Schweizerhalle

Schweizerhalle
Industriegebiet Schweizerhalle mit Salinebohrturm

Schweizerhalle ist ein bedeutendes Industriegebiet in den beiden basellandschaftlichen Gemeinden Muttenz und Pratteln bei Basel direkt am Rhein. Schweizerhalle gehört zum Wirtschaftsgebiet Nordwestschweiz und ist Standort der Vereinigten Schweizerischen Rheinsalinen und bekannter Chemiekonzerne wie Novartis und Clariant.

Inhaltsverzeichnis

Der Name

Der Name rührt her von Schweizerhalle (gemeint ist: Schweizer Halle), einer älteren Bezeichnung des salzgewinnenden Unternehmens Schweizer Rheinsalinen. Der Namensbestandteil „Halle“ bezeichnet den Plural von „Hall“, ein ausser Gebrauch gekommenes Wort für Saline. Bei der Namensvergabe für das Unternehmen ging man noch davon aus, dass „Hall“ ein keltischer Ausdruck für Salz war.

Saline

Am 30. Mai 1836 stiess der deutsche Bergbaufachmann Freiherr Carl Christian Friedrich Glenck beim Roten Haus in Muttenz auf eine 7 Meter dicke Salzschicht. Bereits ein Jahr später entstand in der Nähe im Gemeindebann von Pratteln die erste Saline.

Durch die «Schweizer Rheinsalinen» wird die Schweiz (ohne Kanton Waadt) und Liechtenstein mit Salz versorgt. Die Einnahmen aus dem Salzregal waren eine wichtige Einnahmequelle für den noch jungen und armen Halbkanton Basel-Landschaft. Die grossen Landreserven, die Lage am Rhein sowie die Verfügbarkeit von Salz waren wichtige Faktoren für die Ansiedlung von Produktionsstätten der chemischen Industrie, die in Basel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keinen Raum für eine weitere Expansion hatten.

Der Grossbrand vom 1. November 1986

Bekanntheit erlangte Schweizerhalle, als am 1. November 1986 ein Grossbrand beim Chemiekonzern Sandoz entstand. Das grosse Feuer in der 1350 Tonnen Chemikalien enthaltenden Lagerhalle, der dicke Rauch, der Gestank und die unbekannte Zusammensetzung der Verbrennungsgase veranlassten die Behörden der Nachbargemeinden (u. a. Basel), die Bevölkerung frühmorgens mit allgemeinem Sirenenalarm zu alarmieren, auch wurde eine mehrstündige Ausgangssperre verhängt. Menschen erlitten keine akuten Schäden, mit Ausnahme von drei Personen mit vorbestehendem Asthma, die Hospitalisierung benötigten. Jedoch verseuchte Löschwasser den Rhein und löste ein grosses Fischsterben aus. Die Giftwelle, insbesondere Pestizide wie Disulfoton, Thiometon, Parathion oder Fenitrothion mit einer Halbwertszeit von 30 bis 50 Tagen, löschte auf einer Länge von 400 km die gesamte Aalpopulation aus. Das dynamische Fliessgewässer-System und die Organismen haben sich in wenigen Monaten vom Unglück erholt.[1] Jedoch wurde die Einwanderung exotischer Arten stark begünstigt, die unvorteilhaft auf das ökologische Gleichgewicht wirken.[2] Der in den Rhein gelangte rote Farbstoff bewirkte zwar eine starke Färbung des Wassers, war selbst aber harmlos.

Der offizielle Untersuchungsbericht gelangte (nur „aufgrund theoretischer Überlegungen“) zum Schluss, dass beim Verpacken von Paletten mit Berliner Blau die falsche Handhabung einer sogenannten Schrumpfpistole zu einem Glutherd führte. Max Hubmann, damals Chef des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich, hat die Brandursache vor Ort untersucht. Sein Fazit: «Mit grosser Wahrscheinlichkeit war das Schrumpfen von Plastik über Berliner Blau die Ursache des Grossbrandes.»[3].

