Literaturrevolution

Literaturrevolution

Mit dem Begriff Literaturrevolution umreißt man eine Vielzahl heterogener und teilweise kurzlebiger literarischer Einzelströmungen und Gruppierungen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der europäischen Literatur aufkamen. Dazu zählen u. a.

Oft werden auch der literarische Naturalismus und die ästhetisierenden Gegentendenzen am Ausgang des 19. Jahrhunderts wie Symbolismus oder Impressionismus als Phasen der Literaturrevolution betrachtet, als Erste und Zweite Moderne.

Die Einzelstile verbindet bei allen Unterschieden, dass sie

Sie sind widersprüchliche Aspekte innerhalb der Öffnung aller Künste für den Stilpluralismus, die das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit auf radikale Weise neu deuteten, um die Rolle der Kunst in den politisch-sozialen und wissenschaftlichen Umbrüchen an der Schwelle zur Moderne zu definieren. Die einzelnen Stile nach formalen Gesichtspunkten zu unterscheiden ist schwierig und oft unmöglich, da sie dieselben Mittel für sehr unterschiedliche Zwecke einsetzten. So diente die Montage aus Sprachmaterialien im italienischen Futurismus der Verherrlichung von Krieg und Faschismus, in der Zürcher Dada-Schule dazu, bedingungslosen Pazifismus zu fordern. Auch die Stile selbst stellen keine einheitlichen Gruppierungen da, wie z. B. die Zürcher und Berliner Dadaisten sich unterschieden oder die untereinander zerstrittenen Surrealisten.

Eine Abgrenzung wird nur da möglich, wo die Gruppierungen in den gesellschaftlichen Umbrüchen politisch Partei ergriffen wie der russische Futurismus für den Kommunismus und der italienische Futurismus für den Faschismus; statt eines Einzelbegriffs wird deshalb oft das Paar Literatur und Revolution verwandt, z. B. in Leo Trotzkis gleichnamiger Schrift (1923) und seinem gemeinsam mit André Breton verfassten Manifest Für eine unabhängige revolutionäre Kunst (Pour un art indépendant révolutionnaire, 1938). Da jedoch die ästhetischen Ansätze der Einzelstile vor allem Widerspiegelungen der sozialen Wirklichkeit waren, ist der Begriff Literaturrevolution dennoch gerechtfertigt.

Ab den 1950er-Jahren entstanden aus den Wurzeln der Literaturrevolution experimentell mit dem Sprachmaterial arbeitende Gruppierungen wie der Darmstädter Kreis, die Wiener Gruppe und die Stuttgarter Gruppe/Schule um Max Bense. Daneben wurden einzelne Dichter und Schriftsteller wie Helmut Heißenbüttel, Arno Schmidt oder H. C. Artmann inspiriert. Ausdrucksformen wie Visuelle Poesie, Lettrismus, Computer-, Medien- und Netzkunst, Antiroman und Antitheater entstanden in der Folge der Rezeption.

Literatur

  • Leo Trotzki: Literatur und Revolution. (Deutsch von Eugen Schäfer und Hans von Riesen) Essen 1994. ISBN 3-88634-062-7
  • Paul Pörtner (Hrsg.): Literatur-Revolution 1910–1925. Dokumente, Manifeste, Programme. Band 1: Zur Ästhetik u. Poetik. Darmstadt, Neuwied, Berlin-Spandau 1960
  • Paul Pörtner (Hrsg.): Literatur-Revolution 1910–1925. Dokumente, Manifeste, Programme. Band 2: Zur Begriffsbestimmung der „Ismen“. Darmstadt, Neuwied, Berlin-Spandau 1961

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Collage (Literatur) — Die Technik der literarischen Montage ist eine Bezeichnung für das Zusammenfügen unterschiedlicher Texte oder Textteile, die unterschiedliche, oft Sprachebenen und stile bzw. Inhalte transportieren. Die Montage entstammt u. a. der Cento Dichtung… …   Deutsch Wikipedia

  • Montagetechnik — Die Technik der literarischen Montage ist eine Bezeichnung für das Zusammenfügen unterschiedlicher Texte oder Textteile, die unterschiedliche, oft Sprachebenen und stile bzw. Inhalte transportieren. Die Montage entstammt u. a. der Cento Dichtung… …   Deutsch Wikipedia

  • Franz Norbert Mennemeier — (* 1. Oktober 1924 in Beckum) ist ein deutscher Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Julius Hart — (* 9. April 1859 in Münster; † 7. Juli 1930 in Berlin) war ein deutscher Dichter und Literaturkritiker des Naturalismus. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Mennemeier — Franz Norbert Mennemeier Franz Norbert Mennemeier (* 1. Oktober 1924 in Beckum) ist ein deutscher Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Inhaltsverzeichnis 1 Leben …   Deutsch Wikipedia

  • Montage (Literatur) — Die Technik der literarischen Montage ist eine Bezeichnung für das Zusammenfügen unterschiedlicher Texte oder Textteile, die unterschiedliche Inhalte beziehungsweise oft unterschiedliche Sprachebenen und stile transportieren. Dies dient der… …   Deutsch Wikipedia

  • Theorie der Kunst — Als Theorie der Kunst können alle diskursiven Abhandlungen verstanden werden, die das Wesen, die Voraussetzungen sowie möglichen sachimmanenten Gesetzmäßigkeiten von Kunst (im weiten Sinne: Bildende Kunst, Literatur, Musik, Darstellende Kunst,… …   Deutsch Wikipedia

  • Sturm und Drang — Geniezeit * * * Stụrm und Drạng, der; [e]s u. [nach dem neuen Titel des Dramas »Wirrwarr« des dt. Dramatikers F. M. Klinger (1752–1831)] (Literaturwiss.): gegen die einseitig verstandesmäßige Haltung der Aufklärung revoltierende, durch… …   Universal-Lexikon

  • Futurismus — Fu|tu|rịs|mus 〈m.; ; unz.〉 von Italien ausgehende Kunstrichtung (besonders in Malerei u. Dichtung) vor dem 1. Weltkrieg, radikale Form des Expressionismus, die Krieg u. Technik verherrlicht (Darstellung des Maschinenzeitalters) u. alle… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”