Reflexion (Philosophie)

Reflexion (Philosophie)

Reflexion bedeutet in der Umgangssprache, wenn auf eine geistige Tätigkeit bezogen, etwa: Nachdenken, Überlegen. In der Philosophie gibt es seit dem 17. Jahrhundert darüber hinaus fachspezifische Verwendungen des Begriffs, die sich mehr oder weniger am umgangssprachlichen Begriff orientieren und unterschiedliche Aspekte hervorheben. Im Zentrum steht dabei die Unterscheidung von auf äußere Objekte bezogenem Wahrnehmen und derjenigen geistigen Tätigkeit, die sich auf die Denk- und Vorstellungsakte selbst richtet.

Inhaltsverzeichnis

Antike und neuzeitliche Grundlagen

EineErkenntnis der Erkenntniswird schon von Platon angesprochen (Charmides 171c), Aristoteles nennt dasDenken des Denkensim Zusammenhang einer Erörterung des Glücks, das für ihn aus der geistigen Tätigkeit überhaupt entsteht:

wenn nun der wahrnimmt, der sieht, daß er sieht, und hört, daß er hört, und als Gehender wahrnimmt, daß er geht, und wenn es bei allem anderen ebenso eine Wahrnehmung davon gibt, daß wir tätig sind, so daß wir also wahrnehmen, daß wir wahrnehmen, und denken, daß wir denken: und daß wir wahrnehmen und denken, ist uns ein Zeichen, daß wir sind (...)“.[1]

Schließlich wird die Rückwendung des Geistes auf sich, griechisch epistrophé, im Neuplatonismus, vor allem bei Proklos, zu einem zentralen Begriff. Im Mittelalter wurde epistrophé zunächst als reditio, Rückkehr, oder conversio, Umkehr übersetzt. Daneben verwendete Thomas von Aquin aber bereits reflexio.[2]

Im Anschluss an Descartes' Spiegel-Metaphern entstanden zahlreiche kontroverse Reflexionstheorien. Dennochdürfte die Definition von Leibniz »La réflexion n'est autre chose qu'une attention à ce qui est en nous«[3] für die cartesianische Tradition bis Husserl als konsensfähig gegolten haben.“[4] Zu diesen Grundlagen entstanden Abgrenzungen, die ‚Reflexionzunehmend von einer hier vorherrschenden, psychologischen Vorstellung der Introspektion unterschieden.

John Locke

Nachdem reflection im Englischen und réflexion im Französischen sich im 17. Jahrhundert als umgangssprachliche Begriffe eingebürgert hatten, wurde John Lockes Behandlung der Reflexion in seinem Versuch über den menschlichen Verstand (1690) maßgebend für die weiteren philosophischen Auseinandersetzungen darüber. Locke unterscheidet zwischen der Wahrnehmung äußerer Gegenstände und der Wahrnehmung der Vorgänge in unserer eigenen Seele wieWahrnehmen, Denken, Zweifeln, Glauben, Begründen, Wissen, Wollen“, samt den damit verbundenen Gefühlen derZufriedenheit oder Unzufriedenheit:

Indem wir uns deren bewusst sind und sie in uns betrachten, so empfängt unser Verstand dadurch ebenso bestimmte Vorstellungen, wie von den unsere Sinne erregenden Körpern. Diese Quelle von Vorstellungen hat Jeder ganz in sich selbst, und obgleich hier von keinem Sinn gesprochen werden kann, da sie mit äusserlichen Gegenständen nichts zu thun hat, so ist sie doch den Sinnen sehr ähnlich und könnte ganz richtig innerer Sinn genannt werden. Allein da ich jene Quelle schon Sinneswahrnehmung (sensation) nenne, so nenne ich diese: Selbstwahrnehmung (reflection) (...) (Versuch über den menschlichen Verstand II, 1, § 4)

Unklar bleibt dabei, ob die Reflexion als von der äußeren Wahrnehmung abhängig oder als eigenständige Quelle der Erkenntnis gesehen werden soll, da Locke im Rückgriff auf Descartes, der freilich den Begriff Reflexion noch nicht verwendet, auch Letzteres behauptet (Versuch ... IV, 9, § 3).

