Bausoldat

Bausoldat

Ein Bausoldat war ein Angehöriger der Baueinheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Am 24. Januar 1962 wurde in der Deutschen Demokratischen Republik die Wehrpflicht eingeführt. Die Grundlage für die Aufstellung der Baueinheiten der NVA bildete eine Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 7. September 1964 (GBl. d. DDR Teil I Nr. 11 vom 16. September 1964 [Ausgabetag], S. 129). Ausgelöst durch die Initiative des Quäkers, Pazifisten und Pfarrers Emil Fuchs mit Unterstützung der Kirchen wurde diese einzige Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern, geschaffen, die es in keinem anderen sozialistischen Land, sondern nur in der DDR gab. Die Gründe, die dazu führten, dass die Staatsführung die Schaffung eines Waffenersatzdienstes ermöglichte, sind nicht hinreichend erforscht. Die Sonderform des Wehrdienstes betrug 18 Monate. Die Uniform zeigte einen kleinen Spaten auf den Schulterklappen, so dass sich die Verweigerer untereinander als Spatensoldaten bezeichneten.

Die Landstreitkräfte erhielten anfangs vier Baupionierbataillone, Luft- und Seestreitkräfte (Volksmarine) jeweils eines. Sie boten Platz für 256 waffenlose Wehrdienstleistende. Die übrigen Mitglieder waren reguläre Soldaten der Pioniertruppe. Die Mannschaften der Kompanien bestanden jedoch jeweils entweder vollständig aus unbewaffneten Bausoldaten oder aus herkömmlichen bewaffneten Pionieren. Bis 1973 wurden diese Einheiten auch zum Bau von militärischen Anlagen eingesetzt. Nach erneuten Beschwerden der Kirchen erhielten zumindest die Wehrdienstverweigerer vergleichsweise „zivile“ Aufgaben in militärischen Einrichtungen als Gärtner, Krankenpfleger in Militärkrankenhäusern oder Küchenhelfer. Insbesondere in den letzten Jahren der DDR arbeiteten viele Bausoldaten aber auch in Großbetrieben, die unter Arbeitskräftemangel litten, beispielsweise in der Chemischen Industrie oder in Braunkohlentagebauen. Die Bedingungen der Bausoldaten verschärften sich, indem sie nun zumeist in größeren Einheiten zusammengefasst wurden, etwa in Merseburg und Prora: In Block V der einst geplanten KdF-Anlage waren bis zu 500 Bausoldaten zeitgleich stationiert. Prora wurde damit zum größten und wegen des Hafenbaus in Mukran auch weithin berüchtigtsten Bausoldatenstandort in der DDR.

Bereits kurz nach der Gründung der Baueinheiten wuchs der Bedarf an Arbeitskräften dieser Art schnell an. 1966 wurden vier weitere Bataillone aufgestellt. In diesen Einheiten dienten jedoch keine unbewaffneten Wehrdienstgegner, ebenso wie in vielen der in den folgenden Jahrzehnten aufgestellten Baupioniereinheiten.

In der Friedensbewegung wurde in den 1980er Jahren zunehmend die Forderung nach einem zivilen Ersatzdienst oder sozialen Friedensdienst erhoben. Erst die Regierung von Hans Modrow reagierte auf diese Forderung und ersetzte mit der Verordnung über den Zivildienst in der DDR vom 1. März 1990, am Tag der Nationalen Volksarmee, die Bestimmungen zum Wehrersatzdienst als Bausoldat. Bereits zum 1. Januar 1990 waren die Baueinheiten aufgelöst und 1500 Bausoldaten entlassen. Den verbliebenen wurde der Wechsel zum Zivildienst freigestellt, so dass die letzten Bausoldaten Anfang Oktober 1990, wenige Tage vor der Wiedervereinigung, aus der NVA entlassen wurden, obwohl deren Dienstzeit teilweise erst zehn bis elf Monate betragen hatte.

