ehemaligen DDR liegt, konnte in den 1970er Jahren aufgrund der Abgrenzungspolitik der DDR auch kein Austausch stattfinden. Die Baracken des Lagers wurden 1948 abgerissen, so dass heute nur noch Grundrisse vorhanden sind.
Hinsichtlich des Gedenkens an die Zeit des Nationalsozialismus stellt Wöbbelin ein Unikum dar: Die Gedenkstätte erinnert nicht nur an das ehemalige KZ, sondern auch an den Dichter Theodor Körner, dessen Werk die Nationalsozialisten für ihre Zwecke vereinnahmten und dem sie bei Wöbbelin einen „Heldenhain“ errichteten, auf dessen Gelände die Amerikaner über 150 Opfer des KZ Wöbbelin beerdigten. Daher ist die Gedenkstätte ebenfalls Ziel nationalistischer oder rechtsradikaler Kreise, die zum Grab Körners pilgern. Im Jahr 2002 wurde die Gedenkstätte an das KZ durch aufgesprühte Hakenkreuze und antisemitische Parolen, sowie durch Beschädigung des Mahnmals und Deponierung eines Schweinekopfes geschändet.
Am Standort des ehemaligen Außenlagers wurde am 2. Mai 2005, dem 60. Jahrestag der Befreiung, ein weiteres Denkmal eingeweiht. Ein Workcamp europäischer Jugendlicher errichtete bereits 2004 fünf Skulpturen aus Abrisssteinen auf dem Gelände. Ergänzt wurde eine Fläche mit einer gemauerten Stele, mehreren Sockeln und einer Klinkerpflasterung mit fünf nach oben gewölbten Rissen, an deren Abbruchkanten in Klinkersteine die Namen oder Nummern hier gestorbener Häftlinge eingeprägt sind.
Bekannte Häftlinge
Der spätere Filmproduzent Gyula Trebitsch und der französische Schriftsteller und radikale Politiker David Rousset gelangten nach einer Odyssee durch verschiedene Lager in das KZ Wöbbelin, wo sie befreit wurden.
Der Name „KZ Wöbbelin“
Um den Namen „KZ Wöbbelin“ gibt es einige Verwirrung. Tatsächlich befanden sich beide Lager auf dem Gemarkung der Gemeinde Groß Laasch und auch in unmittelbarer Nähe (ca. 3 Kilometer) der Kreisstadt Ludwigslust. Nach der Befreiung des Lagers wurde die Versorgung der Häftlinge von den US-Truppen in Ludwigslust organisiert. In angelsächsischen Publikationen und zeitgenössischen Dokumenten wird der Lagerkomplex daher auch oft als „Camp Ludwigslust“, „KZ Ludwigslust“ o. ä. bezeichnet. James M. Gavin verwendete in seinem Buch „On To Berlin“ den fehlerhaft Ortsnamen „Wobelein“, eine Schreibweise die von vielen Veteranen und Publikationen über die 82. US-Luftlandedivision übernommen wurde.
Siehe auch
Literatur
- Carina Baganz: Wöbbelin: Das letzte Außenlager des KZ Neuengamme als Sterbelager. In: Detlef Garbe: Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Die Auflösung des KZ Neuengamme und seiner Außenlager durch die SS im Frühjahr 1945. Ed. Temmen, Bremen 2005, ISBN 3-86108-799-5, S. 105 – 116
- Carina Baganz: Zehn Wochen KZ Wöbbelin, Wöbbelin 2000 (hrsg. von Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin)
- Violet A. Kochendoerffer: A Woman's World War II; ISBN 978-0-813-11866-6
- James M. Gavin : On to Berlin : battles of an airborne commander, 1943-1946, Viking Press New York, N.Y. 1978, ISBN 0-670-52517-0
Weblinks
- Mahn und Gedenkstätten Wöbbelin
- Förderverein der Mahn-und Gedenkstätte Wöbbelin; mit interakitver Ausstellung (u.a. mit historischen Bildern, Filmaufnahmen und Zeitleiste)
- Interview der Ostseezeitung mit Wolfgang Benz
53.36694444444411.491944444444Koordinaten: 53° 22′ 1″ N, 11° 29′ 31″ O
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