Praxis (Philosophie)

Praxis (Philosophie)

Das Wort Praxis ist griechischen Ursprungs (griechisch πρᾶξις (prâxis) oder πρᾶγμα (prâgma)) und bedeutet Tat, Handlung, Verrichtung, aber auch Durchführung, Vollendung, Förderung. Es wird im Kontext der Philosophie in unterschiedlicher Bedeutung verwendet.

Eine Wortbedeutung umfasst die gesamte Lebenstätigkeit, eine andere sieht Praxis als Expertentätigkeit im Bereich von Heil-, Rechts- und Geschäftskunde, aber auch in Zauberei und Religion,[1] die konkreten Handlungen im Gegensatz zum als davon getrennt verstandenen Bereich der Theorie. Mit Bezug auf die Unterscheidung von Praktischer Philosophie und Theoretischer Philosophie versteht man unter Praxis häufig eine explizit moralische Handlung.[1]

Im 18. und 19. Jahrhundert fand der Praxis-Begriff Eingang in die philosophischen Systeme Immanuel Kants, Johann Gottlieb Fichtes, Georg Wilhelm Friedrich Hegels und Ludwig Feuerbachs. Karl Marx entwickelte den Praxis-Begriff zu einer philosophischen Kategorie mit präzisem Inhalt weiter: Die Praxis als sinnliche oder gegenständliche Tätigkeit des Menschen, die subjektive, materielle Umgestaltung der objektiven Realität umfasst produktive, politische, experimentelle, künstlerische und andere materielle Tätigkeiten.[2][1] „Der Anspruch von Marx, Hegel vom Kopf auf die Füße stellen zu wollen, trifft genau diesen Aspekt: An die Stelle des göttlichen Absoluten bei Hegel tritt bei Marx das materiell-ökonomische Absolute des Produktionsprozesses bzw. der Arbeit als die alles begründende Wirklichkeit.“[3]

Daraus ergibt sich im Materialismus die Bedeutung von Praxis als Kriterium der Realität gegenüber jeglichen Theorien. Die Praxis korrigiere und bereichere die menschliche Erkenntnis, verhindere ihre Erstarrung in Dogmen und orientiere sie an den aktuell zeitlich oder örtlich anstehenden Aufgaben der menschlichen Gesellschaft.[4] Im Gegensatz zum Spiritus, dem Geist oder Denken (auch im Sinne von „ausdenken“, „sinnen“ oder „sich vorstellen“), orientiere sich die Praxis an dem dem Menschen Erkennbaren und Ausführbaren. Lenin definierte die Praxis in diesem Sinne als „Kriterium der Wahrheit“. Er meinte damit vor allem die Verifikation von Theorien und deren Vereinbarkeit mit der realen Wirklichkeit (Praxis). Das war eine der Grundlagen seiner Weiterentwicklung des Marxismus zum später so bezeichneten Leninismus, in dem er Marxsche Theorien auf die damalige russische Wirklichkeit anzupassen versuchte.

Als „Philosophie der Praxis“ wurde die Praxis-Kategorie im 20. Jahrhundert auch vom westlichen, nicht-orthodoxen Marxismus aufgenommen. Nach Vorüberlegungen von Georg Lukács und Antonio Labriola entfaltete Antonio Gramsci seine «filosofia della praxis» als jenseits von Materialismus und Idealismus stehend: „Für die Philosophie der Praxis kann das Sein nicht vom Denken getrennt werden.“[5] Jean-Paul Sartre und die Frankfurter Schule gingen ebenfalls vom marxistischen Praxisverständnis aus, Jürgen Habermas wendet seine Praxisauffassung hin zur Sprache: „Die gesellschaftliche Praxis ist sprachlich konstituiert.“[6]

Jenseits marxistischer Denktraditionen ist nach Friedrich Nietzsches Praxisorientierung der Pragmatismus von William James und John Dewey sowie die Philosophie Alfred North Whiteheads zu nennen, in der die Praxis zwischen Gedanke und Tatsache vermittelt.

Literatur

  • André Tosel/José Barata-Moura: Praxis. In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. Bd. 2: O–Z, Meiner, Hamburg 1999, S. 1310–1318.
  • Armin G. Wildfeuer: Art. "Praxis", in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 2, hg. v. Petra Kolmer und Armin G. Wildfeuer, Freiburg i. Br. (Verlag Karl Alber) 2011, S. 1774-1804.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. a b c André Tosel/José Barata-Moura: Praxis. In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. Bd. 2: O–Z, Meiner, Hamburg 1999, S. 1310–1318, hier S. 1310.
  2. Meyers Lexikon in vier Bänden. Band 3, VEB Bib-liographisches Institut, Leipzig 1979, 1. Auflage, S. 472.
  3. Arno Anzenbacher: Einführung in die Philosophie. Verlag Herder GmbH Freiburg, 2002, S. 170
  4. Lexikon in zwei Bänden, Zweiter Band, Volkseigener Verlag, Leipzig 1957, S. 396.
  5. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. S. 1457.
  6. Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt am Main 1985, S. 389.

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