Keine Ironie der Geschichte, sondern ein bewusster politischer Akt der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière war es, im April 1990 den ehemaligen Bausoldaten und Pfarrer Rainer Eppelmann als Minister für Abrüstung und Verteidigung, also letzten Verteidigungsminister der DDR, zu berufen und ihn mit der Vorbereitung der Auflösung der NVA zu beauftragen. Von der Armeeführung wurde dies ohne öffentlich merklichen Widerstand hingenommen.

Parallel zu den Bauvorbereitungen für eine Jugendherberge am ehemaligen Bausoldatenstandort Prora gründete der Berliner Historiker und Buchautor Dr. Stefan Wolter im Jahr 2008 den gemeinnützigen Verein Denk-MAL-Prora e.V. Mit Zeitzeugen (darunter mehrheitlich ehemalige Bausoldaten), Wissenschaftlern und Sympathisanten kämpft er gegen die einseitige und verfälschende öffentliche Darstellung Proras als „ehemaliges KdF-Bad“ und setzt sich gegen politische Widerstände für den Erhalt baulicher Strukturen aus der DDR-Zeit ein. Spektakulär besetzte er in diesem Zusammenhang einen ehemaligen Klubraum der Bausoldaten mit einem einst unter Repressalien entstandenen Wandgemälde. Seine Forderung, in diesem künftigen Bildungszentrum neben der Geschichte der Proraer Bausoldaten die gesamte Geschichte der Waffen- und Wehrdienstverweigerung in der DDR darzustellen, haben bislang weder die Politik noch die Betroffenen selbst aufgegriffen. Am 30. August 2010 gab Wolter das Ende des Vereins in einer Presseerklärung bekannt, in der es heißt: "Für den Vereinsgründer geht mit der Auflösung des Denk-MAL-Prora e.V. ein doppeltes Trauma zuende."

Dienstbedingungen

Bausoldaten wurden in der Regel während ihrer Dienstzeit von anderen Wehrpflichtigen, so gut es ging, separiert, ein Kontakt zwischen „normalen“ Soldaten und Bausoldaten wurde nach Möglichkeit unterbunden. Bausoldaten mussten während ihrer Dienstzeit, aber auch hinterher mit Schikanen rechnen. Ein Dienst als Bausoldat hatte negative Auswirkungen auf die Ausbildungschancen. Der gewünschte Studienplatz blieb Bausoldaten oft verwehrt. Auf der anderen Seite wurde der Dienst als Bausoldat von anderen Wehrpflichtigen oft als leichtere Variante des Wehrdienstes angesehen, was gemeinsam mit der beginnenden Friedensbewegung dazu führte, dass die Zahl der Wehrdienstverweigerer und damit der Bausoldaten gegen Ende der 70er Jahre und insbesondere in den 80er Jahren stetig stieg.

In der DDR gab es kein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe und keinen zivilen Wehrersatzdienst. Wer den Wehrdienst auch als Bausoldat nicht ableisten wollte (Totalverweigerer), musste mit einer Gefängnisstrafe von 18 bis 22 Monaten rechnen, woran sich nicht selten eine Ausweisung aus der DDR anschloss. 1985 wurden auf Anweisung des damaligen DDR-Verteidigungsministers Heinz Hoffmann alle Totalverweigerer aus der Haft entlassen, und von diesem Zeitpunkt an wurde niemand mehr inhaftiert oder verurteilt.

Gesetzliche Grundlage

"Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung vom 7. September 1964 (Gesetzblatt der DDR Teil I Nr. 11 vom 16. September 1964 [Ausgabetag], S. 129):

§ 1

(1) Im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung sind Baueinheiten aufzustellen.

(2) Der Dienst in den Baueinheiten ist Wehrersatzdienst gemäß § 25 des Wehrpflichtgesetzes vom 24. Januar 1962 (GBl. I S. 2). Er wird ohne Waffe durchgeführt.

