Nullzinspolitik

Nullzinspolitik

Als Liquiditätsfalle bezeichnet man die Situation einer Volkswirtschaft, in der die offiziellen Zinssätze so weit gegen null gefallen sind, dass die herkömmliche Geldpolitik nicht mehr wirken kann.[1]

Die Erscheinung, dass Geld bei sinkenden Zinssätzen nicht mehr für Investitionen angeboten wird und somit dem Wirtschaftskreislauf tendenziell entzogen wird, wurde von dem Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes beschrieben.

Inhaltsverzeichnis

Grundsätzlicher Zusammenhang

Sofort verfügbares flüssiges (liquides) Geld, das in diesem Zustand noch nicht Geldkapital ist, besitzt gegenüber langfristig investiertem Vermögen und gegenüber der Ware a priori einen entscheidenden Vorteil. Liquides Geld bietet die Möglichkeit, sowohl für Kauf als auch für Investition sofort zur Verfügung zu stehen. Bei jederzeitiger Zahlungsbereitschaft und damit rascher Handlungsfähigkeit – auch über einen längeren Zeitraum hinweg – kann der Geldhalter auf „wesentlich bessere“ oder doch zumindest auf „bessere Alternativen warten.

Den beschriebenen, dem flüssigen Geld immanenten Liquiditätsvorteil gegenüber der Ware identifiziert John Maynard Keynes als Ursache für die Liquiditätsprämie des Geldes“. Dieser Vorteil lässt sich nach Keynes bei etwa 3 Prozent beziffern. Demnach stünde flüssiges Geld grundsätzlich nur dann am Finanzmarkt als Kredit zur Verfügung und könne damit zu Geldkapital werden, wenn der dafür zu erwartende Geldzins diesen Liquiditätsvorteil von etwa 3 % übersteigt oder ihn zumindest ausgleicht.

Als Folge der „Liquiditätsprämie des Geldes“ würde für Investitionen, deren Rendite unterhalb dieser „ehernen Grenze“ von etwa 3 % liegt, kein Geld zur Verfügung gestellt werden. Solche Investitionen würden somit nicht getätigt werden. Das gelte für Investitionen in Sachkapital ebenso wie für Anlagen am Kreditmarkt. Da die für Investitionen in Sachkapital zu erwartende Rendite (der „Sachzins“ oder „Realkapitalzins“) bei steigendem Sachkapitalstock, also wachsender Ausstattung mit Produktionsmitteln, stetig abnimmt, unterblieben dann oft langfristig wichtige Investitionen. Flüssiges Geld(vermögen) (Liquidität) steht dem Wirtschaftskreislauf dann verstärkt nur noch kurzfristig zur Verfügung. Es würde– in Folge der Erwartung der Liquiditätsprämie – gehortet. Das Tauschmittel Geld - für den Physiokraten François Quesnay ein "Transportmittel“ im wirtschaftlichen „Blutkreislauf" - wird zum (dem Wirtschaftskreislauf entzogenen) „liquiden“ Schatzmittel, wird also in Wirklichkeit „illiquide“. Zunehmend fehlen dem Wirtschaftskreislauf die notwendigen langfristigen Finanzmittel (Kreditverknappung).

Das infolge verbesserter Sachkapitalausstattung eintretende Absinken der Rendite von Sachkapital („Sachzins“) auf unter drei Prozent führt nach Keynes in die „Liquiditätsfalle“: Geld bleibt zunehmend liquide, steht dem Wirtschaftskreislauf nur noch kurzfristig zur Verfügung. Die Folge davon ist eine strukturelle Nachfragelücke und langfristig Deflation, verbunden mit latenter Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit. Es werden damit Krisenerscheinungen virulent, die zunehmende staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben hervorrufen. Oft geschieht dies in Form von wiederholten enormen „Finanzspritzen“ und Zinssenkungen der Zentralbank, was wiederum latente Inflationsgefahr bei gleichzeitig steigender Deflationsgefahr bedingt - ein „Tanz auf des Messers Schneide“. Hand in Hand wächst damit die staatliche Reglementierungsbereitschaft.

Der andauernde Fluss der Liquiditätsprämie kann nach Keynes zu gewaltigen „Vermögensumverteilungen“ führen.

