- Akteneinsicht
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Akteneinsicht umfasst in Deutschland die Einsicht in Akten an ihrem derzeitigem Ort, die Einsicht von Akten durch Mitnahme (z. B. in eigene Geschäftsräume oder in die eigene Wohnung) und die Anfertigung von Ablichtungen und Abschriften aus den Akten.
Das Recht auf Akteneinsicht in Akten eines öffentlichen Verfahrens (z. B. Strafverfahren, Gerichtsprozess) ergibt sich unmittelbar aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör und aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Ihm stehen insoweit entgegen:
- der Datenschutz von Daten anderer Beteiligter und
- das ermittlungstaktische Interesse von Ermittlungsbehörden, dass der Beschuldigte nicht weiß, was ihm zur Last gelegt wird, sodass er seiner Strafverfolgung weniger entgegen wirken kann.
Rechtsgrundlagen
Das Recht auf Akteneinsicht kann sich beispielsweise ergeben aus:
- für Beschuldigte aus § 147 Strafprozessordnung (StPO)
- für Betroffene aus § 49 Ordnungswidrigkeitengesetz sowie "selbst Verletzte" § 20 Abs. 1 Ziff. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz, z. B. der Betroffene ist selbst Rechtsanwalt und sinnt sich an, sich selbst zu vertreten.
- für Verletzte aus § 406e StPO
- für Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens bei Bundesbehörden aus § 29 VwVfG
- für Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens bei Landesbehörden aus dem Verwaltungsverfahrensrecht des jeweiligen Landes (z. B. § 29 LVwVfG Landesverwaltungsverfahrensgesetz Baden-Württemberg oder Sächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz), das meist – aufgrund Koordinierung – mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes wortgleich ist.
- für die Parteien eines Zivilprozesses aus § 299 ZPO
- für Beteiligte eines Verwaltungsprozesses aus § 100 VwGO
- für Beteiligte im Sozialverwaltungsverfahren nach § 25 SGB X
- für Beteiligte eines Sozialgerichtsprozesses aus § 120 SGG
- für Beteiligte und Nichtbeteiligte in Verfahren in Familiensachen sowie in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus § 13 FamFG
- für Strafgefangene aus § 185 StVollzG
Akteneinsicht in Gerichtsverfahren
Akteneinsicht in Verwaltungs- und Finanzgerichtsprozessen
In diesen Verfahren können die Beteiligten die Gerichtsakten und eventuell auch die dazugehörenden Behördenakten im Gericht einsehen. Das Gericht kann diese Akten auch an einen anderen Ort versenden oder sie einem beteiligten Anwalt aushändigen.
Sozialgerichtsverfahren
In Sozialgerichtsprozessen ist die Akteneinsicht beim Gericht, die Übersendung an andere Behörden und die Übersendung an Rechtsanwälte üblich. Eine Verweigerung von Akteneinsicht durch ein Sozialgericht ist bisher nicht bekannt. Somit kann bei Verweigerung der Akteneinsicht durch eine Sozialbehörde (siehe unten) Antrag auf einstweilige Anordnung beim Sozialgericht gestellt werden. Wird die Akte in einem Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz an das Gericht übersandt, kann Akteneinsicht direkt über das Gericht gewährt werden. Verweigert die Behörde auch die Übersendung der Akte an das Gericht, muss auf der Einstweiligen Anordnung bestanden werden. Die Einstweilige Anordnung kann dann zugestellt werden. Bei weiterer Zuwiderhandlung kann die Einstweilige Anordnung vom Sozialgericht für vollstreckbar erklärt werden und der Beteiligte kann beim Amtsgericht, notfalls unter Gewährung von Prozesskostenhilfe, Vollstreckungsmaßnahmen beantragen, indem der Gerichtsvollzieher bei der Behörde die Akte sucht. Scheitert auch dies, so ist als weiterer Schritt Zwangshaft gegen den Geschäftsführer oder Behördenleiter beantragbar und vollstreckbar.
Akteneinsicht im Strafverfahren
Der Kreis derjenigen, die ein Recht auf Akteneinsicht haben, ist begrenzt. Zunächst hat der Beschuldigte ein Akteneinsichtsrecht, welches regelmäßig durch den Verteidiger wahrgenommen wird (§ 147 Abs. 1 StPO). Ist allerdings die Ermittlung noch nicht abgeschlossen, so kann dem Verteidiger die Einsichtnahme verweigert werden, wenn durch die Einsichtnahme der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte, § 147 Abs. 2 StPO. Der Verteidiger darf Fotokopien der Akten anfertigen und diese seinem Mandanten zur Kenntnis geben. Die Weitergabe der Originalakten an den Beschuldigten ist dagegen unzulässig.
