Olberssches Paradoxon

Olberssches Paradoxon

Das olberssche Paradoxon (manchmal auch fälschlich olbersches Paradoxon) bezeichnet den Widerspruch zwischen der Vorhersage eines hellen Nachthimmels und seiner tatsächlichen dunklen Erscheinung. Der Begriff geht auf den deutschen Astronomen Heinrich Wilhelm Olbers zurück, der dieses Problem im Jahre 1826 formulierte, nachdem es bereits von anderen Wissenschaftlern im Zusammenhang mit konkurrierenden kosmologischen Modellen betrachtet wurde. Es betrifft kosmologische Modelle, die ein unendlich ausgedehntes Universum postulieren und in diesem eine gleichmäßige Sternverteilung annehmen. Solche Modelle entsprechen dem kosmologischen Prinzip. Unter diesen Voraussetzungen müsste nach unendlich langer Zeit Licht jedes Sterns die Erde erreicht haben und der Himmel in alle Richtungen mindestens so hell wie die Sternenoberfläche erscheinen. Dies widerspricht der Beobachtung eines dunklen Nachthimmels und war ein historisches Argument gegen solche Modelle.

Inhaltsverzeichnis

Historische Entwicklung der Modelle

Thomas Digges homogene Sternverteilung als Cover seiner A Perfit Description of the Caelestiall Orbes.

In Folge der kopernikanischen Wende entwickelten sich verschiedene Kosmologien, die sich darin unterschieden, welche Sternenverteilung sie im Universum annehmen. Kopernikus vertrat in seinem Werk De Revolutionibus Orbium Coelestium die Auffassung, dass sich die Sterne in der äußersten unbeweglichen Schale des Universums befinden. Sein Modell enthält endlich viele Sterne in endlichem Abstand von der Sonne, es ist also inhomogen und hierarchisch. Thomas Digges (1546 – 1595) erklärte eine solche Fixsternsphäre für wissenschaftlich unhaltbar und schlug in A Perfit Description of the Caelestiall Orbes eine homogene Sternverteilung in einem unendlichen Universum vor. Auch von Giordano Bruno (1548 – 1600) und von Galileo Galilei 1610 in Galileis Sidereus Nuncius wurde ein unendliches Universum mit unendlich vielen Sonnen und Planeten postuliert, in dem die beobachteten Fixsterne ferne Sonnen sind. Aus diesen Modellvorstellungen folgt das Paradoxon, wie unter anderem Johannes Kepler (1571 - 1630) erkannte.[1] Seine Auflösung des Paradoxon war, dass das Universum endlich sei; er lehnte mit dieser Begründung kosmologische Modelle ab, die ein unendliches homogenes Universum voraussetzen. Auch im 18. Jahrhundert war das Paradoxon bekannt, zum Beispiel wird es von Edmond Halley 1720 erwähnt, auch Johann Heinrich Lambert kannte es.[2]

Exakte Formulierung

Wenn das dreidimensionale Universum folgende Eigenschaften 1. bis 5. erfüllt, dann ist der Himmel auf der Erde nach unendlicher Zeit unendlich hell:

  1. Es ist in jede Richtung unendlich ausgedehnt.
  2. Alle Sterne haben eine endliche Ausdehnung und Leuchtkraft.
  3. Die Anzahl der Sterne N(R) in einer Kugel mit Radius R um die Erde geht für R \rightarrow \infty gegen unendlich wie R3 (homogene Sternenverteilung auf kosmologischer Skala).
  4. Die Anzahl der Sterne NS(R) in jedem Ausschnitt dieser Kugel geht für R \rightarrow \infty gegen unendlich wie R3 (Isotropie auf kosmologischer Skala in der homogenen Sternenverteilung).
  5. Die Sterne und das Universum ändern sich in beliebigen Zeiten nicht (statisches Universum).

