Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt

Sexueller Missbrauch bezeichnet unter Strafe gestellte sexuelle Handlungen an Menschen. In der Sozialwissenschaft wird der Begriff oft auf Handlungen ausgedehnt, die nicht strafbar sind, aber moralisch verurteilt werden. Psychologisch wird als Missbrauch verstanden, wenn eine Handlung das Opfer in seiner sexuellen Integrität verletzt und ihm psychischen Schaden zufügt.

In der sozialwissenschaftlichen Literatur, in Bereichen der Arbeit mit den Opfern, auch bezüglich Therapien sowie in psychologischen Zusammenhängen wird auch die Bezeichnung Sexuelle Gewalt oder konkreter Sexualisierte Gewalt benutzt. Der Begriff sexualisiert soll meinen, dass Gewaltaspekte nicht ihren Ursprung in der Sexualität haben, jedoch hier mittels sexueller Handlungen zum Ausdruck gebracht werden.

Sexueller Missbrauch wird in Deutschland als schwerwiegendes Verbrechen angesehen, das gilt insbesondere für den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, § 176a StGB.

Inhaltsverzeichnis

Strafrechtliche Sanktionierung

Deutschlandlastige Artikel Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern.

Die deutsche Rechtslage

Das durch die Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuchs geschützte Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung. Diese kann durch die Missbrauchshandlung grundsätzlich in zweierlei Weise verletzt werden: Zum einen kann eine Handlung gegen oder ohne den Willen des Opfers vorgenommen werden, zum anderen kann eine Handlung scheinbar einvernehmlich vorgenommen werden, wobei der Täter jedoch dieses scheinbare Einvernehmen unter Ausnutzung der fehlenden Einwilligungskompetenz des Opfers oder einer besonderen Beziehung zu seinem Opfer herbeiführt.

Handlungen gegen den Willen des Opfers

Das Handeln gegen den Willen des Opfers unter Anwendung von Gewalt, Drohung mit Gewalt oder unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage stellt in der Terminologie des deutschen Strafrechts eine sexuelle Nötigung dar (vgl. § 177 Abs. 1 StGB). Bei Vollzug des Beischlafs oder ähnlichen sexuellen Handlungen, "insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind" (§ 177 Abs. 2 StGB) liegt eine Vergewaltigung vor. Während die Vergewaltigung in vielen Rechtsordnungen einen eigenen Straftatbestand darstellt, hat der deutsche Gesetzgeber im 6. Strafrechtsreformgesetz die Konzeption gewählt, dass die Vergewaltigung nur einen besonders schweren Fall der sexuellen Nötigung darstellt.

Verursacht der Täter durch die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, sieht der Qualifikationstatbestand des § 178 StGB eine Freiheitsstrafe von nicht unter zehn Jahren vor.

Ausnutzungstatbestände

Zu der zweiten Gruppe zählen zunächst diejenigen Tatbestände, in denen das Opfer wegen jugendlichen Alters nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer Einwilligung in die Vornahme sexueller Handlungen zu erfassen und danach zu handeln.

Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen
  • Sexueller Missbrauch von Jugendlichen bezeichnet sexuelle Handlungen meist Erwachsener mit Jugendlichen, die gegen Entgelt stattfanden oder wenn die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung des Jugendlichen fehlt und der Erwachsene dieses ausnutzt. Als Jugendliche gelten weithin Personen im Alter von 14 bis 17 Jahren, wobei die Altersbereiche bezüglich der Strafbarkeit in Deutschland feiner aufgegliedert werden. Siehe auch § 182 StGB.

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen
  • Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen bezeichnet sexuelle Handlungen einer Person mit Jugendlichen, wenn zwischen der Person und dem Jugendlichen ein Ausbildungs- bzw. Betreuungsverhältnis besteht oder es sich bei dem Jugendlichen um ein leibliches Kind handelt, in Deutschland durch § 174 StGB unter Strafe gestellt.
Vergleichbar in der Schweiz: Missbrauch durch Ausnutzung einer Notlage (Art. 193 Abs. 1 StGB).

Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer besonderen Stellung

Im Rechtsleben kann es zu einer Vielzahl von Über- und Unterordnungsverhältnissen kommen, die teilweise für den Unterlegenen so erheblich sind, dass eine selbstbestimmte Einwilligung in die Vornahme sexueller Handlungen nicht mehr angenommen werden kann, weswegen sexuelle Übergriffe innerhalb dieser Beziehungen generell strafbewehrt sind, wenn sie unter Ausnutzung einer derartigen Stellung erfolgen. Im einzelnen sind hier zu nennen:

Missbrauch von Gefangenen, Verwahrten oder Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen

§ 174a StGB sieht für denjenigen, der sexuelle Handlungen mit einer "gefangenen oder auf behördliche Anweisung verwahrten" Person, "die ihm zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist" ausübt, Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor.

Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung

Nach § 174b StGB wird derjenige mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, der als Amtsträger zur Mitwirkung an einem Strafverfahren oder einem auf eine freiheitsentziehende Maßnahme abzielenden Verfahren berufen ist und „unter Missbrauch“ einer durch dieses Verfahren bestimmten Abhängigkeit die Vornahme sexueller Handlungen herbeiführt.

Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses

§ 174c StGB schließlich sanktioniert sexuelle Handlungen, die im Rahmen eines qualifizierten Behandlungsverhältnisses vorgenommen werden.

Andere Rechtsordnungen

Die Rechtslage in den USA unterscheidet sich insgesamt gravierend von derjenigen in Europa. Dort liegt das Schutzalter je nach Bundesstaat zwischen 16 und 18 Jahren.[2] Die Rechtsprechung in den Bundesstaaten ist nicht einheitlich. In vielen, jedoch nicht in allen Staaten gibt es zusätzliche Vorschriften, die bei Altersdifferenzen der Beteiligten von höchstens 3-4 Jahren unter der Voraussetzung, dass die sexuellen Handlungen unter gegenseitigem Einverständnis vorgenommen wurden und alle beteiligten Personen mindestens 14-16 Jahren alt sind, keine oder nur geringe Bestrafungen vorsehen. Es gab in der Vergangenheit allerdings spektakuläre Fälle, in denen aufgrund einer speziellen Rechtslage bzw. -auslegung sogar Minderjährige trotz offensichtlich vorhandenem gegenseitigem Einverständnis zu empfindlichen Gefängnisstrafen wegen "Missbrauchs" verurteilt wurden bzw. werden sollten.

Missbrauchsformen

Abzugrenzen ist der sexuelle Missbrauch von der sexuellen Belästigung, die mitunter rechtswidrig, z.B. in arbeitsrechtlicher Hinsicht, aber nicht strafbar ist. Sexuelle Belästigung ist in vielen Unternehmen Kündigungsgrund.

Psychologische Folgen

Traumatische Erfahrungen wie der sexuelle Missbrauch fügen den Opfern oft seelische Schäden zu, die häufig zu langanhaltenden psychischen Störungen führen. Diese reichen von der Posttraumatischen Belastungsstörung über Depressionen und Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie Dissoziativen Störungen bis hin zur Multiplen Persönlichkeitsstörung. Die drei letztgenannten Störungen stehen besonders oft in engem Zusammenhang mit dem Erleiden von sexuellem Missbrauch im Kindheits- und Jugendalter.[3][4] Sexueller Missbrauch ist Gewalt an Kindern und hat katastrophale Auswirkungen auf deren Persönlichkeitsentwicklung. Aber nicht nur die Opfer haben mit den Nachwirkungen zu kämpfen. Die traumatische Erfahrung prägt auch Bindungen, Beziehungen und Partnerschaften, die Überlebende als Erwachsene eingehen.[5]

Vorbeugung

Viele Ansätze der Vorbeugung (Prävention) zielen darauf ab, mögliche Opfer so vorzubereiten, so dass sie entweder das Vergehen selber abwehren können oder dass sie später genügend Mut und Kraft haben, den Täter anzuzeigen. Ebenfalls kann es sinnvoll sein, sie so zu stärken, dass sie nach einem Vorfall das Leben möglichst selbstständig weiterführen können. Besonders in Berufen, in denen Erwachsene oft mit Kindern oder Behinderten in Kontakt stehen, gibt es auch Kurse, welche sich an potenzielle Täter richten.

  • Alle Menschen sollen ernst genommen werden. Wenn jemand „nein“ sagt, dann ist es auch ein Nein. Besonders Kindern wird so klargemacht, dass Erwachsene nicht alles tun dürfen und dass Erwachsene nicht immer überlegen sind.
  • In Familien und anderen Gruppen von Menschen wird der gegenseitige Respekt vorgelebt. Niemand soll sich um der Bravheit willen unterwürfig verhalten.
  • Sexualität und körperbezogene Themen sollen offen gelebt und besprochen werden. Der eigene Körper gilt als wertvoll und schön.

