Rudolf Tschäpe

Rudolf Tschäpe

Rudolf Tschäpe (* 9. Juli 1943 in Reichenbach/O.L.; † 14. April 2002 in Potsdam) war ein deutscher Astrophysiker und Bürgerrechtler.

Tschäpe studierte Physik und Astronomie in Jena. Als Diplomphysiker arbeitete er danach in der Sternwarte Sonneberg, die damals im Grenzsperrgebiet lag. 1972 wechselte er an das Zentralinstitut für Astrophysik nach Potsdam, da er dort Zugang zu einer Rechenmaschine hatte. Schwerpunkte seiner Forschungen waren die Magnetohydrodynamik und gravitativ-magnetohydrodynamische Instabilitäten von Akkretionsscheiben. 1987 wurde er mit einer Arbeit zur Berechnung des Gravitationspotentials nichtsphärischer Masseverteilungen promoviert. Nach der Wende beschäftigte er sich mit Quasaren, dem Lithium-Problem und Magnetfeldzyklen (ähnlich der Sonnenflecken-Aktivitäten unserer Sonne) bei Sternen, wozu er alte Fotoplatten-Aufnahmen verglich.

Tschäpe war ein entschiedener Kritiker der Militarisierung in der DDR. Unter anderem versuchte er mit einer Gruppe von Friedensaktvisten, bei der Jugendkommission der christlichen Friedenskonferenz die Wehrdienstverweigerung zu thematisieren, allerdings ohne Erfolg zu haben.[1] Er verweigerte den Wehrdienst in der DDR und musste als so genannter Bausoldat von 1969 an zwei Jahre lang Ersatzdienst leisten. Über sein christlich fundiertes gesellschaftliches Engagement kam er mit Kritikern der DDR-Regierung in Kontakt und gehörte 1989 zu den Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufs des Neuen Forums, den er auf einem geheimen Treffen in Grünheide im September zusammen mit seinem Kollegen Reinhard Meinel mitformulierte. Im November 1989 traten Tschäpe, Meinel, Ute Platzek und Detlef Kaminski in der Erlöserkirche mit ihrem Neuen Forum an die Öffentlichkeit.

Obwohl er zu Beginn eine der treibenden Kräfte des Neuen Forums war, verzichtete er auf eine politische Funktion. So ließ er sich neben Reinhard Meinel nicht als Kandidat des Sprecherrats aufstellen, der auf dem offiziellen Gründungskongress des Neuen Forums am 27. Januar 1990 die Potsdamer Delegation bildete. Damit schloss sich für Tschäpe eine politische Karriere, wie sie nicht wenige DDR-Bürgerrechtler nach der Wende bestritten, aus.

Sein gesellschaftliches Engagement konzentrierte sich später auf die Förderung der Kunst - die Kritik an totalitären Systemen beibehaltend. Tschäpe war schon als Student an Kunst interessiert und organisierte 1974 eine Ausstellung mit Werken von Wieland Förster in der Kuppel mit dem Großen Refraktor auf dem Telegrafenberg. Auf Tschäpes Initiative hin gründete sich nach der Wende eine Fördergemeinschaft Lindenstraße 54. Sie erwarb vom Künstler Wieland Förster dessen Skulptur "Das Opfer", damit sie heute im Lindenhof in Potsdam an die dortige Vergangenheit mahnt: 1937 befand sich dort das so genannte Erbgesundheitsgericht, ab 1943 war es Gefängnis des Potsdamer Volksgerichtshofs, seit 1952 bis zu Wende war der Lindenhof Stasi-Gefängnis.

Auch auf Tschäpes Idee und Initiative fußt das erste Denkmal, das als Auftragsarbeit konkret an die friedliche Revolution 1989 in der DDR erinnert: Die "Nike '89", die ebenfalls von Wieland Förster stammt, steht heute an der Glienicker Brücke.

1995 wurde Tschäpe mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 2000 erhielt er zusammen mit anderen als Erstunterzeichner des Gründungsaufrufs „Aufbruch 89 – Neues Forum vom 10. September 1989“ den Deutschen Nationalpreis. Am 14. April 2008, dem sechsten Todestag Tschäpes, wurde das Rondell vor der Potsdamer Erlöserkirche in Rudolf-Tschäpe-Platz umbenannt.[2]

Literatur

  • Wilhelm Brüggenthies, Wolfgang R. Dick: Biographischer Index der Astronomie / Biographical Index of Astronomy. Deutsch, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-8171-1769-8, (Acta historica astronomiae 26), S. 443.
  • Hans Walde: Skizzen und Porträts aus Potsdam. Band 1. Publicon-Verlags-GmbH, Freiburg im Breisgau 1993, ISBN 3-929092-35-2, S. 241.

Quellen

Einzelnachweise

  1. Website der Havemann Gesellschaft
  2. Platz wird nach Rudolf Tschäpe benannt, Tagesspiegel, 7. Februar 2008

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