§ 2

(1) Die Baueinheiten haben die Aufgabe, Arbeitsdienstleistungen im Interesse der Deutschen Demokratischen Republik zu erfüllen. Dazu gehören insbesondere: a) Mitarbeit bei Straßen- und Verkehrsbauten sowie Ausbau von Verteidigungs- und sonstigen militärischen Anlagen; b) Beseitigung von Übungsschäden; c) Einsatz bei Katastrophen.

(2) Der Einsatz der Baueinheiten erfolgt durch den Minister für Nationale Verteidigung oder die von ihm dazu Beauftragten.

§ 3

Für die Angehörigen der Baueinheiten gelten die gesetzlichen und militärischen Bestimmungen, die den Grundwehrdienst bzw. den Reservistendienst in der Nationalen Volksarmee regeln, soweit nicht in dieser Anordnung etwas anderes festgelegt ist.

§ 4

(1) Zum Dienst in den Baueinheiten werden solche Wehrpflichtigen herangezogen, die aus religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen.

(2) Die Angehörigen der Baueinheiten tragen den Dienstgrad "Bausoldat".

§ 5

(1) Die Angehörigen der Baueinheiten leisten keinen Fahneneid nach § 3 der Dienstlaufbahnordnung vom 24. Januar 1962 (GBl. I S. 6).

(2) Die Angehörigen der Baueinheiten legen ein Gelöbnis ab (Anlage).

§ 6

Neben der Heranziehung zu Arbeitsleistungen gemäß § 2 Abs. 1 ist mit den Angehörigen der Baueinheiten folgende Ausbildung durchzuführen:

a) staatspolitische Schulung

b) Schulung über gesetzliche und militärische Bestimmungen,

c) Exerzierausbildung ohne Waffe,

d) militärische Körperertüchtigung,

e) Pionierdienst und spezialfachliche Ausbildung,

f) Schutzausbildung,

g) Ausbildung in der Ersten Hilfe.

§ 7

Die Bausoldaten der Baueinheiten tragen eine steingraue Uniform mit Effekten und der Waffenfarbe "oliv". Als besonderes Kennzeichen tragen sie das Symbol eines Spatens auf den Schulterklappen.

§ 9

Die Vorgesetzten der Angehörigen der Baueinheiten (Ausbildungspersonal) sind bewährte Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der Nationalen Volksarmee".

Das abzulegende Gelöbnis der Bausoldaten lautete: "Ich gelobe: Der Deutschen Demokratischen Republik, meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen und meine Kraft für die Erhöhung ihrer Verteidigungskraft einzusetzen.

Ich gelobe: Als Angehöriger der Baueinheiten durch gute Arbeitsleistungen aktiv dazu beizutragen, daß die Nationale Volksarmee an der Seite der Sowjetarmee und der Armeen der mit uns verbündeten sozialistischen Länder den sozialistischen Staat gegen alle Feinde verteidigen und den Sieg erringen kann.

Ich gelobe: Ehrlich, tapfer, diszipliniert und wachsam zu sein, den Vorgesetzten unbedingten Gehorsam zu leisten, ihre Befehle mit aller Entschlossenheit zu erfüllen und die militärischen und staatlichen Geheimnisse immer streng zu wahren.

Ich gelobe: Gewissenhaft die zur Erfüllung meiner Aufgaben erforderlichen Kenntnisse zu erwerben, die gesetzlichen und militärischen Bestimmungen zu erfüllen und überall die Ehre unserer Republik und meiner Einheit zu wahren."

Presseveröffentlichungen in DDR-Zeitungen

  • Baupionier-Bataillone. Anordnung des Verteidigungsrates über Wehrersatzdienst. in: Neue Zeit, 23. September 1964
  • Was sind Bausoldaten? in: Neues Deutschland, Berlin 26. November 1964.
  • Bei Bausoldaten zu Besuch. in: Neue Zeit, 22. Dezember 1964.