Der Reflexionsbegriff in der Aufklärung

Der Gedanke, dass die Reflexion einen Verlust der Unmittelbarkeit bedeute, findet sich erstmals bei François Fénelon und wurde vor allem von Jean-Jacques Rousseau propagiert:Der Zustand der Reflexion ist gegen die Natur.“[5] Eine bekannt gewordene literarische Verarbeitung dieses Themas ist Heinrich von Kleists Über das Marionettentheater, wo es heißt:

Wir sehen, daß in dem Maße, als in der organischen Welt die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie immer strahlender und herrschender hervortritt.

Johann Gottfried Herder verwies darauf, dass die Reflexion auf Sprache angewiesen ist: nur sie erlaube es, in einemOcean von Empfindungeneinzelne Momente festzuhalten, an denen der Verstand sich reflektieren könne.[6] Da die Menschen dabei auf bereits früher Erreichtes zurückgriffen, das sie erweiterten und verbesserten, stellt sich für Herder die Geistesgeschichte schließlich als einüberindividueller Reflexionszusammenhang“ (L. Zahn) dar.[7]

Kant und der deutsche Idealismus

Kant setzt sich mit den Reflexionsbegriffen seiner Vorgänger in einem Anhang zur transzendentalen Analytik der Kritik der reinen Vernunft auseinander.[8] Er spricht hier von der Amphibolie, d. h. der Zweideutigkeit dieser Reflexionsbegriffe, da sie entwedervon allen Bedingungen der Anschauung abstrahieren (...) so bleibt uns freilich im bloßen Begriffe nichts übrig, als das Innere überhaupt“ (B 339, 341); oder die Verstandesbegriffe würden ganz und garsensifiziert“, so dass man nur noch ihre Verschiedenheit und ihren Widerstreit feststellen könne. Ersteres sei der Fehler von Leibniz, Letzteres der von Locke (B 327). Er fordert deshalb eine transzendentale Reflexion, durch die überhaupt erst festgestellt werden müsse, ob Begriffeals zum reinen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung gehörend miteinander verglichen werden“ (B 317) – er nennt sie transzendental, denn sie machedie subjektiven Bedingungen ausfindig, unter denen wir zu Begriffen gelangen können“, und habe esnicht mit den Gegenständen selbst zu tun“, von denen die Begriffe gewonnen werden sollen (B 316).

Fichte unterscheidet in seiner Wissenschaftslehre von 1794 zwischenReflexionundStrebenals den beiden grundlegenden Tätigkeiten desabsoluten Ich“.[9] Sie bewirken auf einer ersten Stufe dieIchheitals einein sich selbst zurückgehende, sich selbst bestimmende Tätigkeit“.[10] Durch weiterefreie Reflexionwerde das dabei zunächst noch Verbundene getrennt undin eine neue Form, die Form des Wissens oder des Bewußtseins aufgenommen[11], womit Reflexion zumfür sich Seyn des Wissenswird[12], das sich aber seinen Grund, nämlich seine Freiheit und Einheit, nie restlos vergegenwärtigen könne. Daswesentliche Grundgesetz der Reflexionsei, dass das Wissen immer die Form einesdas und dasbehält, was dazu führe, dass dieReflexion auf Reflexionauch immer wiederdie Welt in einer neuen Gestalterscheinen lässt.[13] Der Zusammenhang der Reflexion mit der Unmittelbarkeit sei in der Liebe zugänglich, die für Fichte bestimmt ist als diein Gott sich selbst rein vernichtende Reflexion“.[14]

Für Schelling ist dieSphäre der Reflexion und Entzweiungcharakteristisch für den Menschen[15], bedeutet jedoch zugleicheine Geisteskrankheit[16]. Da diese jedoch vor allem durch das Christentum alsEntzweiung des Unendlichen und Endlichen“ (L. Zahn) das moderne Bewusstsein bestimme, müsse sie abgehandelt werden. Das unternimmt Schelling im System des transcendentalen Idealismus (1800), worin derfreien Reflexiondie Aufgabe zukommt, das Ich als dem bloßen Organismus gegenüberstehend zum Bewusstsein seiner selbst zu bringen. Die Reflexion ist dabeianalytisch“, bezieht sich aber auf eine vorausliegendesynthetische Anschauung“, in der Anschauendes und Angeschautes identisch sind.

Schelling kritisiert an Fichte, dass dieser mit seiner Setzung des Ich durch das Ichnie aus dem Kreis des Bewußtseins hinauszu den selbständig gegebenen Objekten der Natur gelange[17], es ist aber schwer, ihm selbst diesen Vorwurf zu ersparen.

