Schwanensee

Schwanensee

Schwanensee (russisch Лебединое Озеро, Lebedinoje osero) ist eines der berühmtesten Ballette zur Musik Pjotr Iljitsch Tschaikowskis. Es gehört zum Standardrepertoire klassischer Ballettkompanien. Insbesondere das Allegro Moderato aus den Schwanentänzen des 2. Akts ist in der Choreografie von Lew Iwanow Gegenstand unzähliger Parodien und daher als Tanz der vier kleinen Schwäne weit über das ballettinteressierte Publikum hinaus bekannt.

Inhaltsverzeichnis

Handlung und Libretto

Das Libretto stammt von Wladimir P. Begitschew und Wassili Geltzer und entsprach ganz der Vorstellung des Komponisten Tschaikowski. Inzwischen wurde das Libretto jedoch schon häufig umgeschrieben und verändert, so dass es verschiedene Versionen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Enden gibt. Die Sage von der verzauberten Schwanenprinzessin, die nur durch wahre Liebe aus dem Bann des bösen Zauberers erlöst werden kann, ist bei vielen Völkern bekannt.

In Schwanensee lassen sich häufige Motive zahlreicher Märchen nachweisen: Insbesondere die unglücklich verzauberte Prinzessin, die durch die Liebe eines Prinzen erlöst wird. Auch das unglückliche Ende des ursprünglichen Librettos ist ein bekanntes Märchenmotiv des Schwanenmädchens.

Szene aus dem 3. Akt: die Königin und Prinz Siegfried
Szene aus dem 3. Akt: Odile und Prinz Siegfried
Szene aus dem 4. Akt: Odette inmitten der Schwäne

Handlung

1. Akt

Im Schlosspark feiert Prinz Siegfried seinen 21. Geburtstag. Die Königsmutter kommt hinzu und wirft ihm zärtlich seine Unbeschwertheit vor. Sie erinnert ihn, dass am nächsten Tag ein Hofball stattfinden wird und er unter den teilnehmenden Gästen eine Braut wählen soll. Die Tänze werden fortgesetzt, bis der Prinz sich absondert und von einer unbestimmten Melancholie erfasst wird. Am Himmel sieht er weiße Schwäne vorüberziehen und er beschließt, mit seinen Freunden auf die Jagd zu gehen.

2. Akt

Am Ufer des Schwanensees, in der Nähe des Schlosses, erscheint im Mondlicht, aus dem Wasser tretend, das wunderschöne Schwanenmädchen. Der Prinz kommt hinzu und will schon seine Armbrust anlegen, als die Schwanenkönigin vor ihn tritt. Die Königin erzählt Siegfried, das Mädchen sei Prinzessin Odette, die vom Zauberer Rotbart in einen Schwan verwandelt worden ist. Von diesem Zauber könne sie nur derjenige erlösen, der ihr ewige Liebe schwört. Siegfried, von ihrem Liebreiz überwältigt, schwört ihr ewige Liebe und Treue.

Die Verzauberung der Liebenden findet ein Echo in den Tänzen der Schwäne. Odette und der Prinz bemerken nicht, dass sie von Rotbart belauscht wurden. Die Liebenden verlassen die Lichtung.

3. Akt

Festball im Schloss am nächsten Tag. Prinz Siegfried soll seine Braut wählen. Der Prinz tanzt mit den jungen Bräuten aus verschiedenen Ländern, aber seine Gedanken sind nur bei Odette. Unerwartet wird ein edler unbekannter Gast gemeldet: Baron Rotbart mit seinem Geschöpf Odile, die Odettes verführerisches, negatives Ebenbild ist und in der Prinz Siegfried fasziniert seine geliebte Odette zu erkennen glaubt. Die Divertissements mit den Nationaltänzen werden fortgesetzt. Siegfried, nun vollends der bösen Faszination der schwarzen Odette verfallen, hält um ihre Hand an und schwört auch ihr ewige Liebe und Treue. Triumphierend über den gelungenen Betrug verlassen Rotbart und Odile den Ballsaal, während Odettes weißer Geist in der Ferne erscheint. Siegfried läuft verzweifelt zum See.