Akteneinsicht für Beschuldigte
Im Strafverfahren wurde die Akteneinsicht dadurch behindert, dass oft nur dem Verteidiger des Beschuldigten umfassend die Einsicht in die Akten gestattet wird, dem Beschuldigten selbst jedoch nicht.[1] Somit sind Beschuldigte, um ihr Grundrecht auf Akteneinsicht geltend zu machen, zur Bezahlung eines Rechtsanwalts verpflichtet, selbst wenn der Tatvorwurf haltlos ist. Die Verweigerung der Akteneinsicht berührt jedoch das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör, denn oftmals ermöglicht erst die Einsicht in die Ermittlungsakte, präzise Antworten zum Tatvorwurf und entsprechende Anträge zu stellen.[2]
Am 18. März 1997 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall Foucher gegen Frankreich (Reports 1997-II = NStZ 1998, 426), dass die Verweigerung von Akteneinsicht bei einem nicht durch einen Verteidiger verteidigten Angeklagten gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt (Art. 6 I, III EMRK). Gleichwohl verweigerten deutsche Gerichte weiterhin den Angeklagten die Akteneinsicht. So entschied das Landgericht Mainz im Jahr 1998, obwohl ihm die Entscheidung des EGMR bekannt war, dass mangels gesetzlicher Grundlage[3] dem nicht durch einen Verteidiger verteidigten Angeklagten keine Akteneinsicht zusteht. Daraufhin ergänzte der Bundestag im StVÄG 1999 (BGBl. I 2000 S. 1253) den § 147 StPO, um auch den Aktenzugang ohne Anwalt zu ermöglichen.[4] Dem Beschuldigten, der keinen Anwalt hat, sind nunmehr auf seinen Antrag Auskünfte und Abschriften aus den Akten zu erteilen, soweit keine triftigen Gründe dagegen sprechen (vgl. § 147 Abs. 7 StPO).
Schließlich betonte der EGMR in seiner Entscheidung vom 13. März 2003[5] im Fall Abdullah Öcalan gegen die Türkei nochmals, dass das Recht auf Akteneinsicht im Allgemeinen nicht auf Verteidiger beschränkt werden darf. Zumindest jedem Angeklagten müssen die Akten spätestens vor der Hauptverhandlung zugänglich sein. Zwar sind bisher zur Frage der Akteneinsicht durch den Beschuldigten keine Entscheidungen gegen Deutschland ergangen, jedoch ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsprechung des EGMR auch bei der Anwendung und Auslegung des deutschen Rechtes zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 3407).
Auf Grundlage des seit 2000 geltenden § 147 Abs. 7 StPO gewähren daher nunmehr auch deutsche Gerichte den Beschuldigten selbst Zugang zu den Akteninhalten durch Kopien oder Einsichtnahmen von Beiakten auf der Geschäftsstelle (vgl. LG Stralsund NStZ-RR 2006, 143).
Akteneinsicht anderer Beteiligter und öffentlicher Stellen
Daneben kann nach § 406e StPO auch der Rechtsanwalt eines Verletzten die Akten einsehen. Schließlich sieht § 475 StPO die Möglichkeit vor, dass auch andere Privatpersonen über einen Rechtsanwalt die Akten einsehen können, wenn sie ein berechtigtes Interesse darlegen können. Auch bestimmte öffentliche Stellen können ohne Beteiligter zu sein Einsicht erhalten. Dies sind:
- andere Justizbehörden (z. B. Gerichte, Staatsanwaltschaften; § 474 Abs. 1 StPO)
- Geheimdienste (§ 474 Abs. 2 StPO)
Die Finanzbehörde ist befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder im Fall der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie beschlagnahmte oder sonst sichergestellte Gegenstände zu besichtigen. Die Akten werden der Finanzbehörde auf Antrag zur Einsichtnahme übersandt (§ 395 AO).
Akteneinsicht im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess
Die Parteien in einem solchen Prozess sind berechtigt die Prozessakten einzusehen und sich Abschriften oder Kopien machen zu lassen (§ 299 ZPO).[6] [7] Zum Studium außerhalb der Behörde dürfen nur Rechtsanwälte die Akten bekommen.
