- Marsch durch die Instanzen
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Der Marsch durch die Institutionen ist eine 1967 von Rudi Dutschke verbreitete Parole, der eine langfristige politisch-strategische Perspektive der damals noch primär studentisch geprägten Protestbewegung in einem inhaltlich linkssozialistisch gemeinten Sinn, den später ideologisch zunehmend heterogenen Konzepten der sogenannten Neuen Linken folgend, anmahnte. Diese Parole steht zugleich als Schlagwort für den Höhepunkt der Studentenbewegung der 1960er Jahre, der mit dem Beginn des Zersplitterungs- und Auflösungsprozesses der Bewegung bzw. deren führender Organisation, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), einher ging.
Die Formulierung erinnerte an den Langen Marsch von Mao Zedong. Inhaltlich markiert sie den damals bereits stattgefundenen Übergang von einer reinen Studentenbewegung zur Außerparlamentarischen Opposition der Jahre 1966 bis 1969.
In späteren Jahren und bis heute bezeichnet die Begrifflichkeit Marsch durch die Institutionen die Annahme, dass die sogenannte „68er-Bewegung“, eine Mischung aus Studentenbewegung, Außerparlamentarischer Opposition und den verschiedenen politischen und sozialen Bewegungen der 1970er Jahre (vgl. Neue soziale Bewegungen), es durch gezielte und koordinierte Anstrengungen erreicht habe, zentrale Machtpositionen in Politik und Gesellschaft zu besetzen und dadurch eine gesamtgesellschaftliche „Diskurshoheit“ zu erringen, die andere politische Richtungen zunehmend „mundtot“ mache. Bis heute wurden historisch und soziologisch wissenschaftlich überprüfbare Belege dafür allerdings nicht erbracht.
Das ist eine bundesrepublikanische Version, bei der unklar bleibt, woher sie kommt. Jedenfalls ist sie auch hier nicht zitativ belegt. Rudi Dutschke: „Heute würden Permanenzrevolutionäre, nicht Wortschwätzer (die Revolutionsdiskussion ist inzwischen von uns als Ersatz für die praktische Arbeit entlarvt worden), die in den Fabriken, in den landwirtschaftlichen Großbetrieben, in der Bundeswehr, in der staatlichen Bürokratie systematisch den Laden durcheinanderbringen, von allen Lohnabhängigen vollkommen akzeptiert werden… Den ,Laden in Unordnung bringen’ heißt nur, die Lohnabhängigen und andere mehr unterstützen, bei ihnen lernen, neue revolutionäre Fraktionen herauszubrechen. Die Permanenzrevolutionäre können immer wieder hinausgeworfen werden, immer wieder in neue Institutionen eindringen: Das ist der lange Marsch durch die Institutionen.“ (Briefe an Rudi D. mit einem Vorwort von Rudi Dutschke, Voltaire Verlag, Berlin, Zitat dem Vorwort entnommen. Nach: Ulrike Marie Meinhof (1980/1992): Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach) Es geht also beim Marsch durch die Institutionen eher um eine Zerstörung der Institutionen von innen (Anti-Institutionalismus) als um eine Machtergreifung einer „Linken“.
Den historischen Hintergrund für diese Verschwörungstheorie bilden zwei tatsächliche, wenn auch eher als trivial zu bezeichnende Entwicklungen:
- Erstens: Die Generation der 68er griff das von ihren neomarxistischen Professoren der Frankfurter Schule vertretene ideologisch geprägte Gedankengut auf. Ein kleiner Teil der damals beteiligten Studenten hat auch trotz der Berufsverbote und Radikalenerlasse in der Politik, im öffentlichen Dienst und in den Medien Karriere gemacht und versucht, dies Gedankengut der Gesellschaftsveränderung durchzusetzen.
- Zweitens: Parallel zu den genannten Bewegungen gab es einen breiten gesellschaftlichen und politischen Einstellungswandel, der weite Teile der Bevölkerung ergriffen hatte und dadurch tatsächlich zu veränderten gesellschaftlichen Diskursen geführt hatte. Dieser allgemeine Wertewandel kam teilweise bereits Ende der 1970er Jahre zum Erliegen ("roll back"), während andere neu entstandene oder wesentlich durch die sogenannten Neuen sozialen Bewegungen der 1970er Jahre neu verbreitete Werte wie Umweltbewusstsein oder Feminismus bis heute in fast allen politischen Parteien eine Rolle spielen.
