Laudin und die Seinen

Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann
* 1873 †1934

Laudin und die Seinen ist ein Eheroman von Jakob Wassermann, erschienen 1925 im S. Fischer Verlag Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Der Familienvater Dr. Laudin wehrt sich gegen sein Faible für die faszinierende Schauspielerin Luise Dercum, Lu genannt. Lu ist der Star an den Städtischen Bühnen.

Eine Zahl in runden Klammern verweist auf die Seite in der Quelle.

Handlung

Haben Sie mal etwas von der sogenannten sibirischen Ehe gehört? erkundigt sich das Fräulein May Ernevoldt bei Dr. Friedrich Laudin und erläutert diese Eheform dem lauschenden erfolgreichen Advokaten innerhalb eines ellenlangen Monologs. Ehetheorie bekommt der Leser in dem Buch genug vorgesetzt. Nur mit der Praxis hapert es bei den handelnden Ehepaaren und den ehebrechenden Damen und Herren. Fast jeder Verheiratete will sich scheiden lassen oder hat es schon geschafft, dem Schlafzimmer zu entfliehen, in dem die Küsse zu Gift und die Umarmungen zu Wutkrämpfen geworden waren (41). Beinahe jeder von diesen Herrschaften beansprucht die professionelle Hilfe des routinierten Scheidungsanwalts Dr. Laudin.

Der Advokat Dr. Friedrich Laudin

Friedrich Laudin war der Sohn eines Volksschullehrers von der schlesischen Grenze. Er war in den allerengsten Verhältnissen aufgewachsen, und sein Studienweg war ein beständiger Kampf gegen die Not gewesen (35). In jener Zeit wurde Laudin mit Konrad Lanz bekannt.

Die Ehe Laudins mit Pia wird als mustergültig hingestellt. Drei gut geratene Kinder sind da: Relly, Marlene und Hubert. Allerdings will sich die halbwüchsige Marlene nicht in die konventionelle bürgerliche Frauenrolle fügen und begehrt auf. Laudin weist die widersetzliche Tochter behutsam in die Schranken.

Die Anwaltskanzlei Laudin ist eine der ersten Adressen in der Stadt. Der gute Ruf Laudins beruht auf einen aufsehenerregenden Scheidungsprozeß im Jahre 1910. Sogar die gegnerische Partei hatte gegründeten Anlaß, seinen juristischen Scharfsinn, sein profundes Fachwissen und vor allem seine Vornehmheit und Zurückhaltung zu rühmen (32). Laudin übernimmt nur die wichtigen und schwierigen Fälle. Den Rest überlässt er seinen Gesellschaftern. Kein rauhes Wort aus seinem Munde traf sie. Niemals eine Reizbarkeit, eine Ungeduld, die den Angestellten zum Sündenbock machte (33).

Jakob Wassermann hat drei Fälle des Advokaten Laudin erzählerisch hervorgehoben; den der jungen ledigen Mutter Karoline Lanz, den des Fräuleins May Ernevoldt und insbesondere den des jungen Musikers Nikolaus Fraundorfer.

Der Fall Karoline Lanz

Hartmann verlässt den Hartmannshof, lässt seine Frau Brigitte mit den beiden Buben sitzen und geht mit seiner Geliebten Karoline Lanz nach Steyr. Dort arbeitet Hartmann in einer Fabrik und lebt mit Karoline in bescheidenen Verhältnissen. Karoline bekommt ein Kind. Hartmann kommt eines Abends mit Schüttelfrost aus der Fabrik nach Hause, legt sich zu Bett und stirbt. Karoline, die nun mit dem Kind allein dasteht, geht zum Hartmannshof und verlangt von Brigitte Hartmann das Testament, in dem der Verstorbene sie und ihr Kind finanziell abgesichert hat. Karoline wird von Brigitte vorgelassen. Als Karoline die Lade aufschließen will, ist sie offen und das Testament ist verschwunden.

