Schlanke Produktion

Schlanke Produktion

Die englischen Begriffe lean production und lean manufacturing wurden im deutschen Sprachraum auch als Schlanke Produktion populär. Man versteht darunter ursprünglich die von Womack/Jones/Roos in deren so genannter MIT-Studie bei japanischen Automobilherstellern vorgefundene und systematisierte Produktionsorganisation, welche der in den USA und Europa zu der Zeit (1980er-Jahre) vorherrschenden und von ihnen so genannten gepufferten Produktion („buffered production“) entgegengesetzt wurde[1]. Shah/Ward, 2007, verstehen unabhängig von dieser auf die damalige Situation bezogenen Definition, nunmehr schlanke Produktion als „integriertes soziotechnisches System, dessen Kernzielsetzung die Beseitigung von Verschwendung ist, indem gleichzeitig lieferantenseitige, kundenseitige und interne Schwankungen reduziert oder minimiert werden“[2].

Inhaltsverzeichnis

Teilbereich des Lean Management

Schon Womack/Jones/Roos beschrieben mehr als ein reines Produktionssystem. So wurde der Begriff schon bald von Konzepten wie zum Beispiel schlanke Verwaltung („Lean Administration“) oder schlanke Instandhaltung („Lean Maintenance“) eingerahmt sowie auf Unternehmen, deren Produktion durch Unikat- oder Kleinserienfertigung gekennzeichnet ist, ausgedehnt[3] und schließlich zu Schlankes Management („Lean Management“) weiterentwickelt[4]. Darunter versteht man nunmehr eine Unternehmensphilosophie des (bis ins Kleinste gehenden) Weglassens aller überflüssigen Arbeitsgänge in der Produktion und in der Verwaltung durch eine intelligentere Organisation. Sie stützt sich auf innovative Veränderungen der Wertschöpfungskette und der sie begleitenden Akteure (wie Kunden, Lieferanten, Gewerkschaft, Kapitalgeber, Kommune) und auf ein partnerschaftliches Selbstverständnis von führenden und ausführenden Akteuren (Mitarbeiter-Management).

Prinzipien der Lean Production

Bei Lean Production handelt es sich um ein Bündel von Prinzipien, wobei die erstrebten Effekte vor allem durch deren Zusammenspiel entstehen. Es ist deswegen wenig sinnvoll, einzelne dieser Prinzipien zu etablieren und andere, aus welchen Gründen auch immer, wegzulassen. Generell geht es darum,

  • Kompetenz und Verantwortung zusammenzuführen,
  • in Netzwerken zu arbeiten,
  • Verschwendung und Fehler zu vermeiden (Muda),
  • die Abläufe zu synchronisieren und
  • sich um kontinuierliche Verbesserung (Kaizen, KVP) zu bemühen und
  • bei Bedarf umzustrukturieren (Kaikaku).

Als Konsequenzen der schlanken Produktion lassen sich häufig beobachten:

  • flache Hierarchien,
  • mehr Verantwortung und Kompetenz an der „Basis“,
  • Konzentration auf das Wesentliche und damit
  • deutlich reduzierte Verschwendung,
  • verbesserte Kommunikation unternehmensintern und mit Kunden sowie mit Lieferanten,
  • Kundenorientierung sowie
  • intensive Steuerungen durch das „Pull-Prinzip“, zum Beispiel mit Kanban.

Im Wesentlichen stützt sich Lean Production dabei auf sieben Elemente[5]:

  1. Angemessene technische Ausstattung: Während Volkswagen die vollautomatische „Hochzeit von Motor und Karosse“ vorzeigte, das automatische Anschrauben der Räder demonstrierte und viele weitere geschraubte Verbindungen automatisierte, oder Ford eine (fast) vollautomatische Transferstraße für die Getriebemontage betrieb, wurden in den produktiveren japanischen Automobilunternehmen keine vergleichbare technische Höchstleistungen vorgefunden (und inzwischen bei den genannten Unternehmen auch wieder abgeschafft). Ein Element ist daher eine robuste, wenig komplizierte Automatisierungstechnik mit hoher Prozesssicherheit und Verfügbarkeit. Bedeutsam sind eine automatisierte Überwachung und Steuerung des maschinellen Fertigungsprozesses (Jidōka) sowie kurze Rüstzeiten.
  2. Wenig hierarchische Arbeitsorganisation: Der Durchbruch für die Teilautonome Gruppenarbeit. Selbständige Arbeitsgruppen und damit eine wesentlich flexiblere Arbeitskräfteverteilung, ausgeprägte Jobrotation an den Bändern, wenige indirekte Mitarbeiter, Konzentration auf die Wertschöpfung sowie strikte Einhaltung der Zykluszeiten bilden das organisatorische Rückgrat des Konzeptes.
  3. Konsequentes Qualitätsmanagement: Das später zu TQM als eigenständiges Konzept ausgebaute Qualitätsmanagement setzt zuallererst auf eine weitgehende, automatische Fehlerkontrolle. Gepaart wird es mit dem Prinzip, einmal als fehlerhaft erkannten (Zwischen-)Produkten keine weiteren Verrichtungen mehr zukommen zu lassen. Auftretende Fehler werden soweit wie möglich sofort beseitigt, dazu notfalls das Band gestoppt und nicht erst in der Nacharbeit ausgebessert. Dazu gesellt sich eine konsequente Ursachenforschung, die sich nicht mit zumeist oberflächlichen Erklärungen der Art: „Der Mann war gerade 'mal abgelenkt!“ zufrieden gibt und diese Ursachen möglichst rasch und nachhaltig abstellt (Poka Yoke).
  4. Kontinuierlicher Verbesserungsprozess: Der Zusammenhang zum Qualitätsmanagement ist unübersehbar (siehe auch Kaizen und KVP).
  5. Qualifikation und Motivation: Dies geht einher mit der bevorzugten Arbeitsorganisation der Gruppenarbeit und KVP (siehe auch: Arbeitsstrukturierung). Ziel ist die Herausbildung multifunktionaler Mitarbeiter mit erweiterten Einsatzmöglichkeiten bei hoher technisch-fachlicher Qualifikation und ausgeprägten Sozialkompetenzen, die weniger durch Hierarchie als durch Verpflichtung, Vertrauen und Verantwortung geführt werden.
  6. Just-in-time-Produktion: Siehe dort.
  7. Wertschöpfungs- und Prozessorientierung: Siehe ausführlich im nächsten Kapitel.

Bei dem Versuch, Lean Production einzuführen wurde oft zu kurz gesprungen. Die Prinzipien wurden isoliert zueinander betrachtet und abgezählt. Vor der dann oft folgenden Erkenntnis: „Dann fehlt uns nur noch die Gruppenarbeit“ stand der Boom dieser Arbeitsorganisation in den 1990er Jahren. Einzelnen Elementen des Gesamtkonzeptes, welche deren eng verzahnten Zusammenhänge völlig ignorierten, war jedoch wenig Erfolg beschieden.[6]

Verschwendung

Das Auffinden und die Eliminierung von Verschwendung ist zentraler Bestandteil des Lean-Gedankens. Im japanischen Ansatz hebt sich besonders die Konsequenz in der Durchführung der Verschwendungsminimierung hervor. Verschwendung ist alles, was nicht unmittelbar zur Wertschöpfung beiträgt.

Als Verschwendung werden alle Aufwendungen betrachtet, für die der Kunde nicht bereit wäre zu zahlen.

Daraus ergibt sich von alleine eine Konzentration auf den Wertschöpfungsprozess und eine Klassifikation in Kernprozess (schafft unmittelbaren Kundennutzen), Stützprozess (ist zur Abwicklung der Kernprozesse unerlässlich), Blindprozess (verursacht Aufwand, ohne zum Kundennutzen beizutragen) und Fehlprozess (vernichtet bereits geschaffenen Kundennutzen). Die beiden letzteren sind zu vermeiden, die beiden ersten so gut wie möglich zu organisieren.

Für die Sachleistungsproduktion werden oft acht Formen der Verschwendung identifiziert und klassifiziert:

  1. Überproduktion: Alle Produkte, Halbfabrikate und Leistungen, die erstellt werden, ohne dass diese vom Kunden gefordert werden. Die meisten folgenden Verschwendungen werden unter anderem durch Überproduktion verursacht.
  2. Bestände: Bestände als Produktionspuffer verdecken Schwachstellen, als Überproduktion binden sie Kapital, Flächen und erzeugen nutzlosen Handhabungsaufwand. Am Ende müssen Bestände nicht selten abgeschrieben werden und täuschen zudem im Rechnungswesen eine erbrachte Leistung vor, die ertragswirksam nicht vorliegt.
  3. Transport: Materialtransporte bringen dem Produkt keinen unmittelbaren Kundennutzen. Einlagerungsprozesse sind zumeist als Blindprozesse anzusehen.
  4. Wartezeit: Stockende oder stillstehende Prozesse, fehlendes Material, gestörte oder ungeeignete Betriebsmittel etc. binden Ressourcen, welche für diese Zeiten nicht mehr wertschöpfend genutzt werden können.
  5. Aufwändige Prozesse: Durch unzureichende Einbeziehung der Produktion in den Entwicklungsprozess, ungeeignete Betriebsmittel und ungeeignete Systeme etc. werden Abläufe in der Regel schwer kontrollierbar. Dies verursacht Fehler, verringert allgemein die Flexibilität, führt zu Fehlprozessen und zu unproduktiven Wartezeiten.
  6. Lange Wege: Durch zu lange Wege kann ein flüssiger Produktionsablauf gestört werden.
  7. Fehler: Fehlerhafte Produkte bedeuten Aufwand zum Korrigieren (Blindprozesse) oder Leistung die in Ausschuss verlorengeht (Fehlprozess). Des Weiteren muss der gestörte Prozess wieder neu anlaufen (Blindprozess).
  8. Ungenutztes Potenzial: Alles Wissen und Können der Mitarbeiter im Prozess, das nicht genutzt wird, um den Gesamtprozess zu verbessern gilt als Verschwendung (mancherorts auch als „Luxus besonderer Art“ bezeichnet).