Eine tiefgreifendere Vorbeugung ist die Therapie von Opfern, die später manchmal selbst zu Tätern werden können.

Ein kontroverses Ziel einer Opfertherapie ist die Vergebung. Dem entspricht in der Therapie von Tätern das erleben der Schuld und entsprechende Reue und Sühne. Wenn dies erreicht sei, würden alle Reste von Wut, Hass und Rache auf der einen Seite, und Schuld, Scham und Verleugnung auf der anderen Seite aufgehoben und könnten sich nicht weiter fortsetzen.

Alternative Begriffe

Insbesondere in feministischen Zusammenhängen wird meist von „sexuellem Missbrauch an Menschen“ gesprochen. Dies soll der von den diesen Begriff bevorzugenden Kreisen gesehenen Problematik abhelfen, dass durch den Begriff sexueller Missbrauch eine Zuweisung eines Objektstatus erfolge.

Um der nach dieser Ansicht bestehenden Problematik Abhilfe zu schaffen, dass der Begriff des „sexuellen Missbrauchs“ die Perspektive der „missbrauchten“ Menschen ignoriere, wird teilweise von „sexualisiertem Missbrauch an Menschen“ gesprochen.

Einige „missbrauchte“ Menschen lehnen die Selbstkategorisierung als „missbraucht“ ab, denn sie bedeutet nach ihrem Verständnis zuzugestehen, dass es dem „missbrauchenden“ Menschen gelungen ist, sie zu einem Gegenstand zu machen, der sie nie - auch während der „Missbrauchshandlung“ nicht – gewesen sind. Für diese Menschen und solche, die ihre Sichtweise teilen, kommen als mögliche Alternativbezeichnungen unter anderem in Frage: „sexualisierte Misshandlung“, „sexualisierte Gewalt“, „sexuelle Ausbeutung“.

Des Weiteren wurde die Verwendung des Begriffes Missbrauch kritisiert, insofern, als sie die Möglichkeit eines zulässigen sexuellen Gebrauchs von Kindern implizieren könne.

Literatur

  • Gabriele Amann/Rudolf Wipplinger (Hrsg.): Sexueller Missbrauch. Überblick zu Forschung, Beratung und Therapie. Ein Handbuch. (3. Aufl.), DGVT- Verlag, Tübingen 2005, ISBN 3-87159-044-4.
  • Herta Däubler-Gmelin/Dieter Speck: Sexueller Mißbrauch. Die Einsamkeit der Opfer. Die Hilflosigkeit der Justiz. Droemer Knaur, 1997, ISBN 978-3426773505.
  • Katharina Rutschky/Reinhart Wolff: Handbuch Sexueller Mißbrauch. Rowohlt, 1999, ISBN 978-3499605987.
  • Dirk Bange/Wilhelm Körner: Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. Hogrefe-Verlag, 2002, ISBN 978-3801711887.
  • Wilhelm Körner/Albert Lenz: Sexueller Missbrauch 1. Grundlagen und Konzepte. Hogrefe-Verlag, 2004. ISBN 978-3801714697.
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung - BzgA - "Körper, Liebe, Doktorspiele" (erschienen 2001 - 2007) mit kritischen Anmerkungen der Staatsanwaltschaft Köln in 121 Js 395 / 07 unter Einzelnachweise bei sexuelle Handlung.
  • Laura Davis: Verbündete. Handbuch für Partnerinnen und Partner von Überlebenden sexueller Gewalt. Orlanda, 2008, ISBN 978-3-936937-57-2.
  • Ellen Bass/Laura Davis: Trotz allem. Wege zur Selbstheilung für Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Orlanda, 2006, ISBN 978-3-936937-42-8.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: CASE OF S.L. v. AUSTRIA (MS-Word-Dokument) (englisch)
  2. Ages of consent in North America
  3. Ronald J. Comer: Klinische Psychologie. Spektrum ISBN 3-8274-0592-0
  4. Michaela Huber: Multiple Persönlichkeiten, Überlebende extremer Gewalt. Fischer ISBN 3-596-12160-4
  5. Linder/Thießenhusen: "Missbrauchs-Traumata gemeinsam überwinden". Tectum-Verlag ISBN 978-3-8288-9267-5
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