Pragmatismus

Pragmatismus

Der Ausdruck Pragmatismus (von griech. pragma „Handlung“, „Sache“) bezeichnet umgangssprachlich ein Verhalten oder Handlungen, die sich nach den bekannten Gegebenheiten richten, und auf eine theoretische Analyse und genaue Begründung der Wirkungen verzichtet. Pragmatisches Handeln ist nicht an unveränderliche Prinzipien gebunden.

In der Philosophie wird damit eine Denkrichtung bezeichnet, die von Charles S. Peirce und William James begründet und im Anschluss vornehmlich von John Dewey und George Herbert Mead fortgeführt wurde. Dem Pragmatismus zufolge sind es die praktischen Konsequenzen und Wirkungen einer lebensweltlichen Handlung, welche bestimmen, was die Bedeutung oder die Wahrheit von Begriffen, Aussagen und Meinungen ausmacht. Die menschliche Praxis wird als ein Fundament auch der theoretischen Philosophie (also insb. der Erkenntnistheorie und Ontologie) verstanden, da vorausgesetzt wird, dass auch das theoretische Wissen dem praktischen Umgang mit den Dingen entspringt und auf diesen angewiesen bleibt.

Zahlreiche Grundbegriffe der systematischen Philosophie wurden dieser pragmatischen Maxime gemäß neu interpretiert, darunter der Begriff der Wahrheit; das Forschungsprogramm des Pragmatismus wurde auf verschiedene Problemzusammenhänge und praktische Kontexte angewendet, darunter auf den der Religion. Nachdem der Pragmatismus in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weniger einflussreich war, verstehen sich seit den 1970er-Jahren einige Philosophen dezidiert in der Tradition des klassischen amerikanischen Pragmatismus, darunter Richard Rorty, Hilary Putnam und Robert Brandom.

Eingeführt wurde der Begriff „Pragmatismus“ im Jahr 1898 in einer Vorlesung durch William James, der dabei jedoch ausdrücklich Charles Sanders Peirce als den Begründer dieser Philosophie anführte und dazu auf dessen Veröffentlichungen aus dem Jahr 1878 verwies. Da die Lehre des Pragmatismus jedoch von mehreren anderen Autoren auf deren je eigene Weise ausgeführt wurde, was mit der ursprünglichen Auffassung nicht übereinstimmte, nannte Peirce später seine eigene Lehre Pragmatizismus. Peirce wollte damit auf die Bedeutung des Prinzips von Wissenschaft als geschlossenem System und die daraus folgende Rolle der Terminologie hinweisen. Er wandte sich ausdrücklich gegen die „lockeren Schreiber“, die seine Begriffe außerhalb seines theoretischen Konzepts verwendeten.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Klassischer (angelsächsischer) Pragmatismus

Nach den Ansichten der Pragmatiker beziehen sich alle Urteile, Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe u. a. auf jeweils handelnde Menschen. Als zentrale Maxime kann Peirces Forderung gelten, Vorstellungen aller Art im Hinblick auf ihre möglichen praktischen Wirkungen zu beurteilen. Diese Forderung richtet sich vor allem gegen einen erkenntnistheoretischen Fundamentalismus und dessen Behauptung, durch Intuition oder Introspektion seien unmittelbare Erkenntnisse möglich. Ebenso lehnt Peirce eine rationalistische Letztbegründung ab, die sich auf die Selbstgewissheit des Ichs beruft, als auch die empiristische Ansicht, dass Erkenntnis allein der Sinneswahrnehmung entstamme. Vielmehr liegt alles Erkannte schon immer formel- und symbolhaft vor und kann daher auch fehlgedeutet werden.

Als Methode zur Wissensvermehrung schlägt Peirce vor, nur noch dasjenige als Wissen zu akzeptieren, das anhand von Experimenten intersubjektiv nachprüfbar ist bzw. nachgeprüft wurde. Damit einher geht die Forderung, alles Wissen so zu formulieren, dass daraus unmittelbar klar wird, was man tun muss, um diese oder jene Aussage zu prüfen. Peirce geht weiterhin davon aus, dass eine Forschergemeinschaft im Laufe der Geschichte durch ständiges Gegenprüfen ihrer Ergebnisse schrittweise zu einem besseren Wissen über die Welt kommt. Damit bedeutet Wahrheit nicht mehr Aussagewahrheit (Korrespondenztheorie: Eine Aussage ist wahr, wenn ihre Behauptung mit der Realität übereinstimmt), sondern wird durch den Konsens der Forschergemeinschaft hergestellt (Konsenstheorie der Wahrheit).

Dieser Prozess der Wahrheitsfindung wird durch William James in Richtung Utilitarismus verschoben: Ziel ist nicht mehr ein über der Forschergemeinschaft stehendes gemeinsames Ideal von Wahrheit, sondern der praktische Nutzen, den bestimmtes Wissen liefert. Wahres Wissen ist dann vornehmlich jenes, welches der Bedürfnisbefriedigung entspricht. In dieser Form wurde der Pragmatismus dann auch einem breiteren Publikum bekannt, was vor allem in Europa zu breiter Ablehnung geführt hat.