Karolines Bruder Konrad fragt den Anwalt Laudin, wie Brigitte Hartmann zur Herausgabe des Testaments gezwungen werden kann. Laudin ernüchtert Konrad: Das Testament hat die Frau ohne Zweifel vernichtet; sie kann es also auch nicht herausgeben (25). Laudin übernimmt den hoffnungslosen Fall. Gewieft setzt er Brigitte Hartmann unter Druck; behauptet kühn, höchstwahrscheinlich existiere eine Kopie des Testaments und löst mit der lapidaren Vermutung bei Brigitte Hartmann hektische Betriebsamkeit über den ganzen Roman hinweg aus. Es gelingt dem geschickten Anwalt am Ende des Romans, Karoline zu helfen. Laudin bringt Brigitte Hartmann so weit, dass er ihr einen Brief in die Feder diktiert, in dem sie einer Teilung des Hinterlassenschaftsvermögens des Gatten zwischen ihr und Hartmanns Kebse (118) Karoline Lanz zähneknirschend zustimmt (349).

Vor diesem glücklichen Ende wird Konrad Lanz noch wegen Banknotenfälschung inhaftiert. Laudin kümmert sich selbstredend um den eingekerkerten hoffnungsvollen jungen Naturwissenschaftler.

Der Fall May Ernevoldt

Frau Konsul Konstanze Altacher, aus hochbürgerlichen Kreisen, hat eine beinahe krankhafte Vorliebe für Advokaten, sucht Laudin in der Kanzlei auf und malt ein düsteres Bild ihrer Familie. Dabei gingen aus der Ehe drei Töchter hervor.

Auch der Name Lu fällt. Ist Lu eine Anstifterin, Verführerin, Schuldige? May ist Lu sklavisch ergeben (206). Konstanze Altacher behauptet, Lu habe eine skandalöse Vergangenheit, und sie habe den eigenen Gatten seelischen vollkommen ruiniert. Seine Internierung in die Irrenanstalt sei Lus Werk. Mays Bruder, Bernt Ernevoldt, eine verkrachte Künstlerexistenz, habe Lu als siebzehnjähriges Mädchen auf einer böhmischen Provinzbühne entdeckt. Lu sei eine Frau, die keine langen Vorbereitungen nötig hat, um ihre Netze auszuwerfen.

Die Frau Konsul war empört, als sie erfuhr, dass ihr Gatte zu Lebzeiten seiner Geliebten May Ernevoldt ein Viertel seines Vermögens, immerhin sechzigtausend Goldkronen, geschenkt hat. Konstanze Altacher verlangt das Geld von den Ernevoldts zurück und beauftragt Laudin mit dem Verfahren.

Laudin legt dann später, nachdem er inzwischen Lu verfallen ist (s.u.), die Vertretung der Frau Konsul nieder, vertritt die Gegenseite - verlangt für die Ernevoldts von der Frau Konsul eine halbe Million Goldkronen und macht sich damit gesellschaftlich unmöglich. Schließlich ist Konstanze Altacher eine hochangesehene Dame. Vor Gericht leistet sich Laudin auf einmal unentschuldbare Schnitzer. Laudins Klage gegen Konstanze Altacher bekommt den Charakter eines juristischen Eiertanzes. Laudins gegnerischer Advokat triumphiert.

Der Fall Nikolaus Fraundorfer

Das Unheil nimmt seinen Lauf, als sich der junge Musiker Nikolaus Fraundorfer, der einzige Sohn von Laudins ledigem Freund Dr. Egyd Fraundorfer, die Kugel gibt. Laudin will dem schmerzgeprüften Freunde helfen und verspricht ihm, bei Lu, der Geliebten des Toten, nach den Hintergründen des Suizids zu forschen. Als der Anwalt, in Vorbereitung des beabsichtigten ersten Kontaktes, ein Foto mit Lu darauf betrachtet, resümiert er: Das ist allerdings ein Gesicht von unbeschreiblicher, von erstaunlicher Wahrheit und Unschuld (71). Während jene Erkundigungen ausufern, besucht Laudin Aufführungen mit Lu in der Hauptrolle und ist dankbar, dass ihm so eine Glücksleuchte entgegentritt. Lu ist mit dem Schauspieler Arnold Keller verheiratet, der tatsächlich in Berlin im Irrenhaus festsitzt.

