Rituelle Gewalt

Rituelle Gewalt

Rituelle Gewalt ist eine schwere Form der Misshandlung von Menschen. Sie umfasst physische, sexuelle und psychische Formen von Gewalt, die planmäßig und zielgerichtet im Rahmen von Zeremonien bzw. Ritualen ausgeübt werden. Diese Zeremonien können einen ideologischen Hintergrund haben oder auch zum Zwecke der Täuschung und Einschüchterung inszeniert sein. Dabei werden Symbole, Tätigkeiten oder Rituale eingesetzt, die den Anschein von Religiosität, Magie oder übernatürlichen Bedeutungen haben. Meist werden diese Geschehnisse über einen längeren Zeitraum wiederholt.[1]

Belegt wird das Vorkommen von Ritueller Gewalt durch eine Vielzahl von Aussagen Betroffener, vorrangig im Rahmen psychotherapeutischer Betreuung. Daneben existieren empirische Untersuchungen aus verschiedenen Ländern.

Inhaltsverzeichnis

Methoden und Auswirkungen

Repräsentative Befragungen unter Psychotherapeuten in Deutschland (insgesamt 1500 Rückmeldungen) ergaben Klientenberichte über Tieropferung, rituellen sexuellen Missbrauch, Ekeltraining, Leichenschändung, Menschenopferung (zumeist Neugeborene), schwarze Messen, Zwang zu absolutem Gehorsam und absoluter Geheimhaltung.[2]

Infolge der meist seit frühester Kindheit erfahrenen Traumatisierungen kommt es bei den Opfern häufig zur Ausbildung der Dissoziativen Identitätsstruktur. Es wird vermutet, dass dies von Tätern intendiert wird, um einzelne Persönlichkeitsanteile für bestimmte Zwecke einsetzen zu können. In diesem Zusammenhang berichten Betroffene von Konditionierungen, mit deren Hilfe „Programme“ verankert wurden (Mind Control). Mit großer Wahrscheinlichkeit werden auf diese Weise Opfer auch zu Gewalthandlungen gezwungen.[3]

Eine typische, fast regelhafte Folge von Ritueller Gewalt ist neben dissoziativen Störungen die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Als komorbide Störungen finden sich vor allem Depression, Essstörungen, Zwänge und Persönlichkeitsstörungen.

Täter

Auch die Kenntnis über Täterstrukturen stützt sich vorrangig auf Aussagen Überlebender. Die Beteiligung organisierter satanistischer Gruppierungen lässt sich bislang nicht belegen. Häufig scheint es sich um lokale Täterkreise zu handeln, die teilweise seit mehreren Generationen bestehen. Es gibt Hinweise auf kinderpornographische Kommerzialisierung (sexualisierte Misshandlung und Folter an Kindern, dokumentiert auf Video).

Aufgrund der Schwierigkeit, strafrechtlich relevantes Beweismaterial (sog. Sachbeweise) zu sichern, wird das Vorkommen von Ritueller Gewalt manchmal noch bezweifelt.

Strafverfolgung, Opferschutz, Therapie

Betroffene, die oft seit frühester Kindheit der Rituellen Gewalt unterworfen waren, können sich ohne umfassende Unterstützung aus dem Einfluss der Täter kaum befreien. Aussagen über das Täterverhalten sind aufgrund der dissoziativen Abspaltung oft nur im Rahmen von psychotherapeutischer Aufarbeitung möglich. Auch Geheimhaltung, teilweise Anonymität von Tätern und Unbekanntheit der Tatorte erschweren eine strafrechtliche Verfolgung. Verstärkte Aufmerksamkeit wird dem Thema Rituelle Gewalt in polizeilichen Ausbildungsstätten geschenkt.[4]

Zunehmend angewandte Möglichkeiten des Opferschutzes sind behördliche Auskunftssperre, Namensänderung, Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz. Die meist ungenügende Beweisbarkeit erschwert vor allem familienrechtliche Interventionen sowie Unterstützung nach dem Opferentschädigungsgesetz.

Psychotherapeutische Betreuung orientiert sich zumeist an psychotraumatologischen Erkenntnissen (vor allem im Zusammenhang mit dissoziativen Störungen).

Für Betroffene, die noch bis ins Jugend- oder Erwachsenenalter in Gruppen der organisierten Rituellen Gewalt eingebunden sind, hat die Ausstiegsbegleitung (meist durch Psychotherapeuten oder Sozialarbeiteren) große Bedeutung.

Literatur

  • Bundesarbeitsgemeinschaft Prävention & Prophylaxe e.V. (Hrsg.): Rituelle Gewalt (Berlin 2003)
  • Claudia Fliß/Claudia Igney (Hrsg.): Handbuch Trauma und Dissoziation (Lengerich 2008) ISBN 978-3-89967-475-0
  • dies.: Handbuch Rituelle Gewalt (Lengerich 2010) ISBN 978-3-89967-644-0
  • Matthias Neff: Rituelle Gewalt: Vom Erkennen zum Handeln (Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 7/2010)
  • Chrystine Oksana: Safe Passage to Healing. A Guide for Survivors of Ritual Abuse ((New York 1994) ISBN 0-06-096996-2
  • Axel Petermann/Luise Greuel: Dissoziative Identitätsstörung und ritueller Missbrauch - Möglichkeiten und Grenzen der polizeilichen Ermittlungstätigkeit und Beweisführung, in: Greuel/Petermann (Hrsg.): Macht - Familie - Gewalt (Lengerich 2009)
  • Margaret Smith: Gewalt und sexueller Mißbrauch in Sekten (Zürich 1994) ISBN 3-268-00166-1
  • Judith Spencer: Jenny (Frankfurt/M. 1995) ISBN 3-596-12319-4
  • Onno van der Hart/Ellert R.S. Nijenhuis/Kathy Steele: Das verfolgte Selbst. Strukturelle Dissoziation und die Behandlung chronischer Traumatisierung (Paderborn 2008) ISBN 978-3-87387-671-2

Dokumentarfilme

  • Didier Cazet/Ralf Hermersdorfer/Tanya Schmidt: Rituelle Gewalt / Noemi und Pierre M. (SAT 1, 19.5.2003)
  • Liz Wieskerstrauch: Robin - Die Seele brennt (HR 2000, WDR 2001)
  • dies.: Höllenleben (1) (NDR und BR 2001, ARD)
  • Claudia Fischer/Maren Müller: Ein Körper mit System (erhältlich über www.nickis-filme.de)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. nach Thorsten Becker in: Fliß/Igney (Hrsg.): Handbuch Trauma und Dissoziation (Lengerich 2008, S. 25/26)
  2. Claudia Igney in: Fliß/Igney (Hrsg.): Handbuch Rituelle Gewalt (Lengerich 2010, S. 67ff.)
  3. Michaela Huber: Multiple Persönlichkeiten (Neuauflage: Paderborn 2010)
  4. Adolf Gallwitz/Manfred Paulus: Pädokriminalität weltweit (Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 2009, ISBN 978-3-8011-0598-3)

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