Die in den Bedingungen 1 und 2 genannten Aussagen waren schon im 16. Jahrhundert allgemein anerkannt, die endliche Lebensdauer von Sternen war noch nicht bekannt. Die von Digges postulierte Sternenverteilung, die auf großen Skalen als homogen und isotrop wie in den Bedingungen 3 und 4 zu bezeichnen ist, war eine direkte Reaktion auf die räumlich inhomogene Sternenverteilung von Kopernikus. Wenn eine ewige Lebenszeit der Sterne angenommen wird, hätte auch jetzt bereits unendlich viel Licht die Erde erreicht.

Veranschaulichung des olbersschen Paradoxons

In Analogie zum olbersschen Paradoxon gibt es in einem Wald keine lichten Bereiche: in jeder (horizontalen!) Blickrichtung steht ein Baum.

Um das Paradoxon besser zu veranschaulichen, kann man sich die Erde in der Mitte einer Ebene vorstellen. Wäre das Universum in etwa überall gleich aufgebaut und unbegrenzt groß, so sähe der Beobachter innerhalb des Abstands r (vergleichbar mit einer Horizontlinie) alle Sterne innerhalb dieses Radius. Dabei nimmt die scheinbare Größe des Himmelskörpers proportional zur Entfernung vom Betrachter ab. Erhöht man diese Sichtlinie um x (r + x), so nimmt die Zahl der Sterne darin quadratisch, also um zu, wobei allerdings die sich darin befindlichen Sterne um die Wurzel von x kleiner wirken. Vergleicht man die „Gesamthelligkeit“ der beiden Radien, stellt man fest, dass beide einander entsprechen. Dies bedeutet, dass unabhängig davon, wie weit ein Beobachter auch blicken mag, die kollektive Anzahl an sichtbaren Sternen am Horizont direkt proportional zum Abstand zunehmen würde. Geht man nun auch davon aus, dass das Universum unbegrenzt groß ist und das Licht unbegrenzt Zeit hätte, uns zu erreichen, so würde dies bedeuten, dass es auf der Erde niemals dunkel werden könnte.

Historische Erklärungen

In der Geschichte des Paradoxons wurden viele Vorschläge diskutiert, die das Paradoxon auflösen sollten. Eine nahe liegende Idee war anzunehmen, dass das Licht in seiner Ausbreitung behindert wird. Dafür waren zum Beispiel dunkle Staub- beziehungsweise Gaswolken im Gespräch. Dieser Ansatz löst das Problem allerdings nicht, da sich Strahlung absorbierende Materie aufheizt und dadurch ebenfalls zu strahlen beginnt.

Benoît Mandelbrot diskutiert das olberssche Paradoxon in seinem Buch Fractal Geometry of Nature von 1977. Bei einer hierarchischen (fraktalen) Anordnung von Massen im Universum lässt sich das Paradoxon vermeiden, wie zuerst der Schriftsteller Edmund Edward Fournier d´Albe (1868-1933) in seinem Buch Two New Worlds von 1907 zeigte[3], wobei es Fournier nur auf die Demonstration des Prinzips ankam und nicht um ein realistisches Modell. Von Carl Charlier wurde das 1908 in realistischeren Modellen aufgegriffen, bei denen die fraktale Dimension mit der Größenskala variierte.[4] und der überdies solche Cluster-Strukturen in seinen Karten der Galaxienverteilung erkennen wollte. Fournier gab auch ein physikalisches Argument (eine obere Grenze für die beobachtete Sterngeschwindigkeit) für eine fraktale Dimension der Massenverteilung nahe 1 an. Auch Mandelbrot selbst sieht in diesen Versuchen weniger ein Modell für eine Lösung des Paradoxons, das er durch die kosmologischen Standardmodelle als gelöst betrachtet, sondern erste Sichtweisen einer möglichen fraktalen Anordnung der Galaxien im Universum. Untersuchungen der Galaxienverteilung auf verschiedenen Skalen widerlegen aber ein einfaches hierarchisches Modell mit gemeinsamer fraktaler Dimension.[5].