Hegel bestimmt in einem Aufsatz von 1802 die neuere Philosophie insgesamt alsReflexions-Philosophie der Subjektivität[18], kritisiert aber, dass bei seinen Vorgängern stets die Trennung zwischen dem endlichen Bewusstsein und einem inhaltsleeren Absoluten bestehen bleibe. Seine eigene Auffassung der Reflexion entwickelte er in der Wissenschaft der Logik (1812-16) und in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (ab 1816).

Hegel unterscheidet zwischen demSeinals reiner Unmittelbarkeit und demWesen“, desseneigene Bestimmung[19] die Reflexion sei. Die Reflexionsetztdie Identität des Wesens, dabei setzt sie das Sein einerseits voraus, „setztes aber gleichzeitig selbst. Zursetzenden Reflexionkommt deshalb eineäußereReflexion, die das gesetzte Sein, eben weil es von der Reflexion gesetzt ist, negiert, womit siedas Aufheben dieses ihres Setzensist undim Negiren das Negiren dieses ihres Negirensbetreibt.[20] Schließlich ergibt diebestimmende Reflexion“, dass setzende und äußere Reflexion eins sind, weil Letztere nichts ist als dieimmanente Reflexion der Unmittelbarkeit selbst“.[21] Daraus ergeben sich alsReflexions-BestimmungenIdentität, Unterschied und Widerspruch, wobei die Reflexion an Letzteremzu Grundegeht, im Doppelsinn des Ausdrucks. Dieunendliche Reflexionführt vomWesen“, das den Charakter einerSubstanzhabe, zum rein subjektivenBegriffals der dritten Entfaltungsstufe von Hegels Logik. In der Sphäre des Begriffsartikuliertdie Reflexion, die bis dahin nur dieBewegungvom Sein zum Wesen ausgemacht hatte, sich selbst als Urteil und Schluss.[22]

Von dieserReflexion überhauptunterscheidet Hegel dieReflexion des Bewußtseins“, die er in der Phänomenologie des Geistes (1806) entfaltet habe, und diebestimmtere Reflexion des Verstandes“, die die Gegebenheiten der Anschauung unter verschiedenen Gesichtspunkten erörtere.[23] Innerhalb des Gesamtprozesses seiner Philosophie, der das Zusichkommen des Absoluten beschreibt, identifiziert er das Sein und Bewusstsein des einzelnen Menschen auch alsStufe der Reflexion“.[24]

Phänomenologie und Existentialismus

Nach Hegel führte Jakob Friedrich Fries die Reflexion einerseits aufunmittelbare Vernunfterkenntniszurück, andererseits bestimmte er sie empirisch als Vermögeninnerer Selbstbeobachtung“.[25]. In der Folge verstärkten sich Tendenzen einerpsychologistischenHerangehensweise, bei der die Reflexion selbst als empirischer Gegenstand behandelt wurde. Franz Brentano hob demgegenüber darauf ab, dass dieinnere Wahrnehmung ... nie innere Beobachtung werden kann“, sondern die Beobachtungen lediglich begleite.[26] Auf diese Einsicht baute die Phänomenologie Edmund Husserls auf.

Husserl sieht in der Reflexion dieBewußtseinsmethode für die Erkenntnis von Bewusstsein überhaupt“.[27] Da für ihn nur die Bewusstseinsinhalte Gegenstand einer streng wissenschaftlichen Philosophie sein können, kommt ihr somit eineuniverselle methodologische Funktionzu.[28] Er formuliert eine Stufenordnung der Reflexionen, denn dieReflexionen sind abermals Erlebnisse und können als solche Substrate neuer Reflexionen werden, und so in infinitum“, wobei der jeweils vorher erlebte Sachverhalt in derRetentionerfasst wird.[29] Zuletzt werde so dasreine Ichvergegenwärtigt.