Akteneinsicht bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Die Verfahrensbeteiligten können die Akten bei der Geschäftsstelle des Gerichts einsehen. Die Akten können, wenn zum Beispiel einer der Verfahrensbeteiligten in einem anderen Ort wohnt, auf Antrag auch an das Wohnortgericht übersandt werden. Andere Personen, die ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen, können auch Akteneinsicht erhalten. Bei umfangreichen Akten kann auch die Aushändigung an einen Rechtsanwalt in Frage kommen. Für nicht am Verfahren beteiligte Dritte sind strengere Maßstäbe an das Einsichtsinteresse zu stellen. Das gilt vor allem für die Akteneinsicht von nicht am Verfahren beteiligten Behörden in gerichtliche Betreuungsakten. [8]
Sozialverwaltungsverfahren
Rechtsgrundlage ist § 25 SGB X. Beteiligter ist in jedem Fall der Antragsteller. Als Besonderheit gilt § 25 Abs. 2 SGB X, wonach medizinische Diagnosen durch einen Arzt oder Fachkundigen vermittelt werden sollen. Hier geht es aber nur um das Wie, der Umfang wird nicht eingeschränkt. (Abs. 1 Satz 3). Im Sozialrecht kann die Akteneinsicht nach § 25 Abs. 4 SGB X auch bei einer anderen Behörde, z. B. Übersendung an die Gemeindeverwaltung in ländlichen Regionen, vorgenommen werden. Ferner ist explizit in Abs. 5 vermerkt, dass die Beteiligten sich Abschriften (Fotokopien) erteilen lassen können. Manche Behörden missdeuten dies als eine Kann-Vorschrift, jedoch liegt das Kann-Ermessen auf Seite des Beteiligten, dieser lässt die Behörde machen, welche muss. (Abs. 5 Satz 1) Die Behörde kann lediglich Ersatz für Aufwendungen verlangen (Abs. 5 Satz 2); was bis zu 0,50 Euro pro Seite betragen kann. Zuweilen wird die Akteneinsicht dennoch verweigert, dies gilt im besonderen für einschlägige Sozialbehörden wie die Bundesagentur für Arbeit, die Sozialhilfeträger, die ARGEn und vergleichbare Ämter, was jedoch gerichtlich durchgesetzt werden kann.
Das Recht auf Einsicht in die Patientenakte
Das Patientenrecht auf Einsicht in die eigenen Krankenunterlagen kann aus verschiedenen Spezialgesetzen folgen, wird sich aber zumeist schon aus dem jeweiligen Behandlungsvertrag ergeben.[9]
Akteneinsicht aufgrund des Rechts der Informationsfreiheit
Im Land Brandenburg hat jeder nach Maßgabe des Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes[10] das Recht auf Einsicht in Akten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen oder andere Rechtsvorschriften bereichsspezifische Regelungen für einen unbeschränkten Personenkreis enthalten. Auch die Länder Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein verfügen seit einigen Jahren über Informationsfreiheitsgesetze. Seit dem 1. Januar 2006 gilt auf Bundesebene das Informationsfreiheitsgesetz. Im Jahre 2006 bekamen Mecklenburg-Vorpommern (zum 29. Juli 2006), Hamburg (zum 1. August 2006), Bremen (zum 1. August 2006) und Saarland (zum 15. September 2006) Informationsfreiheitsgesetze; Entwürfe zu Gesetzen dieser Art liegen in weiteren Bundesländern vor.
Weblinks
- Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit
- Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein
- Seminararbeit zu Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit mit Ausführungen zu Akteneinsichtsrechten (PDF-Datei; 266 kB)
- Informationsblatt zum Patientenrecht auf Akteneinsicht (PDF-Datei; 134 kB)
- http://www.burhoff.de/ermitt/inhalt/r58_r64.htm
- http://www.danisch.de/Uni/Pruefrecht/Akteneinsicht.html
- Zum Spezialfall der Akteneinsicht beim Bundesverfassungsgericht m.w.N. siehe auch Antrag Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag "Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken" (BT-Drs. 17/4037)
Quellen
- ↑ HRRS September 2003: Burhoff - Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers nach § 147 StPO. hrr-strafrecht.de. Abgerufen am 9. August 2011.
- ↑ Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren. burhoff.de. Abgerufen am 19. Juni 2010.
- ↑ [http://www.wdr.de/tv/ardrecht//urteile/urteil.phtml?code=16314_175&highlight=akteneinsicht] (Link nicht abrufbar)
- ↑ HRRS Dezember 2004: Schlegel - Das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten im Strafverfahren. hrr-strafrecht.de. Abgerufen am 19. Juni 2010.
- ↑ EGMR-Entscheidung vom 13. März 2003: Abdullah Öcalan vs. Türkei. Hrr-strafrecht.de. Abgerufen am 19. Juni 2010.
- ↑ Rüdiger Zuck, Das rechtliche Interesse auf Akteneinsicht im Zivilprozess, NJW 40/2010, 2913
- ↑ Andreas Rein: Die Akteneinsicht durch Gläubiger im Insolvenzverfahren, NJW-Spezial 21/2011, 661
- ↑ Schulte-Bunert, Christoph: Zum Anspruch von Behörden auf Einsicht in Betreuungsakten, in: BtPrax 01/2010, S. 7 - 11
- ↑ Informationsblatt zum Patientenrecht auf Akteneinsicht (PDF)
- ↑ Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (AIG) des Landes Brandenburg. Landesrecht.brandenburg.de. Abgerufen am 19. Juni 2010.
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