Astronavigation

Astronavigation

Astronomische Navigation ist der Überbegriff für alle Verfahren der Positionsbestimmung, die auf der Messung von Gestirnen (Sonne, Mond, Planeten oder ausgewählte Fixsterne) beruhen.

Auch einige astronomisch gestützte Methoden der Richtungsmessung und -Kontrolle zählen zum Fachgebiet.

Inhaltsverzeichnis

Positionsbestimmung mit Sextant, Chronometer und astronomischem Almanach

Astro-Navigation:
*: Sonne
Z: Ort, über dem die Sonne im Zenit steht
O: unbekannter Aufenthaltsort des Beobachters
O': Möglicher Aufenthaltsort des Beobachters nach erster Messung

Mit einem Sextant misst ein ruhender Beobachter die scheinbare Höhe der Sonne (oder eines anderen Gestirns) α über dem Horizont. Gleichzeitig erfasst er sekundengenau den Zeitpunkt der Messung in Koordinierter Weltzeit.

Für die Standortbestimmung wird der Winkel φ = 90°- α benutzt.

In einem nautischen Almanach kann man nachschlagen, über welchem Punkt Z der Erde die Sonne zum Messzeitpunkt senkrecht (im Zenit) stand. Da die gemessene Sonnenhöhe nicht 90° betrug, sondern 90°-φ, muss der Standort O um φ nördlich, südlich, östlich oder westlich oder sonst irgendwo auf einem Kreis O' mit dem Radius φ * 60 Nautische Meilen um den Punkt Z liegen.

Einige Zeit später wiederholt man die Messung. Die Sonne ist inzwischen über einen Punkt Z2 weiter gewandert, und so ergibt sich ein zweiter Kreis mit dem Radius φ2 * 60 Nautische Meilen um den aus dem Almanach ermittelten Punkt Z2. Die beiden Kreise haben zwei Schnittpunkte, einer davon ist die eigene Position.

Ein Nachteil dieses Verfahrens ist, dass man 2 Messungen mit ausreichend zeitlichem Abstand benötigt, da sich die Standlinien in möglichst stumpfem Winkel schneiden sollen. Das ist speziell bei unsicherem Wetter nicht immer gewährleistet. Deshalb wird man stets auch noch mit dem Peilkompass die Richtung zum Punkt Z ermitteln. So lässt sich eine vorläufige Positionsbestimmung auf dem Schnittpunkt des Kreises mit Radius φ um Z mit der Standlinie mit der gemessenen Himmelsrichtung durch den Punkt Z durchführen. Die Standlinienbestimmung durch Peilung zu einem Gestirn mittels Kompass ist aber infolge des meist sehr großen Abstandes zum Schiffsort sehr stark fehlerbehaftet.

Für die tatsächlichen Bestimmung auf hoher See zeichnet man auf einer Seekarte zunächst eine vermutete Schätzposition (Rechenort oder Gisort) ein. Für jeden der Punkte "unter der Sonne" zeichnet man weiter eine Richtungslinie ein, die von der Schätzposition in die Richtung dieses Punktes weist. Gleichzeitig berechnet man die Entfernung zwischen Sonnenpunkt und Schätzposition. Für die Berechnung des Winkels der Richtungslinie und der Entfernung zum Sonnenpunkt benötigt man die Lehrsätze der sphärischen Trigonometrie, speziell die des nautischen Dreiecks. Man kann die Ergebnisse der notwendigen Rechenoperationen aber auch aus mehrbändigen Tabellenwerken (Pub. 249 bzw. Pub. 229 Sight Reduction Tables for Marine Navigation, der amerikanischen "National Geospatial Intelligence Agency" [1]) mit anschließender Interpolation ermitteln.

Da die Position nur geschätzt war, wird die so berechnete Entfernung etwas abweichen von der tatsächlichen Entfernung, wie sie aus der gemessenen Sonnenhöhe bestimmbar ist. Mit Hilfe der Differenz der beiden Entfernungen findet man die Stelle auf der Richtungslinie, die die "richtige" (gemessene) Entfernung zum Sonnenpunkt hat. Durch diese Stelle zeichnet man eine zur Richtungslinie senkrechte Gerade. Sie approximiert den Positionskreis. Der zweite Positionskreis wird genauso als Gerade eingezeichnet. Der Schnittpunkt der beiden Geraden ergibt die tatsächliche Position.

