- Rechtliches Gehör
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Nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hat in Deutschland vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör (lat. audiatur et altera pars). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein grundrechtsgleiches Recht (kein Grundrecht, wie Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG zu entnehmen ist) und ist zugleich eine besondere Erscheinungsform grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit.
Inhaltsverzeichnis
Historische Wurzeln
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein schon altes strafprozessuales Recht. Es geht zurück auf den französischen Kardinal Jean Lemoine (1250-1313), der es theologisch mit dem Hinweis auf die Umstände der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies begründete, denn Gott habe Adam und Eva vor dem Erlass des Urteils wegen des Verspeisens der verbotenen Frucht die Gelegenheit gegeben, sich zu rechtfertigen (1. Moses 3/11-13): "Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast Du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?" Da sprach Adam: "Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß." Da sprach Gott der Herr zum Weibe: "Warum hast du das getan?" Das Weib sprach: "Die Schlange betrog mich, so dass ich aß."
Inhalt
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt jedem, der an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt oder sonst unmittelbar davon betroffen ist das Recht,
- sich über den Verfahrensstoff zu informieren (siehe dazu auch Akteneinsicht),
- sich im Verfahren vor dem Erlass einer Entscheidung mindestens schriftlich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht hinreichend äußern zu können und
- mit seinem Vorbringen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt zu werden.
Es bedeutet daneben, dass ein Beschwerter durch Zugang Kenntnis von einer Entscheidung erhalten soll.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert dem Berechtigten lediglich die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern. Hat er diese Möglichkeit im Einzelfall gehabt, sie aber nicht wahrgenommen, so ist trotzdem ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt naturgemäß auch kein Recht darauf, dass die Entscheidung letztlich im Sinne des Vorbringens des Berechtigten getroffen wird. Die Ausführungen des Beteiligten sind nämlich nur zu berücksichtigen und in Erwägung zu ziehen. Das schließt nicht aus, sie zu verwerfen, wenn sie unerheblich oder unzutreffend sind.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte den Vortrag der Prozessbeteiligten berücksichtigen, d. h. das Vorbringen zur Kenntnis nehmen und bei ihrer Entscheidung gegeneinander abwägen. Das Gericht muss sich nicht mit allen, sondern nur mit den wesentlichen Argumenten der Beteiligten auseinandersetzen.
Verstöße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör können mit den normalen Rechtsmitteln geltend gemacht werden. Ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, kann beim Ausgangsgericht (iudex a quo) eine Anhörungsrüge erhoben werden. Wird auch darauf der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht abgeholfen, kann Verfassungsbeschwerde erhoben werden.
Im Strafrecht strahlt das rechtliche Gehör auf eine Vielzahl von Paragraphen aus:
- § 33 StPO - Anhörung der Beteiligten
- § 33a StPO - Nachholung des rechtlichen Gehörs (evtl. in Verbindung mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 47 StPO
- § 311a StPO - Nachholung des rechtlichen Gehörs nach Beschwerde
Siehe auch
- Parteiengehör für das vergleichbare Rechtsinstitut in Österreich
- Parteifähigkeit · Prätendentenstreit
- Grundrechte (Schweiz)
Literatur
- BVerfG, Beschluss des Plenums vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02 = BVerfGE 107, 395 (Online-Version (HTML) auf den Webseiten des BVerfG).
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