Von den phänomenologischen und existentialistischen Nachfolgern Husserls wurde dieseReduktion auf reine Subjektivität“ (L. Zahn) kritisiert. Merleau-Ponty verwies darauf, dass zum einen bei dieser Herangehensweise die Welt derart auf das Ich hin durchsichtig werde, dass nicht nachvollziehbar sei, warum Husserl überhaupt den Umweg über sie nehme; zum anderen stoße die Reflexion stets auf eine präreflexiveUndurchdringlichkeit“ (opacité) der Welt. Die Reflexion müsse ihre Möglichkeiten angesichts dieser Undurchdringlichkeit prüfen und entwickeln:

was gegeben ist, ist weder das Bewußtsein noch ein reines Sein, sondern, wie Kant selbst es tiefsinnig ausgesprochen hat, die Erfahrung, m. a. W. die Kommunikation eines endlichen Subjekts mit einem undurchdringlichen Sein, aus dem es emportaucht, worin es aber gleichwohl engagiert bleibt.[30]

Daraus ergibt sich:Nie vermag die Reflexion sich selbst über alle Situation zu erheben (...) stets ist auch sie selbst sich selbst erfahrungsmäßig gegebenin einem Kantischen Sinne des Wortes Erfahrung: sie entspringt, ohne selbst zu wissen, woher, sie gibt sich mir als naturgegeben.“[31]

Sartre beschreibt in Das Sein und das Nichts das Scheitern der Reflexion bei ihremdoppelten gleichzeitigen Bemühen um Objektivierung und Verinnerlichung[32]:

Die Reflexion bleibt eine permanente Möglichkeit des Für-sich als Versuch einer Übernahme von Sein. Durch die Reflexion versucht das Für-sich, das sich außerhalb seiner verliert, sich in seinem Sein zu verinnern (...)[33]

Dochkann die Rückwendung des Seins zu sich nur eine Distanz erscheinen lassen zwischen dem, was sich zurückwendet, und dem, zu dem die Rückwendung geschieht“ – eine Spaltung, diedas Nichts, das das Bewußtsein von sich trennt, nur noch tiefer und unüberwindlicher werdenlässt.[34]

Sartre unterscheidet insgesamt dreiNichtungsprozesse: als Erstes die Nichtung desFür-sich“, das sichdraußenverliert, „beim An-sich und in den drei zeitlichen Ek-stasenVergangenheit, Gegenwart und Zukunft[35]; zweitens diejenige beim Versuch, sich daraufhin wiederzuerlangen, wie eben beschrieben; drittens schließlich die Nichtung durch dasFür-Andere-Sein“, das Sartre alsunreineodermitschuldige Reflexionbezeichnet, weil sie das unmögliche Ziel verfolge, „zugleich Anderes zu sein und es selbst zu bleiben[36].

Karl Jaspers nennt unter Bezug auf Kierkegaard dieexistentielle Selbstreflexion“ „ein mir nirgends sich schließendes Medium“. Einerseitssuche ich michdarinals hervorgehend aus meinem Urteil über mich“, ein prinzipiell unabschließbarer Prozess, andererseits lege ich zwar fortdauernd neue Möglichkeiten frei, laufe dabei aber Gefahr, „jeden Anfang meiner Wirklichkeitzu zerstören.[37]Existenz kann erst in der steten Gefahr der Endlosigkeit ihrer Reflexion“, in der siedie grenzenlose Offenheit wagt, zu sich kommen.“[38]

Heidegger setzt sich mit dem Reflexionsbegriff in Kants These über das Sein (1962) auseinander.[39] Kants transzendentale Reflexion seiReflexion auf das Ortsnetz im Ort des Seins“, wobei das Denkeneinmal als Reflexion und dann als Reflexion der Reflexionim Spiel sei. Erstere gebeden Horizontvor, in demdergleichen wie Gesetztheit, Gegenständigkeit erblickt werden kann“, Letzteredas Verfahren, wodurch (...) das im Horizont der Gesetztheit erblickte Sein ausgelegt wird“. Heidegger zufolge handelt es sich um eine Zweiteilung, die fürdie ganze Geschichte des abendländischen Denkensgrundlegend ist.[40]

Paul Ricoeur bezieht sich auf Fichte und dessen Rezeption in der französischen Philosophie, wenn er die Reflexion alsWiederaneignung unseres Strebens nach Existenz[41] beschreibt. Von der cartesischen Bewusstseinsphilosophie unterscheide die Reflexionsphilosophie, dass in ihr das Ichweder in einer psychologischen Evidenz, noch in einer intellektuellen Intuitiongegeben sei:

die Reflexion ist das Bestreben, das Ego des ‚Ego cogitoim Spiegel seiner Objekte, seiner Werke und schließlich seiner Handlungen zurückzuerobern.[42]

Kommunikationstheorien und Sprachphilosophie

Im 20. Jahrhundert wurden die Fragen nach Reflexion und Reflexivität durch den prägenden Einfluss von Wissenschafts- bzw. Sprachphilosophie, Linguistik und Strukturalismus neu aufgeworfen. Besonders ausgeprägt sind sie in der postanalytischen Philosophie (in deren Versuch der Reintegration von Empirie und Reflexionssemantik) sowie auch in den Kommunikationstheorien insbesondere der Diskurs- und Systemtheorien. In jenem Kommunikationsparadigma schlägt sich die neue Thematisierung auch im Einflussbereich von Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer nieder.

