- Likatien
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Der Stamm der Likatier ist eine kommuneähnliche Lebensgemeinschaft, die 1974 gegründet wurde und ihr Zentrum in Füssen im Allgäu hat. Der Name bezieht sich auf den keltisch-vindelizischen Stamm der Likatier, der im Gebiet um den Lech siedelte. Eigenen Angaben zufolge hatte der Stamm im Juni 2003 166 Mitglieder (laut Website der Jugendorganisation sind es seit 2006 250)[1], davon 65 Erwachsene (36 Männer, 29 Frauen), 45 Jugendliche und 56 Kinder.[2] Die Gruppe wird von Kritikern als Sekte angesehen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte und Ziele
Die Gruppe wurde 1969 von dem aus Füssen stammenden Wolfgang Wankmiller gegründet, der bis heute als ihr Oberhaupt fungiert. Sie nannte sich anfangs „PFA (Planet For Absolution)“, ab 1993 „Stamm Füssen Eins“, bis sie sich 1998 den aktuellen Namen „Stamm der Likatier“ gab[3].
In den ersten Jahren, nach eigenen Angaben bis 1990, betätigten sich die Mitglieder vor allem kommunalpolitisch in verschiedenen Parteien[4]; als Ziele werden Umwelt- und Heimatschutz sowie mehr Bürgernähe angegeben. Die Gruppe versuchte durch Mehrfachmitgliedschaften ein und derselben Personen in verschiedenen Parteien ihre Ziele zu verwirklichen. Dies führte letztlich auch zu Parteiausschlüssen.
Der Stamm der Likatier nennt als wichtigstes Ziel die Entwicklung einer eigenen Kultur, jedoch gibt es laut eigener Aussage „(...) für die einzelnen Stammesmitglieder keine Verpflichtungen zur Teilhabe an dieser Kultur“ [5]. Die auf seiner Internetpräsenz genannten Interessen- und Betätigungsfelder stellen sich als eine Mischung lokaler Traditionen und spiritueller Themen verschiedener Ausrichtung und Herkunft dar. Weiterhin spielen ökologische Ideen wie Bioregionalismus und Tiefenökologie sowie alternative Lebensformen eine Rolle.
Im Unterschied zu vielen Kommunen im Sinne der 68er-Bewegung ist der Stamm nicht hierarchiefrei, sondern gliedert sich in sogenannte Stammeskreise. Diese unterscheiden sich durch verschieden starke Beteiligung seiner Mitglieder am Gemeinschaftsleben, in dessen innerstem Kreisen die sogenannten „Schwurmenschen“ stehen, die als „eigentliche Träger des Stammes“ im Konsens über „alle wichtigen Fragen“ wie z.B. über die „Kulturentwicklung des Stammes“ oder die Aufnahme neuer Mitglieder entscheiden. Außendarstellungen sehen den Stammesgründer Wolfgang Wankmiller oft in einer hervorgehobenen Position innerhalb der Gruppe. Die Selbstdarstellung der Gruppe beschreibt jedoch keine solche Stellung innerhalb des Stamms.[6] Es gibt innerhalb des Stammes eine nicht näher beschriebene neuheidnische spirituelle Kultur und den Glauben an eine Mutter-Göttin.
Wankmiller, der eine Karriere in der Jungen Union hinter sich hat, hält sich angeblich für die Reinkarnation von Jesus Christus, Albert Einstein und König Ludwig II. Dies wird von Wankmiller selbst aber dementiert. Nach seiner Darstellung gehört er zu den Bewunderern dieser Persönlichkeiten, aber als deren Reinkarnation sehe er sich nicht – schon alleine, weil er gar nicht an Reinkarnation glaube.[7]
Seit 2003 ist die Gemeinschaft Mitglied im Global Ecovillage Network Europe, einem europäischen Verband von Ökodörfern.
Da die Gruppe die wirtschaftliche Eigenständigkeit anstrebt, wurden zahlreiche Immobilien erworben und eigene Unternehmen aufgebaut, was von Gegnern immer wieder vehement kritisiert wurde.[8]
Seit 2005 bietet die Gruppe sogenannte Kennenlern-Seminare an, in denen interessierte Gäste und neue Mitglieder einen eigenen Blick auf das Leben in den äußeren Stammeskreisen werfen können.
Ebenfalls seit 2005 werden Jugendcamps veranstaltet, an denen außer Mitgliedern der eigenen Jugendgruppe auch nicht zum Stamm gehörende Jugendliche teilnehmen können.
Kritik und Öffentlichkeit
Bereits seit den Zeiten politischer Betätigung und verstärkt im Zuge der wachsenden wirtschaftlichen Aktivität und dem Erwerb von Immobilien im Füssener Stadtgebiet entstanden Kontroversen mit der einheimischen Bevölkerung[9], es gründete sich eine Bürgerinitiative gegen die als Sekte betrachtete Gruppe.[10] Die Zugehörigkeit von Unternehmen zum Stamm war insofern erkennbar, als dass leitende Mitglieder des Führungskreises auch Schlüsselpositionen in den Geschäftsleitungen verschiedener Firmen inne hatten. Beim Registergericht Kaufbeuren unter der Vereinsregisternummer 0668 eingetragen. Als dieses durch die Medien bekannt wurde, stellten Geschäftspartner teilweise die Zusammenarbeit ein[11]. Auch die von Wankmiller initiierte Heimatzeitung wurde 2002, ebenso wie später das durch den hauseigenen Verlag Pegasus publizierte gleichnamige Magazin „Stämme“, eingestellt. Zu den Kritikern gehört auch der damalige Füssener Bürgermeister Paul Wengert, der aber in einem Interview auch die Berichterstattung der Medien gegenüber dem Stamm kritisierte[12]. Weitere Kritikpunkte, die sich u.a. auf Berichte von Aussteigern stützen, sind Ausbeutung und wirtschaftliche Abhängigkeit der Mitglieder.