4. Akt

Hier gibt es mehrere Varianten:

Am See warten die Schwäne auf die Rückkehr ihrer Prinzessin. Diese kommt und berichtet ihnen, was sich zugetragen hat. Der Prinz erreicht den See und bittet Odette um Verzeihung, und sie vergibt ihm. Eine große von Rotbart geschickte Welle droht Siegfried zu ertränken. Odette stürzt sich in die Flut, um Siegfried zu retten. Abhängig von der Inszenierung stirbt entweder einer von beiden (Siegfried oder Odette), oder beide sterben, oder beide leben glücklich bis an ihr Lebensende.

Rollen

Neben den technischen Anforderungen stellt das Ballett auch hohe Ansprüche an die schauspielerischen Fähigkeiten der Darsteller. Prägende Rolle des Stücks ist die Doppelrolle der Odette/Odile, die neben den tänzerischen Anforderungen die Tänzerin zwingt, zum einen einen lyrischen, guten Charakter zu verkörpern, zum anderen einen dämonischen. Nach Pierina Legnani tanzten unter anderem auch Anna Pawlowa, Tamara Karsawina, Maria Danilowa oder Margot Fonteyn berühmte Interpretationen der Rolle. Aktuell ist die weltweit erfolgreichste Primaballerina in dieser Rolle die Russin Polina Semionowa, die Odette/Odile mit zahlreichen namhaften Partnern (in Berlin beispielsweise an der Seite von Wladimir Malachow) tanzt.

Siegfried muss in dem Moment, in dem er den Betrug entdeckt, vom etwas arglosen und glücklichen Verliebten in die Rolle des wütenden und zornigen Betrogenen wechseln. John Figg beschreibt eine starke dramatische Wirkung des Stücks dadurch, „dass der Prinz zu einem lebenden Wesen gemacht wurde, der die Tragödie durchlebt, anstatt ein menschlicher Kran zu sein, der lediglich die Ballerina aufhebt.

Tanz und Musik

Die Rollen von Odette und Odile werden meist von ein und derselben Tänzerin getanzt. Es ist eine der anspruchsvollsten und anstrengendsten Rollen des klassischen Balletts. Es werden nicht nur zwei völlig unterschiedliche Charaktere dargestellt, auch die Choreografie stellt höchste Ansprüche an die Tänzerin. Unter anderem verlangt die Rolle in einer der bekanntesten Szenen im 3. Akt zweiundreißig Fouettés. Dieses Kunststück wurde in die Choreografie eingebaut, weil es die Spezialität von Legnani war, der ersten Prima Ballerina Assoluta des Mariinski-Theaters.

Geschichte

Inszenierungen

Seine Uraufführung erlebte Schwanensee am 20. Februarjul./ 4. März 1877greg. im Moskauer Bolschoi-Theater in einer Inszenierung von Wenzel Julius Reisinger mit der Primaballerina Pelagaja Karpakowa - die Aufführung war von einer ungenügenden Vorbereitung und technisch mangelhaften Darstellern sowie einer ebensolchen Ausstattung gekennzeichnet. Das Bolschoi-Ballett hatte zu dieser Zeit nicht das erforderliche Niveau, um dieses Stück zu tanzen, und so wurden die zu schwierigen Stellen in der Musik einfach gestrichen und durch leichtere Nummern anderer Komponisten ersetzt. Die Aufführung wurde dadurch unbeliebt und schnell wieder abgesetzt. Sie litt ebenso sehr unter den damaligen Umständen des Balletts, die John Cranko in seinem Stuttgarter Programmheft beschreibt: „... geschichtliche Ereignisse wurden völlig geändert, Nationaltänze wurden in ganz falschen Ländern und total unpassenden Kostümen getanzt ... Danach wurde vom Komponisten verlangt, eine Anzahl allgemein beliebter Rhythmen wie Polka, Galopp, Walzer oder Mazurka zu liefern. ... das Ganze wurde von einem Ballettmeister auf einer Diskant-Violine geprobt, so daß der Tanz mit dem Orchester zusammengebracht manchmal einen sonderbaren Gegensatz zur Musik darstellte. Auch mußte die Primaballerina von den 'Nummern' befriedigt sein, und war sie es nicht, war es leicht, die Stücke zu streichen, unbekümmert darum, ob die musikalische Sequenz unterbrochen wurde oder nicht.“ Unter diesen Umständen floppte Schwanensee bei seiner Erstaufführung wenig überraschend.