Beschickung des Sextanten

Der mit dem Sextanten gemessene Winkelabstand α zwischen dem sichtbaren Horizont (der sogenannten Kimm) und dem Gestirn muss um verschiedene Faktoren korrigiert werden, bevor er zur Berechnung der Position benutzt werden kann:

  • Bei der Beobachtung von Gestirnen, die dem irdischen Betrachter groß ausgedehnt erscheinen - wie Sonne und Mond - muss noch der halbe Durchmesser des Gestirns hinzugefügt oder abgezogen werden, je nachdem ob man die Unter- oder Oberkante beobachtet hat.
  • Die Höhe des Betrachters über dem Meeresspiegel, die sogenannten Augeshöhe - sie macht eine Beobachtung der Kimm überhaupt erst möglich - lässt einen zu großen Winkel messen (die Kimmtiefe).
  • Die Lichtstrahlen der Gestirne werden gebrochen, wenn sie in die Atmosphäre eindringen. Diesen Effekt nennt man Refraktion, und er ist umso stärker, je näher das Gestirn an der Kimm beobachtet wird, je tiefer es also für den Betrachter steht. Wenn die Sonne gerade die Kimm zu berühren scheint, dann ist sie in Wahrheit schon (etwa 20') unter der Kimm. Die Refraktion nimmt für kleine Winkel stark zu (bei 5 Grad rund 10') und hängt vom Luftdruck und der Temperatur der an der Brechung beteiligten Luftmassen ab. Aus diesem Grund vertraut der Navigator Ergebnissen, die bei Kimmabständen kleiner 10 Grad gewonnen werden, nur eingeschränkt.
  • Die Formel φ = 90°- α gilt nur für unendlich weit entfernte Objekte. Der durch diese Näherung verursachte Fehler heißt Horizontalparallaxe. Sie ist bei der astronomischen Navigation mit der Sonne und den Fixsternen vernachlässigbar, dies gilt aber nicht für die nahen Planeten (Korrekturen von etwa 0,5') und besonders dem Mond (bis zu 56').

Die für diese Korrekturen nötigen Informationen finden sich ebenfalls in Form von Tabellen im nautischen Almanach.

Erreichbare Genauigkeit und die Grenzen der astronomischen Navigation

Mit Hilfe einer sekundengenauen Uhr, eines aktuellen Almanachs und eines handelsüblichen Sextanten sind unter idealen Bedingungen mit diesem Verfahren Genauigkeiten im Bereich von etwa zwei Seemeilen für einen geübten Beobachter möglich. In der Praxis sind die Bedingungen selten ideal:

  • An Bord von Schiffen befindet man sich auf schwankendem Untergrund.
  • Wolken und Dunstschleier bedecken oft die Sicht auf die Gestirne. Eine astronomische Navigation ist aber nur möglich bei zumindest teilweise freier Sicht.
  • In der Nacht (der Himmel ist nicht deutlich heller in Bezug auf die Kimm) ist die astronomische Navigation unmöglich, weil die Kimm überstrahlt und nur scheinbar gut wahrnehmbar ist. Damit sind Sterne und Planeten nur für wenige Stunden des Tages im Morgen- und Abendgrauen für die Navigation nutzbar.
  • Die Planeten stehen oft zu tief über der Kimm, um für verlässliche Berechnungen genutzt werden zu können.

Ergänzende Verfahren

Bestimmung des Breitengrads

Bestimmung der geographischen Breite aus der Höhe des Polarsterns über dem Horizont; Bestimmung der Länge aus der Orientierung des Großen Wagens zu einer bestimmten Uhrzeit. Als Anhaltspunkt zum Abschätzen von Winkeln: Der Abstand vom Polarstern zum Großen Wagen beträgt ca. 28°, der Abstand zwischen den beiden Seitensternen des Großen Wagens ca. 5,5°. Unterhalb einer Breite von ca. 30° gehört auch der Große Wagen zu den Sternbildern, die am Horizont untergehen können.

