Mimetisch

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Dieser Artikel behandelt Mimesis in Philosophie, Geisteswissenschaften und Künsten – zur Verwendung in der Biologie siehe Mimese.

Mimesis (älteres Griechisch μίμησις, „Nachahmung“, neugriech. μίμηση: mímisi) bezeichnet ursprünglich das Vermögen, mittels einer körperlichen Geste eine Wirkung zu erzielen.

Als Mimesis bezeichnet man in den Künsten das Prinzip der Nachahmung im Sinne der Poetik des griechischen Philosophen Aristoteles.

Sein Lehrer Platon allerdings fasste unter den Begriff die „nachahmende Rede“ (die wir heute als direkte Rede bezeichnen) im Gegensatz zur Diegesis, der Erzählung:

„Sich einem andern in Sprache und Haltung anzugleichen, heißt doch, jenen nachzuahmen [...] In einem solchen Fall gestalten also Homer und andere Dichter die Erzählung [diêgêsis] in der Form der Nachahmung [mimêsis] (also der unmittelbaren Wiedergabe) [...] Wenn sich aber der Dichter nirgends verbirgt, dann entsteht eine Dichtung oder Erzählung ohne Nachahmung, in mittelbarer Wiedergabe [...] somit einfache Erzählung [haplê diêgêsis].“[1]

Erst später wurden in der Erzähltheorie die Begriffe Mimesis und Diegesis im Sinne von zeigen und erzählen benutzt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der antike Philosoph Sokrates verglich die Mimesis nach den Berichten seines Schülers Platon mit dem logischen Schlussverfahren der Induktion: Vom Besonderen wird nachahmend auf ein Allgemeines geschlossen. Ein Stern wird etwa als Punkt gezeichnet. So werden alle Sterne zum Punkt.

In der Politeia hatte Platon die Künste als bloß an der Erscheinung orientiert verurteilt, die sich damit nicht der „Wahrheit“ der Idee nähern. Auf der Grundlage seines philosophischen Idealismus lehnte er die Mimesis ab, weil sie zu „Scheinbildern“ führe. Er unterteilte die Tätigkeiten des Menschen in „erzeugende“, „gebrauchende“ und „nachahmende“ und hielt die nachahmende Tatigkeit für die geringste. Im Gegensatz zur Mimesis steht für ihn die Diegesis (griechisch διήγησις), das Erzählen, das nicht vorgibt, nachzuahmen wie das künstlerische Bild oder die Theaterfigur, und deshalb von dem großen Philosophen etwas milder behandelt wird.

Dieser Vorstellung setzte sich Aristoteles in seiner Schrift Poetik entgegen. Er versuchte, das Drama als nachahmende Dichtung, das Platon als moralisch zweifelhaft dargestellt hatte, aufzuwerten. Nach Aristoteles’ Auffassung soll der Zuschauer einer Tragödie vom Gesehenen mitgerissen werden und dadurch eine Reinigung (Katharsis) erfahren. Aristoteles beschränkte die Mimesis nicht auf das Theater, sondern bezog sie auch auf die anderen Künste, die nur mit anderen Mitteln die Wirklichkeit nachahmten.

Das christliche Mittelalter schloss sich, über den Neuplatonismus vermittelt, Platons Verurteilung der Mimesis an. Jede Nachahmung der göttlichen Schöpfung hatte etwas Frevelhaftes. Seit dem 13. Jahrhundert wurde Aristoteles allerdings wieder gelesen, und seit der Renaissance galt die neuerliche Anerkennung der Mimesis als Errungenschaft. Im 18. Jahrhundert erreicht der Triumph der Mimesis über christliche Moralvorstellungen seinen Höhepunkt. In Charles Batteux’ Schrift Les beaux Arts réduits à un même principe (Die schönen Künste zurückgeführt auf ein Prinzip [nämlich die Nachahmung], 1748) treffen Mimesis und Induktion wiederum zusammen. Das Prinzip der Nachahmung hatte gesiegt.

