Martin-Luther-Gedächtniskirche

Martin-Luther-Gedächtniskirche
Turm im Mai 2010 während der Sanierungsarbeiten
Außenansicht der Apsis mit dem eingerüsteten Turm
Altar

Die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf ist ein Denkmal und Zeitzeugnis der besonderen Art. Sie wurde von 1933 bis 1935 auf der Grundlage lange bestehender Planungen erbaut. Bei der Gestaltung des Innenraums vermischten sich staatliche und kirchliche Symbolik. Dies ist bis heute erkennbar. Aus diesem Grund wird die Kirche seit etwa 2004, als sie durch ihren schlechten Bauzustand in die Schlagzeilen geriet, in der Presse gelegentlich auch als Nazi-Kirche bezeichnet. Die Gemeinde selbst sieht die Überreste dieser Gestaltung im Zeitgeist von 1933 als Denk- und Mahnmal.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Im späten 19. Jahrhundert führte die Expansion der Metropole Berlin in vielen Vororten zu stürmischen Wachstum. Auch Mariendorf erlebte ein stürmisches Wachstum der Bevölkerung. Die Dorfkirche Mariendorf, eine Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert, war für die Gemeinde 1885 längst zu klein. In diesem Jahr wurde deshalb erstmals über den Ausbau der Dorfkirche oder den Neubau einer Kirche diskutiert.

1908 wurde ein Anstoß zum Bau einer neuen Kirche gegeben. Vorrang erhielt aber der Bau einer Kirche in Südende, damals noch Teil der Parochie Mariendorf. 1918, noch vor Ende des Ersten Weltkriegs, fasste die Gemeinde den Beschluss zu einem Kirchenneubau und kaufte das Grundstück gegenüber dem Rathaus Mariendorf. Es sollte eine Kirche zur Erinnerung an die Toten des Krieges oder eine Friedenskirche werden. Seit 1924 sammelte ein Kirchbauverein. 1927 entstand zunächst einmal das Gemeindehaus nach einem Entwurf von Curt Steinberg, dem Leiter des Bauamtes der Landeskirche. Steinberg legte dann 1929 den Entwurf für den Kirchenbau vor. Das Modell steht seit 1929 im Saal des Gemeindehauses. Der Bau wurde wegen Geldmangels erstmal zurückgestellt.

Der Bau

Im September 1933 begannen die Bauarbeiten. Der Kirchenbau wurde unter dem Zeichen der Arbeitsbeschaffung bei der noch immer hohen Arbeitslosigkeit gestartet. Am 22. Oktober 1933 wurde der Grundstein gelegt. Steinberg stand hinter der Weltanschauung der neuen Machthaber und brachte die Elemente der Zeit bei der Gestaltung des Innenraums ein.

Gemauerte Pfeiler tragen Kirchenschiff, Apsis und Turm. Eine Eisenkonstruktion bildet das Dach. Der Kirchturm war auf über 50 m geplant. Wegen der Nähe zum Flughafen Tempelhof wurde diese Maß auf 49,20 m reduziert, die sonst vorgeschriebenen Warnleuchten konnten entfallen. Eine 6,60 m hohe Glockenstube nahm vier Bronzeglocken auf. Die Fassade wird aus großformatigen Terrakottaplatten gebildet, die während des Aufbaus übereinandergestellt und mit Mauerwerk hinterfüllt wurden; eine Praxis, die etwa seit Mitte der 1990er Jahre zu massiven konstruktiven Schäden führt.

Den Übergang von Kirchenschiff zum Altarraum bildet ein Triumphbogen. Dieser Bogen ist mit Symbolterrakotten verkleidet, auf denen neben christlichen Motiven auch staatliche und nationalsozialistische Symbole zu finden sind. Die Hakenkreuze und Symbole der NSV wurden nach dem Ende der Naziherrschaft entfernt, aber die zugehörigen Reichsadler verblieben an ihren Plätzen. In der Vorhalle befinden sich lebensgroße Portrait-Halbreliefs der Köpfe des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und des Reformators Martin Luther. Anstelle des Luther-Bildnisses befand sich hier früher eine Darstellung von Adolf Hitler, für deren Existenz es bisher allerdings nur indirekte Beweise gibt.

Der Altarraum wird durch neun bleiverglaste Fenster mit Stationen des Glaubensbekenntnisses belichtet. Der Altar wird von Holzfiguren getragen, die, ohne jedoch die entsprechenden Attribute zu halten, auch als die vier Evangelisten interpretiert werden. Die Holzarbeiten an Kanzel und Taufe bezeugen den Zeitgeist. An der Kanzel gesellen sich ein Soldat, ein SA-Mann und ein Hitlerjunge zu den anderen Figuren aus der Bergpredigt. Auch die hölzerne Taufe zeigt auf einer Seite einen uniformierten SA-Mann. Auffällig auch der Zeitgeist am Altarkreuz: Dort hängt kein leidender oder sterbender Christus, sondern ein deutscher Held mit trotzig gerecktem Kinn, der den Tod besiegt oder überwindet bzw. überwunden hat.

Am 22. Dezember 1935 wurde die Martin-Luther-Gedächtniskirche eingeweiht.