Dass der Agro-Markier-Farbstoff Berliner Blau zu Glimmbränden mit späterem Brandausbruch neigt, war bei Sandoz schon Mitte der sechziger Jahre bekannt, wie aus firmeninternen Dokumenten hervorgeht, die die Basler Zeitung (BaZ) im Jahr 2000 auszugsweise veröffentlicht. Die BaZ hält fest: "So schreibt ein Sandoz Mitarbeiter 18. November 1965 in einem internen Papier: «Beim Erhitzen von Berliner Blau kommt es zum Verglimmen.» Zudem sei es beim Mahlen des Stoffes im Werk Basel zu einer «Entzündung gekommen». Vier Jahre später bestätigte dies ein weiteres internes Sandoz-Papier: Am 25. Juli 1969 berichtete die französische Tochtergesellschaft dem Basler Hauptsitz, dass Berliner Blau brandgefährlicher sei als bisher angenommen: «Das Produkt brennt sehr langsam, ohne Flammen.» Dass im Berliner Blau ein erhebliches Brandrisiko steckt, bestätigte zwei Jahre vor dem Grossbrand in der Sandoz-Lagerhalle die Firma Degussa als Lieferantin des Farbstoffs auf ihrem Sicherheitsdatenblatt: «Vermeidung des Kontaktes mit Zündquellen (Feuer, Funke). Staubablagerungen sind zu vermeiden.» Trotzdem arbeitete der Sandoz-Arbeiter am 31. Oktober 1986 mit einer offenen Flamme, um das Berliner Blau mit Plastik auf Paletten zu befestigten. Kurz danach, in der Nacht auf den 1. November, stand dann die Lagerhalle in Schweizerhalle in Flammen. Neun Tage nach der Feuersbrunst, am 10. November 1986, bestätigt A. Aellig vom Sicherheitslabor der Sandoz in einem Brief an Max Hubmann, was im Sandoz-Konzern schon lange bekannt war: Nach dem Grossbrand habe sich in eigenen Brandversuchen gezeigt, dass Berliner Blau «eine sehr leichte Entzündbarkeit» zeige «und danach ein flammloses, rauchloses, langsam fortschreitendes Glimmen» entstehe. Auf Basis dieses Berichts und mit eigenen Erkenntnissen als Grundlage habe der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich seine eigenen Brandversuche gestartet, erinnert sich Hubmann gemäss Basler Zeitung. Sie hätten das Glimmen des Berliner Blaus in Anwesenheit des angeschuldigten Arbeiters, der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft und von Vertretern der Sandoz «recht gut hingebracht». Sie hätten bei diesen Brandversuchen nicht mit einer offenen Flamme gearbeitet, wie es der Sandoz-Arbeiter vor dem Grossbrand getan hatte, sondern heisse Nägel verwendet. Zwischen den Säcken und dem geschrumpften Plastik habe sich immer ein wenig Farbstoff befunden. «Wir haben die heissen Nägel durch die Plastikfolie gestochen. Damit konnten wir das Berliner Blau ausserhalb des Sacks zum Glühen bringen.» Es habe danach lange gedauert, bis ihre Probepalette mit Berliner Blau offen gebrannt habe. Dies habe erklärt, warum zwischen dem Einlagern der Berliner Blau-Paletten in der Lagerhalle und dem offenen Feuerausbruch so viel Zeit verstrichen sei. Wo genau in der Halle die Paletten vor dem Brand gestanden seien, hätten sie allerdings nicht klären können.