Charles W. Morris, ein Schüler von G. H. Mead, hat die Semiotik entwickelt. Weitere an den frühen Pragmatismus anknüpfende Strömungen sind der auf Dewey zurückgehende Instrumentalismus, der Operationalismus Bridgmans, sowie die behavioristische Psychologie, die ebenfalls introspektive Methoden ablehnt und sich allein auf das beobachtbare Verhalten ihrer Untersuchungsobjekte konzentriert.

Neopragmatismus

Neuen Schwung erhielt der Pragmatismus durch Willard Van Orman Quine, der ihn hierzu mit dem Instrumentalismus und Holismus Duhems verbindet. Duhem ging davon aus, dass alle Theorien Ganzheiten darstellen, d. h. ihre einzelnen Sätze beziehen sich immer auf ein Gesamtkonzept, aus dem sie nicht ohne Sinnverlust herausgelöst werden können. Damit sind aber auch alle experimentellen Überprüfungen selbst wieder theoriebeladen, liefern also kein Wissen, das von den vorangehenden Ansichten des Experimentators gänzlich unabhängig wäre – auch das Ergebnis eines Experiments muss ja interpretiert werden. Quine kommt daher zu dem Urteil, dass Begriffe nicht einfach anhand von Experimenten verifiziert werden können, da ihre Bedeutung nur im Gesamtzusammenhang der Theorie verständlich ist. Diese Theorie ist aber eine von einer Forschungsgemeinschaft getragene Meinung, die auf deren Konventionen zurückgeht.

Gemeinsam ist den darauf folgenden neopragmatischen Theorien, dass sie von einer dynamischen Erkenntnistheorie ausgehen, die den Ursprung des Wissens vor allem an der Methode von Versuch und Irrtum festmacht (trial and error).

Gesamtschau

Wie bei anderen philosophischen Strömungen ergeben sich für die einzelnen Positionen einige grundlegende Gemeinsamkeiten in den Auffassungen, bei der Betrachtung der Einzelheiten zum Teil jedoch erhebliche Unterschiede. So vertraten Peirce und Royce idealistische Positionen, während James, Schiller und Dewey als Empiristen einzustufen sind. Quine vertrat eine stark analytische und zugleich skeptische Position, während Rorty vorwiegend mit einer relativistischen Haltung verbunden wird. Putnam wiederum vertritt eine Philosophie mit größerer Nähe zu Peirce und James, hat aber zugleich ein erhebliches Gewicht in der Diskussion zur neueren Philosophie des Geistes.

Rezeption in Deutschland

Als der Pragmatismus Deutschland erreichte, wurde im gewöhnlichen Sprachgebrauch das Wort „Pragmatismus“ häufig gleichbedeutend für „Praktikalismus“ oder „Tagwursterei“ verwendet, was auch auf die Rezeption der philosophischen Strömung abfärbte, bzw. diese vorbelastete. In Deutschland wurde er vor allem zunächst in der von James vertretenen Form bekannt, durch die Übersetzung der Essay-Sammlung Der Wille zum Glauben (The Will to Believe, dt. 1899), es folgten 1906 Übersetzungen seiner Pragmatismusvorlesungen. 1911 erschienen F. C. S. Schillers Humanismus-Aufsätze.

Max Scheler

Als wichtigster Rezipient dieser Zeit gilt Max Scheler, der seine Reaktion in „Erkenntnis und Arbeit. Eine Studie über Wert und Grenzen des pragmatischen Motivs in der Erkenntnis der Welt“ festhielt. Auch sein Werk „Die Wissensformen der Gesellschaft“ von 1926 steht noch unter diesem Einfluss. Scheler unterscheidet dort drei Wissensformen

  • Arbeitswissen als das Wissen zur praktisch-technischen Beherrschung der Welt
  • Bildungswissen welches der Entfaltung der Persönlichkeit dient, und
  • Erlösungswissen als „Teilhabe am Höchsten“.

Zustimmend äußert sich Scheler über den Pragmatismus als philosophische Erhellung des Arbeitswissens, wenn dieser die theoretischen Aussagen und Hypothesen der Wissenschaft in einen richtigen Zusammenhang mit dem handelnden Weltbezug setzt. Allerdings habe der Pragmatismus, so Scheler, den Fehler begangen, dieses Wissen als das einzig richtige auszuzeichnen.