In der Analyse von Herbert Schnädelbach ist Reflexion traditionell das Denken des Denkens, das allgemein als Philosophie und heute genauer genommen als methodisch-rationale Philosophie nützlich und systematisierbar sei. Die methodische Systematisierung von ‚Reflexionerlaube es, das voranalytische, mentalistische Verständnis von Reflexion in den an Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel anschließenden Diskurstheorien wie auch in den sprach- bzw. postanalytischen Philosophien zu transformieren und dort kritisch auszudifferenzieren. Die Idee der Spiegelung wird aufgegeben. Das Verhältnis von Reflexion und Methode formuliert er zu Beginn seines Hauptwerks Reflexion und Diskurs (1977):

Wer über philosophische Methodenfragen redet, setzt sich dem Verdacht aus, über die Philosophie zu reden statt zu philosophieren. Gehört aber die Diskussion über Methodenfragen zur Philosophie, kann man offenbar nur philosophierend über die Philosophie reden, und man muß es tun, wenn man in der Philosophie Methodenfragen für relevant hält. [...] Eine solche Selbstthematisierung von Thematisierungsweisen nennt die philosophische Tradition (in einer optischen Metapher) Reflexion, und sie expliziert dies vor allem in der Neuzeitgrob gesprochen: von Descartes bis Husserlin mentalistischen Termini: als Denken des Denkens, Erkennen des Erkennens, Bewußtsein des Bewußtseins usf. Sie verknüpft das so Explizierte mit der Aufgabe einer philosophischen Begründung der Philosophie, die ihrerseits Wissenschaft und Moral begründen soll. Reflexion wird damit zum Medium der Selbst-begründung der Philosophie, d. h. des Lösungsverfahrens eines Problems, das selbst reflexiv strukturiert ist. >Reflexion< ist darum der wichtigste Methodenbegriff der neueren Philosophie.“[43]

Hierbei gehe Reflexion als Begründungim Sinne von Geltungsgründen der Praktischen Philosophieüber Reflexion als Selbstbeobachtung hinaus (dies stellt eine Abgrenzung zu empiristischen und systemtheoretischen Theorien dar). Als ein Drittes ist in der Schnädelbachschen Reflexionstheorie die Reflexion als Begriffsklärung zu unterscheiden (analog zu seiner analytischen Trennung von normativen, diskursiven und explikativen Diskursen). In Bezug auf Reflexion als Begründung von Handlungen betont Jürgen Habermas in der Vorlesungsreihe Der philosophische Diskurs der Moderne (1983/84) die kommunikative Verankerung der Reflexion:

Freilich ist ‚Reflexionnicht mehr eine Sache des Erkenntnissubjekts, das sich objektivierend auf sich bezieht. An die Stelle dieser vorsprachlich-einsamen Reflexion tritt die ins kommunikative Handeln eingebaute Schichtung von Diskurs und Handeln.“[44]

In der Systemtheorie Niklas Luhmanns bezeichnet Reflexion eine bestimmte Form der Selbstreferenz sozialer Systeme, und zwar die, bei der das System seinen Operationen die Differenz von System und Umwelt zugrunde legt. Die Selbstreferenz dient der autopoietischen Reproduktion, d. h. der Reproduktion des Systems aus sich selbst heraus; die Orientierung an der Differenz von System und Umwelt erlaubt es dem System, Konditionierungen durch die Umwelt selbst zu wählen, was relevant werden kann, wenn das System als solches in Frage gestellt wird.[45] Luhmann formuliert, auch in Hinblick auf psychische Systeme (mit Verweis auf Jurgen Ruesch/Gregory Bateson für unbestrittende Standards von psychiatrischen Theorien):