Wenn die Wirtschaftsteilnehmer einen steigenden Zinssatz erwarten, kaufen sie keine zusätzlichen zinsbringenden Wertpapiere, da deren Wert bei einer Zinssteigerung fallen würde und dem Risiko des Wertverlustes keine Aussicht auf Wertsteigerung infolge von wieder fallenden Kreditzinsen entgegensteht. Daher wird Geld weder für Wertpapiere noch für Güter ausgegeben. Es wird dem Wirtschaftskreislauf in spekulativer Absicht entzogen und in der Spekulationskasse gehalten, verschwindet also in der Liquiditätsfalle. Verbunden hiermit ist die Gefahr einer Deflation.

Der kritische Zinssatz ist der sogenannte Strike-Zins, der nicht unterschritten wird, weil die Wirtschaftssubjekte trotz der Erhöhung ihres Geldbestandes nicht mehr in Zinstitel investieren. Die Geldpolitik der Zentralbank als Mittel der Nachfragestimulation wird unwirksam, weil auch bei weiter fallenden Zinsen die Nachfrage nach Wertpapieren nicht steigt. In dieser Situation muss der Staat zur Ankurbelung der Wirtschaft aktiv werden, beispielsweise durch eine expansive Fiskalpolitik. Eine solche Situation kann eintreten, wenn der Zinssatz nahe oder genau null ist. Eine Ausgabenerhöhung des Staates aufgrund einer Liquiditätsfalle bedeutet, dass der Staat sich wirtschaftsseitig gezwungen sieht zu investieren, um einer Deflation vorzubeugen.

Liquiditätsfalle und Wirksamkeit der Geldpolitik

Die Aussage, dass die Geldpolitik in der Liquiditätsfalle unwirksam ist, trifft freilich nur für eine expansive Geldpolitik zu. Bei einer hinreichend großen Geldmengensenkung ist es aber möglich, dass die Wirtschaftssubjekte, um durch die entstandene Überschussnachfrage auf dem Geldmarkt weiterhin liquide zu bleiben, einen Teil ihrer Wertpapiere verkaufen, da annahmegemäß eine Überschussnachfrage (d.h. mehr Nachfrage als Angebot) auf dem Geldmarkt mit einem Überschussangebot (d.h. mehr Angebot als Nachfrage) auf dem Wertpapiermarkt korrespondiert (vgl. Walras-Gesetz).

Sinkende Kurse ziehen jedoch, so die Theorie, einen Zinsanstieg nach sich. Eine solche Politik ist nur geeignet, das Zinsniveau zu erhöhen, also die Liquiditätsfalle zu verlassen. Das gesamtwirtschaftliche Einkommen geht (bei zinselastischer Investitionsnachfrage) zurück, da jetzt weniger Investitionen lohnend sind.

Neben der Investitionsfalle und nach unten unflexiblen Löhnen kann hier die Ursache für das von Keynes beschriebene Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung gesehen werden.

Keynes nahm an, dass Geld ein unverderbliches Gut sei und dass es so etwas wie einen negativen Zinssatz nicht geben könne. In einem Wirtschaftssystem jedoch, in dem die Anleger ihr Geld nur mit Verlust in der Spekulationskasse halten, es also dem Wirtschaftskreislauf nicht ohne Nachteile entziehen könnten, würde es keine Liquiditätsfalle geben.

Umgangssprachlich wird der Begriff Liquiditätsfalle zur Beschreibung des Phänomens verwendet, dass Unternehmen trotz wirtschaftlicher Gesundheit keine Kredite bekommen.

Aktuelle Betrachtung

Da die Wirtschaftswissenschaften eine empirische, also nur auf Erfahrungswerten basierende Wissenschaft sind, gelten die beschriebenen Regeln jedoch teilweise nur für jene Zeiten, in denen Keynes sie verfasste. Seine Behauptung, hohe Zinsen resultierten in niedrigeren Kursen an den Finanzmärkten, wurde durch die Asienkrise widerlegt. In der Finanzkrise von 1997 sanken die Aktienwerte genauso wie die Zinsen sanken. Die Anleger zogen es vor, ihr Geld sicher am Rentenmarkt anzulegen, anstatt es zu spekulativen Zwecken am Aktienmarkt einzusetzen (so genanntes Safe Haven). Es fanden große Umverlagerungen vom Aktien- in den Rentenmarkt statt. Dieses gemeinschaftliche Verhalten der Anleger kam sehr überraschend, wobei ihre Motivation im Nachhinein allerdings schlüssig und verständlich war.

Einzelbelege

  1. Nouriel Roubini: Ist jetzt die globale Stagdeflation da?

Siehe auch

Weblinks


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