Sauerland-Gruppe

Sauerland-Gruppe

Die sogenannte Sauerland-Gruppe war eine bis zum Jahre 2007 bestehende Terrorzelle der radikal-islamistischen terroristischen Vereinigung Islamische Dschihad-Union (Islamic Jihad Union, IJU) in Deutschland.

Die nicht von der Gruppe stammende Namensgebung bezieht sich auf die deutsche Mittelgebirgsregion Sauerland, in der am 4. September 2007 drei Gruppenangehörige in einem Ferienhaus in Oberschledorn verhaftet wurden. Später wurden sie wegen „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags und Verabredung zum Mord“[1] angeklagt. Im März und Oktober 2010 wurden die drei Männer und zwei Helfer zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt.[2][1][3]

Inhaltsverzeichnis

Umfang und Umfeld der Gruppe

Die Sauerland-Gruppe umfasste vier Männer im Alter zwischen 23 und 30 Jahren (2009), gegen die am 22. April 2009 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ein Strafverfahren eröffnet wurde. Der Einschätzung des Präsidenten des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke, der der Sauerlandgruppe etwa 20 Islamisten zurechnete, widersprach Generalbundesanwältin Monika Harms: „Bei der Zahl wäre ich vorsichtig. Als eigentliche Sauerlandgruppe sollte man in erster Linie die vier Männer bezeichnen, die jetzt vor Gericht stehen“.[4]

Über die engere Sauerland-Gruppe hinaus wurden in diesem Zusammenhang mehrere Personen wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland, nämlich der IJU, zu Gefängnisstrafen[5] oder Bewährungsstrafen[6] verurteilt. Weitere Verfahren stehen noch aus,[7] darunter eines gegen die Ehefrau des Anführers der Sauerland-Gruppen.[8]

Ermittlungen und Prozess

Die Bundesanwaltschaft warf den Angeklagten im Strafprozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b, § 129a Abs. 2 StGB), Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens (§ 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB) sowie Verabredungen zum Mord (§ 30, § 211 StGB) und zu einem Sprengstoffverbrechen (§ 30, § 310 StGB) vor.[9]

Gegen den Anführer der Zelle wurde über diese Anklage hinaus wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 4 StGB) und wegen Betruges (§ 263 StGB) und Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ermittelt, da er Einkünfte seiner Frau zu niedrig und eigene Einkünfte aus Schwarzarbeit beim Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt nicht angegeben habe.[10] Die Vorwürfe der Rädelsführerschaft in und der Gründung einer terroristischen Vereinigung im Inland wurden jedoch nach umfangreichen Geständnissen fallen gelassen.[11]

Einer der Angeklagten hatte bei seiner Festnahme im Sauerland einem Polizisten die Pistole aus dem Holster gezogen und wollte auf den Polizisten schießen. Daher wurde er zusätzlich wegen versuchten Mordes (§ 23 Abs. 2, § 211 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) verurteilt.[12] Die Geständnisse der Angeklagten, die strafmildernd berücksichtigt wurden, umfassen rund 1700 Druckseiten. Auf ihrer Grundlage konnte der Prozess deutlich rascher abgeschlossen werden als zunächst prognostiziert.[12] Die Geständnisse werden unter anderem als Antworten auf die Frage eingeschätzt, „wie sich junge, in Deutschland gut integrierte Männer so schnell von einer radikalen Ideologie beeinflussen lassen, dass sie am Ende gar zum Massenmord bereit waren.“[13][14]

Im Oktober 2006 leitete der amerikanischen Abhörgeheimdienst NSA Erkenntnisse über intensiven Mailverkehr zwischen Deutschland und Pakistan über den Auslandsnachrichtendienst CIA an den deutschen BND weiter, der wiederum das Bundesamt für Verfassungsschutz einschaltete.[15][16] Zuständig wurde schließlich das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, indem u.a. auch Beamte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) vertreten sind. In Berlin wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet, in der deutsche Geheimdienstler und amerikanische CIA-Mitarbeiter „so eng wie nie“ zusammenarbeiteten.[17] Unter dem Namen „Operation Alberich“ überwachten 500 Beamte rund um die Uhr alle Verdächtigen, hörten Telefone ab und verwanzten Wohnungen und Autos.[15] Die Wasserstoffperoxid-Bomben-Mischung wurde Ende Juli 2007[18] von den Beamten gegen eine harmlose Ersatzflüssigkeit ausgetauscht.[2] Die Radikalisierung der Sauerland-Gruppe begann in Neu-Ulm durch den ägyptischen Arzt Dr. Yehia Yousif, der von mindestens 1996 bis 2002 hauptamtlicher Spitzel des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg war.[19][20] Er sei „der Hirnwäscher für etliche Angehörige(n) der Sauerland-Gruppe und für deren Dunstkreis von vierzig, fünfzig junge(r) Leute“ gewesen.[21] Laut stern.de soll es sich beim Verbindungsmann der Gruppe zu al-Qaida und mutmaßlichen Beschaffer von Sprengzündern, Mevlüt K., um einen Kontaktmann des türkischen Geheimdienstes MIT gehandelt haben, der auch Verbindungen zum US-Geheimdienst CIA habe.[13] Der Anführer der Sauerland-Gruppe sagte, an den Anschlagsplanungen seien Geheimdienste „nicht beteiligt gewesen und hätten die Gruppe keinesfalls gesteuert“.[14]