Die geographische Breite lässt sich durch Messung von Vertikalwinkeln zwischen der Sonne (Mittagsbesteck) oder einem markanten Fixstern zum Zeitpunkt des Höchststandes (Kulmination) und dem Horizont mittels Jakobsstab oder Sextant bestimmen. Bei ruhiger See und deutlich erkennbarem Horizont ist mit Sextantenmessung eine Genauigkeit von ca. einer Bogenminute (1/60 Grad), d.h. einer Seemeile (1852 m), erreichbar (siehe Sextant, Navigation, Astrogeodäsie). Diese Form der Navigation wird auch Breitensegeln und das Ergebnis die Mittagsbreite genannt.

Der Polarstern nimmt unter den Gestirnen eine Sonderrolle ein, da sein Bildpunkt Z konstant (der Nordpol) ist. Aus der Höhe des Polarsterns lässt sich der Breitengrad unmittelbar ablesen. Diese Art der Ermittlung der Breite ist allerdings recht ungenau, da der Polarstern in Wahrheit etwa 0,5° vom Nordpol entfernt liegt. Darüber hinaus ist bei sichtbarem Polarstern der Himmel im Vergleich zur Kimm praktisch immer zu dunkel.

Bestimmung des Längengrads

Die Bestimmung des Längengrades ist nur mit Hilfe einer genauen Zeitmessung möglich, und ist in die Geschichte der Seefahrt als das Längenproblem eingegangen. Die Orientierung der Sterne hängt ab vom Tag, der Uhrzeit und dem Längengrad. Sind Datum und Uhrzeit bekannt, erhält man den Längengrad aus der Sternposition.

Beispiel 1: Am Ausgangspunkt ist um 2:00 Uhr Ortszeit der zirkumpolare Große Wagen so wie im Bild orientiert. An anderen Längengrad-Positionen erscheint er entsprechend dem Längenwinkel gedreht: Bei einer um 30° östlicheren Position steht er an der Position 4, bei 30° westlich an Position 0.

Beispiel 2: Entlang eines Breitengrads wird dieselbe Position des Großen Wagens zu anderen Zeiten erreicht. Ein Unterschied von einem Längengrad verursacht eine Zeitverschiebung von 24h/360°, also 4 Minuten. Erreicht beispielsweise der Große Wagen die Position erst um 3:00 Uhr, befindet man sich 15° westlicher vom Ausgangspunkt.

Ohne Schiffschronometer konnte mit der Methode der Monddistanzen nach Tobias Mayer das Längenproblem näherungsweise gelöst werden. Die Ergebnisse waren allerdings weniger genau:

  • Die Mondbahn unterliegt zahlreichen schwer berechenbaren Störungen.
  • Die benutzten Oktanten bzw. Sextanten haben eine für die Bestimmung eines solchen Winkels im Raum ungeeignete Absehe: Die Gerätehaltung, bei der der kleinste Winkel zwischen zwei Himmelkörpern gemessen wird, kann nur durch Probieren und damit ungenau ermittelt werden.

Weitere Entwicklung und moderne Positionsbestimmung

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren hochpräzise, robuste Uhren so billig geworden, dass sich jeder Kapitän eine solche leisten konnte, und das Prinzip der Zeitmessung setzte sich endgültig gegen Mayers Methode durch. Da sich die Erde am Äquator mit ca. 463 m/s bewegt, verursacht ein Uhrenfehler von 1 s einen Positionsfehler von bis zu 463 m. Mit Einführung des Kurzwellenfunks konnten sekundengenaue Zeitinformationen (Zeitzeichen) auf hoher See mit einfachen Radiogeräten empfangen werden, wodurch sich die Positionsbestimmung weiter verbesserte. Heute verwendet der Navigator zur Positionsbestimmung das Höhendifferenzverfahren nach St. Hilaire: Dabei wird die Höhe eines Gestirns über dem Horizont für den Koppelort zum Messzeitpunkt berechnet.

Die Höhengleiche (die Linie auf der Erdoberfläche, von der aus alle Beobachter für ein bestimmtes Gestirn denselben Höhenwinkel messen) ist ein Kreis auf der Erdoberfläche. Alle Beobachter auf dieser Linie sind gleich weit vom Bildpunkt entfernt, dem Ort, an dem die Verbindungslinie zwischen Gestirn und Erdmittelpunkt die Erdoberfläche durchstößt. Aufgrund des großen Radius' dieser Kreise kann die Höhengleiche in der Praxis als Gerade angenommen werden, wenn der Höhenwinkel des Gestirns über dem Horizont kleiner als 85° ist. Daraus ergibt sich eine Standlinie. Schneidet man Standlinien mehrerer Gestirne, erhält man einen wahren Ort. Wenn man z.B. am Tag nur die Sonne als einziges Gestirn zur Verfügung hat, "versegelt" man die Standlinie, verschiebt sie also entlang des Kurses um die zurückgelegte Distanz, bis man eine andere Standlinie erhält, mit der diese zum Schnitt gebracht werden kann. Dieses "Versegeln" kann man auf alle Arten von Standlinien anwenden (siehe hierzu Navigation).