Max Horkheimer

In ähnlicher Form kritisierte auch Max Horkheimer die Reduktion allen Wissens auf zweckrationales Handeln, das seine eigene Zielsetzung nicht mehr hinterfragt. In seiner „Kritik der instrumentellen Vernunft“ von 1944 bezieht er vor allem gegen James und Dewey Stellung. Der Fehlschluss liegt für Horkheimer darin, dass die Methode der Naturwissenschaften allein aus Gründen des Erfolgs dieser Wissenschaften auf die gesamte Philosophie übertragen wurde. Horkheimer stellt außerdem eine Verbindung zwischen Pragmatismus und kapitalistisch-nutzenorientierter Wirtschaftsweise her. In diesem Sinne interpretierten auch marxistische Autoren wie Ernst Bloch[1], Adam Schaff[2] und Georg Klaus[3] den Pragmatismus als Ausdruck für das Interesse der amerikanischen Kapitalistenklasse.

Siehe auch

klassischer Pragmatismus
Neopragmatismus
Konzepte

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Pragmatismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

Philosophiebibliographie: Pragmatismus – Zusätzliche Literaturhinweise zum Thema

Sammelbände
  • Russell B. Goodman (Hg.): Pragmatism: Critical Concepts in Philosophy. 4 Bde., Routledge, London 2005
  • Ders.: (Hg.) Pragmatism: a Contemporary Reader. Routledge, London 1995
  • Andreas Hetzel, Jens Kertscher, Marc Rölli (Hg.): Pragmatismus. Philosophie der Zukunft? Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2008
  • Robert Lane / Susan Haack (Hgg.): Pragmatism, Old & New: Selected Writings. Amherst, Prometheus Books, New York 2006
  • Louis Menand (Hg.): Pragmatism: a Reader. Vintage, New York, 1997
  • Mike Sandbothe (Hg.): Die Renaissance des Pragmatismus, Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000
  • Mike Sandbothe u. a. (Hgg.): The Pragmatic Turn in Philosophy, SUNY, Albany 2004
  • H. Standish Thayer (Hg.): Pragmatism: the Classic Writings, Hackett, Indianapolis 1982
Zeitschriften
Klassiker
Moderne Klassiker und gegenwärtige Beiträge
  • Robert Brandom: Making It Explicit. Harvard University Press, Cambridge MA 1994
  • Christopher Hookway: Truth, Rationality and Pragmatism, OUP, Oxford 2000
  • Issac Levi: The Enterprise of Knowledge: an Essay on Knowledge, Credal Probability and Chance. MIT Press, Cambridge MA 1980
  • Joseph W. Long: Who's a Pragmatist: Distinguishing Epistemic Pragmatism and Contextualism, in: The Journal of Speculative Philosophy 16/1 (2002), S. 39–49
  • Joseph Margolis: Pragmatism without Foundations: Reconciling Realism and Relativism (The Persistence of Reality). Blackwell, Oxford 1986
  • Hilary Putnam: Pragmatism. An Open Question. Blackwell, Oxford 1995
  • Nicholas Rescher: Realistic Pragmatism: An Introduction to Pragmatic Philosophy. (Suny Series in Philosophy), SUNY Press 2000
  • Mike Sandbothe: "Pragmatische Medienphilosophie. Grundlagen und Anwendungshorizonte im Zeitalter des Internet". Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2001
  • Mike Sandbothe: "Pragmatic Media Philosophy", Online-Publikation, sandbothe.net. 2005
Sekundärliteratur
  • A. J. Ayer: The Origins of Pragmatism: Studies in the Philosophy of Charles Sanders Peirce and William James. Macmillan, New York 1968
  • Susan Haack: Pragmatism, in: Nicholas Bunnin / E. P. Tsui-James (Hgg.): The Blackwell Companion to Philosophy 2. A., Blackwell 2002
  • David L. Hildebrand: The Neopragmatist Turn, in: Southwest Philosophy Review 19/1 (2003)
  • David L. Hildebrand: Beyond Realism and Antirealism: John Dewey and the Neopragmatists. Vanderbilt University Press, Memphis 2003
  • Joseph Margolis: The Unraveling of Scientism: American Philosophy at the End of the Twentieth Century. Cornell UP, Ithaca 2003
  • Joseph Margolis: Reinventing Pragmatism: American Philosophy at the End of the Twentieth Century. Cornell UP, Ithaca 2002
  • D. McDermid: The Varieties of Pragmatism: Truth, Realism, and Knowledge from James to Rorty. Continuum, London and New York 2006
  • Louis Menand: The Metaphysical Club: a Story of Ideas in America. Farrar, Straus & Giroux, New York 2002
  • Klaus Peter Müller: Zur Kunst der pragmatischen Orientierung. Philosophische Essays. Tectum Verlag, Marburg 2007, ISBN 978-3-8288-9465-5

Einzelnachweise

  1. Ernst Bloch: Weltveränderung oder Die elf Thesen von Marx über Feuerbach. in: Ernst Bloch: Über Karl Marx. Frankfurt am Main 1968, S. 58–120 und S. 92–95.
  2. Adam Schaff: Theorie der Wahrheit. Versuch einer marxistischen Analyse. Wien 1971, S. 257–283.
  3. Georg Klaus: Die Macht des Wortes. Ein erkenntnistheoretische-paradigmatisches Traktat. Berlin 1972.

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