Viele der kritischen Äußerungen stützen sich auf Vermutungen, da der Stamm lange Zeit praktisch keine Öffentlichkeitsarbeit betrieb.[13] Dies änderte sich 2003 mit der Erstellung einer eigenen Internetpräsenz und wurde auch von Kritikern als positive Veränderung wahrgenommen. [14] Seit 2006 gibt es eine differenziertere Wahrnehmung, die sich auch in der Presse widerspiegelt[15].
Kindesmissbrauch
Besonders starkes, auch überregionales Interesse fand ein vermuteter systematischer Kindesmissbrauch innerhalb der Gruppe. Es kam zu einem Prozess gegen ein Mitglied des Stammes, der dort als Koch tätig war. Der vorbestrafte Mann war Ende Januar 2001 nach Anzeige einer zweifachen Mutter gegen ihn wegen Kindesmissbrauches zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Es konnten ihm sexuelle Übergriffe auf Mädchen im Alter zwischen fünf und vierzehn Jahren nachgewiesen werden[16]. Obwohl sich die Gemeinschaft von dem Verhalten des Mannes distanziert, wurde sie weiterhin als Ganzes mit diesem Ereignis in Verbindung gebracht und ihr Gründer als Sex-Guru bezeichnet.
Weiterhin bestehe das Ziel, einen Staat im Staate aufzubauen, sowie eine streng-hierarchisch aufgebaute Führerverehrung der Mitglieder gegenüber ihrem Oberhaupt.
Telekontor
Der Inhaber der Firma Telekontor, dem ersten deutschen Anbieter von Telefonsex-Hotlines, und Betreiber des Fernsehsenders Telemedial, Thomas Hornauer, pflegte enge Kontakte zu der Gemeinschaft, diese beschrieb Hornauer in seiner Sendung "Orange Table" vom 9. April 2008: Für seine Telefonerotik-Hotline würde er dort die Alterskontrolle vornehmen lassen und Betrieben des Stammes in Füssen ein Haus zur Verfügung stellen. Auch unterstrich Hornauer, dass es sich bei dem Stamm um keine Sekte handeln würde; er bezog sich dabei auf den Sektenbeauftragten der bayerischen Landesregierung, dem lt. Stuttgarter Zeitung vom 27. März 2003 Sektenbeauftragte anderer Stellen jedoch widersprechen.[17][18]
Steuerhinterziehung
Das Landgericht Augsburg verurteilte die Finanzbeauftragte des Stammes am 10. Juli 2008 zu einer Haftstrafe von einem Jahr, die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Zudem wurde sie dazu verpflichtet, 8.000 Euro Geldstrafe zu zahlen und an verschiedene karitative Einrichtungen zu überweisen. Außerdem soll die Frau insgesamt 418.000 Euro Darlehen an zwölf Personen vergeben haben. Für solche Bankgeschäfte hatte die 57-jährige keine Genehmigung. Die Beauftragte des Stammes für das Finanzwesen habe bewusst falsche Angaben in den Steuererklärungen gemacht, um 1,3 Millionen Mark zu sparen. [19]
Die Gelder wurden als alternative Geldanlage beworben, Lebensgemeinschaften verfügen in der Regel nicht über ausreichend Eigenkapital für die Umsetzung ihrer Zwecke. Beispiele für derlei Anlagemöglichkeiten sind auch das Fundraising oder die Annahme von Spenden. Dadurch, dass der Stamm nicht den Status eines eingetragenen gemeinnützigen Vereines hat, traten diese rechtlichen Probleme auf.
Einzelnachweise
- ↑ http://www.newcomer.in/aktionen/die-spiele/
- ↑ http://www.ekd.de/ezw/42714_37455.php
- ↑ http://www.likatien.de/likatien/chrono.php/cPath/info_chrono
- ↑ http://www.all-in.de/redsys/allin/nachrichten/volltext2.php?l=de&dom=dom1&id=30151
- ↑ http://www.likatien.de/likatien/legalitaet.php/cPath/info_legal
- ↑ http://www.likatien.de/likatien/aufbaukreise.php/cPath/info_aufbau_aukr
- ↑ http://www.likatien.de/likatien/hinterreink.php/cPath/hinter_hinterreink
- ↑ http://www.all-in.de/redsys/allin/nachrichten/volltext2.php?l=de&dom=dom1&id=15797
- ↑ http://au.share.geocities.com/u2be2hard2beat/index.htm#az3
- ↑ http://www.all-in.de/redsys/allin/nachrichten/volltext2.php?l=de&dom=dom1&id=16030
- ↑ http://www.sonntagsblatt-bayern.de/archiv01/21/woche4.htm
- ↑ http://www.sonntagsblatt-bayern.de/archiv01/28/woche4.htm
- ↑ http://www.connection.de/magazin/01juli/jaeger.htm
- ↑ http://www.ekd.de/ezw/42714_37455.php
- ↑ http://www.all-in.de/redsys/allin/nachrichten/volltext2.php?l=de&dom=dom1&id=61128
- ↑ „Der Jesus vom Forggensee“, Sonntagsblatt Bayern [1]
- ↑ Stuttgarter Zeitung vom 27. März 2003
- ↑ Ausschnitt der Telemedial-Sendung vom 9. April 2008, auf Youtube
- ↑ http://www.br-online.de/bayern1/mittags-in-schwaben/regionalnews-schwaben-wankmiller-ID1215613842870.xml
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