Reiterscheibe von Pliezhausen

Reiterscheibe von Pliezhausen
Reiterscheibe von Pliezhausen

Die Reiterscheibe von Pliezhausen ist eine figürlich verzierte Goldblechscheibe, die im Jahre 1928 bei Ausgrabungen in Pliezhausen, Landkreis Reutlingen, in einem wohlhabenden alamannischen Frauengrab des frühen 7. Jahrhunderts als Schauseite einer Scheibenfibel gefunden wurde. Sie gehört zu den wenigen Objekten des frühen Mittelalters die figürliche Darstellungen von Menschen zeigen.

Inhaltsverzeichnis

Fund

Bei Bauarbeiten im Bereich der Pliezhauser Alamannenstraße traten immer wieder Gräber eines alamannischen Gräberfeldes zu Tage. Bei der Ausgrabung einer als Grab 1 bezeichneten wohlhabenden Frauenbestattung im Jahre 1928 wurde die Reiterscheibe von Pliezhausen als Teil des Grabbeigabeninventars gefunden. Die aus dünnem Goldblech bestehende Scheibe diente als Zierauflage einer Scheibenfibel mit bronzenem Nadelapparat.

Die Reiterscheibe von Pliezhausen wird im Landesmuseum Württemberg im Alten Schloss in Stuttgart ausgestellt.

Beschreibung

Die Reiterscheibe von Pliezhausen hat einen Durchmesser von etwa 69 mm und besteht aus einem dünnen Goldblech. Das Motiv wurde über ein Model in das Blech gepresst.

Die Ausgestaltung der Scheibe zeigt zwei, nicht unmittelbar miteinander zusammenhängende, Darstellungen. Eingefasst werden beide Motivteile durch einen umlaufenden feinen Perlrand.

Der obere Teil zeigt, in einem kreisabschnittförmigem Feld im oberen viertel, zwei sich gegenseitig anspringende, vierfüßige Tiere. Beide Tiere sind sehr stilisiert ausgeführt und lassen sich lediglich aufgrund ihrer ausgeprägten Halsmähne als Löwen interpretieren.

Darunter ist ein, zum rechten Bildrand reitender, Krieger zu Pferd abgebildet, der mit seiner linken Hand einen Speer auf einen nicht sichtbaren Gegner vor sich schleudert. Der Reiter hält in seiner Rechten einen kleinen Rundschild. Hinter dem Reiter ist, ebenfalls auf dem Rücken des Pferdes, eine kleine menschliche Figur abgebildet, die mit einer Hand den Speer des Reiters führt und in der anderen ebenfalls einen kleinen Rundschild trägt. Die Extremitäten dieser Figur sind als stilisiertes Hakenkreuz angeordnet, was auf eine Symbolik mit mythologischem Hintergrund hindeutet. Aus diesem Grunde wird diese kleine Figur von Kunsthistorikern als eine Art göttlicher Sieghelfer angesprochen. Vor und unter dem Pferd wird ein liegender Krieger gerade von diesem überrannt. Dieser Krieger greift mit seiner rechten Hand in die Zügel des Pferdes und stößt mit seiner Linken seine Spatha (Schwert) in die Brust des Tieres. Besonders beachtenswert ist die Anordnung dieser liegenden Figur mit dem Pferd. Das dem Betrachter zugewandte Vorderbein des Pferdes verläuft hinter dem Krieger während das dem Betrachter abgewandte Vorderbein vor dem Krieger verläuft. Der liegende Krieger ist mit seinem Körper und Armen mit den Vorderbeinen des Pferdes regelrecht verflochten.

Dieses Motiv ist aus weiteren Funden des frühen Mittelalters überliefert, wie aus den Schiffsgräbern von Sutton Hoo in England, oder aus Vendel und Valsgärde in Schweden. Die Scheibe aus Sutton Hoo stimmt mit Ausnahme der spiegelbildlichen Anordnung am genauesten mit der Pliezhausener Scheibe überein. Sie ist eine der wenigen naturalistischen und figürlichen Darstellungen, die aus dem frühen Mittelalter überliefert sind und liefert wertvolle Hinweise zur mythischen und religiösen Vorstellungswelt der heidnischen Alamannen am Übergang zum Christentum.

Genauere Untersuchungen im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz ergaben, dass die Scheibe ursprünglich einen größeren Durchmesser hatte, da eine ursprünglich vorhandene, umlaufende Riefe teilweise beschnitten wurde, um die Scheibe auf der Trägerplatte der Scheibenfibel montieren zu können. Vergleichsfunde dieses Motivs lassen vermuten, dass die Scheibe ursprünglich auf einem Riemenverteiler (Phalerae) eines repräsentativen Zaumzeuges für Reitpferde montiert war und erst in Zweitverwendung als Schauseite einer Schmuckfibel umgearbeitet wurde.

Literatur

  • Günther Haseloff: Kunststile des frühen Mittelalters - Völkerwanderungs- und Merowingerzeit dargestellt an Funden des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart Hrsg. vom Württembergischen Landesmuseum Stuttgart, 1979
  • Hans Hollaender: Kunst des fruehen Mittelalters, Pawlak, Herrsching 1981 ISBN 3-88199-040-2
  • Kurt Böhner, Dieter Quast: Die merowingerzeitlichen Grabfunde von Pliezhausen, Kr. Reutlingen. Fundberichte Baden-Württemberg 19,1, 1994 S.383 ff
  • Kurt Böhner: "Die Goldscheibe von Pliezhausen". In: Gemeinde Pliezhausen (Hrsg): 900 Jahre Pliezhausen 1092-1992 - Heimat zwischen Neckar und Schönbuch. Gemeinde Pliezhausen 1992.

Weblinks


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