Dabei gilt es, zwischen vermeidbarer und nicht vermeidbarer Verschwendung zu differenzieren. Viele Dokumentationsvorgänge sind zum Beispiel oftmals nicht vermeidbar (was sorgfältig zu prüfen ist), aber unter orthodoxen Gesichtspunkten dennoch „Verschwendung“. Vermeidbare Verschwendungen sind konsequent zu beseitigen.

Das Kaizen mit seinen Techniken 5S, SMED, Jidoka (auch Autonomation genannt), Poka-Yoke, Heikinka (auch Nivellierung genannt), Heijunka (auch Geglättete Produktion genannt) etc. hat sich ähnlich wie das TQM als eigenständiges Konzept aus dem Lean Production System heraus entwickelt.

Prozessorientierung

Eine Kernbotschaft in der schlanken Produktion ist es, das Material vom Start eines Produktionsprozesses bis zur Fertigstellung eines Produktes ständig weiterzubearbeiten. Dies bedeutet, dass keine Puffermengen (siehe Verschwendungsart „Überproduktion“) zwischen Prozessschritten mehr auftreten. Die unmittelbare Folge davon ist eine sehr viel kürzere Durchlaufzeit mit segensreichen Folgen bezüglich Flexibilität, Liefertreue und Kapitalbindung. Des Weiteren erfolgt eine Steigerung der Flächenproduktivität und weniger Verschwendung durch Materialtransporte, Bestände etc. Der Idealzustand der kontinuierlichen Fließfertigung ist der One-Piece-Flow (dt. Mitarbeitergebundener Arbeitsfluss).

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Womack, J.; Jones, D.; Roos, D.: The Machine that changed the World: The Story of Lean Production. Harper Collins, New York 1990, ISBN 978-0-060-97417-6;
    deutsche Übersetzung: Womack, J.; Jones, D.; Roos, D.: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. 4. Aufl., Campus, Frankfurt a. M. 1992, ISBN 978-3-453-11750-1.
    Geprägt wurde der Begriff bereits 1988 von John Krafcik in dem zu der Studie gehörendem Bericht Triumph of the Lean Production, der in Sloan Management Review veröffentlicht wurde.
  2. Shah, R.; Ward, P. T.: Defining and developing measures of lean production. In: Journal of Operations Management, 25(2007), pp. 785–805. Im englischen Original: “Lean production is an integrated socio-technical system whose main objective is to eliminate waste by concurrently reducing or minimizing supplier, customer, and internal variability.”
  3. Ullmann, G.; Overmeyer, L.: Expertensystem zur Einführung von Lean Production im Werkzeugbau. In: Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V. (Hrsg.): FQS-DGQ, Band 88-07, 1. Aufl., Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-940-99108-9.
  4. Pfeiffer, W.; Weiß, E.: Lean Management: Grundlagen der Führung und Organisation lernender Unternehmen. 2. Auflage, E. Schmidt, Berlin 1994, ISBN 978-3-503-03678-3. Hier wird der Begriff erweitert auf Lean Management, das bezieht dann zum Beispiel „Simultaneous Engineering“ mit ein und eine Brücke zum vielmissbrauchten Begriff des Paradigmenwechsels in der Organisation geschlagen
  5. Grap, R.: Produktion und Beschaffung: Eine praxisorientierte Einführung. Vahlen, München 1998, ISBN 978-3-8006-2321-1, S. 39 ff., S. 71–77.
  6. IFAA – Institut für Angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (Hrsg.): Lean Production: Idee – Konzept – Erfahrungen in Deutschland. Bachem, Köln 1992, Schriftenreihe des IfaA, Band 27, ISBN 3-89172-230-3.

Weblinks


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