Londoner Statut

Londoner Statut

Das Londoner Statut (auch: Londoner Charta oder Nürnberger Charta) legte Rechtsgrundlagen und Prozessordnung des Internationalen und der amerikanischen Militärgerichtshöfe fest, die für die Nürnberger Prozesse ins Leben gerufen wurden. Das Statut wurde am 8. August 1945 von Vertretern der vier Hauptalliierten des Zweiten Weltkriegs auf der Londoner Konferenz (1945) unterzeichnet, drei Monate nach Ende des Kriegs in Europa und zwischen den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki.

Das Statut bestimmte, dass von diesem Militärgerichtshof Verbrechen der europäischen Achsenmächte verhandelt werden sollten. Der Internationale Militärgerichtshof wurde für drei Kategorien von Verbrechen für zuständig erklärt:

Zwei dieser Kategorien waren zuvor nicht kodifizierte Strafnormen des Völkerrechts. Unter „Verbrechen gegen den Frieden“ wurde Planung, Einleitung und Durchführung eines Angriffskriegs verstanden, sowie die Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung dazu. Als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurden diejenigen Maßnahmen definiert, die sich abseits der Kriegshandlungen gegen die Zivilbevölkerung eines Landes richteten. Darunter fielen die Ermordung, Versklavung und Deportation von Zivilisten, Verfolgungen aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen.

Das Statut baute auf der Erklärung zu den deutschen Gräueltaten (Declaration of German Atrocities) auf, die auf der Moskauer Drei-Mächte-Konferenz im Oktober 1943 von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien unterzeichnet wurde. Das Gericht sollte für solche Kriegsverbrecher zuständig sein, „für deren Verbrechen ein geographisch bestimmter Ort nicht gegeben ist“. Andere Kriegsverbrecher sollten entsprechend der Moskauer Erklärung in die Länder überführt werden, in denen sie ihre Verbrechen begangen hatten, und dort vor nationale Gerichte gestellt werden.

Im Statut wurde außerdem festgelegt, dass eine Amtsposition weder ein Strafhindernis sein noch sich strafmildernd auswirken sollte. Damit wurde die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Regierungsangehörigen festgesetzt. Auch die Strafbarkeit der Ausführung staatlicher Befehle wurde festgelegt, wobei aber dem Militärgerichtshof ein Ermessensspielraum eingeräumt wurde, die Gehorsamspflicht als strafmildernd einzustufen.

In verfahrensmäßiger Hinsicht übernahm das Statut weitgehend angelsächsische Rechtstradition. Entsprechende Regelungen zur Prozessordnung im Statut[1] ermöglichten es dem Gericht, auf Protokolle der Anklagebehörde aus der Vernehmung von Zeugen und Auskunftspersonen (so genannte Affidavits) zurückzugreifen. Diese Personen mussten vom Gericht nicht selbst angehört werden. Beweismaterial konnten die Richter zurückzuweisen, wenn es ihnen als „unerheblich“ erschien. Nicht nur diese Regelungen sollten für die rasche Abwicklung der Prozesse sorgen, sondern es sollte den Angeklagten außerdem die Möglichkeit genommen werden, den Prozess durch den Vorwurf in die Länge zu ziehen, auch die Alliierten hätten Kriegsverbrechen begangen („tu quoque“).[2]

Angeklagte, die als schuldig erachtet wurden, konnten beim Alliierten Kontrollrat in Berufung gehen. Zusätzlich konnten sie eigene Beweise zu ihrer Entlastung vorlegen und Zeugen ins Kreuzverhör nehmen.

Das Londoner Statut wurde von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien unterzeichnet, zusätzlich aber auch von der Provisorischen Regierung der Französischen Republik. Diese vier Signatarmächte stellten auch je einen Richter für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, der den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher führte. Der Text des Statuts wurde von den Rechtsdelegationen der vier alliierten Mächte beraten, die unter der Führung des britischen Lordkanzlers Sir William Jowitt in London tagten. Die amerikanische Delegation wurde vom Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten Robert H. Jackson geleitet, die französische vom Richter am Pariser Court des Cassations Robert Falco. Der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs Iona Nikittschenko war Leiter der sowjetischen und Kronanwalt Sir Hartley Shawcross der der britischen Delegation.

Das Statut war auch die Grundlage für die finnische Rechtsordnung, die vom finnischen Parlament am 11. September 1945 verabschiedet wurde und die Kriegsschuld-Prozesse in Finnland ermöglichte.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Artikel 19 des Statuts des Internationalen Militärtribunals
  2. Annette Weinke, Die Nürnberger Prozesse, München 2006, ISBN 3-406-53604-2, S. 22 f.

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