Auflösung des Paradoxons

Die Bedingung eines unendlich großen beobachtbaren Kosmos mit unendlich vielen Sternen, die in der Formulierung des Paradoxons angenommen wurde, ist widerlegt. Beobachtungsdaten von Projekten bzw. Sonden wie COBE und WMAP zeigen, dass das sichtbare Universum räumlich und zeitlich begrenzt ist. Licht kann uns in endlicher Zeit, in der das Universum existiert, nur aus einem endlich großen Bereich erreichen, in dem sich nur endlich viele Sterne seit dem Urknall entwickelt haben. Außerdem besitzen Sterne nur eine endliche Lebensdauer, was die Anzahl der Sterne, deren Licht uns erreichen kann, weiter einschränkt. Durch interstellare Dunkelwolken wird die Helligkeit von dahinter liegenden Sternen zusätzlich reduziert.

Die heute verbreitete Vorstellung zur Erklärung des dunklen Nachthimmels basiert auf der allgemeinen Relativitätstheorie und dem daraus entwickelten aktuellen Lambda-CDM-Modell der Kosmologie.

Heutige Erklärung des dunklen Nachthimmels

Für die Erklärung der genauen Erscheinung unseres Nachthimmels sind allerdings noch weitere Effekte zu beachten. Das Paradoxon beschränkte sich auf das Licht von Sternen, wobei die meisten Strahlungsquanten im intergalaktischen Medium noch aus der Ära der Entkoppelung der Hintergrundstrahlung stammen. Dieses Licht wurde mit dem Spektrum eines näherungsweisen schwarzen Körpers der Temperatur 3000 K ausgesandt und würde bei ungehinderter Ausbreitung den Himmel gleichmäßig gelb/orange erleuchten. Dass dies nicht der Fall ist, liegt an der Expansion des Universums. Der sich ausdehnende Raum verringert die Energie des sich durch ihn bewegenden Lichtes, welches dadurch langwelliger wird. Diesen Effekt bezeichnet man als kosmologische Rotverschiebung. In Folge dieser Rotverschiebung ist die Hintergrundstrahlung vom Urknall so energiearm geworden, dass sie heute dem Wärmestrahlungsspektrum eines sehr kalten (2,7 K) schwarzen Körpers entspricht. Dieser sehr langwellige Bereich gehört zur Mikrowellenstrahlung. Er ist für das menschliche Auge unsichtbar und trägt somit nicht zur Himmelshelligkeit bei.

Die Rotverschiebung würde auch ein olberssches Paradoxon in einem unendlich ausgedehnten, expandierenden Universum wie in der Steady-State-Theorie erklären. Aufgrund des olbersschen Paradoxons kann man also unendliche Universen nicht ausschließen. Die Steady-State-Theorie gilt heute jedoch aus anderen Gründen bei der Mehrzahl der Astrophysiker als widerlegt.

Literatur

  • Heinz-Dieter Ebbinghaus und Gerhard Vollmer (Hrsg.): Warum wird es nachts dunkel? Das Olberssche Paradoxon als wissenschaftstheoretische Fallstudie. Denken Unterwegs, Stuttgart 1992
  • Stanley L. Jaki: The Paradox of Olbers’ Paradox. A Case History of Scientific Thought. Real View Books, Pinckney, Missouri 2000. ISBN 1-892548-10-0

Weblinks

 Commons: Olbers' paradox – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Weitere Quellen

Einzelnachweise

  1. Kepler Dissertatio cum nuncio sidereo galilei, 1610, deutsch Diederichs 1918 (Otto Bryk), englisch von Edward Rosen: Keplers conversation with Galileos Sidereal Messenger, New York, Johnson Reprint, 1965, S.34
  2. Halley wird zitiert in Benoit Mandelbrot The fractal geometry of nature, Freeman 1983, S. 92 Das Kapitel 9 ist der Diskussion des Paradoxons gewidmet, dort Blazing Sky Effect genannt.
  3. zu Fournier d´Albe: Mandelbrot, Fractal Geometry of Nature, loc.cit., S.396
  4. Charlier Wie eine unendliche Welt aufgebaut sein kann, Arkiv för matematik, Astronomi och Fysik, Bd.4, 1908, S.1-15 (englisch in Bd.16, 1922, S.1-34)
  5. Peebles Principles of Physical Cosmology, Princeton University Press 1993, S.209 bis 224

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