Aus einem anderen Grund wurde die Mimesis aber wieder an den Pranger gestellt: Weil die Forderung der Nachahmung in der französischen Klassik die persönliche Originalität verhinderte, stand sie der Emanzipation und Individualisierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Weg. Daher wurde die Mimesis gegen 1800 zunehmend verurteilt und durch das Prinzip der Einfühlung (das Friedrich Theodor Vischer zu einem theoretischen Gebäude machte) ersetzt:

Einfühlung ist gewissermaßen eine Mimesis, die sich vom Objekt auf das Subjekt verschiebt: Nicht mehr eine Sache wird nachgeahmt, sondern die Empfindungen beim Betrachten der Sache. Das Gemälde eines Baums ist natürlich kein Baum, aber es kann die Empfindungen beim Betrachten des Baums „malen“. Nicht mehr das Beobachtete ist das Original, sondern der Beobachter. Die Stimme eines Lesers ist nach dieser Auffassung keine blasse Nachahmung einer abwesenden Stimme mehr, sondern sie ist erst die Verwirklichung des Textes. Durch diese Umkehrung der Mimesis konnte das Lesen von Texten oder Betrachten von Kunstwerken sich zu einem Gemeinschaftserlebnis aufschaukeln statt im Gegenteil zu immer blasseren und schwächeren Kopien eines Vorgegebenen zu führen.

Das Prinzip der Einfühlung wurde im 19. Jahrhundert oft als „deutsche“ Innerlichkeit einem „äußerlichen“ Französischen gegenübergestellt, etwa bei Richard Wagner. Eine gewisse Trotzhaltung gegenüber der Weltgeltung der französischen Hofsitten war da immer noch im Spiel. Aber hinter der offen artikulierbaren Franzosenfeindlichkeit verbarg sich eine bürgerliche Zurückhaltung gegenüber der adligen Oberschicht. Die mimetische Angleichung der Subjekte „im begeisterten Zustand des Hellsehens“ (Wagner) spielte eine erhebliche Rolle für das Selbstverständnis bürgerlicher Institutionen wie der Genossenschaft (nach Wagners Worten, siehe Gesamtkunstwerk), später in vergröbernder Weise auch für die „Nation“ oder das „Volk“.

Erst die Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts lösten die Vorstellung einer zur Einfühlung umgekehrten Mimesis auf. Bertolt Brecht stellte der Einfühlungsästhetik das Epische Theater entgegen und näherte sich damit wieder dem platonischen Standpunkt.

Für den Romanisten Erich Auerbach ist die Mimesis die „Interpretation des Wirklichen durch die literarische Darstellung“. Noch der französische Philosoph René Girard verwendet den Begriff der Mimesis, indem er sie als das „trianguläre mimetische Begehren“ an den Anfang aller Kultur stellt.

Medienkunst

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Der Begriff Mimesis wird auch im Zusammenhang mit der Computerisierung der Gesellschaft gebraucht (z. B. bei Warnke[2]). Nach Warnke kann die Entwicklung der Computerkultur in drei Phasen eingeteilt werden: Die erste Phase ist die synthetische, in der Rechenmaschinen in autistischer Abgeschiedenheit und ohne Eingriffe von außen Daten erzeugen. Die zweite Phase nennt er die mimetische. Hier werden Informationen von außerhalb verarbeitet, was auf dem ästhetischen Gebiet als Nachahmung empfunden werden kann (z. B. Animationen, interaktive Medienkunst). Die dritte nennt Warnke die Phase der Emergenz.

Einzelnachweise

  1. Platon. Der Staat. Übs. u. hg. v. Karl Vretska. Stuttgart: Reclam, 1982. (Orig.: Politeia. ca. 409 - 405 v. Chr.), 3. Buch/393c f.
  2. Warnke

Literatur

  • Martin Andree: Archaeologie der Medienwirkung. Faszinationstypen von der Antike bis heute (Simulation, Spannung, Fiktionalitaet, Authentizitaet, Unmittelbarkeit, Ursprung). Muenchen: Fink 2005.
  • Gerd Antos/Thomas Bremer/Andrea Jäger/Christian Oberländer (Hg.): Wahrnehmungskulturen. Erkenntnis-Mimesis-Entertainment, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008, ISBN 978-3-89812-533-8
  • Michael Taussig, Mimesis und Alterität, Eine eigenwillige Geschichte der Sinne, eva Wissenschaft, Hamburg 1997, ISBN 3-434-52000-7
  • Franz Helm: Der Code der Dinge. Die Phänomenologie der Mimesis. Passagen, Wien 2002, ISBN 3-85165-554-0
  • Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Francke, Tübingen 2001, ISBN 3-77201-275-2
  • Thomas Metscher: Mimesis. Transcript, Bielefeld 2004, ISBN 3-89942-165-5
  • Gunter Gebauer, Christoph Wulf: Mimesis. Kultur, Kunst, Gesellschaft. Rowohlt, Reinbek 1992, ISBN 3-49955-497-6

Weblinks

Siehe auch


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