Orgel

Innenraum und Orgel
Nahaufnahme Orgel

Eine besondere Vorgeschichte hat auch die Orgel, die 1935 von der Orgelbaufirma E.F. Walcker (Ludwigsburg) erbaut wurde. Vor ihrem Einbau wurde sie vorübergehend in Nürnberg für den 7. Reichsparteitag 1935 eingesetzt, auf dem die Nürnberger Gesetze verkündet wurden. Nach Abschluss des Parteitages wurde das Instrument im Oktober 1935 demontiert, und nach Berlin gebracht, und dort im Dezember 1935 eingeweiht. Nach einer zwischenzeitlichen Veränderung in den 1960er-Jahren wurde die Orgel 1984 wieder in den historischen Zustand zurückversetzt. Das Instrument hat 50 Register (davon sieben Transmissionen) auf drei Manualen und Pedal. Die beiden Schwellwerke sind auf einen Tonumfang bis a4 ausgebaut. Die Trakturen sind elektropneumatisch.[1]

I Hauptwerk C–a3
1. Quintatön 16′
2. Prinzipal 8′
3. Gemshorn 8′
4. Bordun 8′
5. Prinzipal 4′
6. Rohrflöte 4′
7. Quinte 22/3
8. Oktave 2′
9. Mixtur IV-V 2′
10. Cymbel III 1/2
11. Trompete 8′
II Schwellwerk C–a3
12. Hornprinzipal 8′
13. Gedackt 8′
14. Quintatön 8′
15. Salizional 8′
16. Prinzipal 4′
17. Nachthorn 4′
18. Schwiegel 2′
19. Terz 13/5
20. Quinte 11/3
21. Scharf IV 1′
22. Krummhorn 8′
23. Oboe 8′
Schwebung


II Fern-Schwellwerk C–a3
37. Echobordun 8′
38 . Vox humana 8′
Schwebung
III Schwellwerk C–a3
24. Gedackt 16′
25. Geigenprinzipal 8′
26. Rohrgedackt 8′
27. Aeoline 8′
28. Vor coeleste 8′
29. Ital. Prinzipal 4′
30. Spitzflöte 4′
31. Quintflöte 22/3
32. Waldflöte 2′
33. Sifflöte 1′
34. Mixtur III-IV 11/3
35. Alphorn 8′
36. Schalmei 4′
Schwebung
Pedal C–f1
39. Untersatz (aus Nr. 41) 32′
40. Prinzipalbass 16′
41. Subbass 16′
42. Sanftbass (Nr. 24) 16′
43. Oktavbass 8′
44. Gedacktbass (Nr. 26) 8′
45. Choralbass (Nr. 29) 4′
46. Bassflöte (Nr. 32) 2′
47. Rauschpfeife IV 22/3
48. Posaune 16′
49. Horn (Nr. 35) 8′
50. Schalmei (Nr. 36) 4′
  • Koppeln
    • Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
    • Suboktavkoppeln: III/I, III/III
    • Superoktavkoppeln: II/I, III/I, III/II, II/II, III/III, III/P
  • Spielhilfen: Handregister, vier freie Kombinationen, Tutti, Generalkoppel, Registercrescendo, Absteller (Handregister, Walze, Zungen, Einzelzungeln, Suboktavkoppeln, Fernwerk)

Die Kriegszeit

Die Glocken mussten 1942, sieben Jahre nach der Einweihung, der Rüstung geopfert werden. Im Dezember 1943 kam es zum ersten Bombenschaden. Sämtliche Kirchenfenster wurden zerstört. Das Gemeindehaus wurde teilweise zerstört. Zwei Brandbomben durchschlugen Apsis und Gewölbe, richteten im Inneren nur begrenzten Schaden an.

Nachkriegszeit

1945 wurde die Martin-Luther-Gedächtniskirche vorübergehend Garnisonkirche der US Army. Dadurch konnte noch 1945 eine Notverglasung der Fenster vorgenommen werden. Die Folgen des Luftkrieges konnten erst Anfang der 1950er Jahre vollständig beseitigt werden. 1954 mussten am Turm Instandsetzungsarbeiten vorgenommen werden. Durch Kupferverkleidungen glaubte man, die Turmspitze und die bis dahin offene Glockenstube vor Witterungseinflüssen zu schützen.

1970 wurden die neuen Apsisfenster nach dem Entwurf von Hans Gottfried von Stockhausen eingebaut.[2]

Ab 2004 wurde die Kirche nur noch ausnahmsweise für große Gottesdienste oder andere Einzelveranstaltungen genutzt, da der Turm baufällig war und erhebliche Sicherheitsvorkehrungen für Nutzungen erforderlich waren. Derzeit wird der Turm aus Mitteln des Bundes, des Landes Berlin, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der evangelischen Gemeinde Berlin-Mariendorf instandgesetzt. Damit steht das Engagement des Landes Berlin wie auch der Bundesrepublik Deutschland für den Erhalt der Kirche als Baudenkmal von nationaler Bedeutung außer Frage. Daneben steigt das Interesse zahlreicher Initiativen und Vereine, die sich der Denkmalpflege und der Erinnerungskultur verschrieben haben. Möglichkeiten für ein zukünftiges Nutzungsprofil der Kirche werden seit 2008 im Rahmen einer mehrjährigen Erprobungsphase ergründet.

Galerie

Literatur

  • Stefanie Endlich, Monica Geyler-von Bernus, Beate Rossié (Hrsg.): Christenkreuz und Hakenkreuz. Kirchenbau und sakrale Kunst im Nationalsozialismus. Metropol, Berlin 2008, ISBN 978-3-940938-12-1.

Fußnoten

  1. Nähere Informationen zur Orgel
  2. Werkverzeichnis

Weblinks

 Commons: Martin-Luther-Gedächtniskirche (Berlin) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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