Heutzutage verwenden Schiffe zur Navigation GPS (Global Positioning System), doch sind Mittel für die Positionsbestimmung mit astronomischen Methoden (also Tabellen und Geräte) weiterhin vorgeschrieben.

Sonstiges

An 4 Tagen im Jahr (am 16. April, 14. Juni, 1. September und 25. Dezember; siehe Zeitgleichung) lässt sich die Länge mit Hilfe des Lokalen Mittags ohne zusätzliche Tabellen näherungsweise bestimmen. An diesen Tagen ist es möglich, mit Hilfe der koordinierten Weltzeit UTC und der Messung des Zeitpunktes, an dem die Sonne exakt im Süden steht, den Längengrad abzuschätzen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. http://www.nga.mil/portal/site/maritime/index.jsp?front_door=true

Literatur

  • Dava Sobel: Längengrad, btb Taschenbuch, 1998. ISBN 3-442-72318-3. (Engl. Orig.: "Longitude", 1995)
  • Wolf Nebe: Praxis der Astronavigation. Erklärung der Grundlagen anhand farbiger Grafiken; schnelle Standortbestimmung durch klar strukturierte Anweisungen. Bielefeld: Delius Klasing 1997, ISBN 3-7688-0984-6
  • Bobby Schenk: Astronavigation. Bielefeld: Delius Klasing 2000, ISBN 3-7688-0259-0
  • Gerhard Meyer-Uhl: Praktische Astronavigation mit Weltumseglern. (= BLV-Bordpraxis, Nr. 7) München, Wien, Zürich: BLV-Verlagsgesellschaft, 1980. ISBN 3-405-12219-8
  • Karl-Richard Albrand: Astronomische Navigation heute. (= Up to date, Weiterbildung an Bord, Nr. 24) Herausgegeben vom Sozialwerk für Seeleute e.V., Hamburg. - Neue überarbeitete Auf.age, Stand 1991. Hamburg: Sfs, 1991
  • Walter Stein ; Werner Kumm: Astronomische Navigation. (= Yacht-Bücherei, Band 88) Bielefeld: Delius Klasing, 11. Auflage 2002. ISBN 3-87412-138-0
  • Werner F. Schmidt: Astronomische Navigation. Ein Lehr- und Handbuch für Studenten und Praktiker. Berlin, Heidelberg, New York, Barcelona, Budapest, Hong Kong, London, Mailand, Paris, Santa Clara, Singapur, Tokyo: Springer, 2. Auflage 1996. ISBN 3-540-60337-9
  • Joachim Böhme ; Walter Steinfatt ; Lothar Uhlig: Astronomische Navigation. (= Leitfaden der Navigation) Berlin: Transpress, Verlag für Verkehrswesen, 4. Auflage 1987. ISBN 3-344-00000-4
  • C. S. Draper: Space navigation - guidance and control. Mackay, London 1966
  • Edward V. Stearns: Navigation and guidance in space. Prentice-Hall, Englewood Cliffs, NJ 1963
  • Robert A. Park, Thomas Magness: Interplanetary navigation - principles and methods for journeys to other planets. Holt, Rinehart and Winston, New York, 1964
  • Erwin Schrödinger ; P. Jordan ; H. Siedentopf: Orientierung im Weltall. (= Das internationale Forum, Heft 3) Zürich: Fontana-Verlag 1954
  • Markus Werthmann: Astronavigation. Dipl.-Arb., Uni.Innsbruck, 2008
  • Sergejs Slaucitajs: Über die astronomische Navigation in hohen Breiten = On astronomical navigation in high latitudes. (= Contributions of Baltic University, Nor.14) Pinneberg: Baltic University, 1947. - 16 Seiten Umfang

Weblinks


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