Dass der Sandoz-Arbeiter trotz des Wissens über die Brandgefährlichkeit von Berliner Blau und seinem Hantieren mit einer offenen Flamme nicht verurteilt wurde, stellt für Hubmann die Wahrscheinlichkeit nicht in Frage, dass im Berliner Blau die Brandursache lag: «Das ist eine juristische Beurteilung, die mit der Brandursache nichts zu tun hat.» Und: «Mit grosser Wahrscheinlichkeit war das Schrumpfen von Plastik über Berliner Blau die Ursache des Grossbrandes»", schreibt die Basler Zeitung.[4]

Die "Schweizerhalle"-Hinterlassenschaft

Sandoz hat den Brandplatz vom 1. November 1986 nicht sauber aufgeräumt. Sie hinterlässt in dessen Boden eine "Schweizerhalle"-Deponie. Sie enthält Schadstoffe vom Inferno vom 1. November 1986. Noch heute gelangen aus dieser "Schweizerhalle"-Deponie 5-7 Mal mehr Schadstoffe ins Grundwasser, als Sandoz und die Behörden des Kantons Basel-Landschaft 1989/90 verbindlich vereinbart haben. Der Pharmakonzern Novartis als Rechtsnachfolgerin von Sandoz und die Behörden nehmen diesen Zustand bis heute in Kauf. Dabei gefährdet die "Schweizerhalle"-Deponie noch immer einen Trinkwasserbrunnen der Gemeinde Muttenz. Er liegt nur 200 Meter vom Brandplatz entfernt. Die Gemeinde darf ihn bis heute, 25 Jahre nach dem Inferno, nicht vollständig nutzen. Es besteht noch immer die Gefahr, dass die Pumpe des Brunnen vom benachbarten Brandplatz "Schweizerhalle"-Schadstoffe in das Trinkwasser zieht.[5]
Als Konsequenz des Unfalls erkannte Sandoz die Notwendigkeit die Informationsgrundlage für Risiken zu verbessern und entwickelte eines der ersten Nachhaltigkeitsmanagement Systeme, heute bekannt unter doCOUNT 2.0 Sustainability Performance Management Suite [6].

Dokumentationen

Literatur

  • Schweizerhalle, Bericht des Regierungsrates an den Landrat (Baselland), 1987
  • Nikolai A. Behr: Die Entwicklung des Rheinschutz-Regimes unter besonderer Berücksichtigung des Sandoz-Unfalls vom 1. November 1986; brain script-Verlag, München, 2003, 228 S., ISBN 3-9808678-0-3.
  • Walter Giger: Der Rhein ist rot, die Fische tot: Brandkatastrophe in Schweizerhalle 1986 — Rückblick und Bilanz, in: UWSF, 19(1), 11–23, doi:10.1065/uwsf2007.03.165
  • Martin Forter: Falsches Spiel. Die Umweltsünden der Basler Chemie vor und nach "Schweizerhalle". Chronos Verl., Zürich, 2010. ISBN 978-3-0340-1007-8
  • Martin Forter: Farbenspiel. Ein Jahrhundert Umweltnutzung durch die Basler chemische Industrie. Chronos Verl., Zürich, 2000. ISBN 978-3-905313-46-8

Einzelnachweise

  1. Der Rhein rot, die Fische tot – 20 Jahre nach dem Sandoz-Brand – Medienmitteilung der Eawag vom 1. November 2006
  2. Der Rhein lebt – aber anders. Video in: MTW vom 26. Oktober 2006 (5:19 Minuten)
  3. Martin Forter: Schweizerhalle : Berliner Blau als Brandursache, in: Basler Zeitung vom 22. November 2000; Martin Forter: Die Sicherheit entsprach nicht dem Stand der Technik, in: Berner Zeitung vom 19. Dezember 1990.
  4. Martin Forter: Schweizerhalle: Berliner Blau als Brandursache, in: Basler Zeitung vom 22. November 2000.
  5. Martin Forter: Falsches Spiel. Die Umweltsünden der Basler Chemie vor und nach "Schweizerhalle". Chronos Verl., Zürich, 2010. ISBN 978-3-0340-1007-8
  6. Webseite von doCOUNT AG

Weblinks

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