Der Prozess gegen die Sauerland-Gruppe endete am 4. März 2010 mit vier Verurteilungen, die jeweils etwas unter dem Antrag der Bundesanwaltschaft blieben.[2] Zwei der Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen von 12 Jahren, einer von elf Jahren,[2] der mitangeklagte Helfer der Gruppe wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.[1] Der Helfer wurde im Juli 2011 nach Verbüßen von zwei Drittel seiner Strafe auf Bewährung entlassen. Der als türkischer Staatsangehöriger in Deutschland geborene, eingebürgerte Deutsche wurde ausgebürgert, eine entsprechende Klage dagegen wurde vom Gericht mit der Begründung abgewiesen, dass er bei seinem Einbürgerungsverfahren 2005 bewusst verschwieg, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz eingeleitet worden war. Damit ist er staatenlos.[22] Ein weiterer Helfer wurde am 15. Oktober 2010 zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.[3]

Film

  • Peter Gerhardt, Ahmet Senyurt: Terroristenjagd im Sauerland. Wie das BKA ein Blutbad verhinderte. ARD-Dokumentation, 2. März 2009 (Video, 45 Minuten, auf YouTube).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c „Verblendung und verquere Ideen“. Sauerland-Gruppe: Bis zu zwölf Jahre Haft. In: WDR.de, 4. März 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  2. a b c d Urteil im Terrorprozess. Gericht verhängt hohe Haftstrafen gegen Sauerland-Gruppe. In: Spiegel online, 4. März 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  3. a b Helfer der Sauerland-Gruppe muss ins Gefängnis in: Spiegel Online vom 15. Oktober 2010
  4. Jochen Gaugele, Matthias Iken, Maike Röttger, Claus Strunz: Generalbundesanwältin fordert mehr Befugnisse im Kampf gegen den Terror. In: Hamburger Abendblatt, 14. März 2009 (Interview mit Monika Harms). Abgerufen am 4. März 2010.
  5. Helfer der Sauerland-Gruppe verurteilt. Haftstrafen von bis zwei Jahren für Handlangerdienste bei Terrorplanung. In: Neue Zürcher Zeitung, 13. Oktober 2009. Abgerufen am 4. März 2010.
  6. Urteil im Strafverfahren gegen Kadir T. wegen Unterstützung der „Islamischen Jihad Union“ (IJU). Pressemitteilung vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  7. Hauptverfahren gegen Burhan Y. wegen Unterstützung der "Islamischen Jihad Union" (IJU) beginnt am 8. März 2010. Pressemitteilung vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  8. Yassin Musharbash, Marcel Rosenbach und Holger Stark: Terrorfinanzierung. Ehefrau von Sauerland-Angeklagtem Gelowicz festgenommen. In: Spiegel online, 22. Februar 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  9. „Sauerland“-Attentäter: Anschläge auf Großstädte geplant. In: Stern, 5. September 2008. Abgerufen am 4. März 2010.
  10. Sauerland-Zelle: Terror-Vorbereitungen mit Hartz IV bezahlt. In: Die Welt, 6. September 2008. Abgerufen am 4. März 2010.
  11. Holger Schmidt: Rädelsführer soll nicht als Rädelsführer verurteilt werden. In: Prozess gegen die Sauerlandgruppe – Terrorismus in Deutschland (SWR-Blog), 20. Januar 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  12. a b Ulrich Egger: „Sauerland-Verfahren“: Gericht verhängt langjährige Freiheitsstrafen. Pressemitteilung 09/2010 vom Oberlandesgericht Düsseldorf, 4. März 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  13. a b Martin Knobbe: Urteil gegen Sauerlandgruppe: Welche Rolle spielten die Geheimdienste?. In: stern.de, 4. März 2010. Abgerufen am 4. März 2010.
  14. a b Nicole Lange: „Ein Moslem darf Demokratie nicht akzeptieren“. In: netzeitung.de, 11. August 2009. Abgerufen am 4. März 2010.
  15. a b Irene Geuer und Paul Elmar Jöris: „Hintergrund - Terror hausgemacht“, in Deutschlandradio, 21. April 2009, abgerufen am 20. März 2010
  16. Dirk Banse und Uwe Müller: Prozess gegen die Sauerland-Gruppe - Der Nachrichtendienst war völlig ahnungslos in Berliner Morgenpost am 15. März 2010, abgerufen am 20. März 2010
  17. phw/AP/dpa/ddp/AFP: Deutsch-amerikanische Zusammenarbeit-Operation Alberich deckte Terror-Plot auf in Der Spiegel vom 8. September 2007, abgerufen am 21. März 2010“
  18. Sauerland-Gruppe: Terroristen kauften monatelang Wasserstoffperoxid in Ruhr Nachrichten, 12. Mai 2009, abgerufen am 20. März 2010
  19. Paul Schreyer: „Ferngelenkte Terroristen? - Anmerkungen zum Prozess gegen die Sauerland-Zelle“. In:Telepolis 13. März. Abgerufen am 13. März 2010
  20. http://www.nzz.ch/2006/06/21/al/articleE8A2C.html
  21. Peter Carstens: Terrorbekämpfung - Wie'n zweiter 11. September in FAZ vom 11. Oktober 2008, abgerufen am 21. März 2010
  22. Helfer der Sauerland-Gruppe ist kein Deutscher mehr in: Spiegel Online vom 21. Juli 2011

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