Jede Analyse der Selbstbeschreibung oder, in klassischer Terminologie, vonReflexionwird davon ausgehen müssen, dass das System für sich selbst operativ unerreichbar und damit auch für die eigenen Operationen intransparent bleibt.[...] Hier mag der Grund dafür liegen, dass die klassischen Theorien der Selbstreflexion, sei es des Bewusstseins, sei es desGeistes“, mit dem Schema bestimmt/unbestimmt arbeiten. [...] In Hegels Theorie wird dies zu einem Problem durch Dialektik disziplinierter Übergänge.“[46]

Reflexionstheorien arbeiten in unterschiedlichen Weisen und Lösungsansätzen mit dem Paradox eines blinden Flecks in jeder Beobachtung, des Kantischen Absehens von sich selbst, des Unterstellens bei Martin Heidegger, des bereits in-der-Sprache-seins bei Hans-Georg Gadamer oder des Dekonstruktionstheorems von Jacques Derrida; um nicht zuletzt auch das, was sich nicht bezeichnen lässt, zumindest alsunbestimmtzu erfassen. Theodor Adorno war in Anschluss an Hegel - welcher hierzu nach wie vor am ausführlichsten gearbeitet hat - zur Ausarbeitung einer negativen Dialektik veranlasst. Reflexion ist in dieser Theorielage der gedanklich verlaufende Rückbezug auf das, was das Denken im Denken denken und nicht denken kann (bzw. auf das, was die Gespräche und sonstige Kommunikationen in der Kommunikation kommunizieren und nicht kommunizieren können).

Siehe auch

Literatur

chronologisch

Einzelnachweise

  1. Aristoteles: Nikomachische Ethik IX 9, 1170a28ff. (Übers. O. Gigon); vgl. auch mit Analytica Posteriora 87b und De Anima 429a-433a.
  2. Thomas von Aquin, De veritate I 9.
  3. Leibniz, Nouveaux Essais, Préf. (Darmstadt 1959, XVI).
  4. Herbert Schnädelbach: Reflexion und Diskurs. Frankfurt 1977, S. 14.
  5. Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen
  6. Abhandlung über den Ursprung der Sprache, 1. Teil. 2. Abschnitt
  7. Vgl. a. a. O. den 2. Teil, unter 1. und 4. Naturgesetz
  8. Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen, Kritik der reinen Vernunft B 316-346
  9. Grundlegung der gesamten Wissenschaftslehre (1794) III, § 5 ff.
  10. Grundlegung des Naturrechts (1796)
  11. Über den Begriff der Wissenschaftslehre (1794) II, § 7
  12. Darstellung der Wissenschaftslehre (1801)
  13. Anweisung zum seligen Leben (1806)
  14. Ebd.
  15. Philosophie und Religion (1804)
  16. Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797)
  17. Über den wahren Begriff der Naturphilosophie (1801)
  18. Glauben und Wissen
  19. Enzyklopädie § 112
  20. Wissenschaft der Logik
  21. Ebd.
  22. Ebd.
  23. Vorlesungen über die Philosophie der Religion
  24. Enzyklopädie § 413
  25. Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft (1807)
  26. Psychologie vom empirischen Standpunkt (1874)
  27. Ideen zu einer reinen Phänomenologie ... I, § 78
  28. § 77
  29. Ebd.
  30. Phänomenologie der Wahrnehmung (1945), Berlin: de Gruyter 1966, S. 257 (Übers. R. Boehm)
  31. S. 65
  32. Das Sein und das Nichts, Reinbek: Rowohlt 1993, S. 294 (Übers. H. Schöneberg u. T. König)
  33. S. 293
  34. S. 294 f.
  35. S. 293
  36. S. 306
  37. Philosophie II, 1956, S. 35 ff.
  38. S. 43 f.
  39. Aufgenommen in: Wegmarken (1967)
  40. Gesamtausgabe I, 9, 1976, S. 473, 477 f.
  41. Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt: Suhrkamp 1974, S. 58 (Übers. E. Moldenhauer)
  42. S. 56 f.
  43. Reflexion und Diskurs, Frankfurt 1977, S. 9.
  44. Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985, S. 375
  45. Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt: Suhrkamp 1987, S. 600 ff., 617 f.
  46. ’’Organisation und Entscheidung’’, Opladen 2000, S.424., mit Verweis auf Jurgen Ruesch/Gregory Bateson, Communication: The Social Matrix of Psychiatry, New York 1951, 2. Aufl. 1968, S. 99 ff.

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