Zu einer Neuauflage dieser Theorie kam es 1998 mit der Regierungsübernahme der Rot-Grünen Koalition, der einige Vertreter der damaligen Studentenbewegung angehörten (z.B. Joschka Fischer). Der Marsch, so die seinerzeit oft zu hörende These, habe nunmehr sein Ziel erreicht und schicke sich an, die Gesellschaft endgültig nach seinen Vorstellungen zu verändern.
Literatur
- Ulrike Marie Meinhof (1980/1992): Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach
- Helmut Schelsky: Die Strategie der „Systemüberwindung“. Der lange Marsch durch die Institutionen. [Berlin, West]: Notgemeinschaft für eine Freie Universität, [um 1971], 8 S. (Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Dezember 1971 - Die Notgemeinschaft für eine Freie Universität empfiehlt zur Lektüre)
- Hans Josef Horchem: Extremisten in einer selbstbewußten Demokratie: [Rote-Armee-Fraktion; Rechtsextremismus; Der lange Marsch durch die Institutionen]. Freiburg (im Breisgau), Basel, Wien: Herder, 1975, 126 S., ISBN 3-451-07515-6 (Herderbücherei; Bd. 515: Die gelbe Serie)
- Eric Waldman: Deutschlands Weg in den Sozialismus. Mainz: v. Hase und Koehler, 1976, 257 S., ISBN 3-7758-0922-8 („Linksradikale Kräfte haben den „Marsch durch die Institutionen“ angetreten, haben Gewerkschaften und die SPD unterwandert und das politische Leben verändert.“)
- Horst-Udo Niedenhoff: Auf dem Marsch durch die Institutionen. Die kommunistische Agitation im Betrieb und in den Gewerkschaften. [Hrsg. vom Institut der Deutschen Wirtschaft]. Köln: Deutscher Instituts-Verlag, 1979, 207 S., ISBN 3-88054-325-9
- Ossip K. Flechtheim / Wolfgang Rudzio / Fritz Vilmar / Manfred Wilke: Der Marsch der DKP durch die Institutionen. Sowjetmarxistische Einflußstrategien und Ideologien. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1980, 272 S., ISBN 3-596-24223-1 (Fischer-Taschenbücher; 4223: Informationen zur Zeit)
- Herbert Mies: DKP und Gewerkschaften. Klarstellungen zum Buch „Der Marsch der DKP durch die Institutionen“. Düsseldorf: Parteivorstand der DKP, 1981, 31 S.
- Fritz Vilmar: Was heißt hier kommunistische Unterwanderung? Eine notwendige Analyse und wie die Linke darauf reagiert. In Zusammenarbeit mit Wolfgang Rudzio und Manfred Wilke. Frankfurt/Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1981, 206 S., ISBN 3-548-34525-5 (Ullstein-Buch; Nr. 34525: Das aktuelle Ullstein-Buch)
- Reginald Rudorf: Die vierte Gewalt. Das linke Medienkartell. Frankfurt/M; Berlin: Ullstein, 1994, 231 S., ISBN 3-548-36635-X (Ullstein-Buch; Nr. 36635: Ullstein-Report) 2., erw. und aktualisierte Auflage, 1994, 255 Seiten (Nach der Rebellion von 1968 hat sich die deutsche Linke auf den langen Marsch durch die Institutionen gemacht. Nirgends hat sie dabei mehr Erfolg gehabt als in Presse, Funk und Fernsehen)
- Klaus Kunze: Geheimsache Politprozesse. Systemwechsel durch Uminterpretation. Verfassungsschutz und Gerichtsbarkeit nach dem linken Marsch durch die Institutionen am Beispiel der Republikanerverfolgung. Uslar: Heikun-Verlag, 1998, 274 S., ISBN 3-933334-05-5
- Friedrich-Martin Balzer: „Es wechseln die Zeiten ...“. Reden, Aufsätze, Vorträge, Briefe eines 68ers aus vier Jahrzehnten (1958 - 1998). Mit einem Geleitwort von Manfred Weißbecker. Bonn: Pahl-Rugenstein, 1998, 357 S., ISBN 3-89144-259-9 (Balzer, ein Schüler Wolfgang Abendroths, hat seine Überzeugungen beim Eintritt ins Berufsleben nicht an der Garderobe abgegeben, sondern hat an zentralen Maximen der 68er, z.B. dem Antifaschismus, festgehalten und diese in Beruf, Wissenschaft und Politik umzusetzen versucht)
- Jürgen Busche: Die 68er. Biografie einer Generation. Berlin: Berlin-Verlag, 2003, 188 S., ISBN 3-8270-0507-8 (Die 68er begannen ihren langen Marsch durch die Institutionen, der im Zentrum der Macht endete. Heute besetzen 68er die Schaltstellen des Staates, der Wirtschaft und der Universitäten)
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