Die Inszenierungen ab 1880 - Tschaikowskis Ruhm begann langsam auch außerhalb Russlands zu wachsen - hatten nur mäßigen Erfolg, vor allem aber entstellten sie das Ballett immer weiter. Nikolai D. Kaschkin, Musikkritiker und Leiter des Konservatoriums in Moskau, schrieb in seinen Memoiren von 1896: „Der Ersatz der ursprünglichen Nummern durch eingeschobene wurde in immer höherem Grade praktiziert, und schließlich war fast ein ganzes Drittel der Musik von Schwanensee durch Einschübe aus anderen Balletten ersetzt, zudem meist nur durchschnittlichen.

Die bis heute maßgebliche Inszenierung wurde am 17. Februar/15. Januar 1895 am Mariinski-Theater in Sankt Petersburg aufgeführt. Die Choreografie war von Marius Petipa und Lew Iwanow. Spätere Inszenierungen lehnten sich meist sehr eng an diese Fassung an. Die Petersburger kamen wahrscheinlich durch konzertante Aufführungen des zweiten Akts im Mariinski-Theater 1894 auf die Idee, das Ballett wiederzubeleben. Auf Auftrag des Petersburger Theaterdirektors Iwan Wsewoloschski überarbeitete Tschaikowskis Bruder Modest die Partitur grundlegend. Die Inszenierung war ebenfalls nur ein mäßiger Erfolg, sie war unautorisiert, da es keinerlei Anzeichen gibt, dass Tschaikowski selbst je eine Umarbeitung in Betracht zog, aber sie beeinflusste die gesamte weitere Aufführungspraxis zutiefst.

Petipa selbst rechnete nicht mit dem Erfolg und traf auch keine Vorkehrungen für die weitere Aufführungspraxis: Weder ließ er die Choreografie Schritt für Schritt notieren, noch traf er Verfügungen über den Umgang mit der Choreografie nach seinem Tod. Erst 1934 gelangte mit dem London-Emigranten Nikolai Sergejew überhaupt eine einigermaßen vollständige Aufzeichnung der Version in den Westen. Die erste Aufführung des Kirow-Balletts im Westen musste bis 1969 warten.

Alternative Interpretationen

Bekannte Inszenierungen stammen von George Balanchine (New York), Bourmeister (Moskau), Orlikowski (Basel) und John Cranko (Stuttgart 1972/73).

Zu den bekanntesten Neuinterpretationen von Schwanensee gehört John Neumeiers „Illusionen - wie Schwanensee“, das 1976 in Hamburg uraufgeführt wurde.

Noch erfolgreicher war „Matthew Bourne's Swan Lake“, in dem die Schwäne ausschließlich von Männern getanzt werden. Diese Choreografie wurde 1995 in London am Sadler's Wells Theatre uraufgeführt. Sie feierte ebenso Erfolge bei Tourneen durch Europa, Nordamerika und Japan.

Film

Literatur

  • Thomas Kohlhase: Schwanensee in: Einführung in ausgewählte Werke Petr Il'ič Čajkovskijs, Mainz u. a., Schott 1996, S. 13-31

Weblinks

 Commons: Schwanensee – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Noten
Bilder (JPEG-Format)

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