Lu erzählt dem nachforschenden Advokaten, Nikolaus spielte Klavier, und durch das Klavierspiel entstand die Freundschaft. Als Nikolaus zudringlich wurde, habe sie den achtzehnjährigen Frosch wegen des Altersunterschiedes zurückgewiesen. Lu braucht Menschen, liebt die Gesellschaft. Die Schauspielerin sieht ihre Karriere so: Aus schmutzigem Spülicht ist die Seifenblase emporgestiegen; aber die schöne Kugel wartet aufs Ende. Der treu sorgende Familienvater Dr. Laudin verfällt hoffnungslos der gewissenlosen Lu. Es war möglicherweise ihre Unabhängigkeit, die ihm vor allem imponierte (196). Er erfuhr dabei Gemütsbewegungen, die er bis dahin nicht gekannt hatte. Er mochte sie als unerwartete und um desto willkommenere Befreiung von dem Druck der Umwelt empfinden (201).

Überraschenderweise wirft Laudin in vergötternder Bewunderung sein schwer verdientes Geld Lu und Bernt Ernevoldt in den Rachen. Deren Anhängsel, die parasitäre Künstlergemeinde, wirft das Geld mit allen verfügbaren Händen zum Fenster hinaus. Das ist aber nicht das Schlimmste. Wirklich schlimm ist nur die mutlose Unterwerfung Laudins unter Lu, die weiter nichts ist als eine aus Berlin importierte Enkelin eines Aufwaschweibs aus Olmütz. Laudin blickt beklommen zu ihr empor wie ein Tier aus dem Zwinger. Lu, die Lügnerin, hält Laudin in ihren Fängen. Ruft sie, so kommt er. Befiehlt sie, so gehorcht er. Klagt sie, wird ihm die Luft zum Atmen schwer.

Laudin tritt nun daheim als Geizhals auf, und die Töchter müssen sich fragen: Machen wir nun unsere Osterpartie? Laudins bezichtigt sich vor dem Freund Egyd Fraundorfer selber: Erniedrigt hat er sich, befleckt, ist zum Laufburschen in Alkovenangelegenheiten herabgesunken, zum Geldgeber in fragwürdigen Projekten. Laudin springt, sobald die unberechenbare Lu pfeift, sobald sie das Trotzige, Flinke, Funkelnde, pagenhaft Energische hervorkehrt. Der Advokat ist von Lu fasziniert, doch eine sinnliche Beziehung hat etwas Schauriges für ihn, wie das Ende vom Ende (302).

Du bist frei (307), sagt Pia im krassen Gegensatz zu Laudins sämtlichen geldgierigen Klienten, als sie den Gatten nach langem geduldigen Schweigen zur Rede stellt.

Arnold Keller, der Lu einst an den Ehepflock gebunden hatte, wird aus der Anstalt entlassen. Lu geht Laudin noch einmal um Geld an. Laudin, der offenbar seine ganze innere Freiheit und Überlegungskraft eingebüßt (316) hat, schenkt ihr diesmal eine Aktentasche voller Geldscheine, die er sich aus seinem Tresor von einem Klienten heimlich „borgt“. Auf dem Gipfel der Erniedrigung Laudins durch Lu betritt Laudins massiger Freund Egyd Fraundorfer ungezwungen Lus Atelier und ringt der Schauspielerin behände ein Geständnis, den Suizid seines Sohnes Nikolaus betreffend, ab. Es stellt sich heraus, Lu hatte Nikolaus mit Syphilis angesteckt.

Laudin, ernüchtert, geht mit dem Freunde heim und wohnt ab dem nächsten Tag bei Frau von Damrosch zur Untermiete. Pia wird ihn nicht mehr wollen, vermutet der zerknirschte Advokat und legt sich fiebernd zu Bett. Pia ermittelt Laudins Adresse, geht hin, ruft keinen Arzt, wacht Tag und Nacht am Krankenbett und pflegt den Gatten gesund.

