Nesin

Nesin

Aziz Nesin (* 20. Dezember 1915 in Istanbul; † 6. Juli 1995 in İzmir; eigentlich Mehmet Nusref) war ein türkischer Pädagoge und Schriftsteller, der vor allem Satiren verfasste.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Aziz Nesin wurde in Istanbul geboren und ging dort zur Schule. 1935 ging er auf die Militärakademie in Ankara, die er 1937 verließ, um seinen Militärdienst anzutreten. 1945 wurde Nesin Mitarbeiter der Zeitung Tan, deren Räume noch im selben Jahr von staatstreuen Studenten in Brand gesteckt wurden. Ab 1946 gab er unter anderem mit Sabahattin Ali die erfolgreiche Satirezeitschrift Marko Paşa heraus, in der sie auch die politischen Verhältnisse angriffen. Beide wurden nach der dritten Ausgabe verhaftet, aber nach 20 Tagen Haft ohne Anklage wieder auf freien Fuß gesetzt. Um der Zensur zu entkommen, benannten sie die Zeitung mehrmals um; Nesin ging 1947 nach Bursa ins Exil, Ali wurde 1948 an der Grenze zu Bulgarien vermutlich durch staatliche Stellen ermordet. 1949 wurde Aziz Nesin von der heutigen britischen Königin Elisabeth II., dem Schah Mohammad Reza Pahlavi sowie dem ägyptischen König Faruq wegen Beleidigung angeklagt und musste für sechs Monate ins Gefängnis. Er betrieb danach die Zeitung noch bis 1951 weiter.

Nach dem staatlich inszenierten Pogrom von Istanbul gegen die christliche griechische Minderheit, bei dem tausende christliche Häuser und Geschäfte geplündert wurden und 72 Kirchen in Schutt und Asche fielen, sprach Nesin von seinen schuldig gewordenen Landsleuten als „Menschen, die Monster wurden“. [1]

In den Folgejahren arbeitete er bei unterschiedlichen Zeitungen und veröffentlichte eine Reihe von Büchern. Seine Werke wurden immer wieder zensiert; er selbst saß insgesamt über fünf Jahre in Untersuchungshaft, wurde aber immer wieder freigesprochen. 1962 gab es einen Brandanschlag auf seinen Verlag, bei dem auch seine Schriften verbrannten.

1972 gründete er bei Çatalca in der Nähe von Istanbul die Nesin-Stiftung für Kinder, deren Familien ihnen den Zugang zu Bildung nicht finanzieren können. Die etwa 45 Kinder und Jugendlichen (Stand: September 2006) besuchen entweder staatliche Schulen oder Universitäten. In einem liebevollem Umfeld sollen die Kinder zu kreativen und kritischen Menschen erzogen werden. Leiter der Stiftung ist Aziz Nesins Sohn, Ali Nesin. Er gründete auch eine private Universität; mit diesem Schritt wandte er sich gegen die autoritären Strukturen im türkischen Bildungssystem.

Als er die türkische Übersetzung von Auszügen aus Salman RushdiesSatanischen Versen“ herausgab, wurde er zum Hassobjekt islamischer Fundamentalisten, die ihn in einer Fatwa zum Abtrünnigen vom Islam erklärten. Die Morddrohungen brachten Nesin nicht zum Schweigen. Bei einem alevitischen Kulturfestival in Sivas erklärte er öffentlich, er halte einen Großteil der türkischen Bevölkerung für „feige und dumm“, da sie nicht den Mut hätten, für die Demokratie einzutreten. Am 2. Juli 1993 versammelten sich islamische Fundamentalisten nach dem Freitagsgebet vor dem Tagungshotel, das schließlich angezündet wurde. Nesin überlebte leicht verletzt, aber 37 Menschen wurden getötet (siehe Brandanschlag von Sivas). Wegen seiner Kritik an der Kurdenpolitik der türkischen Regierung drohte ihm die Staatsanwaltschaft im August 1994 mit der Todesstrafe. Auch die ausländische Politik griff er in seinen Schriften und Reden an. So kritisierte er 1995 die deutschen Abschiebungen in die Türkei. Im selben Jahr starb er am 6. Juli nach einer Lesung in İzmir an einem Herzinfarkt. Als Atheist hatte er in seinem Testament verfügt, dass für ihn keine islamische Trauerfeier abgehalten werden sollte. Er wurde auf dem Gelände des Kinderdorfes anonym beigesetzt.

Werke

Aziz Nesin gilt als einer der populärsten türkischen Schriftsteller; er schrieb 137 Bücher, von denen einige in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden. Aufgrund seiner kritischen Haltung musste er bei über 200 politischen Prozessen vor Gericht erscheinen. Für sein Werk, aber auch für sein demokratisches Engagement, erhielt er zahlreiche Preise: zwei Mal die Goldene Palme (1956 und 1957), den Goldenen Igel (1966), den Preis des Internationalen Krokodil-Satirewettbewerbs (1969), den Theaterpreis des türkischen Sprachvereins (1970), den Lotus-Preis (1974), den Madarali-Roman Preis (1978), die Auszeichnung „Vom Volk gewählter Schriftsteller“ (1985), die „Goldene Tolstoi-Medaille“ (1989) und die „Carl-von-Ossietzky-Medaille“ (1993).

Neben seinen politischen Satiren schrieb er auch Theaterstücke und vor allem Kinderliteratur. Ins Deutsche sind bislang nur einige seiner politischen Werke übersetzt worden, u.a.:

  • Ein Schiff namens Demokratie, ISBN 3-88677-917-3.
  • Die Umleitung, ISBN 3-88677-940-8.
  • Der einzige Weg, ISBN 3-293-20053-2.
  • Surnâme, Man bittet zum Galgen, ISBN 3-293-20066-4.
  • Ein Verrückter auf dem Dach. Meistersatiren aus fünfzig Jahren, ISBN 3-406-41243-2.
  • Wie Elefanten-Hamdi verhaftet wurde, ISBN 3-88677-918-1.
  • Heimatfilm, ISBN 3-88677-937-8.
  • Wie bereitet man einen Umsturz vor? ISBN 3-921347-05-X.

Einzelnachweise

  1. Ökumenischer Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) [1]

Weblinks


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