Prominente Bausoldaten

Siehe auch

Literatur

  • Bernd Eisenfeld: Kriegsdienstverweigerung in der DDR - ein Friedensdienst? Genesis, Befragung, Analyse, Dokumente. 190 Seiten + Anhang. Hrsg. Haag + Herchen, Frankfurt 1978. ISBN 3-88129-158-X.
  • Klemens Richter: Die Verweigerung des Waffendienstes in der DDR. ARB-WK 10/79. Hrsg: Katholischer Arbeitskreis Entwicklung und Frieden, Kommission Justitia et Pax in der BRD. Selbstverlag Bonn, April 1979.
  • Uwe Koch, Stephan Eschler: Zähne hoch Kopf zusammenbeissen. Dokumente der Wehrdienstverweigerung in der DDR von 1962-1990. Scheunen-Verlag, Kückenshagen 1994, ISBN 3-929370-14-X.
  • Uwe Koch: Das Ministerium für Staatssicherheit, die Wehrdienstverweigerer der DDR und die Bausoldaten der Nationalen Volksarmee. Eine Übersicht über den Forschungsstand. Herausgeber: Die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt und der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Mecklenburg-Vorpommern, Druck: JVA Naumburg - Arbeitsverwaltung, November 1997.
  • Philipp Mosch: Die Entscheidung – Bausoldat. Drei Schicksale aus der untergegangenen DDR, in: Gerbergasse 18, Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik, Hrsg.: Geschichtswerkstatt Jena e. V. in Zsarb. mit dem Landesbeauftragten Thüringen für die Stasi-Unterlagen : Forum für Geschichte und Kultur, Heft 15 - Ausgabe IV, Jena 1999.
  • Gert Mengel: “Der Anfang vom Ende der DDR”. Die ersten Bausoldaten und die Pommersche Evangelische Kirche; in: Zeitgeschichte Regional, Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Heft 2, Dezember 1999, S.21-34; Heft 1/2000 S.24-28.
  • Jochen Sievert: Die Spatensoldaten des Volkes - Regiment gehörte zum Bereich Spezialbauwesen, in: Gerbergasse 18, Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik, Hrsg.: Geschichtswerkstatt Jena e. V. in Zsarb. mit dem Landesbeauftragten Thüringen für die Stasi-Unterlagen : Forum für Geschichte und Kultur, Heft 16 - Ausgabe I, Jena 2000.
  • Andreas Pausch: Waffendienstverweigerung in der DDR ...das einzig mögliche vor dem Volk noch vertretbare Zugeständnis. Hrsg. von Uwe Schwabe und Rainer Eckert, Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V., Leipzig 2004. ISBN 3-8334-1558-4.
  • Thomas Widera [Hg.]: Pazifisten in Uniform. Die Bausoldaten im Spannungsfeld der SED-Politik 1964-1989. V&R unipress, Göttingen 2004. ISBN 3-89971-180-7.
  • Sebastian Kranich: „Erst auf Christus hören, dann auf die Genossen“. Bausoldatenbriefe: Merseburg, Wolfen, Welzow 1988/89. Projekte-Verlag 188, Halle 2006. ISBN 3-86634-125-3.
  • Zivilcourage und Kompromiss. Bausoldaten in der DDR 1964–1990. Bausoldatenkongress Potsdam, 3.–5. September 2004, Eine Dokumentation, Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2005. ISBN 3-9804920-8-7.
  • Klaus Udo Beßer: "Nationale Volksarmee: Arbeitskraftreserve der DDR? Das Bauwesen der NVA", in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung, 2/2008.
  • Bernd Eisenfeld, Peter Schicketanz: Bausoldaten in der DDR. Die "Zusammenführung feindlich-negativer Kräfte" in der NVA. Mit einem Vorwort von Joachim Gauck. Ch. Links Verlag, Berlin, März 2011, ISBN 978-3-86153-637-6.

Quellen und Selbstzeugnisse

Weblinks


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