Die Laudins vermieten ihre Villa für drei Jahre. Laudins Stütze ist - neben seiner Frau Pia - insbesondere seine lebenstüchtige Tochter Marlene. Laudin überlegt: Hänge ich den Beruf an den Nagel? Fange ich nochmal ein neues Leben an?

Figuren

Der Advokat Dr. Friedrich Laudin
Dr. Friedrich Laudin, genannt Laudin, 47-jähriger Advokat.
Pia Laudin, geborene Rossi, Laudins 36-jährige Ehefrau.
Relly, die ältere Tochter der Laudins.
Marlene, die jüngere Tochter der Laudins.
Hubert, ein Baby, genannt Zwerg Uistiti, jüngster Sohn der Laudins.
Der Fall Karoline Lanz
Hartmann, Baumeister, Brandinspektor, Sachverständiger bei Schätzungen, Landbesitzer bei Kottingbrunn (18).
Brigitte Hartmann, Witwe Hartmanns.
Fräulein Karoline Lanz, Lebensgefährtin Hartmanns.
stud. chem. Konrad Lanz, Bruder Karolines.
Der Fall May Ernevoldt
Konstanze Altacher, Witwe des Konsuls Edmund Altacher.
Fräulein May Ernevoldt, Geliebte des Konsuls.
Bernt Ernevoldt, May's Bruder, ehemaliger Kriegskorrespondent, Unterhändler, Firmenvertreter, Filmregisseur, Okkultist, Theosoph.
Frau Luise Dercum, genannt Lu, 24-jährige Schauspielerin, Freundin der Ernevoldts.
Arnold Keller, Schauspieler, Lu's Ehemann.
Der Fall Nikolaus Fraundorfer
Nikolaus Fraundorfer, 18-jähriger Musiker.
Dr. Egyd Fraundorfer, Nikolaus' Vater, Freund Laudins.
Professor Weitbrecht, Spezialist für Hautkrankheiten, Syphilidologe (229).
Pauline Blum, Egyd Fraundorfers Wirtschafterin (80).
Frau von Damrosch, Laudins Vermieterin.

Zitate

  • Laudin zu Fraundorfer: Ein Sohn ist ja doch der Wegweiser ins Zukünftige (69).
  • Lu zu Laudin: Es gibt keinen Befehl zur Liebe (147).
  • Lu will Laudin überreden: Die deutsche Sprache war plötzlich wie ein Strauß wilder Blumen (152).
  • Konsul Edmund Altacher: Einen Augenblick lang in jedem Leben ist Gott gegenwärtig und spricht mit uns (164).
  • Der Schmerz, den eine Kreatur erleidet, ist etwas Absolutes, und mit ihm steht sie Aug in Aug mit Gott (218).
  • Laudin im Zimmer: Er sah sich um, als wären ihm die Wände lästig (278).
  • Zur Ehetheorie: Der Stärkere ist, wer eine Eigenschaft, gut oder schlecht, so in sich entwickeln kann, daß er damit den andern in ein Schuldverhältnis bringt (285).
  • In der Ehe: Wie fremd einander die Nahen sind! (286)
  • Über Mann und Frau: Der einzelne ist nicht mehr wichtig für die Gesamtheit. Wichtig ist nur das Paar (289).
  • Ungeduld ist immer einfältig (340).

Literatur

Quelle

  • Jakob Wassermann: Laudin und die Seinen. S. Fischer Verlag Berlin 1926. 376 Seiten

Ausgaben

Sekundärliteratur

  • Margarita Pazi in: Gunter E. Grimm, Frank Rainer Max (Hrsg.): Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Band 7: Vom Beginn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. S. 40 - 46. Stuttgart 1991, ISBN 3-15-008617-5
  • Rudolf Koester: Jakob Wassermann. Berlin 1996, ISBN 3-371-00384-1
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A - Z. S.651. Stuttgart 2004, ISBN 3-520-83704-8

Weblinks


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